Du bist Arthrax Sundergeer.
Du zögerst, während du zu den näherkommenden Orks siehst.
„Wir sollten uns besser verstecken. Wenn wir reiten, erkennen sie uns!“, rätst du Elred.
Der Elf starrt dich an, also packst du ihn kurzerhand an der Schulter und zerrst ihn hinter eine flatternde Zeltbahn. Elred zieht die Pferde hinter sich her.
Wenig später wimmelt es am Kampfplatz vor großen, grunzenden, grünhäutigen Kreaturen. Sie strömen von allen Seiten heran und streiten in ihrer rätselhaften Sprache, die nach Tierlauten klingt. Ihr beide duckt euch tiefer in den Schatten der Zeltbahn, ehemals die Seite eines Zeltes, die allerdings von einem Axthieb getroffen und zerschnitten wurde.
Es werden immer mehr Orks, einige kommen eurem Versteck erschreckend nah. Dein Kaltblut schnaubt nervös und verräterisch laut. Elred legt langsam einen Pfeil auf die Sehne und wirft dir von der Seite einen Blick zu, der dir vorwurfsvoll erscheint.
„Was ist hier los?“, grunzt ein großer Ork, der gerade eintrifft, in der Gemeinsprache.
„Gab 'nen Kampf“, antwortet einer der kleineren Orks.
„Und?“, fragt der Große.
„Und wir suchen die, die überlebt haben!“, zischt ein anderer Ork.
„Falls jemand überlebt hat“, meldet sich ein anderer mit schleimiger Stimme.
„Sieht nicht so aus“, knurrt der große Ork und dreht einen der Toten mit seiner Axt um. „Ich versteh die Aufregung nicht, son Kampf passiert bei euch Hundesöhnen doch öfters!“
„Das waren nicht unsere Jungs, die gehören zu Mokk!“, stellt der mit der schleimigen Stimme eilig richtig.
„Mir egal. Hier ist jetzt Ruhe!“, grollt der Große. „Verpisst euch und sauft eure Scheiße, die ihr Bier nennt!“
Die Orks zerstreuen sich tatsächlich zu verschiedenen Lagerfeuern und lassen dich, Elred und die Pferde alleine mit den Toten zurück.
„Hätte nicht gedacht, dass das funktioniert“, raunt der Elf staunend.
„Scheiße, war das knapp!“ Du atmest aus und sackst nach vorne, als die Anspannung aus deinem Körper weicht. Jetzt beginnen deine Knie zu zittern.
Elred schleicht geduckt aus eurer Deckung heraus, den Bogen noch halb gespannt. Dann geht er zu den Toten und zieht seine Pfeile aus den Leichen, überprüft sie und steckt die intakten in seinen Köcher.
„Dass sie meine Pfeile nicht erkannt haben“, murmelt er zu sich. „Das hätte in die Hose gehen können.“
„Ist es aber nicht“, brummst du und stapfst auf den Pfad zurück.
„Oder sie hätten die Hufabdrücke bemerken müssen – bist du sicher, dass es keine Falle war?“, fragt Elred.
„Was für eine Falle?“
„Na, ich meine – sie wiegen uns in Sicherheit, lassen uns glauben, dass wir davonkommen, und kommen gleich aus den Zelten gestürmt. So eine Falle.“ Elred späht misstrauisch in die Zelte und nimmt den Pfeil immer noch nicht vom Bogen.
„So intelligent sind Orks nicht“, stellst du fest. „Komm jetzt, bevor sie uns noch durch Zufall erwischen!“
Elred seufzt, nickt und springt in den Sattel. Du mühst dich, deinerseits in den Sattel des Kaltbluts zu gelangen. Nach einer Weile hat Elred wohl Mitleid (oder keine Geduld mehr), reitet zu dir und drückt dich von hinten nach oben.
„Danke“, keuchst du widerstrebend. Dass sich ein ausgewachsener Mann in den Sattel helfen lassen muss! Aber das Kaltblut ist einfach riesig, da kommt auch kein vernünftiger Mensch hoch!
„Lass uns reiten“, sagt Elred.
°°°
Du folgst seinem Falben durch das Lager, das noch für lange Stunden nicht zur Ruhe kommt, während ihr immer tiefer und tiefer ins Orkland eindringt.
„Das war keine schlechte Idee“, sagt Elred unvermittelt.
„Was?“
„Sich zu verstecken. Das war eine gute Idee.“ Der Elf kann es offenbar nur widerstrebend zugeben.
Du akzeptierst sein Lob mit einem Nicken. „Gern geschehen.“
Eine weitere Tagesreise später erhebt sich Orkstadt vor euch über der Ebene. Ihr treibt die Pferde zu einem letzten Galopp an, bis ihr ungesehen in den Schatten der gewaltigen, vielfältigen Burgmauern eintaucht.
Elred lenkt seinen Falben schließlich vor dein Kaltblut und übernimmt damit die Führung. Die eisenbeschlagenen Hufe eurer Tiere klappern laut auf dem Kopfsteinpflaster, während ihr durch die Stadt zieht. Es ist still, Orkstadt scheint vollkommen verlassen. Den ganzen Morgen über begegnet euch keine Orkseele – bis ihr euch schließlich dem Palast nähert.
„Warte!“, sagt Elred, zügelt sein Pferd und hebt in soldatischer Manier eine Hand. Du bremst dein Kaltblut. Die Pferde stehen schnaubend in einer engen Gasse, Stille breitet sich aus.
Dann hörst du, was auch Elred vorher vernommen hat: Lärm. Stimmen. Und etwas, das entfernt an Musik erinnert.
„Wir sollten die Pferde zurücklassen“, schlägt der Elf vor und sieht sich um. „Dort, die Seitengasse. Wenn wir später fliehen müssen, müssen wie nur auf den Turm zurennen und finden unsere Pferde wieder.“
Er führt dich in einen kleinen, schattigen Hinterhof, an dessen einer Seite sich ein markanter Turm erhebt: Ein schmales und schiefes Gebilde aus dunklem Stein, viel dunkler und wohl auch viel älter als die meisten Türme in der Stadt. Was dich wundert, denn der Turm sieht aus, als würde er im nächsten Moment zusammenbrechen.
Ihr lasst eure Pferde gesattelt und gezäumt zurück. Elred flüstert seinem Falben etwas in Spitzohrsprache ins Ohr, das Pferdchen schnaubt.
„Sie werden hier auf uns warten“, meint Elred und dann: „Du solltest deinem Pferd mal einen Namen geben!“
„Wozu? Es ist nur ein Tier“, brummst du.
„Eben nicht. Hier draußen ist dein Pferd alles, was zwischen dir und dem Tod steht“, belehrt dich der Elf.
„Jetzt klingt du schon wie Allyster!“
„Und er hat Recht – wenn dein Pferd einen Namen hat, dann kann ich es rufen, falls wir … falls wir schnell fliehen müssen und nicht hierher kommen oder etwas ähnliches.“
Du wirfst einen Blick auf das Kaltblut. „Ich lasse mir was einfallen. Jetzt haben wir keine Zeit dafür.“
Elred seufzt und zuckt mit den Schultern.
°°°
Ihr folgt einer flachen, gewundenen Treppe, die euch auf einem kleinen Platz an der Seite des Palastes führt. Aus den Fenstern des großen Thronsaals dringt Feuerschein. Innen liegt die Quelle des Lärms, der inzwischen deutlich zu hören ist und wohl auch die Hufe eurer Pferde übertönt hätte.
„Da drinnen scheint eine Feier im Gange“, murmelt Elred.
„Was feiern Orks denn?“, fragst du. Im nächsten Moment ertönt nicht weit entfernt lautes Klirren. Ihr springt gleichzeitig hinter eine niedrige Steinsäule, die eine Schale mit brennendem Öl trägt. Während ihr hinter der abgeschnittenen Säule hockt, rappelt sich nicht weit entfernt ein Ork auf, der zuvor durch eines der wenigen noch mit Glasscheiben ausgestatteten Fenster geflogen ist. Lautes Gegröle dringt aus dem für euch nicht sichtbaren Innenraum.
„Nun, wir wissen wenigstens, wie Orks feiern“, sagt Elred mit säuerlicher Miene. „Das schlimme ist, wir müssen in den Palast – der Schöpferstein ist dort!“
„Das heißt, du willst dich verkleiden und über die Feier schleichen?“, fragst du überrascht.
Elred sieht dich ebenso überrascht an. „Nein, ich wollte eigentlich einen Weg außenrum suchen. Du weißt schon, eine Hintertür oder so.“
Während der Ork durch das zerbrochene Fenster wieder in die Halle klettert, mustert ihr einander, du und der Elf.
„Wir wissen nicht, ob es einen Hintereingang gibt“, gibst du leise zu bedenken. „Und ob er nicht bewacht wird.“
„Und wir wissen auch genau, wie das Verkleiden letztes Mal geklappt hat!“, zischt Elred. Dann seufzt der Elf müde. „Aber vielleicht schaffen wir es, nicht den gleichen Fehler nochmal zu machen. Es wäre einen Versuch wert.“
„Das wollte ich gerade über deine Hintertür sagen“, meinst du und bist selbst überrascht, dass du auf den Vorschlag eines Spitzohrs eingehen würdest.
Ihr tauscht einen weiteren, nachdenklichen Blick. Was sollt ihr tun?
Du schlägst vor …
- … außen um die Halle zu schleichen. Lies weiter in Kapitel 24.
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- … euch verkleidet auf die Feier zu schleichen. Lies weiter in Kapitel 25.