»Sie hat Fieber!« Markus Stimme. Doch wie kam er in ihr Zimmer, mit wem redete er?
Jana versuchte sich zu konzentrieren, doch sie war zu müde.
Sylvia stand neben ihrem Bett. »Sie hat Fieber. Vielleicht die Grippe. Wir müssen sie in die Klinik bringen.«
Markus schaute auf Jana. »Wenn sie in ein Krankenhaus kommt, hat sie keine Chance, jetzt wo die andere Seuche um sich greift. Ich versorge sie hier, ich bin geimpft, kann mich also nicht anstecken.«
»Ich bin auch geimpft«, überlegte Sylvia. »Ich kann dir helfen. Ich hole erst mal frische Bettwäsche und eine Waschschüssel.«
»Zuerst lege ich ihr einen Zugang, sie braucht Flüssigkeit. Im Medizinschrank habe ich auch Antibiotika gesehen«
»Ja, aber die sind für einen Bewohner!«
»Sie braucht es dringender. Wenn du den Kirchner meinst, der hat doch eh keine Chance.«
Sylvia seufzte. » Ich helfe sie zu versorgen, eine halbe Stunde hab ich noch Zeit. Ich entschuldige dich, dass du etwas später kommst. Wenn wir zügig arbeiten, kannst du auch früher gehen und dich dann um sie kümmern.«
Als sie nach ihrem Dienst in Janas Zimmer schaute, sah sie mehrere Flaschen an einem Infusionsständer.
Markus, dem sie eine Stunde vor Dienstschluss freigegeben hatte, schloss eine Dosierpumpe an. »Sie schläft. Ich habe gerade Antibiotika angehängt und gebe ihr zusätzlich Sauerstoff.« Er wies auf eine Flasche neben dem Bett. »Wenn wir es schaffen, sie die nächsten Tage stabil zu halten, kann sie es schaffen.« Er sah müde aus. »Sie muss es einfach schaffen! Sylvia, ich brauche deine Unterstützung.« Markus zog eine Spritze auf.
Sylvia schluckte. »Wie bist du an das Zeug gekommen?«
»Das war kein Problem, im Erdgeschoss hinten ist die Kammer, in der ihr Vorräte lagert. Der Schlüssel zum Schrank steckte. Ziemlich leichtsinnig, von eurer Leitung. Selbst der Betäubungsmittelschrank ist ziemlich leicht zu knacken.«
»Wir werden Ärger bekommen!«
»Wer will es kontrollieren? Ihr habt ein massives Personalproblem.« Markus warf die gebrauchte Spritze in den Abfall. Sylvia schluckte und half ihm bei den letzten Handgriffen und ging dann zurück in ihr Zimmer.
In der Nacht schrillte ihr Handy. Die Notfallnummer des Nachtdienstes. Als sie abhob, war die Verbindung weg. Sie überlegte in das Haupthaus rüberzugehen um nachzuschauen und entschied sich dann dagegen. Sie war einfach zu müde. Wenn man sie brauchte, würde man sie sicher noch einmal anrufen, beruhigte sie ihr Gewissen. Am nächsten Morgen hatte sie den Anruf vergessen. In der Küche roch es nach Kaffee. Sie nahm sich eine Tasse und ging zu Janas Zimmer. Die Tür war nur angelehnt, das Fenster offen. Markus hing ihr eine neue Infusion an und stellte am CD Player eine Musik ein, von der er behauptete, dass sie beruhigend wirkte. Sylvia fühlte eine Spur von Neid, als sie beobachtete, wie liebevoll er die Kranke versorgte. Jana selbst bekam kaum etwas mit. Sie war immer noch nicht ansprechbar. Sie legte ihre Hand auf die warme Stirn der Kranken.»Immerhin, das Fieber scheint gesunken zu sein, sie ist warm, aber glüht nicht mehr.«
Gemeinsam begaben sie sich dann zu ihrer Wohngruppe. Es war verdächtig ruhig. Die Nachtschwester war nicht zu finden. Das Stationszimmer offen. In den ersten beiden Zimmern schliefen die Bewohner tief und fest. In den weiter hinten liegenden Räumen schien ein Kampf stattgefunden zu haben. Die Bewohner waren nicht in ihren Zimmern. In der Küche umgestürzte Stühle und zerbrochenes Porzellan. Markus kontrollierte weitere Räume, während Sylvia den Gang hinunterlief. Ein paar Blutspuren führten zum Bad. Vorsichtig öffnete sie die Tür. Im ersten Moment erkannte sie nichts, doch als sie den Lichtschalter betätigte, sah sie Körper auf dem Boden liegen, darüber knieten andere, die an der Kleidung der Liegenden rissen. Die Gestalten wandten ihr den Blick zu. Es waren Bewohner, ihr Haar hing wirr vor ihrem Gesicht, ihre Augen waren leer, aus ihrem Mund lief Blut.
Sylvia schrie erschrocken auf. Die Alten erhoben sich schwerfällig, um auf sie zu zu schlurfen. Ein Mann im Rollstuhl, direkt neben der Tür, den sie jetzt erst bemerkte, keuchte. Von seinem Arm tropfte Blut. Sie schob den Rolli aus dem Bad und drückte mit letzter Kraft die Tür zu, kurz bevor die anderen sie erreichten. Sie klopften und kratzen von innen. Sylvia schluchzte. Mit ihrem Generalschlüssel schloss sie zweimal ab. Der Mann im Rolli zog an ihrem Kittel. Was hatte der Arme mitgemacht? Sie wandte sich ihm zu. Er versuchte, sich aus seinem Stuhl zu befreien, was, da er angeschnallt war, nicht möglich war. An seiner Hand fehlten Finger, doch die Blutung an den Stummeln schien zum Stillstand gekommen zu sein. Er versuchte nach ihr zu schnappen, dabei fiel sein Gebiss aus dem Mund.
»Was ist hier los, warum hast du geschrien?« Markus kam ihr entgegen.
» Im Bad ...« Sie schluckte. »Ich habe abgeschlossen und lass bloß zu, da drin ...« Sie fing wieder an zu schluchzen. »Die zerfleischen sich! Sie haben versucht mich ...«
»Wo ist der Nachtdienst?«
»Ich weiß nicht, hab sie nicht gesehen.«
Der Alte im Rollstuhl versuchte nach den beiden Pflegern zu schnappen. Sylvia fuhr ihn in sein Zimmer an den Tisch und stellte die Räder fest. Den Schnabelbecher mit Tee, den die Pflegerin ihm anbot, schmiss er um. Hilflos trommelten seine dürren Hände auf dem Holz.
Markus nahm die Schlüssel. »Ich riskiere es bestimmt nicht, gebissen zu werden, das fehlt mir grad noch. Du hältst seinen Kopf fest, ich verbinde die Hand. Er bleibt im Stuhl. Wer sich so wild gebärden kann, ist kein Notfall. Erst schauen wir in den anderen Räumen nach, auch unten in Wohnbereich eins, dann rufen die Polizei.«
Markus fixierte die verbundene Hand an der Lehne des Stuhls, um zu verhindern, dass der Tobende, den Verband abriss.
Gemeinsam kontrollierten sie die anderen Zimmer. Die Schlafenden in den ersten Zimmern lagen immer noch regungslos in ihren Betten.
»Sie sind tot. Wahrscheinlich erstickt. « Markus war bleich. »Wo zum Teufel ist die verdammte Nachtwache?«
Sylvia fing an zu weinen. »Keine Ahnung! Im Bad, das waren Bewohner. Aber ich konnte nicht alle erkennen.« Dumpfe Schläge waren die einzigen Geräusche, die man auf dem Flur hören konnte. »Gehen wir erst mal runter. «
Als sie gemeinsam den Wohnbereich im Erdgeschoss betraten, befürchteten sie, dass sie dasselbe erwarten würde, wie oben. Es war still, der Gang leer, doch bevor sie sich abwenden konnten, trat eine junge Frau aus einem Zimmer.
»Seid ihr die Aushilfen? Ich habe schon auf der Hotline angerufen. Mehrere Bewohner können nicht aufstehen, eine ist aus dem Bett gefallen. Ich schaff das nicht allein!«
Von der Nachtwache wusste sie nichts. Als sie auf Station angekommen war, hatte sie niemanden angetroffen. Die Medikamente lagen gerichtet im Stationszimmer. Der letzte Eintrag im Stationsbuch war von zwei Uhr. Die Namen von den Bewohnern, die Schlafmittel als Bedarfsmedikation erhalten hatten.
Während Sylvia der jungen Pflegerin bei der Versorgung der Bewohner half, versuchte Markus die Polizei zu erreichen. Keiner von beiden verspürte das Bedürfnis noch einmal nach oben, auf die andere Station zu gehen.
Bei der Polizei war ständig die Leitung besetzt. Als Markus endlich einen Beamten erreichte, wollte der genauere Angaben. Wie viele Tote, wie gestorben, wie viele Infektionen.
»Sie können frühestens morgen, jemanden schicken«, informierte er die beiden Helferinnen. »Wir sollen die Verstorbenen für den Abtransport fertig machen, die Infizierten in Betten fixieren und die Bewohner, die gesund sind, auf eine mögliche Evakuierung vorbereiten. Um die Information an die Angehörigen der Verstorbenen sollen wir uns auch kümmern. Ich werde mich erst mal drüben um unsere Patientin kümmern. Dann schau ich, ob wir Hilfe für die Fixierung der Infizierten oben finden können. Die Nachtwache ist entweder oben oder geflüchtet. Sie kann sich ja nicht in Luft aufgelöst haben. Vielleicht kann der Hausmeister helfen. «