Warum ist Max schon so früh ins Bett gegangen? Ich versuche einen Gähner zu unterdrücken, doch es gelingt mir nicht. So viel ist heute passiert.
Vielleicht ist er einfach nur Müde. Ich stehe auf und gehe in mein Bett. Nichts zu hören. Er schläft wohl schon.
Auch ich mache mich fertig und lege mich ins Bett. So gerne würde ich jetzt schlafen. Doch meine Gedanken erlauben keinen Schlaf. Immer wenn ich fast einschlafe, machen sich meine Gedanken bemerkbar. Einfach tot. Von jetzt auf gleich.
Ich muss mich ablenken.
Leise öffne ich die Tür zu seinen Zimmer. Vielleicht kann er auch nicht schlafen.
An der offenen Tür bleibe ich stehen. Es ist ruhig. Doch etwas ist merkwürdig.
Als ich das Zimmer betrete, merke ich auch was: Max liegt gar nicht in seinem Bett.
Jedoch zieht etwas auf dem Tisch meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Zettel.
Wieso liegt dort ein Zettel? Den muss er noch von früher haben. Es gab damals keine Zettel mehr. Wo kommt der jetzt her?
Liebe Anna,
bitte mach dir keine Sorgen. Die mache ich mir schon genug. Ich bin unterwegs und werde einen Weg finden die Krankheit zu bekämpfen. Ich werde bald wieder da sein. Also bitte mach dir keine Sorgen. Ich mache nichts Gefährliches. Nichts so gefährliches. Vertrau mir. Ich weiß was ich tue. Sag Papa, dass ich ihn liebe und das ich wiederkommen werde.
PS: Bitte pass auf Papa auf. Ich werde bald wieder da sein. Mach keine Dummheiten, Schwesterchen. Bitte versuch mir nicht zu folgen. Das ist wichtig. Mach dir keine Sorgen.
Bis bald.
Dein Max
Was? Ich schaue auf die Rückseite des Zettels. Dort stehen wilde Notizen. Notizen, die wir beide gemeinsam erstellt haben. Theorien.
Doch das war doch alles nicht ernst gemeint. Es war Fantasie. Damals haben wir davon geträumt, wie es oben sein könnte. Max wollte schon immer nach oben.
Dort sei die Technik so viel besser. Sie hätten für jede Krankheit ein passendes Medikament.
Doch es waren nur Geschichten. Die Wahrheit sieht doch anders aus. Brutal, gefährlich. Da will doch keiner freiwillig leben. Selbst, wenn sie keine Krankheiten hätten.
Außerdem sind das alles doch nur Geschichten. Damit keiner zu weit weg geht. Zu weit nach oben. Weiter oben könnte der Boden einstürzen und alle unter sich begraben. Die Geschichten wurden dafür erfunden. Als Abschreckung. Das weiß doch jeder, aber keiner redet darüber.
Da ist doch nichts.
Doch Max glaubt daran, sowie er an die Monstermade glaubt.
Ich muss ihn aufhalten.
Mit dem Brief laufe ich in mein Zimmer und stopfe den Brief in meinen Rücksack. Etwas zu Essen, etwas zu Trinken. Alles in einen Rucksack stopfen.
Ich gehe durch die Tür, doch plötzlich steht mein Vater vor mir. Ein Stich in mein Herz.
»Was ist das die ganze Zeit für einen Krach? Immer läuft hier jemand hin und her«, verschlafen schaut er mich an. »Ich muss wieder zurück ins Bett. Sie wartet doch auf mir. Gute Nacht«
Schon stolpert er wieder zurück in sein Zimmer.
»Bin bald wieder da. Muss ganz kurz weg«, rufe ich ihm hinterher. Doch ob er es gehört hat...
Ihn so zu sehen. Mein Herz fühlt an, als würde sich ein Eiszapfen hineinbohren und festfrieren.
So gerne würde ich sagen, wie sehr ich ihn mag, doch ich muss Max folgen. Sonst ist er zu weit weg und ich finde ich ihn nicht mehr.
Ich eile den Tunnel entlang. Hoffentlich geht er zuerst in Richtung des Sees. Früher haben wir uns immer vorgestellt, wie hinter diesem See der Weg nach oben sei.
Der See als Barriere. Unerreichbar und doch so nah.
Doch bis dahin ist ein weiter Weg.
Ich muss mich beeilen. Ich renne. Mein Mund wird trocken. Meine Beine schwer. Doch ich muss weiter. Immer weiter. Zum Glück bin ich diesen Weg oft genug gelaufen und kenne ihn auswendig. Links. Geradeaus. Rechts. Links. Geradeaus. Links. Nicht mehr weit. Er muss einfach dort sein.
Da. Der See. Doch niemand ist hier. Leise knirscht der Kies unter meinen Füßen. Es ist schon ziemlich dunkel. Man kann sich noch orientieren, aber die Sicht in die Ferne wird schwer. Zum Glück beginnt es aber schon langsam wieder heller zu werden – völlig dunkel ist es nie.
Mein Blick schweift über die hohen Wände der Höhle. Dort würde er nicht weiter kommen. Am anderen Ufer würde es weiter gehen. Früher haben wir uns immer den Weg dort angesehen. Haben uns gefragt, wie man dort hin kommen würde. Schwimmen können wir nicht. Es gibt ein altes Boot. Aber das würde uns doch niemals halten. Wir haben uns immer gefragt, wo das Boot her kommt. Vielleicht war das auch der Auslöser, für die Idee, dass es auf der anderen Seite weiter gehen könnte.
Das schwache Licht erschwert mir die Licht auf die andere Uferseite. Doch dort ist ein Schatten zu sehen. Leider ist es von hier aus unmöglich zu erkennen, worum es sich handelt. Es könnte passen.
Aber das würde bedeuten....ich laufe an dem See entlang. In der Wand ist ein kleiner Tunnel.
Das Boot fehlt. Hier stand das Boot. Max hat das Boot genommen.
Zum Glück ist dort noch ein zweites Boot. Obwohl kann man das noch Boot nennen?
Das muss funktionieren. Ich muss ihm folgen!
Ich ziehe das Boot über den Kies ins Wasser. Kälte dringt an meine Füße. Schnell springe ich ins Boot und wäre fast auf der anderen Seite wieder hinaus gefallen. Gerade so kann ich das Gleichgewicht halten. Das Boot schaukelt bedrohlich hin und her.
Zum Glück dringt weniger Wasser ein, als erwartet.
Ich lege mich auf den Bauch und versuche mit den Händen mich voran zu ziehen. Immerhin das Schaukeln ist besser geworden.
Mühsam schiebe ich mich immer weiter. Doch auch das Wasser im Boot wird immer mehr. Es steht schon ein paar Zentimeter.
Schon fast die Hälfte geschafft. Doch der Schatten ist noch nicht viel besser zu erkennen.
Plötzlich geht ein Stoß durch das Boot. Mehr Wasser dringt in das Boot ein.
Meine Bewegungen werden schneller. Ich muss schneller das Ufer erreichen. Doch auch das Schaukeln wird wieder stärker. Nicht mehr lange. Fast geschafft.
Doch das Boot kippt. Zu stark. Ich lehne mich in die andere Richtung. Drücke gegen. Die Bewegung wird gebremst, das Boot springt zurück; das Wasser umspült mich. Ich schlage um mich. Panik. Ich atme Wasser ein. Spüre wie die Kälte mir die Luft aus den Lungen saugt. Da etwas festes an meinen Füßen. Ich stoße mich ab. Luft.
Ich kann stehen! Ich laufe durch das Wasser. Es ist anstrengender als Gedacht. Die Kälte dringt immer tiefer ein. Fast am Ufer. Da! Es ist tatsächlich Max. Er liegt auf den Steinen.
Ich renne. Das Wasser spritzt hoch, aber das ist jetzt auch egal.
Endlich. Ich bin aus dem Wasser raus. Ich stolper und falle. Die Steine bohren sich in meine Hände und mein Gesicht. Ich ziehe mich weiter. Ich kann ihn schon fast berühren.
Ich kann mich nicht mehr bewegen. Alle meine Muskeln schmerzen. Doch ich bin bei Max.
Er kann nicht einfach so weitergehen. Mein Kopf sinkt auf die Steine. Es ist gar nicht so unbequem. Es fühlt sich an, als würden Gewichte an meinen Augen hängen.
Ich kann mich nicht dagegen wehren und sinke in einen traumlosen Schlaf.