12
Ich warte und warte. Sitze auf meinem Bett und warte. Nichts. Gar nichts. Er meldet sich nicht. Mein Verstand sagt mir, dass er sich erst melden wird sobald er etwas über diese Frau, Samantha herausgefunden hat, aber trotzdem habe ich ein schlechtes Gefühl bei dieser Sache. Ich mache mir irgendwie Sorgen um ihn. Da ich bald ein nervliches Wrack bin, hoffe ich darauf, dass er etwas in Erfahrung bringt, um meinen Geist wieder zur Ruhe bringen zu können. Es macht mich verrückt zu warten und nicht zu wissen was los ist. Er hätte sich wenigstens kurz melden können. Okey. Vielleicht hat er ja auch andere Sachen zu tun, als sich ständig bei mir zu melden. Ich beruhige mich wieder etwas, aber ich brauche trotzdem Ablenkung.
Sandra. Ich kann Sandra anrufen. Sie wird mir helfen mich abzulenken. Gesagt, getan. Ich wähle ihre Nummer mit der Hoffnung, dass sie für mich Zeit hat. Doch leider meldet sich nur ihre Sprachbox. Irgendwie komisch, denn normalerweise ist sie ein Handy-Freak. Aber ich vermute, dass sie gerade mit ihrem Marius zusammen ist.
Bevor ich gleich ausflippe, gehe ich zu meinem Schrank und hole meine Laufsachen hervor. Ich ziehe die lange schwarze Laufhose und meinen weißen Pullover an. Dann schnappe ich mir meinen MP3-Player, meine Schuhe und gehe nach draußen um mir die Seele aus dem Leib zu laufen. Und endlich, ich kann wenigstens ein bisschen abschalten. Ich laufe eine kleine Runde. Mehr schaffe ich nicht, zu lange habe ich schon keinen Sport mehr gemacht. Ich fühle mich, als hätte ich Gewichte an meinen Füßen, aber ich quäle mich trotz allem, weiter zu laufen. Ich muss. Weil ich einfach meinen Kopf wieder freibekommen will. Nicht jede Sekunde mit dem Gedanken, an diese kranke Welt verbringen.
Es ist gerade noch hell genug, als ich auf den Weg durch den Wald einbiege. Einen Moment lang überlege ich, ob ich weiter laufen soll, da es schon dämmert. Aber ich habe einfach noch so viele Gedanken in meinem Kopf und ich merke, wie mir die Ablenkung guttut. Ich werde dieses Stück einfach ein wenig schneller laufen, bis ich wieder auf die beleuchtete Straße komme. Ein bisschen mulmig ist mir schon. Denn es ist dunkler, als ich gedacht habe. Die großen Bäume lassen kaum das letzte bisschen Licht durch. Und jetzt kommt auch noch das ungute Gefühl, dass mich jemand verfolgt. Ich merke, wie Panik in mir aufsteigt und meine Schritte werden schneller. Wieso schon wieder dieses Gefühl? Das habe ich fast jedes Mal, wenn ich irgendwo in einem Waldstück bin. Ich muss mir das aus meinem Kopf schlagen. Ich sage mir selbst, dass ich mir das alles nur einbilde. Doch mein Atem wird unregelmäßiger und schneller. Ich halte es nicht mehr aus und drehe mich um, damit ich sehen kann, ob Jemand hinter mir ist. Ich sehe nach hinten und versuche ein Stück weit rückwärts zu laufen. Ich will jetzt nicht stehen bleiben. Was, wenn doch jemand hinter mir ist?
Und gerade in dem Moment, in dem ich mich wieder nach vorne drehen will, laufe ich gegen Etwas, dass sich anfühlt wie ein menschlicher Körper. Durch die Wucht werde ich auf den Boden geschleudert. Schnell versuche ich, mich wieder aufzurappeln, und streiche mir die Haare aus dem Gesicht, die sich bei dem Sturz verirrt haben. Als ich jedoch aufsehe und dieses ihm vor mir sehe, stockt mir der Atem. Es ist Marius und sein Gesichtsausdruck verrät nichts Gutes. Er sieht aus, als würde er mich gleich hier an Ort und Stelle umbringen wollen. Ich habe gewaltige Angst vor diesem Menschen, er hat etwas sehr Böses an sich, dass ich nicht erklären kann. Als wäre er seelenlos. Als würde er nichts zu verlieren haben. Ich hab da mal einen Film gesehen. Da haben sie auch behauptet, dass Menschen die nichts mehr zu verlieren haben, die schlimmsten Dinge machen können. Und manchmal im Leben begegnet man Menschen, die man einfach meidet. Marius ist einer von diesen. Mit seinen, fast schon schwarzen Augen und komplett in Schwarz eingekleidet sieht er einfach furchteinflößend aus.
„Steh auf.“
Die Härte in seinen Worten lässt mich hochschrecken und ich bin fest davon überzeugt, dass er vor nichts zurückschreckt. Ich versuche aufzustehen. Langsam und mit weichen Knien schaffe ich es. Ich bringe kein Wort über meine Lippen, ich bin viel zu verwirrt und habe zu viel Angst. Aber irgendwie stammle ich ein „Was willst du“ über meine Lippen.
„Was ich will? Ich will Vieles, Anna. Aber besonders will ich Macht. Eine Macht von denen viele nur träumen können. Und wenn du nicht willst, dass deiner geliebten Sandra etwas zustößt, dann wirst du mir dabei helfen.“
Nein. Verdammt. Was will er mit Sandra machen? Was will er von mir? Ich wusste es. Ich hätte Sandra warnen sollen. Im Moment mache ich mir Vorwürfe, dass ich es ihr nicht gesagt habe. Er darf ihr nichts antun. Sie hat es nicht verdient. Ich muss meinen Kopf nach hinten neigen, um ihm in seine leeren Augen zu blicken. In ihnen ist kein Gefühl und definitiv auch nichts Gutes zu erkennen.
„Ich mache, was du willst, aber bitte lass Sandra aus dem Spiel. Bitte.“
Ich würde es mir nie verzeihen wenn ihr etwas passieren würde und so folge ich seinem Befehl aufzustehen. Ein bösartiges Grinsen erfüllt seinen Blick. Dies lässt mich noch mehr erschaudern und ohne es kontrollieren zu können, beginnen meine Knie zu zittern. Mein ganzer Körper zittert. Es ist, als würde er mir die Luft zum Atmen nehmen. Als würden jetzt die letzten Minuten meines Lebens anbrechen.
„Kluges Mädchen.“
Es ist so ein bösartiger Ton in seiner Stimme, dass ich noch weichere Knie bekomme. Aber als er ein Messer aus seinem Stiefel zieht, kann ich meinen Körper kaum noch kontrollieren und erstarre vollkommen. Ja. Ich glaube, sogar die Luft anzuhalten. Als ob mich dass retten könnte. Nichts kann mich jetzt noch retten. Meine Angst wird noch größer. Er kommt mit langsamen Schritten auf mich zu und streicht mit seinen Fingerkuppen über die glänzende Klinge. Instinktiv weiche ich einen Schritt zurück. Aber ich kann nicht weglaufen. Ich kann ihm Sandra nicht überlassen. Einem kaltblütigen Mörder. Langsam aber sicher kann ich spüren, wie sich meine Augen mit Tränen füllen und ich sie kaum noch zurückhalten kann.
Er kommt noch näher und sein Grinsen verändert sich in eines, dass mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Als er dicht vor mir stehe, dreht er mich mit einem Ruck um, sodass mein Rücken an seine Brust gepresst ist. Er hält mich fest und sein Kinn liegt auf meiner Schulter. Ekel überkommt mich und mein Körper würde sich jetzt so gerne wehren. Würde gerne um sein Leben laufen. Doch mein Herz lässt es nicht zu. Ich muss es tun. Für Sandra. Sein warmer Atem streift meinen Nacken und ich zucke zusammen. Meine Knie scheinen jetzt noch weicher zu werden. Ich kann sein gehässiges Grinsen beinahe spüren. Aber was wenn er Sandra trotz allem etwas antut? Ich kann ihm keinen Funken Glauben schenken. Er ist die hinterlistigste Person, die mir bis jetzt in meinem Leben über den Weg gelaufen ist. Und dass hat etwas zu bedeuten. Diese Erkenntnis lässt mich wieder atmen. Lässt mich wieder klarer denken. Also versuche ich, mich zu wehren. Versuche, mich aus seiner festen Umarmung zu lösen. Doch es gelingt mir nur halbherzig. Denn er ist einfach zu stark. Und so gebe ich auf. Einfach so gebe ich auf. Ich bin von mir selbst enttäuscht. Ich dachte, ich wäre stärker. Doch nichts. Er hält mich jetzt so fest, dass ich kaum noch Luft bekomme. Dann spüre ich die kalte Klinge an meinem Hals. Spüre, wie sich die Spitze in mein Fleisch bohrt. Spüre wie sich heiße Tränen ihren Weg über meine Wangen und meinen Hals bahnen und es ihnen das Blut gleich tut. Das warme Blut. Mein Blut, dass sich jetzt seinen Weg in irgendein Gefäß sucht, dass Marius unter meine Wunde hält.
Ich spüre, wie die Lebenskraft aus mir fließt und sich zu verabschieden scheint. In meinen Gedanken verabschiede ich mich von Allen, und mein Leben zieht an mir vorbei. Ich sehe vor mir die Bäume deren Blätter sich im Wind bewegen. Ich hätte nie gedacht, dass mein Leben einmal so enden wird. Nach dieser Erkenntnis verschwimmt alles vor meinen Augen. Ich spüre, wie meine Kraft nachlässt und ich nur mehr durch Marius`s Hände gehalten werde.
Irgendwo in meiner eigenen Traumwelt bekomme ich mit, dass ich langsam zu Boden sinke. Mit letzter Kraft versuche ich, noch ein letztes Mal meine Augen zu öffnen. Wie durch einen grauen Schleier erkenne ich, dass Marius von Jemandem zu Boden geschleudert wird und sich die Person über ihn beugt. Doch dann wird wieder alles verschwommen und ich schließe meine Augen.
Kurze Zeit später herrscht Totenstille. Nicht einmal der Wind scheint sich mehr zu bewegen und die Blätter tanzen zu lassen. Alles ist einfach nur still. Bin ich bereits tot? Ist das hier die Welt der Toten? Ich versuche, mich zu bewegen, aber ich habe meinen Körper nicht mehr unter Kontrolle. Ich fühle mich, als würde mein Geist einfach irgendwo im nirgendwo sein. Weit weg von meinem Körper. Und doch höre ich plötzlich Steine knirschen und Schritte die auf mich zukommen. Ich scheine sogar zu spüren, wie sich Jemand über mich beugt und meinen tauben Körper bewegt. Nur wenige Sekunden danach fühle ich, wie etwas in meinen Mund fließt. Ich versuche es zu schlucken, aber es schmeckt so scheußlich, dass ich zu husten beginne. Dann spüre ich, wie die warme Flüssigkeit über meine Mundwinkel läuft und höre eine bekannte Stimme über mir.
„Anna trink. Es wird dir helfen.“
Ich kann nicht mehr weiter trinken und drehe mit letzter Kraft meinen Kopf zur Seite. Weg von dieser scheußlich schmeckenden Flüssigkeit. Jetzt scheint mein Geist wieder bei meinem Körper angelangt zu sein. Es fühlt sich so an, als würde sich in mir wieder irgendetwas zusammensetzen. Als würde etwas Zerbrochenes wieder ganz werden. Noch ein wenig benommen öffne ich die Augen. Vor mir steht er. In seinem knielangen schwarzen Mantel, seinen schwarzen Boots und diesem verruchten Blick. Nathan. Wie immer sieht er aus, als würde er den ganzen Tag vor dem Spiegel verbringen. Ich hoffe nur, dass er nicht nur hier ist um mir den letzten Rest an Blut auszusaugen. Aber wieso hat er mir sein Blut gegeben. Es schmeckt viel schlimmer, als bei Alex. -Oh Gott Anna. Du denkst jetzt wirklich über die verschiedenen Geschmäcker von Blut nach? In diesem Moment?- Schnell schüttle ich diese Gedanken wieder ab.
Ich fühle mich viel besser, aber trotzdem habe ich noch immer Angst vor dem, was gerade geschehen ist und kann es nicht verstehen. Doch was er macht, verwirrt mich einfach nur noch mehr. Er reicht mir seine Hand, um mir aufzuhelfen. Dieser Mensch, also Vampir ist für mich einfach unverständlich. Ich verzichte gerne darauf, seine Hilfe anzunehmen und schaffe es selbstständig aufzustehen. Ich bin zwar noch etwas wackelig auf den Beinen, doch ich traue ihm nicht. Ich versuche die Blätter, die an meiner Jacke hängen, von mir abzubekommen.
Ich denke, das es dass ist was Nathan zu einem kleinen Grinsen bewegt. Was ist bloß los mit ihm? Was ist bloß los mit allen? Mit ihm, Alex und den ganzen anderen komischen Typen, die mir die letzten Wochen begegnet sind. Ich habe keine Angst vor ihm und weiß nicht warum. Was hat er an sich, dass ich nicht mehr vor ihm davonlaufen will? Obwohl ich weiß, dass er mich auf der Stelle töten könnte. Es muss etwas mit seinen Augen zu tun haben, diese faszinieren mich immer wieder. Aber ich kann nicht zulassen, dass ich mich von diesen Augen unterkriegen lasse. Es ist dasselbe wie bei Alex. Nur das es bei Nathan noch viel intensiver ist.
„Was willst du? Wenn du mich umbringen, aussaugen oder mir sonst etwas antun willst, dann mach es einfach. Ich habe es satt, immer die Hilflose zu sein. Also mach was du machen willst, aber mach es schnell.“
Ich kann mir nicht helfen, aber ich bin es einfach leid, immer die kleine Anna zu sein, der jeder immer helfen muss. Ich brauche keine Hilfe. Okey. Vielleicht ja doch. Aber ich bin es nicht gewohnt, dass mir jemand Hilfe anbietet. Und jetzt gerade sehe ich keinen Ausweg aus dieser Situation. Ich denke, es ist am besten, wenn ich es akzeptiere, dass ich eine wandelnde Blutbank bin. Ich kann dieses Gefühl nicht mehr länger ertragen. Das Gefühl, dass ich jeden Moment das Zeitliche segnen könnte. Nathan steht vor mir, noch immer mit einem Grinsen im Gesicht. Dieses dumme Grinsen, es macht mich noch wütender, als ich ohnehin schon bin.
„In Ordnung. Wenn du nichts zu sagen oder zu tun hast, dann würde ich gerne weiterlaufen.“
Ich sehe ihn an, und dieses dumme Grinsen ist noch immer in seinem Gesicht. Wie ich das hasse. Ich werfe ihm einen gereizten Blick zu und will an ihm vorbeigehen, als er mich an meinem Oberarm festhält und mich mit einem Ruck zu sich zieht. Seine Lippen sind nur wenige Zentimeter von meiner Stirn entfernt und ich spüre den Atem an meinem Haaransatz, als er mit ruhigem Ton spricht.
„Wie wäre es mit einem Dankeschön?“
Ich wage es kaum, ihm in die Augen zu blicken. Aber dass würde mich noch schwächer scheinen lassen. Also wage ich es. Sein Gesichtsausdruck verändert sich in einen viel dunkleren und geheimnisvolleren als sonst. Okey, er hat mich gerettet. Er hat mir gerade dass Leben gerettet. Aber wieso hat er das gemacht? Er ist einfach ein Rätsel für mich. Aber trotzdem werde ich nicht vergessen, dass er mich fast umgebracht hätte, wäre Alex nicht gewesen. Aber für den Augenblick will ich einfach nur weg von ihm. Also mein Verstand will weg. Mein Körper spielt jedoch wie immer verrückt und ist Nathan ausgeliefert.
„Danke, Nathan. Kann ich jetzt bitte nach Hause?“
Ich bemühe mich es ernst zu meinen, aber in seiner Gegenwart kann ich meine Emotionen so schwer unter Kontrolle halten. Irgendetwas in mir will hierbleiben, hier bei ihm. Und das macht mir fast noch mehr Angst, als alles andere.
„Wieso sagst du etwas, dass du nicht so meinst? Wieso tust du Dinge, die du nicht tun willst?“
Was meint er damit? Bei ihm habe ich immer dass Gefühl, dass er in jeder Sekunde weiß was ich denke und fühle. Ich stehe immer noch vor ihm und bin widerwillig gefesselt von seinem Blick. Diese Augen, dieses Gesicht, es macht mich wahnsinnig.
„Was willst du Nathan?“
„Ich will, dass du in Sicherheit bist und du dich nicht immer in Gefahr bringst.“
„Wieso kümmert es dich auf einmal, wie es mir geht? Du wolltest mich umbringen. Hast du das etwa schon vergessen?“
„Anna, manchmal handelt man aus seinem Instinkt heraus und mein Instinkt ist manchmal viel zu stark, um sich meinem Verstand zu unterwerfen. Auch jetzt gerade. Dein Blut ist einfach so verlockend und es ist schwer für mich in deiner Gegenwart. Aber wie du siehst, gelingt es mir.“
Und auf einmal ist es still um uns herum, seine Augen lassen meine nicht mehr los. Und er kommt mit seinem Gesicht näher an meines, sodass ich seinen kalten Atem spüren kann. In diesem Augenblick scheint wieder alles still zu stehen. Alles um uns herum scheint wie ausgeblendet. Ich habe das verrückte Verlangen ihn zu küssen. Seine Lippen zu berühren. Ihn zu berühren. Und bevor ich es tue und damit meinem Verstand widersprechen würde, lässt er mich los. Mein Körper und mein Herz schreien „Nein“ aber mein Verstand ist anderer Meinung. Mein Verstand ist froh darüber, dass es, nicht soweit gekommen ist.
„Es wird Zeit zu gehen. Alex. Er wird gleich hier antanzen und ich denke, dass es ihm nicht gefallen würde.“
Ein letztes Mal treffen sich unsere Blicke und dann verschwindet er in die Dunkelheit. Ohne darauf gefasst zu sein überkommt mich eine Leere, wie ich es noch nie zuvor gespürt habe. Ich kenne mich nicht so. Wie kann ich für ihn etwas empfinden? Wie versteinert verharre ich weiterhin auf der Stelle und suche nach einem Grund für die Anziehungskraft, die er auf mich ausübt.
Plötzlich höre ich etwas hinter mir und als ich mich umdrehe, sehe ich einen Wolf. Es ist Alex. Nathan konnte es hören, also muss auch dieses zu seinen besonderen Fähigkeiten gehören. Als sich Alex in seine Menschengestalt verwandelt, merke ich erst, wie froh ich bin, dass er hier ist. Endlich ist er da. Und als er auf mich zukommt, lasse ich mich in seine Arme fallen und alles kommt in mir hoch. Alles was passiert ist. Ich hatte gerade solche Zweifel. Hier zusammen mit Nathan. Er lässt mich nicht ich selbst sein. Bei Nathan ist mein Verstand wie ausgeschaltet und mein Körper lässt sich von ihm verleiten. Aber jetzt ist Alex da und er hält mich mit seinen starken Armen fest. Ich weiß ich bin in Sicherheit. Ich vergrabe meinen Kopf in seinem Nacken und spüre seine weiche, warme Haut an meiner Wange.
„Ich hatte solche Angst um dich.“
Er drückt mich fest an sich und ich will nicht, dass er damit aufhört.
„Was ist passiert?“
Was passiert ist? Ich hatte es verdrängt. Was ist mit Marius, was hat Nathan mit ihm gemacht? Wo ist er und weshalb wollte er mein Blut? So viele Fragen die in meinem Kopf herumschwirren und nur darauf warten, beantwortet zu werden.
„Der Freund von Sandra, wollte mich umbringen, um mein Blut zu bekommen. Er hat damit gedroht, dass er ihr etwas antut. Nathan, also er hat mir geholfen. Alex wir müssen zu ihr.“
Erst jetzt kommt mir wieder in den Sinn, dass sie in Gefahr ist. Ich muss zu ihr. Doch Alex hält mich fest, als ich mich zum Gehen wende und sein Gesichtsausdruck wird dunkler. Ich bedenke ihn mit einem verwirrten Blick, doch er umgreift mit seiner Hand mein Handgelenk und zieht mich näher an sich.
„Alex, lass mich. Wir müssen jetzt zu Sandra.“
„Anna, du musst jetzt warten. Ich kann Jemanden beauftragen, der nach Sandra sieht und sich vergewissert, dass es ihr Gut geht. Und halte dich von Nathan fern, falls du es nicht mehr weißt, er wollte dich umbringen.“
Noch immer suche ich in meinen Gedanken nach einem Zusammenhang, weshalb er mich nicht gehen lassen will. Doch er zieht sein Telefon aus seiner Jackentasche und wählt eine Nummer. Ich weiß, dass Nathan mich umbringen wollte, aber in seiner Nähe spielen meine Gefühle verrückt. Doch dass kann ich Alex auf keinen Fall erzählen. Er darf es nicht erfahren. Denn wenn Nathan weg ist, fühle ich nichts mehr, außer die Verwirrung darüber, wie ich fühle, wenn er in meiner Nähe ist. Alex’s raue Stimme unterbricht meine Gedanken, als sich sein Gegenüber am Lautsprecher meldet.
„Jason, kümmere dich um Anna`s Freundin Sandra. Marius ist hinter ihr her.“
Als dieser Name über seine Lippen kommt zucke ich unwillkürlich zusammen. Ich habe ihm nie erzählt, dass er Marius heißt und auch nicht Vieles von Sandra. Ich weiche einen Schritt zurück und Alex kommt auf mich zu. Sein finster wirkender Gesichtsausdruck hat sich zu einem Schuldigen verändert. Und plötzlich habe ich das erste Mal dass Gefühl, das er mir wirklich etwas antun könnte und ich ihm nicht vertrauen kann.
„Anna, bitte hör mir jetzt zu. Es tut mir leid, dass du es auf diesem Weg erfahren musst.“
„Was muss ich erfahren und wie soll dieser Jason wissen, wo Sandra ist? Irgendetwas stimmt hier nicht.“
Ich bin nervös und weiche einen weiteren Schritt zurück.
„Vertrau mir in dieser Hinsicht, er wird sich darum kümmern, dass Sandra nichts passiert. Der Grund wieso Marius hinter dir her ist, ist der, dass er dein Blut benötigt.“
„Warum?“
Will ich die Antwort überhaupt wissen? Er löst seinen Blick von meinem und richtet ihn in die Dunkelheit des Waldes. Sein Gesichtsausdruck wirkt schuldig und es fällt ihm sichtlich schwer, zu sprechen, da er einige Sekunden zögert, bis ich eine Antwort bekomme.
„Weil du ein Nachfahre der Bathory Familie bist.“
„Ich weiß dass meine Großmutter mit Nachnamen Bathory geheißen hat. Aber was soll daran so besonders sein?“
„Dass hört sich jetzt vielleicht völlig krank an. Aber ich denke, du hast ein Recht darauf, zu erfahren, wieso er hinter deinem Blut her ist.“
Noch einmal richtet er seinen Blick auf mich und darin liegt eine stumme Frage. Die Frage ob er weitersprechen kann.
„Die Bathory Familie gründete im vierzehnten Jahrhundert einen Orden der sich der „ siebte Tod“ nannte. Dieser Orden wurde dafür bekannt, dass dieser Jagd auf Vampire und Werwölfe machte. Die Bathory Familie hatte ein besonderes Blut das in ihren Adern floss. Sie waren stärker und schneller als normale Menschen. Sie konnten auch in der dunkelsten Nacht etwas sehen. Sie konnten mit ihrem Blut Vampire anlocken, um sie dann zu pfählen und zu verbrennen. Uns Werwölfe haben sie als Menschen gefangen und zu Tode gefoltert. Marius braucht dein Blut um ein altes Ritual des Ordens durchzuführen. Durch dieses Ritual soll sich, so heißt es in der Legende, sein Blut in Bathory Blut verwandeln.“
„Ich verstehe nichts mehr. Wie soll dass funktionieren?“
„Das kann ich dir nicht genau erklären, aber es hat etwas mit einem mächtigen Zauber zu tun.“
„Aber wieso will Marius das? Wieso will er dass dafür Menschen sterben?“
„Er ist ein Jäger, dass heißt er ist jetzt schon stärker und schneller als jeder andere Mensch. Nicht auszumalen was passiert wenn er das Ritual durchführt.“
In meinem Kopf schwirren meine Fragen und Gedanken wirr hin und her. So viele Fragen auf die ich eine Antwort haben will. Es ist verrückt, wie lange ich nun schon in dieser Welt lebe, und nicht geahnt habe, was alles um mich herum existiert.
„Aber wenn er jetzt schon stärker ist, wieso hatte Nathan keine Schwierigkeiten ihn zu stoppen?“
„Anna, je älter ein Vampir ist, desto stärker ist er. Und Nathan. Er ist sehr alt.“
„Wie alt ist er? Und woher kennst du ihn eigentlich?“
„Er ist über Tausend Jahre alt. Einer der ältesten Vampire die ich jemals getroffen habe. Ich bin ihm begegnet als ich noch ein Kind war. Mein Vater hat ihn gejagt, weil er sehr viele Menschen umgebracht hat. Mein Vater er, er war ein Jäger, genauso wie ich es bin.“
Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Ich dachte Marius ist ein Jäger. Und wie kann ein Werwolf ein Jäger sein.
„Ich verstehe nicht, Alex. Was soll das heißen?“
„Kein Jäger, wie es Marius ist. Also besser gesagt, gibt es in unserer Welt ein paar Regeln und wir versuchen dafür zu Sorgen, das sie befolgt werden. Zum Beispiel gibt es Vampire die sich kontrollieren können und sich hauptsächlich von Blutkonserven ernähren. Aber es gibt auch wiederum welche, die sich nicht kontrollieren können und schon sehr vielen Menschen Leid zugefügt haben. Nathan war einer von denen die sich nicht kontrollieren konnten. Als mein Vater ihn gefangen hatte und ihn töten wollte, sah er in seinen Augen so etwas wie Reue. Also hatte mein Vater Mitleid und lies ihn laufen. Ich halte es bis heute für einen großen Fehler.“
Erst jetzt, nach einigen Minuten, kommt es mir in den Sinn. Wenn Alex weiß wer Marius ist, dann...
„Wusstest du, dass Marius hinter mir her ist?“
Bei diesem Gedanken dass die Antwort ein Ja ist, könnte ich ihm nie verzeihen, dass er es mir nicht gesagt hat und mich vielleicht nur benutzt hat.
„Anna, bitte hör mir zu.... „
Oh, nein. Ich habe es gewusst, ich kann ihm nicht trauen. Ich weiche einen Schritt zurück, ich bin wütend und verletzt zugleich.
„Was, Alex? Wolltest du, dass er mich findet?“
„Nein Anna, ich habe nie gewollt dass er dir etwas antut. Aber ich wusste er will dein Blut, also habe ich versucht dich kennenzulernen um dich besser beschützen zu können. So etwas ist immer leichter, wenn man problemlos in der Nähe sein kann. In deiner Nähe.“
„Wie konntest du mir das nur antun? Du hast mich absichtlich in solche Gefahr gebracht? Du wolltest dass er mich findet und hast mich auch noch im Stich gelassen. Ich dachte ich kann dir vertrauen.“
Ich muss weg von hier. Weg von diesen Augen, die mich wieder einmal verletzt haben. Er will zwar nach meinem Arm greifen als ich mich wegdrehe, aber ich reiße mich los. Ich will jetzt einfach nur noch weg von ihm, weg von diesem Ort. Wie konnte ich mich nur so von ihm täuschen lassen? Er hat mich nur als Köder benutzt. Er hat mich genauso belogen, wie alle anderen. Wieso war ich auch nur so blöd und glaubte ich könnte ihm vertrauen? Habe ich etwa gehofft, dass er mir vielleicht wieder mein Vertrauen zurückgibt? Ich wusste es doch besser. Man kann niemanden vertrauen. Keinem Einzigen. Ich hätte es wissen sollen. Ich bin so wütend. So enttäuscht. Ohne es weiter zurückhalten zu wollen fließen die heißen Tränen über meine Wangen.