Auch wenn ich Noah versprochen hatte, vor meinen Dates nicht zu rauchen, hielt ich heute zwischen meinen Fingern einen Joint. Es waren ja noch drei Stunden hin bis ich abgeholt werden sollte. Bis dahin würde alles sicher wieder normal sein. Aber manchmal musste ich mich einfach entspannen und daran denken, warum ich das alles eigentlich tun wollte und warum es sich lohnte. Und zwar rein und nur für das Gras. Ich brauchte auch langsam wieder etwas mehr davon, alleine gestern hatte ich zwei geraucht und heute schon wieder einen, aber ich brauchte es. Im Moment ging es mir eben nicht so gut, wie ich es gerne hätte. Aber vor meinem Date heute Abend hatte ich Angst. Was wenn es mir danach wieder so schlecht ging, wie nach dem Treffen mit Aleister? Ach was, ich kannte René im Gegensatz zu ihm nicht, er war sicher nicht so schlimm! Auch sein Kleidungsgeschmack war schon besser als der von Aleister. Wahrscheinlich hatte er auch mehr Geld als der, denn die Klamotten die er mir geschickt hatte, sahen wirklich hochwertig aus. Und sie waren farbenfroher und auch schöner als die, die ich bei Aleister getragen hatte, das war schon einmal ein großer Pluspunkt für René. Wie alt er wohl war? Das hätte ich Elias doch fragen können! Aleister schätzte ich auf Ende dreißig, Anfang vierzig, der Mann hatte schon einige graue Haare! Aber René kannte ich ja noch nicht, ich konnte also nicht sagen, wie alt er war. Elias hatte ihn, anders als ich schon gesehen, er könnte mir die Frage ganz leicht beantworten. Oder ich könnte ihn einfach fragen und mich unbeliebt machen! Das war dann immerhin ein interessantes Gespräch wert.
Als ich die Tür der Limousine hinter mir zuwarf, musste ich nicht lange warten, bis ein Mann auf mich zukam und mir die Hand hinhielt. Er sah nicht so alt aus wie Aleister, eher Anfang dreißig, hatte helles, braunes Haar und einen festen Händedruck. Vielleicht arbeitete er in einer Personalabteilung, um die Menschen mit seinem Auftreten einzuschüchtern, was bei mir auch klappen würde, hätte er nicht so nett gelächelt. Außerdem unterschied er sich von Aleister darin, dass er keinen Anzug trug, sondern eine lockere Jeans und einen roten Pullover. Vielleicht gingen wir heute gar nicht essen? Konnte ja auch sein, dass manche einen wirklich nur für den Sex zu sich bestellten.
„Hallo, schön dich kennenzulernen. Gehen wir gleich nach oben in mein Zimmer?“ er zog eine Augenbraue nach oben und ich nickte als Antwort.
„Freut mich auch, wir können gerne gleich nach oben gehen, damit habe ich kein Problem.“.
Wir gingen zusammen zu dem Aufzug des Gebäudes, er schien hier zu wohnen, denn es war eindeutig kein so luxuriöses Hotel und außerdem gab es hier Klingelschilder mit Namen. Das war irgendwie komisch. In einem Hotelzimmer würde man mich nicht so leicht umbringen können, aber in der eigenen Wohnung würde niemals jemand nach mir suchen! Das Haus hatte auch einen Aufzug, richtig modern und es sah toll aus!
„Es tut mir übrigens leid, dass ich dich heute nicht ausführe, wie es bei deinen anderen Treffen bestimmt der Fall war, aber ich bin ein fauler Mensch und wenn ich irgendwo bestellen kann, dann mache ich das auch!“ entschuldigte er sich lachend und sperrte die Tür zu seiner Wohnung auf, welche gar nicht größer war als ein Hotelzimmer. Naja, die Zimmer in dem Luxushotel in welchem ich mit Aleister war, waren eben auch riesig, aber dieses Apartment war sogar kleiner als meines!
„Nein, macht nichts, ich mag es auch ganz gerne, einfach zu Hause zu bleiben und mich nicht unheimlich schick anziehen zu müssen!“ gab ich zurück und setzte mich auf die Couch, während er sich in einen der Sesseln mir gegenüber fallen ließ. Wieso gab es hier keinen Fernseher, das war doch das Wohnzimmer, oder?
„Das freut mich. Wenn ich ehrlich bin, ich hatte keine Ahnung was wir heute tun sollten, denn normalerweise buche ich niemanden anderen als Elias und heute ist auch eine neue Situation für mich!“ gestand er mir und holte sein Handy heraus. „Lass uns zu allererst etwas zu essen bestellen, ich habe einen riesigen Hunger, die Arbeit hat mich den ganzen Tag hungern lassen!“ beschwerte er sich und hielt mir die App hin, nachdem er sich seine Sachen in den Einkaufswagen getan hatte.
„Wenn du Lust hast, kannst du dir auch eine Waffel, oder etwas Süßes bestellen. Als Nachspeise!“ schlug er mir vor und zeigte mir, was er damit meinte, nachdem ich mir meine Lasagne und den Salat in den Einkaufswagen getan hatte.
„Ja, aber nur wenn du auch eine nimmst!“ stimmte ich zu und er lachte.
„Als würde ich mir so einen Geschmacksorgasmus entgehen lassen!“.
Dann waren wir fertig mit bestellen und er grinste mich die ganze Zeit an.
„Darf ich was fragen?“ fing ich das Gespräch an und er nickte.
„Alles was du willst, Gespräche sind eine tolle Art der Kommunikation mit anderen Menschen und Fragen gehören nunmal dazu!“ scherzte er.
„Warum buchen sie niemand anderen als Elias? Also ja, er ist wirklich heiß und so, aber wird das nicht langweilig? Und wenn sie eine Beziehung mit ihm wollen, dann können sie doch auch einfach fragen, oder?“ wollte ich wissen, aber er schüttelte nur den Kopf und trank von seiner Cola, welche auf dem Tisch stand.
„Nein, eine Beziehung mit irgendjemandem kommt für mich nicht in Frage, ich bin ein verheirateter Mann und habe zwei Kinder, das ist nichts für mich. Elias ist einfach nur ein netter junger Mann, mit dem ich gerne Zeit verbringe. Wir haben zufällig die gleichen Interessen, man kann sich immer gut mit ihm unterhalten und er ist sehr aufgeschlossen. Es macht Spaß mit ihm zu reden, aber das sollte dir ja schon aufgefallen sein.“ erklärte er. Er war also verheiratet? Was seine Frau wohl davon dachte? Sicher wusste sie es gar nicht und deshalb hatte er auch hier eine kleine Wohnung. Sie dachte, er würde hier arbeiten und in Wahrheit schlief er die ganze Zeit mit Elias.
„Und wenn sie sich sonst nur mit Elias treffen, wieso haben sie dann heute mich und nicht ihn hier?“.
„Weil er von gestern bis nächsten Donnerstag mit einem anderen Kunden in Berlin ist und deshalb klappt das Ganze nicht. Auch wenn ich mich etwas herabgesetzt fühle, nachdem wir so eine innige Beziehung zusammen haben und er den Mann kaum kennt. Aber er hat wohl ziemlich gut gezahlt, von dem her.“ er zuckte mit den Schultern und schlug die Beine über einander. „Als ich mich deswegen dann bei ihm beschwert habe, hat er nur gesagt, ich solle mir dich Mal anschauen, weil du ein guter Freund von ihm bist.“ erzählte er weiter.
„Naja, aber das ist doch wieder nett von ihm, wenn er mich weiterempfiehlt, bekomme ich mehr Aufträge und verdiene mehr Geld!“ freute ich mich.
„Ja, für dich ist das toll, aber ich würde ihn gerne noch öfter sehen als ich es schon tue. Nur will Noah das nicht und Elias sträubt sich dagegen, mich ohne Noahs Wissen zu treffen.“ er schüttelte den Kopf. „Weißt du, ich mag ihn wirklich sehr. Und wenn er fragen würde, würde ich sicher auch Anouk für ihn verlassen, aber das würde er nicht, also bleibt es weiterhin nur eine blöde Vorstellung. Solltest du ihm das jemals verraten, werde ich dich eigenhändig erwürgen, ist das klar?“ drohte er mir grinsend und ich nickte.
„Sind sie nicht der Mann, der Elias auf Noahs komischem Empfang sofort einen Zungenkuss gegeben hat?“ erinnerte ich mich. Na klar war er das! Wie könnte ich ihn denn auch vergessen?
„Ja, ich fachte schon, du hättest es vergessen. Das ist normal für mich geworden, wie gesagt, wir stehen uns für das Verhältnis von Freier und Prostituiertem etwas zu nahe.“ gab er zu und in dieser Sekunde klingelte es an der Tür. „Wie schön, unser Essen ist da! Ich geh schnell nach unten, bezahlen, warte einfach hier.“ er war aufgestanden und ging nach draußen, kaum war ich eine halbe Stunde hier, schon saß ich alleine in der kleinen Wohnung. René war so ganz anders als Aleister und wie ich mir meine Kunden vorstellte. Einfach nicht so schick angezogen und auch nicht so förmlich. Vielleicht konnte ich ihn noch fragen, was er arbeitete? War er einfach nur ein normaler Mann, der sich das hier aus Einsamkeit leistete? Aber dann würde er doch wohl nicht eine Wohnung hier haben, die er anscheinend nur hatte, um sich mit Jungen zu treffen.
Ich sah mich ein bisschen um. Es gab in diesem kleinen Raum nichts als eine hässliche, kahle, weiße Wand und den Tisch mit der Couch und vier Sesseln. Wie nervig! Das sah alles mehr danach aus, dass er sich nicht mehr leisten konnte!
„Ich bin zurück und du zum Glück noch da. Hier, den Essen.“ René stellte die Tüte vor mich auf den Tisch und begann sein zeug auszupacken, er hatte sich Sushi bestellt. Etwas, was ich wirklich nicht leiden konnte.
„Wo sollte ich denn hin? Ich werde für meine Zeit bezahlt.“ scherzte ich und er setzte sich wieder hin.
„Ja, und zwar von mir und das nicht zu knapp. Deshalb habe ich mich auch beeilt und die Treppen genommen. Ich muss die Zeit und das Geld nutzen, das ich hier investiere!“ er begann zu essen und schaute mich dabei ziemlich erwartungsvoll an.
„Willst du mir etwas von dir erzählen? Oder lieber Fragen stellen? Unterhalte dich mit mir, dann ist uns dieses Treffen nicht mehr so unangenehm!“ forderte er mich auf.
„Ok, dann würde ich gerne wissen, als was sie arbeiten und warum sie sich ganz anders verhalten als die anderen Männer, die ich von Noah schon kennengelernt habe. Und warum Elias gesagt hat, sie wollen immer Sex.“ ich schaute etwas beschämt auf meine Hände, aber er lachte nur.
„Du fragst mich, warum ich mich ganz anders verhalte als der Rest der Leute, die Noah so beschäftigt? Ganz ehrlich, weil sie sich alle viel zu ernst nehmen! Das nervt doch mit der Zeit, wenn man immer nur mit Menschen redet, die sich ausdrücken als kämen sie aus den achtzehnten Jahrhundert. Zumindest fehlt darauf nicht mehr viel. Ich kann damit leben, mich mit Noah und in dessen Anwesenheit so zu verhalten, aber privat bin ich auch nur ein Mensch, der gerne nette Gespräche führt und sich nicht allzu ernst nimmt. Und ein bisschen hat mich Elias bestimmt auch schon in die Richtung verzogen. Er mag dieses ganze Getue nicht. Klar, er drückt sich auch anders aus, als normale Menschen, aber auch nur um Eindruck zu machen. Wenn wir uns hier treffen, ist er auch nur ein junger Mann Mitte zwanzig und redet auch genau so.“ erzählte er mir. Und mir fiel dabei auf, dass seine Augen einen anderen Ausdruck annahmen, wenn er an Elias dachte. Er sah dann irgendwie glücklich aus. Während er eine kleine Pause machte, um sich seine zweite Sushirolle in den Mund zu schieben, aß ich die letzten Karotten aus meinem Salat und widmete mich endlich der Lasagne.
„Aber du wolltest ja wissen, was ich arbeite. Das ist ganz einfach, ich erkläre es dir so, dass du es auch verstehst. Wenn ich zur Arbeit gehe, dann gehe ich meistens nicht zur Arbeit, weil ich nirgendwo fest angestellt bin. Noah gibt mir Geld dafür, Geld in Aktien anzulegen und die gewinnbringend zu verkaufen. Manchmal übernehmen wir auch Fabriken oder Geschäfte von Firmen, die pleite gehen und ich bin dann der, der dafür zuständig ist, dass das alles gut läuft, die Übergabe übernehme ich meistens persönlich und dann setze ich da Leute ein, die sich dann mit der Verbesserung auseinandersetzen um den gröstmöglichen Gewinn zu erzielen. Wenn die das nicht hinkriegen bin ich daran schuld und deshalb feuere ich Viele und stelle noch mehr ein. Also bin ich relativ wichtig für Noahs Firma und auch wenn er es versucht hat, er findet niemanden mit dem er mich ersetzen kann.“ er lachte und endete damit seine Erklärung zu seinem Beruf. Das hatte ich tatsächlich gut verstanden. Und das hörte sich auch gar nicht so schlecht an!
„Warum will Noah dich denn überhaupt ersetzen, wenn du deinen Job so gut machst?“ hakte ich nach und er schüttelte den Kopf.
„Du bist etwas schwer von Begriff, was? Ich bin mit einer Frau verheiratet, eine Todsünde für jeden, der nur eine etwas höhere Position bei Noah hat. Und dann verstehen sich die Beiden auch noch überhaupt nicht. Mir wurde schon unzählige Male angedroht, ich würde rausgeworfen werden, wenn ich mich nicht von ihr scheiden lasse, aber dann legt Noah mir doch wieder Verträge über zwei Jahre aus, mit der Bemerkung, es wäre das letzte Mal.“ er schüttelte den Kopf. „Auch wenn er ein sehr mächtiger Mann ist, er braucht Männer, auf die er sich verlassen kann und da bin ich nun einmal einer der besten. Das sieht er ein.“ er aß weiter und beobachtete meine Reaktion auf seine Erklärung. Der erste Satz gefiel mir gar nicht! Ich war nicht schwer von Begriff! Hieß das nicht, dass man Dinge erst langsam verstand?
„Warum erzählst du mir das alles? Darfst du das überhaupt?“.
„Na klar darf ich das! Ist doch meine Sache, wem ich sage, was ich arbeite! Und von meinem Gehalt weißt du ja noch nichts, was mich wundert, weil meine kleine Labertasche normalerweise ein ziemlich loses Mundwerk hat!“ er lachte und schüttelte den Kopf.
„Meinen Sie damit Elias? Das ist aber schon gemein, oder?“.
„Ach was! Das sind liebevolle Spitznamen. Meine sind Idiot, Vollhonk und Arschloch.“ er zwinkerte mir zu und diesmal musste ich lachen. Das hörte sich so süß an! Als wären sie ein Pärchen! Aber das hatte René ja schon verneint. Vielleicht sollte ich Elias sagen, was er vorhin gesagt hatte? Dann würden sie wirklich eines werden und ich hätte wieder keine Chance bei ihm. Blöd.
Den Rest des Essens brachten wir, bis auf einen kleine Lachflash wegen einer heruntergefallenen Nudel von mir, schweigend hinter uns. Aber es war nicht mehr das unbehagliche Schweigen, sondern ein angenehmes und es war auch nicht schlimm, während des Essens nicht zu reden. Es war sehr schön, einfach in meinen Gedanken versinken zu können. René schien ein wirklich netter Mann zu sein und ich würde es Elias auf jeden Fall sagen! Auch wenn ich ihn mehr mochte als als Freund, wollte ich, dass er glücklich war und mein Gegenüber konnte ihn sicher glücklich machen.
„Fertig? Darf ich die Schüssel wegwerfen?“ René zeigte auf meine leere Plastikschüssel in welcher die Lasagne sich befunden hatte und ich nickte nur. Dann nahm er sie weg und warf sie zu seinen Sachen in die Plastiktüte und knotete die zu.
„Soll ich meine Zähne putzen, bevor ich…“ weiter kam ich nicht den er schaute mich irgendwie entschuldigend an.
„Ich hatte nicht vor, heute mit dir irgendeine Form von sexuellem Kontakt zu haben. Eigentlich wollte ich nur nicht alleine essen, weil das immer so deprimierend ist.“ gestand er mir. „Aber wir können ja noch ein bisschen hier sitzen und reden, wenn du möchtest?“ schlug er vor und ich zog meine Beine auf die Couch, damit ich bequemer sitzen konnte. Das war doch toll! Wenn ich nur hier war, um Essen zu bekommen und ihm Gesellschaft zu leisten, konnte ich damit leben! Wahrscheinlich hätte ich sowieso bloß gekotzt oder sowas in der Art.
„Ja, das würde ich gerne! Ist mir auch lieber, als jemandem einen zu blasen, der eigentlich Elias gehört.“ gab ich zu und er schüttelte dem Kopf.
„Ich gehöre ihm doch nicht! Vielleicht bin ich in seinen Bann gezogen worden, aber gehören tue ich niemandem!“ verteidigte er sich. „Hast du Lust auf ein Glas Wein? Vorzugsweise Glühwein, weil ich noch mehr als zwanzig Flaschen zu Hause habe?“ schlug er vor und lachte dann, ich stimmte mit ein.
„Glühwein hört sich gut an, ich mag sowas gerne.“ stimmte ich dann zu und er nickte.
„Ok, dann komm, dazu müssen wir in meine kleine Kochecke! Die benutze ich nicht für viel mehr als Glühwein wärmen und Dinge in die Mikrowelle stecken. Manchmal spüle ich noch ein paar Gabeln und Teller, aber das war es dann.“ er hielt mir die Tür auf, welche sich hinter der Couch befand, auf der ich die ganze Zeit gesessen hatte, und ging mir dann hinterher in den Raum. Er war größer als der vorherige und er war auch so eingerichtet, als würde er einem Mann gehören, der in Renés Steuerklasse spielte. Ein großes Bett, mindestens 1,80m in der Breite und es sah ziemlich gut aus! Gegenüber eine kleine Anbauwand mit Fernseher und vollgestopft mit Büchern, die auch sonst überall herumlagen. Auf dem kleinen Tisch in der Ecke, auf der dazugehörigen Sitzbank, den beiden Stühlen, auf dem Nachttisch lag ein kleiner Stapel von drei Büchern und der Kleiderschrank, welcher auf einer Seite offen war, hatte zwei Bretter für Kleidung und drei für Bücher. Und natürlich standen auch noch zwei Umzugskartons in der Ecke, wo eine Tür wahrscheinlich auf einen Balkon führte und aus diesem ragten einige Buchrücken heraus. Auch auf dem Boden vor der Anbauwand stapelten sich die Bücher dreißig Zentimeter hoch. Wie konnte der Boden das alles denn bitte tragen? Wenn mein Gastgeber die alle gelesen hatte, musste er ja um die sechzig sein! Sonst kam man da doch gar nicht herum! Vor allem weil das alles ziemlich dicke Schmöker waren!
„Es ist nicht aufgeräumt, ich brauche auch noch ein neues Regal, mir reicht der Platz nicht mehr, entschuldige bitte die Unordnung!“ René warf ein Buch, welches auf dem Herd gelegen hatte auf sein Bett und holte eine Flasche Glühwein aus einem der Regale hervor, die Über und er dem Spülbecken und der kleinen Kochnische waren. Diese war ziemlich gut versteckt gegenüber einer Tür die bestimmt in ein kleines Bad führte. Es war alles nicht groß, noch nicht einmal mir würde dieser Platz reichen und ich war schon ziemlich anspruchslos!
„Ist das alles nicht etwas klein für dich? Also, ich glaube mir würde der Platz nicht reichen!“ vermutete ich und er schüttelte den Kopf.
„Nein, es ist nicht zu klein. Zumindest reicht es mir für die Zeit, die ich hier verbringe und das ist nicht sehr viel. Das ich überhaupt hier sein muss liegt nur daran, dass Noah beschlossen hat, in sein Lieblingsland zu ziehen und ich als ein Mensch, der ihm ziemlich nahe steht, muss dann natürlich umdisponieren.“ er zuckte mit den Schultern und lehnte sich an seine kleine Küchenzeile. „Ist dir eigentlich schon einmal aufgefallen, dass du oft abrutschst und mich duzt, obwohl du das eigentlich nicht darfst?“ neckte er mich und grinste dann. „Aber das passt schon so, ich bin ja kein besserer Mensch als du, oder sowas in der Art.“.
„Nein, ich glaube ich mache das aus Versehen. Wenn du aber hier wohnst, wo wohnt dann deine Frau mit deinen Kindern?“ fragte ich nach.
„Wir haben schon lange ein Haus an der Côte d’Azur und sie liebt es, mit den Kindern da zu wohnen, vor allem im Winter, weil es da noch relativ warm ist für die Jahreszeit. Im Sommer haben wir eine Eigentumswohnung in Paris, die hat sie sich zu unserer Hochzeit gewünscht und mir passt das ganz gut, weil wenn ich im Winter nach Hause will, gehe ich nach Paris und im Sommer an die Côte d’Azur.“ er lachte und ich konnte nur den Kopf schütteln.
„Ist deine Frau denn nicht enttäuscht von dir, wenn du so wenig Zeit mit deinen Kindern verbringst?“.
„Meine Kinder sind sechzehn und vierzehn. Und die meiste Zeit auf einem Internat, also vermissen sie mich bestimmt nicht so unheimlich sehr.“ er nahm den Glühwein von der Herdplatte und verteilte ihn gleichmäßig auf zwei Tassen.
„Prost!“ wir stießen an und gingen dann zurück in das vorherige Zimmer, wo wir uns bequem hinsetzen konnten. Dort vertieften wir uns wieder in Gespräche.
Ich war noch sehr lange bei René und wir verstanden uns ziemlich gut. Er zeigte mir sogar Elias Instagram Account, auf dem es ziemlich viele Bilder der beiden gab, die sie zusammen zeigten. Auch als ich wieder nach Hause gebracht wurde, schaute ich mir noch während der gesamten Fahrt die Fotos an. Darauf schienen sie eine Menge Spaß zu haben! Auch wenn ich einen Altersunterschied von zwölf Jahren etwas sehr groß fand, es war ja ihre Sache, waren sie ein süßes Pärchen und vor allem küssten sie sich oft. Wirklich oft! Eben wie ein echtes Paar. Warum sie dann nicht auch eines waren, blieb mir ein Rätsel, aber wie gesagt, es war ihre Sache und ich hatte auch nicht das Recht, mich da irgendwie einzumischen!
„Hey, wie geht es dir heute, Sam? Treffen wir uns morgen auf zum Frühstücken? Ich würde gerne einige Dinge mit dir besprechen!“ Noah hörte sich unheimlich entspannt an, aber auch irgendwie auf eine komische Weise. Aber wer wusste schon, wie viele Männer er wöchentlich zwischen seinen Beinen knien hatte?
„Ich weiß nicht, ich treffe mich auch mit meinem großen Bruder morgen Nachmittag…“ weiter kam ich nicht, weil er mich Mal wieder unterbrach.
„Wenn das erst morgen Nachmittag ist, dann hast du ja am Morgen Zeit für ein kleines Frühstück mit mir. Ich werde um zehn da sein und dich abholen, super? Super!“ damit legte er auf und ich saß in der Limo, während der Fahrer mich nur angrinste.
„Er duldet es nicht versetzt zu werden. Auch wenn sie noch gar nicht von ihrem Essen mit ihm wussten, hatte er es schon fest verplant. Sie können es sich nicht leisten, sich ihn zum Feind zu machen!“ scherzte er, aber ich fand das ganz und gar nicht lustig! Ich hatte Dinge zu tun! Verdammt, ich musste für meine Prüfungen lernen! Wie sollte ich das alles unter einen Hut bringen?
„Machen sie diese komische Trennwand hoch und halten sie ihre Klappe!“ schimpfte ich und er zuckte mit den Schultern, bevor er das tat, was ich ihm aufgetragen hatte, sodass wir nicht weiter miteinander reden konnten. War mir ganz recht so, im Moment könnte mich Mal wieder die gesamte Erdbevölkerung am Bürzel lecken.
„Guten Morgen, Samuel, wie geht es den Kindern?“ Noah saß schon an einem Tisch und hatte mir sogar einen Latte Macchiato bestellt. Wie gut das ich keinen Kaffee trank. Na gut, dann musste ich da wohl durch.
„Guten Morgen, wenn du die Katzen meinst, denen geht es super. Wie siehst bei deiner Familie aus?“ ich setzte mich und er nippte an seiner Tasse. Noah sah auch mehr süß als alles andere aus. Er hatte anscheinend heute nicht viel geschlafen sah noch ziemlich verschlafen durch die Gegend. Seine Haare waren stylisch verwuschelt und er trug einen Oversized-Hoody. Wirklich schön.
„Ach, so dies und das, aber alles in allem ganz gut. Kommen wir zu dem Grund, warum ich dich herbestellt habe.“ er holte einen zerknitterten Zettel aus der Hosentasche und legte ihn auf den Tisch.
„Aleister, du kannst ihn ja mittlerweile ein bisschen, er hat mir ein Angebot für deine Jungfräulichkeit gemacht. Und normalerweise bin ich nicht so nett, aber weil du der Bruder eines guten Freundes von mir bist, mache ich eine Ausnahme und lasse dich mitentscheiden.“ er lächelte leicht und in seinen Augen sah ich ein kleines Blitzen. „In unserem Vertrag, Seite drei, Absatz vier steht: ´Ich erkläre mich bereit, die Entscheidung über jegliche sexuelle Aktivitäten, deren Zeitpunkt und Form an den Vertragspartner weiter zu geben.´ zumindest so ähnlich, ich unterschreibe und lasse so viele Verträge auflegen, den genauen Wortlaut kann auch ich mir nicht merken.“ erklärte er und schob den Zettel zu mir. Ich hatte den Vertrag doch gelesen! Und davon hatte ich gar nichts gesehen! Das durfte er doch nicht! Na gut, wenn da wirklich meine Unterschrift drunter war, dann schon, aber das hatte ich so nicht unterschrieben! Dagegen anreden half bestimmt nichts, das konnte ich gleich bleiben lassen, also nahm ich den Zettel und hielt mir sofort die Hand vor den Mund, als mir die gerade gelesene Zahl aus dem Mund rutschte.
„Dreißigtausend!“ ich gab den Zettel demütig zurück und versuchte, nicht zu sehr überrascht auszusehen.
„Willst du es annehmen? Ich meine, es ist ein super Angebot!“ munterte er mich auf.
„Aber? Das hört sich an, als würde da noch ein ´Aber´ fehlen.“ hakte ich nach und er atmete tief durch.
„Eigentlich hatte ich für dein erstes Mal schon einen anderen Mann vorgesehen, der meiner Meinung nach besser passen würde. Andererseits ist Aleister mir schon seit vielen Jahren ein guter Freund und ich bin sehr daran interessiert, ihn zufrieden stellen zu können. Deshalb frage ich ja auch ausgerechnet dich nach deiner Meinung. Du scheinst dich mit ihm ja nicht so gut zu verstehen. Was ich nachvollziehen kann, er ist nicht einfach, andererseits ist er sehr wichtig für mich. Und er wird enttäuscht sein, wenn ich ihm absagen muss.“ er schaute mich durchdringend an. Auch wenn ich gerade von meinem Kaffee trank, wurde mir eiskalt. Aber es war doch gut, dass er mir die Entscheidung überließ, nicht? Oder würde er mich für die Folgen verantwortlich machen? Ja! Genau das würde passieren! Ganz sicher!
„Ist das der einzige Grund, warum du mich herbestellt hast? Oder gibts noch was anderes?“ ich wusste schon, dass ich nein sagen musste. So wie Aleister als Person war, wollte doch sicher niemand mit ihm sein erstes Mal haben!
„Natürlich gibt es noch etwas, aber ich hätte gerne zuerst das eine vom Tisch, bevor man mit dem anderen weitermacht.“ drängte er mich und nippte an seiner Tasse. „Aber lass dir Zeit, ich habe heute nichts mehr vor.“ er begann zu grinsen und am liebsten wäre ich aufgestanden und weggelaufen. Das fühlte sich alles ganz und gar nicht gut an!
„Nein, ich will mein erstes Mal nicht mit Aleister haben!“ schrie ich ihn beinahe an und alle anderen Gäste schauten uns teils böse, teils verstört an.
„Was glotzen Sie denn alle so blöd? Passen Sie auf, sonst fallen ihre Augen noch aus den Höhlen!“ Noah kramte ein kleines Büchlein heraus und strich irgendetwas heraus. Dann atmete er tief durch und lächelte wieder.
„Zu was anderem, ich habe dich für den zwölften Februar für ein Treffen und den erstes Mal vorgesehen. Und bevor das passiert, möchte ich dich gerne auf alle möglichen Krankheiten testen lassen. Einfach um ganz sicher zu sein, er ist da ein bisschen speziell.“ erklärte er. Also hatte er mich schon dafür eingeplant gehabt? Wieso sollte ich dann überhaupt mit Aleister schlafen? Hätte er dann einfach jemand anderen geschickt? Während ich noch über seine Gedanken nachdachte, gähnte Noah ausgiebig. Er sah dabei echt süß aus und hörte sich an wie ein kleines Kätzchen. Und dann wickelte er Geschäfte von der Art ab, sicher würde man ihn deshalb niemals verurteilen oder überhaupt verhaften. Ich war mir nämlich ziemlich sicher, dass das alles nicht versteuert wurde, aber wenn irgendjemand den Mann sehen würde, wäre er sicher sofort davon überzeugt, er wäre unschuldig. Und dann machte er den Mund auf und sprach mit einem Ton, der jeden überzeugen würde. So wollte ich auch sein, dann hatte man bestimmt viele Vorteile. Mein Vater hatte auch oft gesagt, dass es wichtig war, sich richtig auszudrücken, aber es war mir egal. Ich musste nicht viel mit Menschen reden und tat es auch nicht gerne.
„Warum schaust du mich an, als wäre ich ein Welpe?“ Noah zog die Augenbrauen zusammen und trank seine Tasse aus. „Ist ja jetzt auch egal, wegen den Tests, ich würde das gerne nahe am Termin machen, am besten eine Woche vorher, bis dahin wird das Labor auch fertig sein, wenn es dir am neunten passen würde?“ schlug er vor und schlug sein Buch wieder auf.
„Auf die Schnelle weiß ich das nicht so genau, aber wenn wir es jetzt ausmachen, dann wird es schon passen.“ scherzte ich, aber Noah lachte nicht, sondern schaute mich mit einem Blick an, der mich verachtete. Also bei unseren letzten Treffen hatte er noch mehr Sinn für Humor.
„Bitte Samuel, ich treffe mich heute mit insgesamt sechs Leuten und jeder von denen muss etwas ganz wichtiges mit mir besprechen, ich werde mich noch den ganzen Tag von diesen Menschen nerven lassen müssen, also bitte zeig du ein bisschen Kooperationsfähigkeiten und sag mir, ob dir das passt oder nicht. Un dich möchte dich nur noch einmal daran erinnern, dass ich eine zu späte Absage nicht gelten lassen kann und du zu erscheinen hast!“ schimpfte er schon fast und ich konnte nur schwer schlucken, was er anscheinend als nicken verstand.
„Also ist der Neunte in
Ordnung, oder hast du irgendetwas dagegen einzuwenden?“ Noah schrieb schon in sein Buch, ohne auf meine Antwort gewartet zu haben, also sagte ich erst gar nichts, bis er mich wieder ansah und dabei wirklich gelangweilt wirkte.
„Nein, es wird schon gehen.“ ich flüsterte das mehr zu mir als zu ihn, aber das war wieder falsch und er stöhnte genervt auf.
„Wird schon, oder geht?“ was hatte er denn nur? Ich konnte doch nichts dafür, dass ich meinen Kalender nicht auswendig im Kopf hatte!
„Geht.“
„Gut!“ er schüttelte den Kopf bevor er sein Buch zuklappte und sich mit einem seufzen wieder zurücklehnte und mich dabei mit einem Blick ansah, den kein Mensch auf dieser Welt hätte deuten können.
„Samuel, wir beiden könnten es so einfach miteinander haben, wenn du nur nicht so schwer von Begriff währest. Du brauchst ganz dringend ein bisschen Nachhilfe darin, was es heißt, mit mir zusammen zu arbeiten! Ich habe nicht viel Zeit für mich selbst und wenn ich mich auch noch dazu bereiterkläre, diese Zeit für dich zu opfern, erwarte ich ein gewisses Verhalten und zumindest ein bisschen Vorbereitung. Es ist nun wirklich nicht sehr schwer, sich die nächsten dreißig Tage auf seinem Kalender anzuschauen und dann hier her zu kommen, um mir einen Termin zu nennen, der für dich in Ordnung wäre!“ schimpfte er mich vorwurfsvoll und bestellte dann den Kellner her. „Ich hätte gerne noch einen Kakao mit Sahne und wenn sie können, bringen sie mir einen Donut mit, den mit der weißen Glasur und den Zuckersträuseln, ja?“ bestellte er und lächelte den Mann an, als wäre er ein unschuldiges, sechsjähriges Kind, dass zum ersten Mal in einem Restaurant bestellte.
„Und sie, Samuel, sie müssen sich sicher noch etwas ausruhen vor ihrem Treffen mit Vincent. Tuen sie das besser jetzt als später. Und merken sie sich den Neunten!“ seine Stimme war so schnell von zuckersüß zu bestimmerisch gewechselt, dass ich nur perplex aufstehen und gehen konnte. Meine Jacke hielt ich auf dem Arm und ich wollte so schnell wie möglich von diesem Ort wieder weg. Wieso jagte mir dir Mann auf einmal so eine Angst ein? Und warum konnte er so schnell zwischen süß und genervt wechseln? Das war wirklich nicht mehr schön! Aber vielleicht meinte Quentin auch das mit gefährlich? Er hatte doch gesagt, Noah wäre gefährlich, oder? Vielleicht war er das ja wirklich und ich hatte mich in richtig große Schwierigkeiten gebracht! Oh Gott! Ich wollte mich nie wieder mit ihm treffen, er machte mir Angst. Und mal wieder wollte ich mich nur unter meiner Bettdecke verkriechen und den ganzen Tag nicht mehr herauskommen. Aber ich hatte ja auch noch meinen Kaffee mit Vincent vor mir. Gott, ich hasste Kaffee. Ich hasste ihn so sehr, dass ich schon bei dem Gedanken an eine weitere Tasse hätte kotzen können!