„Kannst du heute auch schon früher? Ich bin grad unterwegs und es würde mir besser passen.“
„Klar, komm einfach zu mir ins Pub, ich schick dir den Standpunkt.“
Jetzt stand ich vor dieser blöden Türe und wusste Mal wieder nicht, ob ich hineingehen wollte. Vincent saß auf der anderen Seite dieser Tür und gleich würde ich ihn seit Jahren das erste Mal wieder sehen. Und ich könnte mich wieder… oh fuck!
„Scheiße, tut mir leid! Ist alles in Ordnung mit ihnen? Sam!“ jemand hatte die Türe aufgeschlagen und sie hatte mich zu Boden gestoßen, mein Arsch tat furchtbar weh, zum Glück war mein Kopf nicht auf dem Boden aufgeschlagen, sonst wäre ich vielleicht nicht wieder aufgestanden.
„Das ist aber ein tolles Wiedersehen nach so langer Zeit.“ ich hielt mir den schmerzenden Arsch und Vincent lachte.
„Willst du mir sagen, du bist immer noch Jungfrau, wenn du es nicht Mal gewohnt bist, dass dein Arsch weh tut?“ neckte er mich und zündete sich eine Zigarette an.
„Und du willst mir sagen, dass du immer noch rauchst? Hast du nicht immer gesagt, du hörst auf, wenn du ausgezogen bist?“ ich schaute zu ihm nach oben und das erste, was mir ins Gesicht sprang, noch vor dem kleinen Bart den er hatte, war das kleine ´N´ an seinem Hals.
„Ja, das will ich dir sagen. Ich bin ein Erwachsener und kann mir aussuchen, was ich mache.“ er schüttelte den Kopf. „Du bist auch nicht gewachsen, oder?“ er schmunzelte sanft und wuschelte mir mit der freien Hand durch die Haare.
„Nein, ich bin nicht gewachsen. Aber ich bin süß. Und andere Dinge an mir sind schon größer geworden!“ verteidigte ich mich.
„Deine Ohren, nicht?“ er zwinkerte mir zu und hielt mir die Packung Zigaretten hin.
„Na endlich, das wurde ja auch Zeit!“ ich nahm mir eine Zigarette und er zündete sie mir an. „Und? Wie ist das Leben mit Noah und deinem Kind so?“ fing ich an und er lachte.
„Du kannst dir nicht vorstellen wie wundervoll und zeitgleich scheiße es manchmal sein kann. Man, wenn ich ihn nicht lieben würde, würde ich ihn verlassen. Er ist schon ziemlich anstrengend.“ erzählte er. Das hörte sich ziemlich nach dem Noah an, den ich gerade kennengelernt hatte.
„Ach ja? Warum verlässt du ihn nicht, wenn er dir zu anstrengend ist? Er will ja anscheinend auch nicht, dass die Leute wissen, dass du sein Mann bist!“.
„Wieder richtig. Keine Ahnung was er da hat, aber nachdem Louis letztes Jahr erschossen worden ist und Max das ganze nur ziemlich knapp überlebt hat, ist er verdammt paranoid geworden. Er wollte auch verhindern, dass ich mich mit dir treffe, aber was du mir schon antun solltest? Ich hab dich doch schon immer im Ringen besiegt!“ er lächelte mich wieder so stolz an, man, wie ich mir die alten Zeiten zurückwünschte, in denen er noch bei uns gewohnt hatte und wir jeden Tag irgendetwas zusammen gemacht hatten. Es war toll gewesen, Vincent zu haben.
„Ja, das hast du. Und jetzt beantworte die Frage, du starker Mann, der sich selber verteidigen kann!“ neckte ich ihn und piekte ihn in die Seite.
„Wieso sollte ich? Ich liebe ihn doch, hatte ich doch bestimmt schon vier Mal in diesem Gespräch erwähnt. Und wenn nicht, dann:
Ich liebe ihn. Ich liebe ihn. Ich liebe ihn. Ich liebe ihn.
Reicht das schon? Oder brauchst du noch mehr? Und außerdem hat der Mann so viel Geld, dass ich in meinem ganzen Leben nie wieder arbeiten muss. Und die nächsten achthundert Generationen nach mir auch nicht.“ er drückte die Zigarette aus, während meine ohne einen zweiten Zug von mir fast ganz abgebrannt war. Dann hielt er mir die Türe des Pubs auf und wir gingen zusammen nach drinnen, wo er uns zwei Bier bestellte. Und wir uns an eine gemütliche Eckbank setzen konnten.
„Ist er wirklich so reich? Ich meine, macht er noch etwas anderes als Zuhälter zu sein?“ fragte ich und er lachte nur.
„Zuhälter? Noah verwaltet mit der Hilfe von ein paar engen Freunden ein komplettes Imperium. Er ist in so verdammt viele Dinge verwickelt, die könnte ich dir gar nicht alle aufzählen, weil ich auch viele nicht kenne. Und ich will sie nicht kennen, weil ich mir nur Sorgen machen würde.“ langsam trank er von seinem Bier und wartete auf eine Reaktion von mir.
„Weißt du, was Aleister für Noah macht? Oder was die beiden für ein Geschäft machen?“ hakte ich nach. Ich hätte nicht gedacht das dieses Gespräch so verlaufen würde. Vincent war aber anscheinend ganz entspannt. Anders als sonst. Er sah noch aus wie früher. Hatte die Tattoos an den Armen noch, vielleicht ein paar mehr und die schwarzen Haare hingen ihm locker vom Kopf. Nur der Bart und dieses blöde ´N´ war neu. Ob er dieses Piercing, von dem Elias geredet hatte, schon gehabt hatte als er bei uns gewohnt hatte, wusste ich nicht.
„Wieso interessiert dich das alles? Noah kann dir doch egal sein! Und über die Young-Brüder wollen wir nicht reden, ja?“ wehrte er die Frage ab und schüttelte nur den Kopf. „Die sind sowieso alle verrückt.“ für ihn war das Thema wohl beendet.
„Bitte Vincent. Du bist mein großer Bruder! Du musst mir sagen, was der Mann macht, mit dem ich jetzt schon zwei Mal ausgegangen bin!“ bat ich und er starrte mich an, als hätte ich mich gerade in einen Esel verwandelt.
„Du hast was getan? Samuel Maximilian Johann Fuchs, wie kommst du dazu, dich mit so ekelhaften Gestalten rumzutreiben!“ schimpfte er laut und der Barkeeper schaute mahnend zu uns.
„Vincent Theodor Markus Fuchs, hör auf mich bei meinem ganzen Namen zu nennen, wenn du mich schimpfst, du bist nicht meine Mutter! Beantworte mir doch einfach die Frage!“ schimpfte ich zurück.
„Ok, ok, ich hör auf. Aber ich möchte nicht, dass du dich noch öfter mit Aleister triffst. Er arbeitet schon seit Ewigkeiten, ich glaube bald mehr als 14 Jahre, mit Noah zusammen und auch seine zwei kleinen Brüder sind schon in das Ganze eingestiegen. Ich weiß nicht genau, was sie machen, aber ich weiß, dass alles wofür sie zuständig sind, illegal ist und sie alle nochmal in richtige Schwierigkeiten bringen wird. Und Aleister ist kein Zeitgenosse, mit dem ich mich gerne rumtreiben würde. Er soll im Bett richtig hart sein. Will ich ja nur sagen!“ er hob beschwichtigend die Hände und zog Beide Augenbrauen nach oben.
„Ich hab den Sex mit ihm ja eh abgelehnt.“ murmelte ich mehr zu mir als zu ihm, aber er schüttelte sowieso nur den Kopf, damit war das Thema für ihn vom Tisch und ich würde es ganz sicher nicht mehr zur Sprache bringen, darauf würde er allergisch reagieren.
„Und sonst so? Was läuft im Studium so? Quentin hat erzählt, du hast angefangen, Architektur hier zu studieren? Ist es interessant? Kannst du es weiterempfehlen?“ er lachte und ich musste mit einstimmen. Das war unser kleiner, persönlicher Running Gag.
„Ich weiß nicht, ob ich es empfehlen sollte. Weißt du, wir machen viel, was ich schon kann. Einfach weil ich es in der Ausbildung gelernt habe. Aber was mir es bringt, wenn ich alles noch ein Mal mache. Ist teilweise auch langweilig und ich war jetzt die ganze Woche nicht da, weil ich keine Lust hatte.“ erzählte ich. „Und was machst du so, wenn du nicht gerade der Ehemann eines schwer reichen Mannes bist? Oder gerade andere Leute vögelst?“.
„Wenn beide damit einverstanden sind, ist nichts gegen eine polygame Beziehung einzuwenden, klar? Also halt dich bitte damit zurück, außerdem ist Noah selber auch oft dabei und ich ficke ihn eh oft genug, als hätte ich keine Abwechslung verdient!“ regte er sich auf.
„Ich versteh sowieso nicht, warum man so einen Mann heiraten oder sich überhaupt in ihn verlieben sollte!“ redete ich weiter seinen Ehemann herunter und Vincent schüttelte nur den Kopf.
„Ist das dein Problem, Samuel? Das ist genau der Grund, warum ich nie zu Hause angerufen habe, kein Mensch würde das verstehen. Also wirklich. Noah und ich lassen uns nie zusammen sehen, sonst müssten wir uns nur blöde Sprüche anhören und die Leute zerreißen sich nur allzu gerne das Maul über alles mögliche, das weißt du doch auch. Aber glaub mir, der Mann kann so viel süßer und liebenswerter sein als jeder andere Bottom auf dieser Welt. Und er liebt mich mehr als alles andere auf der Welt. Er hat ja auch niemanden sonst.“ Vincent nahm noch einen Schluck von seinem Bier und mir fielen noch so viel mehr Fragen ein, die ich im stellen wollte. Er konnte mir so viel über Noah erzählen, das mir helfen würde, den Mann besser zu verstehen und einzuschätzen. Aber bei dem Gesichtsausdruck, den er gerade hatte, wollte ich lieber auf ein anderes Thema umsteigen.
„Kennst du René? Ich hab gehört, der arbeitet auch mit Noah zusammen?“ lenkte ich also auf ein anderes Thema um.
„Ja, René ist ein ziemlich guter Freund von mir geworden. Er ist nicht so ein Arschloch wie die anderen Leute, mit denen Noah arbeitet und man kann gut mit ihm mal ein Bierchen trinken. Keine Ahnung wie der nicht vollkommen durchdreht, so viel wie Noah und er streiten.“ er lachte und atmete dann tief durch. „Es ist schon verdammt spät. In zwei Stunden muss ich mich schon wieder auf den Weg zu Noah machen, sonst denkt er wieder, ich würde zu viel trinken. Oder er schimpft wieder herum, weil ich zu viel über unser Privatleben rede. Als würde er mich davon abhalten können, mit meinen Brüdern über mein Leben zu reden!“ er rollte mit den Augen und schlug mir mit der Faust auf die Schulter „Willst du noch ein Bier?“. Ein Bier auch, aber sicher noch viel mehr Informationen über sein Leben. Es war schon interessant, das alles zu erfahren.
„Nur wenn ich dann wieder über deinen Mann sprechen darf.“ entgegnete ich, aber er schüttelte nur den Kopf.
„Du darfst gerne über ihn reden, mich stört es nur, wenn du mich über ihn ausfragst, dass kommt nämlich nicht so unheimlich gut, weißt du?“ er verdrehte die Augen und nahm mein leeres Glas mit, um uns zwei weitere Biere zu bestellen. Mein Bruder war schon ein außergewöhnlicher Mann. Kein Mensch außer ihm konnte ihn so einer Frühe schon so viel Bier trinken.
„Hier, sag ruhig danke, dass ich dich schon das zweite Mal einlade.“ er stellte mein Trinken vor mich und grinste dann wieder. „Quatsch, ich bin reich, wieso solltest du zahlen müssen?“.
„Wieso bist du reich, du hast doch bloß Noah geheiratet, oder? Also hast du praktisch nichts.“ hielt ich ihm vor.
„Falsch. Wir haben einen Ehevertrag und der besagt, wir haben ein gemeinsames Vermögen, das jedem zu 50% gehört. Sollten wir uns also scheiden lassen, was ich bei Gott nicht vorhabe, dann gehören mir 50% seiner Häuser, seines Geldes, seiner Autos. Also vom Wert her, das ist alles noch viel komplizierter, aber wenn du jemals einen Mann wie Noah heiratest, solltest du dir Gedanken über einen Ehevertrag wie den meinen machen, weil er im Falle von Noahs Tod vorsieht, dass ich als einziger begünstigt bin. Wenn ich mit ihm sterbe, oder er es vor seinem Tod nicht hinbekommt, einen anderen zu heiraten, liegt das alleinige Erbrecht bei unserem gemeinsamen Kind. Und weil Noah keine Familie mehr hat, oder das zumindest rechtlich so geregelt wurde, wird vor dem achtzehnten Geburtstag die Erziehung von meinem nächsten lebenden Verwandten übernommen, welcher auch unser Vermögen verwaltet bis mein Sohn achtzehn ist. Oder, wenn dieser geistig bis dahin so weit eingeschränkt ist, zum Beispiel durch einen Unfall oder wegen Drogen, sodass es nicht gut für das Unternehmen wäre, würde mein nächster Verwandter auch die Leitung übernehmen, bis sich das wieder gelegt hat. Mein nächster Verwandter ist übrigens im Moment meine Mutter. Aber ich hoffe, nach ihr zu sterben und auf ihrer Beerdigung noch den Champagner zu öffnen, also wird es wahrscheinlich Vater oder Quentin sein. Und wenn nicht, dann sollten sie ihn in ein Waisenhaus geben. Nichts gegen dich, aber du bist sicher nicht der beste Vater. Wir wissen alle, wer unser Meerschweinchen umgebracht hat, weil es ihm vom Arm gefallen ist.“ er schüttelte den Kopf und ich atmete genervt ein.
„Das war als ich sieben war und du kannst das nicht mit einem Kind vergleichen!“ verteidigte ich mich.
„Kann ich nicht? Du hast schon mein Meerschweinchen getötet, ich werde dir in meinem Leben nicht mein Kind anvertrauen!“ schimpfte er und trank einen großen Schluck.
„Ach was! Ich wäre ein toller Adoptivvater und würde ihm den ganzen Tag Geschichten vorlesen und im Kino bei den brutalen Szenen die Augen zuhalten. Außerdem nur bei Pizzaläden bestellen, die ihre Salami aus Bio-Bauernhöfen beziehen und so weiter. Ich wäre gut darin! Außerdem will ich auch Mal Kinder haben!“.
„Du willst Kinder haben? Ich dachte du hasst alle Menschen, die jünger als zwanzig sind?“ tat er ganz erstaunt, als wäre es etwas besonders, Kinder haben zu wollen. Ganz sicher nicht! Jeder wollte das doch in irgendeiner Form, oder?
„Ich mag Kinder! Wirklich, wenn sie mir gehören, sind die sicher nicht so schlimm. Vielleicht mag ich ja auch deines? Du kannst ihn mir ja vorstellen, oder?“ schlug ich vor, aber er schüttelte sofort den Kopf.
„Nein, ich möchte nicht, dass er irgendeinen Kontakt zu meiner Familie hat. Ja, ich weiß, es wird dann schwer sollte ich sterben, aber davon will ich eben nicht ausgehen. Immerhin reicht es doch, wenn mein Leben von dieser Sippschaft zerstört worden ist.“ er zwinkerte mir zu, aber das war nicht ein Thema, bei dem er mir zuzwinkern sollte! Es machte mich traurig, ich war auch seine Familie und ich wollte nicht daran schuld sein, dass sein Leben zerstör war!
„Naja, ich habs dir vorgeschlagen und bin damit nicht mehr der Schuldige, wenn er sich nicht in seine Familie einlebt, solltest du elendig verrecken!“ gab ich zurück.
„Lass uns nicht mehr über ihn reden, ich mag es nicht, wenn mein Kind ständig im Mittelpunkt steht, obwohl es nicht da ist.“ schlug er vor. Wieso erwähnte er eigentlich nicht den Namen seines Sohnes? War das alles so geheim? Wieso redete er dann mit mir über das Erbe von Noah und ihm? Schrecklich war das! Vielleicht wollte ich ja wissen, wie er hieß?
„Wenn du ein besseres Thema hast? Ich meine, du weißt wahrscheinlich mehr über mich, als ich es denke, weil Quentin so eine Plaudertasche ist!“.
„Ja, das ist er wirklich. Du kennst ihn eben zu gut! Wir sollten einmal alle zusammen ein Bier trinken gehen, das habe ich mir schon lange gewünscht. Mit meinen zwei kleinen Brüder zu trinken und uns über unsere Leben auszutauschen! Hört sich das nach etwas an, was dir gefallen könnte?“ schlug er vor und ich nickte nur. Eigentlich wollte ich Vincent für den Rest seines Lebens nur für mich ganz alleine haben, aber wenn er unbedingt Quentin dabei haben wollte, war das gut so.
„So begeistert scheinst du ja von dem Vorschlag nicht zu sein, was?“ er legte mir die Hand auf die Schulter und schaute mir ganz tief in die Augen. „Sam, bist du immer noch eifersüchtig darauf, dass Quentin älter ist als du? Willst du wirklich darauf beharren?“ fragte er und ich nickte.
„Ja, das wil ich. Du weißt ganz genau wie ich dazu stehe und ich mag es nicht, wenn du ihn zwischen uns setzen willst, nur weil er keine unangenehmen Fragen stellt, so wie ich.“ warf ich ihm vor. Wie hatten wir so lange gute Freunde sein können? Jetzt, wo wir beide erwachsen waren, war er mir lange nicht mehr so sympathisch wie früher. Aber jetzt sah ich ja auch nicht mehr so zu ihm auf, als wäre er der Mittelpunkt meines Universums oder ein Gott. Er war ein ganz normaler Mensch, der zufällig den Mann geheiratet hatte, der mir Geld dafür gab, dass ich mit seinen Leuten ausging und Oralsex hatte. Warte, wusste Vincent am Ende noch davon? Das wäre verdammt scheiße! Was könnte ich denn machen, wenn er es wusste? Dann hatte er bestimmt keinen Respekt mehr vor mir! Ganz davon abgesehen, was machte ich mit meiner Jungfräulichkeit? Ich musste Noah absagen! Ich konnte nicht einfach mit irgendjemandem schlafen! Das ging nicht! Meine Jungfräulichkeit gehörte jemandem besonderen! Besonders, klar! Auch wenn Marik sagte, es würde nicht toll werden, wer wusste das schon? Selbst wenn, ich konnte mich doch nicht an einen Mann für sowas verkaufen! Es musste einfach jemand sein, der noch keine Erfahrungen gemacht hatte, so wie ich. Dann würden wir zusammen Erfahrungen sammeln können!
„Worüber denkst du so nach, Sam? Ich sehe, das dich was bedrückt, willst du darüber reden?“ schlug Vincent vor. Wie sollte ich das sagen? Mit der typischen Ausrede würde es sicher nicht klappen.
„Ist nicht so wichtig, es ist nur wegen eines Freundes.“ gab ich als Antwort und mein Bruder zog beide Augenbrauen nach oben.
„Und dieser Freund? Was ist mit dem? Gefällt er dir?“.
„Nein, er ist in ein Schlamassel geraten und ich würde ihm gerne helfen, weiß aber nicht wie.“. Scheiße, da würde ich nie wieder herauskommen!
„Was für ein Schlamassel wäre das? Vielleicht weiß ich ja eine Lösung, die deinem Freund helfen könnte?“ schlug er vor mir zu helfen.
„Naja, er hat sich mit jemandem dazu verabredet Sex zu haben, aber er weiß jetzt nicht mehr, ob er seine Jungfräulichkeit jemandem geben will, den der gar nicht liebt.“ erklärte ich.
„Samuel, wenn du keinen Sex mit ihm willst, dann hab keinen Sex mit ihm, aber das erste Mal ist wirklich nichts besonderes und eigentlich der Grund, warum ich damals mit meiner Fernbeziehung Schluss gemacht habe. Also, meines war schrecklich und wenn der Mann Erfahrung hat, warum nicht?“ er zwinkerte mir wieder zu und ich hätte ihm gerne geschlagen, aber bei meiner Statur wäre das wohl nicht gut für mich ausgegangen.
„Man, es geht nicht um mich, Vincent! Sondern um meinen Freund und er hat ein echtes Problem damit, klar? Deine komische Geschichte ändert da nichts dran!“ schimpft ich und trank so viel meines Biers, dass ich dachte, ich würde es gleich wieder zurück in das Glas spucken.
„Natürlich geht es um dich, ich bin doch nicht blöd und kennen diese komisch Art, ein Gespräch in die Richtung zu lenken die man will, ohne sich zu blamieren. Auch wenn das gar nichts bringt! Mittlerweile weiß doch jeder, dass es dabei immer um den geht, der das sagt.“ wieder ein nutzloses Zwinkern.
„Na gut, dann geht es halt um mich, und jetzt? Du hast mir nicht wirklich viel weitergeholfen, Vincent! Ganz und gar nicht sogar!“ beschwerte ich mich.
„Es ist ja auch nicht meine Entscheidung, ich will nur sagen, dass es deine ist und die kann dir sowieso keiner nehmen. Du bist kein kleines Kind mehr, du musst Fehler machen und du darfst jetzt auch. Unsere Mutter beschützt dich nicht mehr vor diesen Fehlern. Ob das jetzt für dich gut oder schlecht ist, musst du entscheiden, ich finde es gut für mich, meine eigenen Fehler machen zu können. Und selbst wenn es ein Fehler ist, deine Jungfräulichkeit an jemanden zu geben, den du nicht liebst, lernst du vielleicht doch etwas daraus und irgendwann macht es dir dann vielleicht auch nichts mehr aus, darüber nachzudenken.“ versuchte er, mir zu helfen.
„Du meinst also, ich sollte es einfach machen und schauen, was dabei herauskommt?“.
„Genau! Vielleicht verliebt ihr euch dann und alles wir gut und du wärst glücklich? Hast du das noch nicht in Betracht gezogen?“.
„Nein. Habe ich nicht und ich wollte es auch nicht, weil ich kaum glaube, dass ein Mann wie er sich für jemanden wie mich interessiert. Es geht ihm bestimmt nur um Sex.“.
„Naja, dann hast du vielleicht zumindest Spaß, oder?“.
„Das ist ein schlechterer Rat als damals, als du mir meinen Wackelzahn reißen wolltest und gesagt hast, wir machen es mit der Tür und es mich mitgerissen hat.“ warf ich ihm vor.
„Ach was! Ich hatte in der Notaufnahme meinen Spaß mit dir und deiner Platzwunde!“ lachte er und ich konnte nur wieder den Kopf über meinen großen Bruder schütteln. Wieso fand er sowas lustig? Er hatte mir wehgetan und darüber lachte er jetzt! Es war damals schon für mein sechsjähriges Ich nicht lustig gewesen. Und auch meine Mutter hatte fürchterlich geschimpft! Vor allem aber hatte ich geheult, als sie mir meinen Kopf mit drei Stichen genäht hatten. Diese blöde Narbe hatte ich auch immer noch oberhalb dem rechten Ohr. Sie würde wohl nie wieder weggehen, außer wenn ich sie lasern lassen wollen würde. Vielleicht wäre das ja Mal eine Überlegung wert?
„Du bist gut, ich werde das Ganze wegen der beschissenen Narbe niemals vergessen!“ beschwerte ich mich wieder und Vincent grinste noch breiter als er es sowieso schon getan hatte.
„Gute Erinnerungen an deinen großen Bruder werden dich wohl für immer verfolgen, was?“.
„Ja. Vor allem weil du es mit achtzehn besser hättest wissen können! Irgendwie ist es auch die einzige Erinnerung an dich, die ich mir sofort wieder ins Gedächtnis rufen kann.“ ich schaute traurig nach unten auf meine Hände und er legte mir seine Hand auf die Schulter.
„Samuel, sei nicht immer so. Das einzige, was ich von dir will ist, dass du mir nicht immer vorwirfst, dass ich gegangen bin. Und du tust es trotzdem!“ er schüttelte enttäuscht den Kopf.
„Wieso denn auch nicht? Du warst der Held meiner Kindheit und du warst der einzige Mensch, mit dem ich reden konnte. Dann bist du einfach gegangen, hast mich bei den ganzen Vollidioten alleine gelassen und dich nicht mehr gemeldet. Weißt du eigentlich, was das mit einem Menschen machen kann? Wie hast du gedacht, funktioniert das bei uns zu Hause ohne dich? Du hast mich einfach alleine gelassen und es war dir scheißegal, wie es mir damit gegangen hat!“ warf ich ihm vor und am liebsten hätte ich ihn in diesem Moment geschlagen! Er war ein Arschloch! Ein richtiges Arschloch!
„Ich weiß das alles doch! Denkst du, ich mache mir keine Gedanken? Samuel, du bist mein kleiner Bruder und ich liebe dich. Bestimmt habe ich in den letzten Jahren über keinen Menschen mehr nachgedacht als über dich. Nicht einmal über Noah oder meinen Sohn! Aber manchmal muss man einfach Menschen hinter sich lassen, wenn man sein eigenes Glück sucht, und wenn es die Familie ist, dann ist es eben blöd gelaufen, nicht?“ versuchte er sich zu erklären. Die Wut die sich in meinem Körper über all die Jahre angestaut hatte, wollte endlich raus, ich wollte ihm das Glas auf dem Kopf zertrümmern und ich schlagen, ihn anschreien, aber meine Erziehung verbot es mir, solche Dinge in der Öffentlichkeit zu tun.
„Vincent,“ ich war aufgestanden und hatte mich zu ihm nach unten gebückt. „du bist ein Arschloch. Und wag es ja nicht, dich noch Mal bei mir zu melden. Denn manchmal muss man Menschen hinter sich lassen. Wenn es die Familie ist, dann ist es eben blöd gelaufen.“ dann richtete ich mich aus, kippte ihm mit einem kurzen Ruck mein Bier über den Oberkörper und stellte das Glas wieder auf den Tisch, bevor ich den Pub verließ und meine Jack anzog. Es war heute irgendwie kälter als sonst. Aber das konnte auch daran liegen, dass ich seit eben einen Riss in meinem Herzen hatte.