Du bist Aji.
„Ich bin allein.“, behauptest du. Der Elf mustert dich ungläubig, dann zuckt er mit den Schultern. Er knebelt dich, was es dir unmöglich macht, zu analysieren, ob er dir deine Geschichte nun glaubt oder nicht. Du zappelst in seinem Griff, doch der Dunkelelf ist dir körperlich überlegen. Außerdem behindert dich deine Hose, die mittlerweile bis zu deinen Knöcheln gerutscht ist.
Mit einem Schnalzen wendet der Elf sein Reittier und der Wolf trabt zurück in die Richtung, aus der er so unerwartet erschienen ist. Dir bleibt nur die Hoffnung, dass dein gellender Schrei deine Gefährten gewarnt hat.
Mit federleichtem Trab schnürt der Wolf durch den Wald, findet sicher einen Weg durch das Unterholz. Es dauert nicht so lange, wie du dir erhofft hattest, da schält sich auch schon der gewaltige Umriss des versteinerten Baumstamms aus dem Zwielicht vor euch. Zu dem Elfen, der dich gefangen hat, gesellen sich zwei weitere, die lautlos aus dem Gebüsch auftauchen. Sie begleiten euch durch die Stadt. Aus ihren spöttischen Stimmen schließt du, dass sie sich über deinen Kleidungsstil lustig machen. Du spürst, wie deine Ohren zu brennen beginnen.
Als du das erste Mal hergekommen bist, warst du bewusstlos, und bei eurer Flucht hattest du wenig Gedanken an die Stadt verschwendet. Jetzt spähst du neugierig in die Häuser. Die Eingänge und Fenster ähneln Rissen in der Borke. Seltsame Pflanzen haben große Teile des Baumstammes überwuchert – es könnten große Pilze und gewaltiges Moos sein, dazwischen wachsen kleinere Bäume, Birken und Tannen, sowie die unterschiedlichsten Büsche und Unkräuter.
Es sind unzählige Häuser, die man dem Holz mit viel Mühe und Liebe abgetrotzt hat, ohne dabei die Struktur des Baumes zu verändern. Eingänge und Hauswände sind verziert, zwischen ihnen wurden Straßen ausgebaut.
Doch trotz der offensichtlichen Sorgfalt, mit der sie errichtet wurden, sind die Häuser verlassen. Du siehst keine Bewohner, keine Lichter und wenn du durch ein Fenster spähen kannst, zeigen sich dahinter nur verlassene Räume.
Die Elfen betrachten dich mit unergründlichen Mienen und registrieren deine Neugier, doch sie kommentieren sie nicht. Ihre Gesichtsausdrücke tragen eine Art grimmigen Trotz. „Ja, sieh hin, Menschenkind“, scheinen sie zu denken. „Sieh, was uns geschehen ist.“
Die Dunkelelfen sterben aus. Du schauderst bei dem Gedanken, was es für sie bedeuten muss, in einer Stadt der Toten zu leben.
°°°
Vor dem Schloss angekommen darfst du endlich auf den Boden und deine Hose verschnüren. Diesmal bringt man dich nicht in den Kerker. Stattdessen führen die Elfen dich durch ein großes Tor in eine gewaltige Halle im ausgehöhlten Baumstamm. Durch unzählige Fenster, Risse in der Rindenwand, fallen unregelmäßige Lichtflecke in den Thronsaal. Ein hochgewachsener Elf mit einer Krone auf dem roten Haar sitzt auf einem erhöhten Sitz. Hinter der Lehne und zu Füßen des Throns sitzen unzählige Mädchen und junge Frauen, die wenig oder keine Kleidung tragen. Du erkennst Elfinnen, Menschenfrauen und sogar ein Hobbitmädchen, viele andere Rassen kennst du nicht. Ihnen gemeinsam ist eine entrückte Schönheit und ein Halsband, das mit einer Leine am Thron befestigt ist.
Du wirst grob vor den Thron gezerrt, der Elf packt deinen Arm genau über der Pfeilwunde und kümmert sich nicht um deinen Schmerzlaut. Er wirft dich auf den kalten, harten Boden vor dem Thron.
Die Elfen reden in ihrer eigenen, zischenden Sprache. Allyster hat dir bereits ein paar kurze Sätze in der Sprache der Elfen von Kalynor beigebracht, ein paar Worte erkennst du wieder, obwohl die Dunkelelfen einen eigenen Dialekt sprechen.
Doch die Worte, die du aufschnappst, geben dir keine neuen Einsichten.
„Dein Name?“, fragt der König plötzlich und beugt sich im Thron vor. „Wie nennt man dich?“
Du schluckst überrascht. „Aji.“
„Aji“, wiederholt der König. „Du bist … wie sagt man? … kleiner Trieb. Das Gift hat deine Wurzel, nicht die Blätter. Du verstehst?“
Zu deiner Überraschung verstehst du wirklich, wenigstens ein bisschen. „Ihr meint, ich bin jung“, sagst du geradeheraus. „Dass ich noch nicht stark unter dem Einfluss der Anderen stehe.“
Der König nickt erfreut. „Du kannst ... rein werden, junger Mensch. Sag mir nur ... sag mir, was euer Begehr in meinem Land.“
Der König redet altmodisch und kompliziert, er muss eure Sprache vor langer Zeit gelernt haben, oder von Lehrmeistern und Büchern, die allesamt sogar älter als Allyster sind. Trotzdem verstehst du, was der König sagen will. Wut steigt in dir auf.
„Ich verrate meine Freunde nicht!“, brüllst du. Der Elf, der immer noch neben dir steht, schnappt entsetzt nach Luft und schlägt dich so, dass du auf den Boden fällst. Du hältst dir die brennende Wange und funkelst den König immer noch respektlos an.
„Verdorben. Wurzel, Stamm und Blatt verdorben.“ Der König schüttelt den Kopf und gibt dann einem Elf, der sich bisher im Schatten am Rand des Thronsaals hielt, einen kurzen Befehl.
Aus dem Schatten tritt ein hochgewachsener Elf in langen, schwarzen Gewändern. Nach einigem Hinsehen erkennst du, dass es sich um eine Elfe handelt. Sie tritt auf dich zu und zückt einen gezackten Dolch. Du starrst auf die Klinge, während sie näher kommt. Als sie sich über dich beugt, fällt aus ihrem tiefen Ausschnitt ein Stein an einer langen, silbrigen Kette. Der Steine hängt um ihren Hals und pendelt hypnotisch vor deinen Augen. Er hat die Farbe von tiefem Purpur und einen eigenartigen Schimmer, von dem sich dir sämtliche kleinen Härchen aufrichten. Sogar die tödliche Klinge vergisst du.
Die Elfe legt den gezahnten Dolch an deinen Hals. Du weichst zurück, doch der Elf, der dich gefangen hat, hält dich an den Haaren fest. Die Elfe erhöht den Druck des Dolchs und atmet zischend aus.
Du weißt, dass die Elfe dich im nächsten Moment töten wird und versuchst, dich für die Angst und den Schmerz zu wappnen. Doch all dein Mut kann dich nicht auf das Gefühl vorbereiten: Das Ziehen, als die Klinge mit einer einzigen, raschen Bewegung durch deine Kehle schneidet. Die kribbelnde Kälte, die deinen Körper erfasst. Dann das warme Blut, das schwer und nass auf deine Brust sprudelt, im Rhythmus deines panischen Herzschlags.
Du willst schreien, doch nur Blasen von Blut dringen aus deinem Mund. Dir wird eisig kalt, als würde dich jede Wärme verlassen. Mit einer hilflosen Bewegung greifst du nach dem leuchtenden Stein, der dich wie magisch anzieht. Die Elfe lässt geschehen, dass sich deine Faust um den Stein schließt.
Es ist der Schöpferstein der Dunkelelfen. Du spürst die Kälte, die brennend in deine Haut fährt. Der Thronsaal füllt sich mit Schwärze, nur die Elfe bleibt, dann schwindet auch sie und nur der Stein leuchtet, der Ametrin, der Stein der Toten.
Dies ist kein Canon-Ende, deshalb gibt es hier keine Fortsetzung.
Für das Canon-Ende musst du im Wald um Hilfe rufen.
Vielen Dank für's Lesen und viel Spaß beim Weiterspielen!