Dimitri – 17. September
Ich kann nicht mehr!
Erschöpft stolpere ich über meine Füße und lasse mich auf die Knie fallen. Der Aufprall geht wie ein Stoß durch meinen Körper, die Beine hinauf. Im Magen reißt der Stoß das Gefühl des Versagens mit sich, treibt es wie einem Pfeil durch mein Herz, bis es schließlich als Wimmern über meine Lippen kommt.
Das leise Geräusch steigt als Nebel vor meinem Gesicht auf. Ich schlage die Augen hoch, Tränen fallen nach unten.
Ich habe versagt.
Ich kann den Weg nicht finden, noch weiß ich, wie weit die Stadt entfernt ist. Oder in welcher Richtung sie liegt. Was war es für ein Wahnsinn, einfach loszuziehen?
Ich kann auch der Erinnerung nicht entkommen. Wann immer ich innehalten und Atem schöpfen möchte, holen mich die Gesichter ein. Und die Schreie, sie ertönen immer noch hinter mir, vor mir, um mich herum.
Ich bin gefangen.
Und ich kann nicht entkommen. So viele sind bei dem Erdbeben verletzt worden. Drei Kinder sind gestorben, vier weitere sind später ihren Verletzungen und der Kälte erlegen.
Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen. Was hab ich getan? Warum konnte ich es nicht gut sein lassen und auf diese Macht verzichten? Warum musste ich unbedingt ausprobieren, was passiert?
Ich merke kaum, dass ich auf den Boden falle. Plötzlich finde ich mich zusammengerollt auf der Seite liegend wieder.
Ich rolle mich nur enger zusammen. Die Schuld überrollt mich. Eine Stimme flüstert mir zu, dass ich verantwortlich bin.
Ich halte mir die Ohren zu und schreie, doch die Stimme kann ich trotzdem nicht übertönen. Es war nicht meine Schuld! Ich habe es doch nicht gewollt – ich habe nicht gewusst, was passieren würde!
Aber ich hätte daran denken können. Ich hätte aufpassen müssen. Und es war meine Kraft, die den Schaden angerichtet hat.
Weinend liege ich auf der Erde. Mir ist kalt.
Ich konnte nichts tun, um zu helfen. Ich hab es versucht – Menschen heilen, so wie Demia. Aber ich konnte es nicht. Ich habe den Bruch des Kindes nur schlimmer gemacht, als ich es versuchte.
Selbst wenn ich will, kann ich nicht helfen. Warum habe ich die Macht zu töten und Demetia die Macht zu heilen? Warum kann ich nicht auch so wie sie sein?
Was bringt mir meine Macht, wenn sie nur Schaden anrichten kann?
Ich rolle mich auf den Rücken und sehe in den Himmel. Dort leuchten die Sterne.
Ich will nicht mehr sein, wenn meine Anwesenheit nur Leid bedeutet. Vielleicht tue ich der Welt einen Gefallen, wenn ich sie verlasse.
Noch während ich das denke, bewegt sich die Erde um mich. Ich spüre, wie ich sinke. Zu beiden Seiten schieben sich Wände aus Erde in die Höhe – nein, ich sinke in ein Grab hinab.
Trotzdem habe ich keine Angst. Was verliere ich schon? Nur die Gewissheit, dass ich noch vielen anderen wehtun werde.
Langsam rieselt Erde auf meinen Körper. Ich begrüße das Gewicht. Die Steine verdecken mir die Sicht auf die Sterne.
Auch die Sterne müssen eines Tages fallen. Heute ist mein Tag. Während immer mehr Erde auf mein Gesicht fällt und mein Atem durch das Gewicht auf meiner Brust flach wird, denke ich an Demetia.
Meine liebe Schwester wird weinen. Wenn sie schon bemerkt hat, dass ich fort bin. Vielleicht weiß sie es ja nicht.
Und die Erde nimmt mich auf.