Du bist Arthrax Sundergeer.
Du steigst auf und galoppierst mit Elred davon. Hinter euch erhebt sich das Wutgeheul der Orkarmee. Eure Pferde schnauben und sprengen, die Ohren angelegt, vorwärts. Elreds Falbe hängt dich bald ab, doch immerhin ist dein Kaltblut schneller als die Orks, die außer Atem geraten und zurückbleiben.
Ihr lasst die Zeltreihen hinter euch zurück und reitet auf den Mond zu, der hell über dem kargen Orkland steht.
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Als Elreds Pferd vor dir kaum mehr als ein kleiner Schatten im flachen Wüstenland ist, wechselt das Tier in den Trab und schließlich in den Schritt. Dein Kaltblut schnauft schwer und ist schweißüberströmt, als du den Elfen endlich einholst.
Elred wirft einen Blick nach hinten und du machst es ihm nach. Was ihr seht, ist nicht gerade ermutigend: Die Orkarmee, eine Ansammlung winzig kleiner Punkte wie Ameisen am Horizont, folgt euch.
„Wir haben nicht viel Zeit“, meint Elred sorgenvoll.
„Sag bloß“, brummst du. „Sie haben erkannt, dass wir zurück wollen. Wir sitzen in der Falle! Das Ganze war von Anfang an eine beschissene Idee!“
„Es ist die einzige Idee, die wir haben!“, gibt Elred scharf zurück. „Du hattest ja wohl keinen besseren Plan, oder?“
Du zuckst mit den Schultern und siehst nochmals zu der Armee zurück. Die Orks sind langsamer als eure Pferde, aber sie kennen euer Ziel. Wenn ihr erst einmal in Orkstadt seid, werden sie euch nicht entkommen lassen.
Du fragst dich, ob Brenna jemals erfahren wird, was euch zugestoßen ist. Basierend auf Elreds letzter Nachricht wird sie es sich wohl denken können – verschollen im Orkland auf der Suche nach einem Schöpferstein. Aber die volle Wahrheit wird sie nie erfahren, wird nicht wissen, wie nah ihr der Freiheit schon wart, bevor ihr umgekehrt seid.
Du stößt einen leisen Seufzer aus und richtest den Blick wieder nach vorne. Im Reiten ziehst du deine Axt hervor und beginnst, das Blut von der Klinge zu wischen.
„Danke übrigens“, sagst du nach einer Weile, ohne aufzusehen.
„Was?“, fragt Elred.
„Danke. Du hast mir das Leben gerettet. Mindestens einmal.“
Du siehst aus dem Augenwinkel, wie der Elf dich anstarrt. Dann gluckst das Spitzohr amüsiert. „Ja, aber ich hätte nicht gedacht, dass du dich daran erinnern könntest. Ich dachte eher, dass du solche Kleinigkeiten sofort verdrängt hättest.“
„Hör mal, mir ist klar, dass ich ohne dich wahrscheinlich tot wäre. Danke. Kein Grund, mich gleich zu verspotten!“, gibst du durch zusammengebissene Zähne zu verstehen.
Der Elf kichert leise vor sich hin. „Immer wieder gerne, Arthrax.“
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Die Sonne brennt schon bald erbarmungslos heiß vom Himmel. Ich reitet schweigend nebeneinander her. Als dein Pferd nicht mehr wie ein Blasebalg schnauft, beschleunigt Elred euer Tempo. Bald ist die Orkarmee nicht mehr zu sehen, doch du weißt, dass sie immer noch hinter euch ist.
Schließlich kommt Orkstadt erneut in Sicht, genauso verwinkelt und chaotisch wie bei deinem ersten Besuch. Verschiedene düstere Gedanken schwirren dir im Kopf herum, als ihr in den Schatten der unzähligen Burgmauern eintaucht.
Orkstadt ist verlassen, allerdings nicht so verlassen, wie ihr es euch wünschen würdet. Aus irgendeinem Grund sind noch genug Orks hier geblieben, dass ihr ständig in eine Seitengasse oder einen Hinterhof hechten müsst, um nicht von Patrouillen bemerkt zu werden. Bald wünscht du dir die unbequeme Orkrüstung zurück, doch die hat man euch abgenommen. Obwohl Elred betont, dass die Pferde euch genug Geschwindigkeit verleihen, um im Notfall fliehen zu können, kannst du nicht umhin zu bemerken, dass Geschwindigkeit in den engen, verwinkelten Gassen möglicherweise nicht die beste Option ist.
Durch irgendein Wunder haltet ihr bis zum Abend durch, doch dann erklingen Hörner an den Außenmauern. Elred und du, die ihr euch gerade auf einen kleinen, dreieckigen Platz zwischen mehreren vermoosten Mauern versteckt, wechselt einen Blick.
„Ich denke mal, das ist die Armee“, meint Elred.
„Sie sind hier?“, fragst du überflüssigerweise.
Elred nickt. „Sobald sie bei ihrem König sind, wird man uns suchen. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.“
Ihr seht beide zu der großen Burg im Inneren von Orkstadt, wo der König lebt. Dort irgendwo wird der Schöpferstein sein. Und dorthin ziehen nun auch sämtliche Orks, die von eurem spektakulär irrsinnigen Eindringen wissen.
„Wir müssen in die Burg“, beschließt Elred.
„Das hier ist unsere letzte Möglichkeit, umzudrehen und mit dem Leben davonzukommen!“, hältst du dagegen.
Elred sieht dich kopfschüttelnd an. „Tönst du nicht immer so rum, dass du vor nichts und niemandem Angst hast, Krieger?“
„Das schließt Selbstmord nicht mit ein!“, zischt du. „Lass uns abhauen.“
„Dafür ist es jetzt ein wenig spät, nicht wahr?“ Elred hat nicht ganz Unrecht: Nun seid ihr schon durch das Heerlager geschlichen und habt eine wunderbare Gelegenheit zur Flucht verschenkt. Jetzt genau das Gleiche in die andere Richtung zu vollziehen, ergäbe wenig Sinn. Doch ansonsten rennt ihr geradewegs in die Arme des Orkkönigs und seines Heeres. Man wird euch zwischen euren Verfolgern und den übrigen Einwohnern von Orkstadt zermahlen wie zwischen zwei Mühlsteinen.
Als Elred dich ansieht, blitzt zum ersten Mal etwas in seinem Gesicht auf, das in deinen Augen einer Emotion am nächsten kommt – als würde der Elf seine stoische, spöttische Maske für einige Sekunden fallen lassen. Er sieht unsicher aus.
„Wir brauchen den Schöpferstein, oder? Was sollen wir tun?“
Er fragt dich nach deiner Meinung. Und plötzlich weißt du, dass er tun wird, was immer du sagst – vielleicht etwas verspätet, aber er wird dir gehorchen.
Du entscheidest dich …
- … in die Burg einzudringen, allen Gefahren zum Trotz. Lies weiter in Kapitel 22.
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- … Orkstadt und Orkland auf dem schnellsten Weg zu verlassen. Lies weiter in Kapitel 23.