6. September
„Hinterher!“, schreit eine Stimme. Ich reiße die Augen auf und sehe mich benommen um.
Über mir ist der Himmel. In meinen Ohren rauscht es. Ich höre Sam winseln.
Langsam richte ich mich auf meine Ellbogen auf. Schmerz durchzieht meinen Rücken.
Ich bin verletzt. Sehr. In meiner Schulter pocht Schmerz. Blut sprudelt auf meinen Pyjama. Ich friere.
Mehrmals muss ich blinzeln, bevor ich klar sehe. Ich rolle mich auf die Seite, in eine Pfütze aus Blut. Langsam kehrt mein Gehör zurück.
Schritte nähern sich. Ich werde noch gejagt. Wenn sie mich erreichen, bin ich tot.
Keuchend krieche ich über den Boden. Mein Atem und das Rauschen meines Blutes in meinen Ohren übertönt alle anderen Geräusche. Meine Wunden pochen.
Meine linke Schulter schmerzt so sehr, dass ich den Arm nicht bewegen kann. Mein rechtes Bein schleift hinter mir über den Boden. In meinem Rücken tobt ein solcher Kampf, dass ich mich wie in Flammen stehend fühle.
Ich ziehe mich mit der rechten Hand vorwärts. Mit dem linken Bein schiebe ich. Vor meinen Augen verschwimmt alles.
Ich krieche fast blind. Nur Licht und Schatten kann ich unterscheiden, alles andere ist zu verschwommen. Ich krieche auf den Schatten zu, hoffe auf ein Versteck.
Hauptsache raus aus dem Licht der Straßenlampen. Ich spüre meinen Herzschlag in meinem Hals.
Ich bin erst 15! Das ist zu jung, um zu sterben!
Ich erreiche den Schatten und rolle mich hinein. Als ich über meinen Rücken rolle, nimmt mir der Schmerz fast den Atem.
Irgendwo läuft Sam an meiner Seite. Ich höre seine Pfoten über das Pflaster tapsen. Ich bleibe auf der Seite liegen, gegen irgendeine Hauswand oder Mülltonne gedrückt. Tränen laufen über meine Wangen. Ich beachte sie nicht.
Schritte kommen näher. Das dünne Licht auf den Gewehrläufen schneidet in die Gasse. Mehrere Männer kommen mit dem Licht.
Sam winselt.
„Hier ist eine Blutspur. Weit kann er nicht sein.“
Die Stimme dringt wie durch Wasser zu mir. Ich kann die Augen nicht offen halten. Langsam sinke ich immer tiefer in die Dunkelheit. Falle.
Die Schritte wecken mich, als sie plötzlich ganz nah sind. Mit dem Waffen beleuchten die Männer ihren Weg. Sie kommen immer näher.
Mir ist kalt und schwindelig. Ich könnte mich nicht mehr rühren – selbst wenn es einen Ausweg gäbe. Sam ist fort. Ich sehe die Männer näher kommen, blicke ihnen entgegen.
Ich habe Angst. Panische Angst. Ich will nicht sterben, nicht jetzt, nicht heute.
Ich habe noch so viel vor. Ich will mich verlieben, will Gitarre spielen lernen und aus der Stadt wegziehen, um in einem großen, hellen Anwesen zu wohnen.
Ich möchte doch als Polizist diese Straßen sicherer machen.
Nur noch wenige Meter. Sie müssen mich jeden Moment sehen. Ich möchte kämpfen, aber ich bin müde.
Ich will etwas sagen, eine Bitte, eine Warnung, ein Flehen. Aber er kommt nur kalter Atem über meine Lippen, lautlos.
So, wie mein Tod sein wird. Nur einer von vielen. Es wird sich niemand an mich erinnern.
Sam vielleicht.
Die Männer sind da. Ihr Licht trifft auf mich. Ich sehe ihnen entgegen.
Und merke, dass ich keine Angst habe. Ich bin ruhig. Aus irgendeinem Grund wird mir warm.
„Der ist tot“, höre ich einen Mann sagen, obwohl ich ganz klar atme und blinzele.
„Der ist ja nicht weit gekommen“, lacht einer. „Ich habe mich schon auf zwei, drei Meter eingestellt.“
Die Worte machen mich ein wenig stutzig. Ich sehe zu den Füßen der Männer, wo Glasscherben liegen.
Seltsam. Ich bin doch so weit gekrochen. Warum liegen die Scherben dann noch um meine Füße?
Ich bin doch bis in den Schatten gekrochen!
Dann wird es mir klar. Nicht ich bin zum Schatten gekommen, sondern der Schatten zu mir. Die Männer gehen fort. Und ich sinke tiefer und tiefer in die Ohnmacht.