20. Dezember
Der Gipfel. Endlich habe ich ihn erreicht.
Ich ziehe mich das letzte Stück nach oben und bleibe keuchend auf einem kurzen Stückchen flachen Bodens liegen.
Der Mond steht am Himmel. Er ist fast erloschen. Neumond.
Ich bleibe erschöpft im Schnee liegen. Mein Atem ist immer noch flach. Ich bin so müde von dem Aufstieg.
Noch im Liegen höre ich ein Geräusch. Ein Schnauben.
Ich sehe auf und erstarre. Ein Bär. Ein weißer Grizzly. Er steht nur wenige Meter entfernt und sieht mich aus eisblauen Augen an.
Wieder schnaubt er. Es klingt wie eine Aufforderung.
Langsam stehe ich auf. Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich sammele das bisschen Eismagie, dass mir noch zur Verfügung steht. Ein Kampf in meiner Verfassung wäre unmöglich.
Aber ich weiß natürlich, dass es Matoskah ist. Er sieht mich aufstehen und wendet sich ab, um in einen Schneewirbel zu gehen. Ich seufze tief.
Diese Besuche toter Freunde sind nicht normal, oder?
Ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken. Denn als ich nach unten sehe, erkenne ich die Fackeln, die sich langsam über den Weg nach oben arbeiten, zur Spitze hin.
Natürlich, Matoskah wollte mich warnen.
Ich habe keine Zeit zu verlieren.
Denn meine Verfolger sind fast da.
Ich sehe mich um und entdecke weiße Vögel, die durch den Schnee hüpfen. Ich erinnere mich an Matoskahs Worte über Schneevögel und gehe langsam auf sie zu.
Sie flattern auf, als ich zu nahe kommen, doch ihr Flug zeigt mir einen Überhang am Berghang, der so voller Schnee ist, dass ich den Fels förmlich ächzen höre.
Ich gehe näher und untersuche den Felsen. Er ragt weit über den Weg, den meine Verfolger nehmen müssen.
Wenn sie kommen, reicht ein einziger Schubs und die ganzen Soldaten sind Geschichte. Vielleicht werde auch ich durch die Lawine sterben, aber das ist mit egal. Sie wird ein Grab für Matoskah sein, ein prächtiger Grabhügel.
Ein Opfer ohne Gnade.
Der Wind hier oben ist eisig kalt. Ich lehne mich mit dem Rücken an den kalten Schnee und überlege, wie ich die Lawine auslösen soll.
Auch hier kommt mir Matoskah zu Hilfe.
Er sagte mir, ich solle mein Lied singen. Also werde ich singen, wenn die Soldaten kommen.
Niemand wird mich je wieder verraten. Ich lasse es nicht mehr zu. Matoskah wird nicht umsonst gestorben sein.
Und das Ende werde ich ebenfalls aufhalten. Es kann doch nicht so schwer sein, sechs andere Menschen mit magischen Gaben zu finden, oder? Wenn sie eine ähnlich blutige Spur hinter sich herziehen wie ich?
Ich ziehe die Beine vor die Brust und lege den Kopf auf die Schultern.
Morgen ist die Wintersonnenwende. Soyala.
Morgen fällt meine Entscheidung.
Wasser oder Eis?
Gefühl und Schwäche?
Oder Gerechtigkeit?
Ich werde in jedem Fall falsch wählen.