Wie die meisten anderen Teenager werde ich am Morgen anstelle von einem lauten Wecker, von der ohrenbetäubenden Stimme meiner Mutter aus dem Schlaf gerissen. Die erste Information, die sich in diesen frühen Morgenstunden in mein Gehirn schleicht, ist die, dass ich sofort aufstehen muss, um vor meinem Bruder ins Bad zu gelangen. Schließlich findet der Streit um das Badezimmer so gut wie jeden Morgen statt und es ist für mich fast zu einem richtigen Instinkt geworden, nachdem mich meine Mutter geweckt hat, so schnell es geht das Bett zu verlassen, durch den Flur zu rennen und mich im Bad einzuschließen. Langsam öffne ich die Augen und werfe meinen müden Blick an die weiße Decke. Innerlich habe ich das Gefühl, dass ich es heute schaffen werde, vor meinem Bruder Ryder ins sichere Badezimmer zu gelangen, obwohl er ein Footballspieler ist und dadurch eine ausgezeichnete Ausdauer hat. Energiegeladen schiebe ich die Decke zur Seite und blicke zu meinem Bruder, um zusehen, ob er auch schon wach ist. Zu meiner Enttäuschung ist er das leider schon. In diesem Moment fährt er sich mit der rechten Hand durch das schwarze Haar, welches sich so sehr von meinem eigenen braunen unterscheidet. Das einzige Merkmal, in dem wir uns wirklich ähnlich sind, sind unsere strahlend grünen Augen, die für unsere Familie so typisch sind und auf die ich ziemlich stolz bin, da grün ja die seltenste Augenfarbe auf der Welt ist. “Guten Morgen, Ryder!“, grüßte ich ein wenig provokant und springt mit einem verspielten Grinsen auf den rosafarbenen Lippen aus dem Bett. Er nimmt sich gar nicht die Zeit mich zu grüßen, sondern springt stattdessen ebenfalls auf und läuft zu seinem Schrank, um sich Kleidung zu schnappen. Zu seinem Nachtteil nimmt er sich dabei aber viel mehr Zeit als ich, wodurch ich die weißen Schranktüren einige Sekunden früher zuschlage und mit einem Stapel Kleidung im Arm auf den Flur hinaus renne. Als ich fast in der Mitte des langen Flures im zweiten Stock unseres Hauses angekommen bin, vernehme ich die lauten Schritte von Ryder hinter mir und lege noch einen Zahn zu. Er darf nicht wieder eher da sein, denn wenn er schneller ist, verliere ich viel zu viel Zeit, weil er fast eine halbe Stunde im Bad braucht, während ich nach fünfzehn Minuten fertig bin. Wenn ich mich beeile, schaffe ich es sogar in zehn.
Mit einem hämischen Grinsen im Gesicht, werfe ich die Tür auf und schaue zu meinem Bruder, der gerade an der Tür ankommt, als ich schon hindurchgeschlüpft bin: “Vielleicht beim nächsten Mal, Kleiner!“ Mit diesen Worten schlage ich die Tür zu und drehe den metallenen Schlüssel im Schloss herum. Von Ryder ist nur noch ein leises “Ich bin aber älter als du“ zu hören. Das muss er mir leider immer wieder unter die Nase reiben, obwohl es nur neun Monate sind, die zwischen uns liegen. Sagen wir einfach meine Eltern waren ziemlich produktiv.
Schnell stelle ich mich vors Waschbecken und drehe mit mein der rechten Hand das Radio an. Schließlich hilft morgens nichts besser als ordentliche Musik und zwischendurch werden auch noch Nachrichten, was grundsätzlich nicht schlecht ist. Sofort ertönt der Beat von “Hypnotic“ und automatisch beginne ich mich dazu zu bewegen, während ich mich Gesicht wasche und mir meine frische Kleidung anziehe. Gestern Abend habe ich zum Glück auf meine Wetterapp geschaut, weshalb ich nun genau weiß wie warm es heute werden soll. Leider bin ich ein Mensch, der nicht nach draußen geht, ohne zu wissen, wie warm es werden soll.
Da es heute relativ warm werden soll, habe ich mich für ein hellblaues T-Shirt entschieden, welches locker sitzt und etwas längere Ärmel hat. Es ist eines meiner Lieblinge. Dazu ziehe ich eine blaue Jeanshose an. Zum Glück habe ich momentan nicht meine Tage, sonst würde ich echt lieber eine Schwarze anziehen. Dann öffne ich eine kleine Schranktür und nehme eines meiner weißen Haargummis heraus und überlege erst meine langen braunen Haare zu einem Zopf zu binden, doch dann entscheide ich mich dagegen und schüttele mein Haar einmal locker durch. So wird es auch gehen. Mit dem Schminken halte ich mich ebenfalls nicht lange auf. So wichtig ist mir das nicht und ich weiß, dass Ryder wütend sein wird, wenn ich noch länger brauche, da es nun schon der zweite Song ist, was mir sagt, dass bereits sechs Minuten um sind. Ich zähle gerne in Songs. Schnell trage ich ein wenig Wimperntusche und pinkfarbenen Lipgloss auf. Ich hasse Mädchen, die komplett mit Schminke voll geklatscht in die Schule kommen. Das wirkt so billig. Zum Glück bin ich nicht die Einzige mit dieser Auffassung. Meine Freundin Morgan, mit der ich schon seit dem Kindergarten befreundet bin, stimmt mir in diesem und einigen anderen Punkten voll zu.
Als ich das moderne, aus schwarzen und weißen Steinen bestehende, Badezimmer wieder verlasse, steht Cameron immer noch vor der Tür und wirkt wütend: “Noch langsamer geht es echt nicht, oder?“ Ich schaue auf die Uhr, die im Flur hängt: “Hey, das waren nur sieben Minuten. Du brauchst meistens fast viermal so lange.“ Er geht sich mit der rechten Hand erneut durch die Haare und sagt dann zwinkernd:“Ich muss ja auch gut aussehen, schließlich bin ich der einzige Beliebte in unser Familie.“ Ich verdrehe die Augen: “Jaja!“ Zwar weiß ich, dass er es nicht ernst meint, aber trotzdem tut es weh. Damit wir nicht weiter darüber reden müssen, schiebe ich ihn ins Bad und schließe die Tür hinter ihm. Er weiß genau, dass ich mich freiwillig dazu entschieden habe nicht beliebt sein zu wollen. Das sorgt dafür, dass ich nicht nur auf mein Äußeres reduziert werde und mich auch auf die Schule konzentrieren kann. Schließlich ist das mein letztes Schuljahr und ich will einen guten Abschluss machen, um später meinen Traumjob machen zu können.
Schon seit ich fünf Jahre alt bin, ist es mein Traum Psychologin zu werden und habe bisher immer daran festgehalten. Leider muss ich dafür ein verdammt gutes Abitur machen und da habe ich keine Zeit habe mich ständig auf etwas anderes zu konzentrieren. Außerdem gefällt es mir so, wie ich mich anziehe und ich würde mich echt ungern für andere verändern.
Weiterhin etwas verletzt meinen Gedanken nachhängend, wandere ich zurück in mein Zimmer und packt meine Tasche für den heutigen Schultag. Heute habe ich einen ziemlich langen Schultag, weshalb der graue Rucksack ziemlich schwer ist, als ich ihn die Treppe hinuntertrage. Das gibt sicher eine ordentliche Verspannung! Am Treppenabsatz angekommen, schaue ich mich um. Dann laufe ich, mittlerweile wieder gut gelaunt, in die Küche, die genau ans Wohnzimmer angrenzt. Beide Räume wurden nicht mal von einer Wand getrennt. Stattdessen kann man vom Waschbecken in der Küche direkt auf den Fernseher schauen, was ziemlich praktisch sein kann.
Der wunderbare Geruch von frisch gebackenen Brötchen steigt mir in die Nase und ich folge dem Weg, den mir meine Nase vorgibt. Vor dem Ofen steht meine Mom und am Tisch sitzt meine kleine Schwester Alyssa. Und wenn ich kleiner sage, meine ich es auch so. Schließlich geht sie noch in die Grundschule, was wahrscheinlich auch besser ist, da ich garantiert nicht mit zwei Geschwistern auf eine Schule gehen will. Mit meinen Bruder auf eine Schule zu gehen ist schon anstrengend genug, obwohl er die meiste Zeit über ziemlich cool ist.
“Guten Morgen“, grüße ich meine Familie und wuschele meiner Schwester durchs Haar, welche mich glücklich angrinst, wobei ihre große Zahnlücke zum Vorschein kommt. Sie hat zu mir genauso wenig Ähnlichkeit wie zu Ryder. Ihr schulterlanges blondes Haar fällt offen über ihre Schultern. Zwei Strähnen hat sie mit pinkfarbenen Haarklammern an ihrem Kopf festgeklemmt. Damit sieht sie echt süß aus. Eine Sache hat sie aber wenigstens von mir geerbt. Sie ist verdammt klug und macht unsere Eltern immer wieder total stolz. Auch Mom begrüßt mich fröhlich und reicht mir ein, mit Ei und Salat belegtes, Brötchen. Dankbar nehme ich es entgegen: “Danke Mom!“ Es dauert sowieso noch ein bisschen länger, bis mein Bruder fertig ist, also habe ich sicher Zeit noch etwas zu essen, bevor wir losmüssen. Mein Handy ziehe ich unterdessen aus der Hosentasche und checke meine Nachrichten.
Als Ryder endlich die Treppe nach unten gesprintet kommt, ist es bereits ziemlich spät und wir müssen uns echt beeilen. Ich tippe nur auf meine Uhr, während meine Mutter ihn ermahnt: “Wir ja mal Zeit, Ryder. Mach beim nächsten Mal nicht so lange.“ Alyssa und ich springen gleichzeitig von unseren Stühlen auf, um sich unsere Schuhe und Jacken zu holen, während Mom sich die Autoschlüssel schnappt. Dann springen wir ins Auto und meine Mutter startet den Motor. Schließlich wollen wir nicht zu spät kommen.
Auf dem Weg lassen wir noch kurz Alyssa an ihrer Schule raus und fahren dann weiter unsere Schule der “Delaware High School“, die jeder Teenager in unserer Kleinstadt besucht. Gerade als ich aussteigen will, hält meine Mom mich am Handgelenk fest: “Katy?“ “Ja?“, frage ich überrascht. Es sieht ihr nicht ähnlich mich aufzuhalten, wenn wir bereits spät dran sind. „Könntest du heute nach der Schule vielleicht Alyssa von Marissa abholen?“, bittet sie mich: “Ich muss nämlich heute etwas länger arbeiten und dein Dad hat ja sowieso erst ganz spät Feierabend.“ “Natürlich“, lächele ich. Ich hatte zwar nicht gewusst, dass meine Schwester sich wieder mit ihrer besten Freundin Marissa vertragen hat, nachdem sie einen riesigen Streit gehabt hatten, aber das ist wahrscheinlich auch nicht so wichtig. Sie vertragen sich sowieso immer wieder nach spätestens einer Woche und mittlerweile Blicke ich echt nicht mehr durch.
Nachdem meine Mom sich mit einer Umarmung von mir verabschiedet hat, schließe ich die Tür hinter mir und warte noch kurz, bis Mom das Auto wieder gestartet und sich auf zur Arbeit gemacht hat. Dann wandert mein Blick weiter zum riesigen Schulgebäude vor mir und ein beklemmendes Gefühl überkommt mich.