Nach dem Lacrosse Training machte er es sich auf seinem Bett bequem und zog seinen Laptop zu sich heran.
Er schaute in seinen Emails nach und fand eine Neue von James vor.
Es war nur eine Nummer, ohne Kommentar.
Mit zitternden Händen tippte er die Handynummer in sein Telefon ein und speicherte sie unter „James“.
Minutenlang schwebten seine Finger über dem Anrufbutton und bis er ihn drückte.
Es klingelte in der Leitung und insgeheim hoffte er, dass der Junge am anderen Ende nicht abnahm oder dass es eine falsche Nummer war.
Als dann auf einmal eine Stimme erklang, liess er das Handy vor Schreck fallen.
„Alles okay?“, fragte James ihn, als er das Telefon wieder in der Hand hatte.
»Ja ich habe mein Handy fallen lassen«, murmelte er und wurde rot.
»Wieso das?« Er hörte ein leises Lachen von James.
»Ich war überrascht wie deine Stimme klingt.« Mittlerweile war er rot bis unter die Haarwurzeln.
»Aha?«
»Ich war überrascht, dass du abgenommen hast«, murmelte Noe.
»Ich kann auch wieder auflegen«, meinte James.
»Nein, nein. Ich habe irgendwie gehofft, dass du abnimmst und irgendwie auch wieder nicht.«
»Was hast du heute so gemacht?«, wechselte der Andere das Thema, da er spürte wie unangenehm Noe die ganze Situation war.
»Schule und Lacrosse. Du?«
»Schule, Rugby und Freunde getroffen.«
Er fragte sich wer wohl mit »Freunde« gemeint war.
»Und steht die Küche noch?«, fragte Noe grinsend.
»Jaa«, antwortete James fast traurig. »Romy ist reingekommen und hat mich aus der Küche geschickt.«
»Romy?«
»Meine ältere Schwester.«
»Leia und Kevin haben noch mehr Blödsinn im Kopf als du«, meinte Noe.
»Sind das deine jüngeren Geschwister?«
»Ja. Zwölf-Jährige diabolische, freche Zwillinge.«
»Du bist ihr Streicheopfer stimmt’s?«
»Hör auf schadenfreudig zu grinsen«, knurrte der Blonde ins Telefon.
»Tu ich nicht.«
»Lügner.«
James stiess ein tiefes Lachen aus und erwiderte: »Ich glaube, ich könnte den beiden noch ein paar Tipps geben.«
»Wehe!«
Noe setzte sich auf sein Bett und lauschte der Stimme am anderen Ende. Die Worte kamen ganz von selbst. Die beiden vergassen völlig die Zeit und als seine Mutter zum Abendessen rief, konnte Noe sich kaum vom Telefon lösen.
»Ich muss gehen. Es gibt Essen.«
»Ja gut. Ich geh’ dann auch mal in die Küche...«, antwortete James verheissungsvoll.
Mit einem Lachen beendete er das Gespräch und legte sein Handy auf sein Bett.
»Na wie geht’s dir?« Seine Mum lächelte ihn über die Schulter an, während sie in einem Topf umrührte.
»Gut. Bisschen müde, aber sonst geht es.« Er nahm das Besteck und die Teller und deckte den Tisch.
»Wo sind die Zwillinge?«
»Die sind noch drüben bei den Jones’«, antwortete sie.
Das Grinsen, das sich auf seine Lippen schleichen wollte, versuchte er so gut wie möglich zu unterdrücken.
Aber es gelang ihm nicht richtig.
»Wieso lächelst du so?«, fragte sein Dad als er die Küche betrat.
»Einfach.« Der Blonde strich sich eine Haarlocke aus den Augen und wich dem Blick seiner Eltern aus.
»Mhm...Nichts also?«
»Dieses nichts heisst nicht zufällig James?«
»Dad hör auf«, murmelte er und seine Wangen verfärbten sich rot.
»Du weißt, dass du uns den Jungen vorstellen kannst? Wir unterstützen dich in allem, was du tust«, meinte seine Mutter.
»Ja, aber ich habe ihn noch nicht einmal selbst getroffen. Ich weiss nicht, ob ich dafür schon bereit bin.«
»Das wissen wir. Wir wollen nur, dass du weißt wie sehr wir dich lieben.«
Die blauen Augen füllten sich mit Tränen, die er versuchte zurückzuhalten. Seit Kyo nicht mehr hier war, waren seine Eltern sehr feinfühlig ihm gegenüber.
»Ich weiss.«
»Kevin lass mich los«, schrie Leia und schlug die Tür hinter sich zu. Die beiden Erwachsenen und Noe drehten sich zu den beiden zankenden Zwillingen um. Kevin hatte seine Schwester an der Jacke gepackt und hielt sie fest.
Sie schlug ihm in den Bauch und er stöhnte. Der Junge zog seiner Schwester an den dunklen Haaren, bis sie kreischte.
»Lasst euch in Ruhe ihr zwei«, versuchte John seine Kinder zu beruhigen.
Die beiden liessen nicht voneinander ab und prügelten weiter auf sich ein. Leia lag unter ihrem Bruder und versuchte sich zu befreien.
Noe schritt dazwischen und trennte die beiden. Er zog das Mädchen ins Wohnzimmer, während sein Vater auf Kevin aufpasste.
»Was ist passiert?«
»Er hat gesagt, dass ich in Jeremy verliebt bin«, schluchzte Leia. »Aber das stimmt nicht!«
»Ganz ruhig.« Er strich ihr die Haare aus dem Gesicht und nahm sie in den Arm.
»Ihr könnt euch an den Tisch setzen, es gibt Abendessen«, erklang Mums Stimme hinter ihnen.
Alle fünf liessen sich auf ihre Stühle sinken, während die Zwilling sich schweigend böse anstarrten.
»Ich bin nicht in ihn verliebt«, murmelte die Zwölfjährige leise.
»Du lügst«, brummte ihr Bruder.
»Nein tu ich nicht!« Ihre braunen Augen blitzten wütend auf.
Noe wollte einen beschwichtigenden Kommentar einwerfen, doch er liess es bleiben.
»Doch! Genau wie Noe, wenn er sagt, dass er nicht in James verliebt ist.« Kevin schaute seine beiden Geschwister strafend an.
»Ich denke wir sollten das Ganze ruhen lassen.« Evelyn tauschte einen Blick mit ihrem Mann.
Doch ihre Kinder beachteten sie nicht und starrten sich alle gegenseitig grollend an.
»Ich bin nicht in James verliebt«, knurrte Noe. Seine blauen Augen verzogen sich zu Schlitzen. Er hatte es so satt, dass ihm die Leute unterstellten, dass er in James verliebt sei.
»Doch!«
»Nein!«
»Weißt du was ich glaube Noe?«, fragte Kevin seinen älteren Bruder.
»Nein. Aber es interessiert mich auch nicht.« Eigentlich versuchte er sich möglichst nicht mit seinen Geschwistern zu streiten.
Er war immer der Ruhige.
Der Vernünftige.
Aber heute gingen ihm alle gehörig auf den Wecker.
»Ich glaube, dass du immer noch in Kyo verliebt bist. Aber du bist auch in James verliebt. Du hast Angst, dass es auch mit James in die Hose geht.«
Sein Bruder hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.
Er hatte Angst.
So verdammt viel Schiss.
»Jungs! Hört auf, oder ihr geht alle beide ohne Abendessen ins Bett«, zischte ihre Mutter.
Die beiden Jungen waren ruhig, gifteten sich aber weiter mit Blicken an.
Der Rest des Abendessens verlief schweigend. Die Stimmung war im Keller und niemand wollte etwas sagen, entweder um zu verhindern, dass ein weiterer Streit vom Zaun brach oder weil sie schmollten.
Nach dem Essen ging Noe nach oben in sein Zimmer und legte sich aufs Bett. Während er an die weisse Decke starrte, gestand er sich ein, dass Kevin Recht hatte.
Er war sowohl in Kyo als auch in James verliebt.
Aber er fürchtete sich davor etwas mit James anzufangen.
Noe konnte nicht noch einen weiteren Verlust ertragen.
Vor fast acht Monaten war sein Freund, Kyo, bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Der Verlust sass ihm immer noch tief in den Knochen.
Im einen Moment war er noch da und im nächsten nicht mehr.