6. September
Schritte hallen durch unseren Hausflur. Ich setze mich im Bett auf. Sam springt auf den Boden und bellt.
Raue Stimmen rufen Befehle. Das ist nicht Anton. Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich springe auf und kralle die Hand in Sams Rückenfell.
„Ruhig, Sam. Sei ruhig, Junge!“, zische ich ihm zu. Er verstummt tatsächlich. Er winselt. Er hat Angst.
Ich stehe direkt hinter der Tür und höre Klirren. Sie sind in unserem Wohnzimmer. Es rumpelt. Offenbar werfen sie Tische um.
Plötzlich ertönten laute, ratternde Schüsse. Sie haben Waffen. Schießen sie wild durch die Wohnung? Oder haben sie Natalie gefunden?
Tränen steigen mir in die Augen. Ich habe eine Hand an der Tür, aber ich kann mich nicht rühren. Soll ich mich verstecken? Oder angreifen?
Was soll ich tun? Was kann ich tun?
Ich höre jemanden schreien. Anton: „Natalie! Mingan! Haut ab!“
Ich balle die Hand zur Faust.
„Klappe!“, ruft ein Mann. Ich höre einen dumpfen Schlag. Anton gibt einen Schmerzenslaut von sich.
Sam bellt wieder.
„Findet dieses verdammten Köter!“, brüllt jemand. Ich falle auf die Knie und umschließe Sams Hals.
„Still, Sam, bitte!“, flehe ich.
Er knurrt dumpf. Aber er bellt nicht mehr. Ich ziehe ihn zurück, in Richtung Fenster. Ich suche nach einem Versteck, doch es gibt nur mein Bett, meinen Schreibtisch und den Kleiderschrank.
Sie würden mich sofort finden. Das Herz schlägt mir bis zum Hals.
Ich zittere. Sam drückt sich gegen mich. Will er mich beschützen oder beschützt werden? Beides, vermute ich.
Schritte hallen durch den Flur. Ich höre, wie eine Tür aufgestoßen wird.
Das Badezimmer. Mehrere Schüsse knallen. Offenbar schießen die Typen, bevor sie Fragen stellen.
Sam zuckt bei jedem Schuss zusammen. Ich vergrabe mein Gesicht in seinem Fell.
Ich sitze in der Fall. Die nächste Tür, die sie öffnen, wird meine sein.
Ich warte.
Plötzlich ein Schrei: „Lasst meinen Jungen in Ruhe!“
Schüsse. Ein dumpfes Geräusch, als würde ein Körper fallen.
Ein herzzerreißender Schrei von Anton: „Natalie!“
Ich schluchze. Sam jault, als würde er verstehen, was vor sich geht.
Die Tür zu meinem Zimmer fliegt auf. Waffen drängen sich durch die Tür. Rote Lichtstrahlen huschen durch den Raum, auf Sam und mich zu. Männer mit Masken vor den Gesichtern sehen uns.
Finger spannen sich um die Abzüge.
Ich nehme alles in Zeitlupe wahr. Ich fasse Sam und werfe mich nach hinten.
Mein Kopf durchschlägt das Fenster, als die ersten Schüsse fallen. Ich fliege nach hinten, falle. Eine Kugel trifft mich ins Bein, eine zweite erwischt meine Schulter.
Glassplitter fallen mit uns. Sam ist schwer in meinen Armen. Ich drehe mich noch in der Luft so, dass ich mit dem Rücken aufkomme.
Als ich auf den Boden aufpralle, wird es schwarz um mich. Pechschwarz. Sams Gewicht landet auf mir, nimmt mir den Atem.
Erst jetzt spüre ich den Schmerz der Kugeln. Und die Tränen auf meinen Wangen.
Ich habe keine Luft, um zu schreien. Wie gelähmt liege ich auf dem harten Asphalt.
Ich höre sogar noch, wie sie Anton erschießen. Einfach nur dafür, dass er ein Polizist war. Sam winselt, während mein Blut zwischen den Pflastersteinen hindurch in den Boden sickert.
Ich weine mit ihm.