21. Dezember
Es ist so weit. Etwa fünfzig Bewaffnete wandern den Berg hinauf. Sie tragen schwarze Uniformen, eine Elite-Einheit. Sie wissen längst, wo ich bin.
Sie haben auch den taktischen Nutzen meiner Position erkannt. Sie wissen, dass ein einziger Stoß ihren Tod bedeuten würde.
Sie beraten sich, weiter unten auf einer Kurve. Auch dort sind sie nicht sicher. Die Lawine, die ich auslösen kann, wird den ganzen Berg überspülen. Ihr Donnern wird vielleicht auch die Siedlung der Holzfäller erreichen. Ich bilde mir ein, den Rauch noch sehen zu können.
Unwahrscheinlich, ich weiß.
Ich warte. Ich will die Angst der Soldaten sehen, als Rache für Matoskahs Tod. Ich will ihre Schreie hören.
Die Zeit verrinnt. Die Sonne sinkt, Sterne steigen auf. Der Mond zeigt sich.
Tag und Nacht sind genau gleich lang. Von jetzt an wird das Tageslicht immer weniger. Die Zeit von Dunkelheit und Kälte kommt.
Nacht und Eis. Die Nacht soll an meiner Seite sein. Doch ich sehe sie nicht. Zwar zieht der Mond auf, aber die Nacht ist nicht bei mir.
Ich bin allein. So einsam, wie ich sein wollte.
Ich habe die Einsamkeit für mich gewählt. Jetzt wird es Zeit, dass ich mit ihr lebe.
Bewegung kommt in den Reihen der Soldaten auf. Ein einziger Mann tritt nach vorne. Ich stehe aufrecht über dem Startpunkt der Lawine und beobachte ihn, wie er näher kommt. Er hat seine Waffen abgelegt und die Hände erhoben.
„Miss Glacia“, ruft er mir zu. „Wir möchten sie bitten, nicht zu … schießen.“
Er meint wohl das Losschießen der Lawine. Ich hätte beinahe gelacht. Aber ich fühle nichts.
„Was wollt ihr?“, frage ich laut.
„Wir möchten verhandeln.“
Das überrascht mich. Ein bewaffneter Trupp zieht mir meilenweit hinterher, um ein paar lustige Verträge abzuschließen.
„Verhandeln? Über was? Wozu?“, frage ich laut.
Der Mann kratzt sich am Kopf und gesteht: „Es war nicht unsere Idee. Jemand hat sich uns angeschlossen und ist der Meinung, mit Ihnen zu reden würde funktionieren.“
Ich höre, dass der Mann selber zweifelt. Das macht mich neugierig: „Wer ist er?“
„Keine Ahnung. Er hat nicht einmal seinen Namen genannt. Nur den Ihren. Soyala.“
Ich lege die Stirn in Falten. Sollte Matoskah etwas doch noch leben? Aber ich habe gespürt, wie er gestorben ist!
„Bringt ihn her“, verlange ich.
„Und Sie werden uns nicht töten?“, fragt der Soldat. Seine Stimme klingt jung und ängstlich.
Ich seufze und antworte dann: „Natürlich nicht.“ Es ist eine Lüge. Ich werde mich nicht von meiner Gerechtigkeit abhalten lassen. Aber ich bin auch neugierig, wer der Fremde in der Gruppe ist.
Der Mann geht wieder. Ich betrachte jeden seiner Schritte. Er redet mit den anderen.
Ihre Reihen teilen sich, eine Gestalt in einem dunklen Umhang tritt vor.
Der Unbekannte hat die Kapuze aufgesetzt. Ich rühre mich nicht, bis er direkt unter meinem Felsen steht, obwohl er Waffen und alles mögliche bei sich tragen könnte.
Ich vertraue ihm.
Und als er die Kapuze zurückschlägt, erstarre ich.
Vor mir steht ein Geist.