https://www.deviantart.com/ifritnox/art/698130162
Über ihnen brach Tumult aus. Zwerge schrien wild durcheinander, eine tiefe Stimme bellte Befehle.
Jackie ließ sich nach vorne fallen und verwandelte sich. Ihre Knochen verformten sich, Fell spross aus jeder Pore. Sie schrie, und der Schrei wurde zu einem langgezogenen, wütenden Heulen.
Sie schüttelte die Kleidung vom Leib.
»Durch den Tunnel!«, ertönte Iljans Schrei. Der Vampir winkte sie aus der Mitte des Raums heraus. Oben erschienen die behelmten Köpfe von Zwergen in der Deckenöffnung. Armbrustbolzen pfiffen durch die Luft.
Jackie raste über den Boden. Sie roch Rauch und Blut, der Geruch weckte ihre Raserei. Nach oben, immer höher, nur raus aus der Hölle – zum Kampf, zum Töten!
Ihr Herz schlug wie wild. Eine Art roter Schleier legte sich über ihre Augen, schränkte ihr Gesichtsfeld ein. Ihre Sinne konzentrierten sich auf das Blut, das sie riechen konnte.
Ihre Kiefermuskeln arbeiteten, während sie rannte. Lautes Rauschen füllte ihre Ohren, sie hörte nicht mehr, ob die anderen ihr noch folgten.
Mit weiten Sprüngen hetzte sie den Tunnel hinauf, dann brach Jackie auf der Öffnung und in die Halle. Es waren vielleicht zwanzig Zwerge anwesend, eine Wachgruppe. Am Rand der gigantischen Höhle, dort, wo der Seilzug in die Tiefe führte, zur Goldgrube, lag ein roter Kadaver in einer Pfütze schwarzen Blutes.
Jackie sah den Armbrustbolzen aus dem Auge des Drachen ragen. Ein Zwerg stand mit einem Speer über dem leblosen Körper, stach in den Hals und die Brust, prüfte den Blutfluss.
Jackie sprang den Zwerg an. Er hörte sie kommen und wirbelte mit dem Speer herum, aber Jackie wich der schwankenden Spitze der Waffe aus. Sie ging dem Zwerg direkt an den Hals. Erst dann merkte sie, dass sie den Maulkorb noch trug. Sie konnte das Maul kaum öffnen, mehr als ein rasenden Knurren brachte sie nicht zusammen. Der Zwerg schleuderte sie von sich und warf den Speer. Jackie sprang zur Seite und warf sich wieder auf den Zwerg. Sie zerkratzte die abwehrend erhobenen Arme mit den Krallen. Wie wild schüttelte sie den Kopf, wollte den Maulkorb loswerden, diesen Käfig um ihr Gesicht.
Sie wollte töten, wollte Blut schmecken. Sie wollte Rache für Askook.
In der Höhle herrschte bereits Chaos. Cary lief, einen Pfeil auf der Sehne, neben Merkanto. Der Magier kämpfte gegen die Fesseln um seine Handgelenke, die seine Magie unterdrücken sollten. Schon rannten die Zwerge auf sie zu, bewaffnet mit Hellebarden, Piken und Lanzen, und mit Grubengeräten: Spitzhacken, Lampen, Spaten – was sie hatten finden können.
Cary duckte sich, als eine brennende Lampe aus sie zu geflogen kam. Dann schoss sie dem Zwerg einen Pfeil ins Knie und versuchte, den gequälten Schmerzensschrei zu ignorieren. Ihr Herz raste. Die Ereignisse rissen sie mit sich, und es blieb keine Chance für die Frage, ob sie das Richtige tat.
Ein Zwerg rannte auf sie zu. Cary schoss, verfehlte den Angreifer. Sie wich zurück, da sprang Merkanto nach vorne und ließ die Hände mit den schweren Fesseln auf den Kopf des Zwerges nieder sausen. Der Zwerg brach zusammen.
Cary zückte ihren Dolch und hieb mit aller Kraft aus Merkantos Fesseln ein. Der Magier fuhr zusammen, da durchbrach Carys Klinge den Stahl.
Sie wandte sich um, denn auf der anderen Seite der Halle ertönte ein hohes, schrilles Jaulen.
Jackie war, in ihrer Wolfsform, von drei Zwergen in die Enge getrieben worden. Die Zwerge scheuchten die Werwölfin mit ihren Speeren rückwärts, geradewegs in einen feurigen Lavasee. Jackie war mit einer Pfote in den geschmolzenen Stein getreten. Jetzt stand sie am Ufer, sah drei Speerspitzen auf sich gerichtet und hatte die Ohren angelegt.
Cary zog die Federn des nächsten Pfeils bis zum Auge. Sie sah über den Pfeil, einen Moment verlangsamte sich die Welt für sie. Durch die Halle, über den Kampf hinweg, fing sie Jackies Blick auf, sah genau in die grünen Augen.
Jackie erstarrte und Cary schoss.
Der Pfeil drehte sich im Flug, wurde von einer Luftströmung abgelenkt, tanzte und trudelte. Die Spitze zeigte genau auf Jackies Stirn. Die Wölfin riss den Kopf zur Seite und nach oben, und die Steinspitze durchschlug sauber den Lederriemen, der ihren Maulkorb trug. Der Pfeil riss auch ein Fellbüschel ab und landete im Lavasee.
Jackie stieß ein Brüllen aus und stürzte sich auf den ersten Zwerg, biss dessen Speer glatt entzwei.
Eine Bewegung kurz vor ihren Augen erinnerte Cary daran, dass auch sie im Kampf war. Ein Zwerg war mit einer Axt vor ihr aufgetaucht und hieb nach ihrem Bogen. Cary sprang nach hinten, rollte elegant über den Stein und kam auf die Füße.
»Ich bringe dich um!«, rief der Zwerg, rasend vor Wut. »Du Hure, du Mörderin!«
Cary erkannte Torkan, den jungen Zwerg mit dem kurzen, schwarzen Bart.
»Du hast meinen Vater umgebracht!«, brüllte Torkan, gänzlich außer sich, und hieb mit der großen Axt auf den Boden. Cary entging der Schneide nur mit Mühe. Als sie aufsprang, stieß sie mit dem Kopf gegen einen Felsen – sie saß in der Falle!
Vor ihren Augen verschwamm die Welt, Torkan wurde zu einem undeutlichen Schemen, die Axt war kaum zu sehen, Cary hörte nur das Singen, mit dem das Metall durch die Luft wirbelte.
Dann war plötzlich ein schwarzer Schatten vor ihr, ein dunkler Strich in der düsteren Höhle. Ein leises Fauchen erklang.
Cary schüttelte den Kopf, blinzelte und konnte wieder klar sehen. Sie starrte auf den Rücken Iljans, der die Axt mit der erhobenen Hand abgewehrt hatte. Die Schneide war dem Vampir tief in den Arm gedrungen, schwarzes Blut quoll daraus hervor. Iljan stieß den unverletzten Arm nach vorne und hob Torkan am Hals in die Höhe. Cary konnte die aufgerissenen Augen des Zwergs sehen, direkt über dem kurzen Bart. Torkan zappelte mit den kurzen Beinen, ließ die Axt los.
Iljan schleuderte den Zwerg zur Seite, gegen eine Felswand, wo der Angreifer bewusstlos in sich zusammen sackte.
Dann riss Iljan die Axt aus seinem Arm und gab einen weiteren fauchenden Schmerzlaut von sich.
Cary sprang nach vorne. »Iljan! Ist alles in Ordnung?«
Eine überflüssige Frage: Sie konnte den zerschnittenen Knochen sehen, durchtrennte Sehnen zuckten in der Wunde, bevor dickflüssiges Blut alles überdeckte. Iljan hielt seinen Arm, der sich nicht bewegen wollte, und ging in die Knie.
Schon rannte der nächste Zwerg auf sie zu. Cary legte einen Pfeil auf und stellte sich vor Iljan.
Stella spürte es schon eine ganze Weile. Sie galoppierte aus dem Gang, spürte den Wind in der Mähne und rannte durch die Höhle.
Sie kämpfte gegen die Zwerge, teilte Hufschläge in jede Richtung aus. Diese Wesen hatten sie angezündet! Kochende Wut beherrschte Stella.
Sie bäumte sich wiehernd auf. Sie konnte es spüren: Die nächste Verwandlung, den brodelnden Schmerz im Inneren, und dieses Gefühl, als würden Käfer unter ihrer Haut krabbeln.
Sie erkämpfte sich einen freien Platz, indem sie die Zwerge buckelnd auf Abstand hielt.
Dann ließ sie die Verwandlung zu.
Feuer brach aus ihrem Herzen hervor. Es ging schnell, wie eine Explosion. Im nächsten Moment bestanden Mähne und Schweif aus Flammen, die nach oben leckten, ebenso die Fesseln über den Hufen. Plötzlich brannten ihre Augen in goldenem Feuer und sie schnaubte Qualm.
Stella stieß einen lauten, wilden Schrei aus, warf den Kopf hin und her, bäumte sich auf und stieß das Horn nach vorne. Feuer brach aus der Hornspitze, ein fauchender Strahl, heiß und blau.
Zwerge schrien – für einen Moment. Stella drehte sich um Kreis, das Feuer verbrannte alle, die nicht rechtzeitig zur Seite sprangen. Selbst Najaxis erwischte sie, und der Inkubus warf schreiend das brennende Hemd ab.
Stella bäumte sich auf und stieß die Hufe donnernd auf den Boden. Feuer breitete sich ringförmig um sie aus. Die Flammen sprangen auf die Holzbrücken über ihr, leckten über die Stützbalken.
»Raus!«, rief Iljan in diesem Moment. »Raus, alle!«
In der Mitte der Höhle loderte Stella. Das Einhorn war in eine Flammensäule gehüllt, vor Hitze flimmerte die Luft.
Merkanto hielt sich einen Ärmel der Robe vor den Mund und stolperte zum Ausgang. Die Kinder der Sonne drängten nach draußen, aber gleiches galt für die Zwerge. Es waren nicht mehr besonders viele übrig. Die meisten trugen Verletzte auf dem Rücken, nur einer stellte sich Merkanto aktiv in den Weg.
Es war Kanmack, der weißbärtige, großgewachsene Aufseher. Er hielt eine lange Hellebarde in den Händen, deren gespaltenes Blatt er auf Merkanto richtete.
»Es endet hier, Zauberer!«, knurrte der Zwerg schwer atmend. »Ihr habt meinen Sohn getötet, und beinahe meine Enkelin – jetzt sterbt ihr!«
Kanmack stieß zu, Merkanto sprang nach hinten und drehte sich zur Seite. Die Schneide der Hellebarde kratzte trotzdem über seine Brust, er spürte den Schmerz, der durch seinen Körper schoss.
Instinktiv griff er zu, berührte mit den Fingern das metallene Blatt.
Ein Funke sprang über die Schneide, den Stil entlang und traf Kanmacks Finger. Der Zwerg wurde zurück gerissen und schlug in eine Felswand. Rauch stieg von ihm auf, einzelne Glieder zuckten noch. Der Körper war schwarz verbrannt. Merkanto sprang über ihn hinweg und lief den flüchtenden Zwergen nach.
Sie erreichten den Haupttunnel, als hinter ihnen lautes Getöse entstand. Iljan taumelte gegen eine Felswand und presste den verwundeten Arm gegen die Brust. Er hörte das Donnern, mit dem die Höhle hinter ihnen zusammen brach, als die Stützbalken verbrannten. Immer noch drang dichter, schwarzer Qualm aus der Erde, folgte ihnen durch den Tunnel. Jackie hustete, Najaxis taumelte und weinte im Gehen.
Stella trabte voran, den Kopf hoch erhoben, eine feurige Leuchtfackel. Die Zwerge wichen dem brennenden Einhorn aus, starrten die Kinder der Sonne an wie Gespenster. Sie liefen weiter, warteten nicht darauf, dass die Zwerge ihren Schock überwanden und angriffen.
Sie bogen in den geheimen Tunnel ein, folgten dessen Verlauf fort von der Höllenhöhle.
Iljan hätte gerne eine Pause gemacht. Er spürte den Blutverlust überdeutlich, er merkte, wie er unkonzentriert wurde.
Sie durften nicht anhalten. Sie mussten den Zwergen entkommen, möglichst viel Land gewinnen, bevor sie eine Pause machten.
»Hier lang«, rief Cary vorne. Sie hatte mit Stella die Führung übernommen. Iljan taumelte hinterher, versuchte nur noch, Schritt zu halten.
Plötzlich gab es Tumult vor ihnen. Zwerge schrien. Stella wieherte still, Feuer fauchte. Cary schoss ein paar Pfeile.
Sie erreichten eine kleine Kaserne, von der eine gewundene Treppe nach oben führte. Auf dem Boden lagen mehrere tote Zwerge.
Iljan hielt inne. Er roch Blut.
Sein Blick wurde von der Wunde eines der Zwerge angezogen, den Carys Pfeil mitten ins Auge getroffen hatte. Sein Magen meldete sich, die Zähne wuchsen in die Länge. Blut. Er brauchte Blut, um sich zu heilen.
»Iljan – wir müssen weiter!«, sagte Jackie leise. Sie stand als Mädchen hinter ihm. Er konnte sie spüren, konnte riechen, wie sie ihre Hand nach ihm ausstreckte und dann zögerte. Ihr Herz schlug hoch, verstärkte ihren aromatischen Blutgeruch.
»Sie hat Angst vor mir«, erkannte Iljan und fühlte sich furchtbar.
Er riss sich von dem Anblick des toten Zwergs los und rannte weiter, die Treppe hinauf, inzwischen atemlos.
Oben erreichten sie Schienen. Cary führte sie zu mehreren großen Wagen aus Metall, die am oberen Ende der stark geneigten Schienen standen.
»Da rein«, keuchte sie. Iljan sah zu, wie sie sich mit der schweren Kette abmühte, die die Wagen an der Stelle hielt. Die Kette ließ sich nicht lösen. Er kletterte ungeschickt in einen der Wagen, die anderen ebenfalls. Cary kämpfte mit der schweren Kette.
Iljans Augen fielen zu. Er riss sie wieder auf.
Aus dem Nichts war Terziel hinter Cary erschienen. Der Engel hob das Schwert hoch über den Kopf.
Iljan konnte nichts sagen. Die Klinge sauste herunter, traf die Metallkette, durchschlug sie.
Cary sah auf.
»Los. Flieht«, sagte Terziel und stieß Cary in den letzten der drei Wagen, die jetzt, aneinander gebunden, losrollten. Die Wagen wurden schneller. Terziel blieb zurück, sah ihnen hinterher.
Plötzlich begann der Engel zu Laufen, schlug mit den weißen Flügeln. Die Wagen wurden schneller. Terziel flog hinterher, streckte eine Hand aus.
Abarax beugte sich vor, ergriff den Arm des Engels, zog ihn in den hintersten Wagen. Niemand sprach. Die Wagen rumpelten bergab, durch einen langen, geraden Tunnel.
Nach und nach fielen ihnen die Augen zu, selbst denen, die übermenschlich stark waren, die unempfindlich gegen Erschöpfung sein sollten.
In Iljans Kopf herrschte Leere. Askook war tot. Sein Arm völlig zerstört, obwohl die Wunde heilen würde. In seinem Kopf pochte Schmerz.
Er bekam kaum noch mit, wie Merkanto seinen Arm mit einem Stück Stoff verband, er sah wie im Traum Stellas Feuer verlöschen.
Die Wagen rollten in die Dunkelheit, und die Dunkelheit tauchte in Iljan hinein und löschte alle anderen Gedanken aus.
Sie waren entkommen, doch zu welchem Preis?