Du bist Allyster der Sehende.
Mit einer Handbewegung streichst du über Ajis Mund und erschaffst damit eine Luftblase. Brenna und Karja haben bereits eine solche Atemblase vor Mund und Nase. Alle drei sitzen am Rand einer der äußeren Plattformen und tragen lockere Schwimmkleidung, die Karja euch geliehen hat. Ansonsten haben sie nur ihre Waffen oder, in Ajis Fall, die Dietriche dabei.
„Passt auf euch auf“, sagst du leise. Die behagt der Gedanke nicht, Brenna und Aji mit Karja ziehen zu lassen, zu stark ist dein Verdacht, dass die Piratin euch etwas Wichtiges verheimlicht. Du hast Brenna heute Morgen gewarnt, ja auf Aji aufzupassen, doch du konntest ihr nicht offen von deinem Instinkt erzählen. Karja war ständig in eurer Nähe.
Jetzt gleiten die drei ins Wasser und Karja sieht sofort ihren Säbel. Als sie untertaucht, wird die magische Blase erst sichtbar, die es ihr, Brenna und Aji ermöglichen soll, unter Wasser zu atmen.
Brenna wirft dir einen Blick zu. „Wir passen schon auf.“
Sie hält deine Sorge wohl für reine Vorsicht. Du belässt es dabei. Die Kriegerin jetzt noch zu verunsichern, würde nur eure Mission gefährden.
Und außerdem bist du dir sicher, dass Karja euch nicht schaden will. Mit einem Seufzen übergibst du deine Freunde ihrer Obhut und machst dich zu Fuß auf den Weg zum Äußeren Ring des Palastes.
Die Wachen kennen dich zwar, trotzdem musst du ein Dokument vorweisen, um eingelassen zu werden, während Karja ungehinderten Zugang hat. Doch das ist kein Problem, denn die Piratin hat dir rechtzeitig eine gefälschte Vorladung von einem Arzt beschafft.
„Zum Doktor, wie?“, fragt eine der Wachen mitfühlend.
„Ja, wir haben uns gestern zufällig getroffen“, gibst du die Geschichte zum Besten, die ihr euch ausgedacht habt. „Er interessierte sich sehr für meine Forschung über Blutegel.“
Die Wache schüttelt es. „Das fehlt noch, dass der Quacksalber mit den Dingern anfängt! Aber schön, du darfst passieren. Sein Haus liegt im Osten, ein rotes Gebäude mit weißen Muscheln, nicht zu verfehlen.“
„Danke.“ Du hast ein etwas schlechtes Gewissen, die Wache belogen zu haben. Für einen Mann, der den ganzen Tag am Tor stehen und sich vermutlich viele Beschimpfungen anhören muss, ist er sehr zuvorkommend.
Du überquerst den schmalen Zugangssteg und lässt den Blick dabei wie gedankenverloren über das glitzernde Meer gleiten. In Wahrheit suchst du nach einer Spur von Brenna oder Aji, obwohl sie sich eigentlich in tieferen Schichten aufhalten sollten, außer Sicht von oben. Irgendwo dort unten schwimmen deine Freunde gerade dem Verließ entgegen.
Hoffentlich wird alles gut gehen!
Du betrittst den Äußeren Ring und wendest dich zuerst nach Osten, für den Fall, dass die Wache am Tor dich noch beachtet. Sobald du in einer Menschenmenge untertauchen kannst, hältst du auf die Schatzkammer zu.
Ein Tag reicht nicht als Vorbereitung für einen wirklich mächtigen Zauber, doch was du in der Zwischenzeit fertiggestellt hast, wird immer noch für eine eindrucksvolle Ablenkung reichen. In der Mitte des Platzes hältst du an und bückst dich schwerfällig, um so zu tun, als würdest du dir die Schuhe neu binden müssen.
Stattdessen streichst du mit den Händen über das Holz und lässt die Energie los, die du sorgsam aufgespart hast.
„Aina kalimbar te jezka oinolos ti fruva!“, flüsterst du dabei in der Sprache der Magie.
Mit einiger Verspätung zeigen sich rote Flammen auf dem Holz, zuerst nur winzige Zungen, die wie lebendige Wesen in alle Richtungen davon huschen, den Rücken kleiner Koi gleich. Munter wuseln sie zwischen den Füßen der Passanten hindurch und suchen sich, ganz nach deinem Befehl, einen Platz am Rand des Marktplatzes.
Du richtest dich stöhnend wieder auf. Kleine Stiche durchziehen deine Knie und deinen Rücken. Du klopfst deine Roben zurecht und machst dich auf den Rückweg.
Als du den Steg zurück zum Meer fast erreicht hast, hörst du die ersten Schreie. Die Piraten geraten in Panik, Massen flüchten von dem Steg. Die ersten Wellen von Fliehenden reißen dich mit sich, über den schmalen Zuweg und auf die Wachen zu, die im Glauben, dass ein Angriff stattfindet, ihre Waffen ziehen und auf den Platz stürmen wollen.
Doch für sie ist kein Durchkommen, die ihnen entgegen Strömenden nehmen den ganzen Weg auf der Brücke ein. Erst in der Stadt verläuft sich die Menge etwas, obwohl natürlich viele stehen bleiben und zum Palast starren. Inzwischen schlagen hohe, orange Flammen in den Himmel, die selbst die Häuser noch überragen.
„Das ist Magie!“, hörst du einen Mann in deiner Nähe entsetzt murmeln. „Das ist kein normales Feuer.“
Er hat natürlich Recht. Du hast dem Feuer befohlen, sich zu hohen Säulen zu formen und keine Menschen zu verletzen. Als du die ersten regungslosen Körper siehst, die über die Brücke in Sicherheit geschleift werden, schüttelst du seufzend den Kopf. Feuer ist ein eigensinniges, aggressives Element.
Du wendest dem brennenden Palast den Rücken zu und kehrst zu Karjas Haus zurück. Deine Aufgabe hier ist getan.
°°°
Drei endlose, lange Stunden vergehen, ohne dass etwas geschieht. Als es schließlich doch an die Tür klopft, schreckst du aus einem Halbschlaf auf.
Du hast dich in einen Sessel in der Eingangshalle gesetzt, um auf deine Freunde zu warten und musst dabei eingenickt sein. Nun rennst du zur Tür.
Der Anblick, der sich dir bietet, bestätigt das dumpfe Unbehagen, das sich in deinem Inneren breit gemacht hat. Aji steht vor dir, die Augen weit aufgerissen und abgehackt atmend. Auf seine Schulter stützt sich Brenna und hält sich die Seite, Blut hat ihre Kleidung durchtränkt.
Du ziehst sie ins Innere. „Was ist geschehen?“
„Haie!“, ächzt Brenna und bricht auf der Türmatte zusammen.
Du kniest dich neben sie und ziehst ihr Hemd hoch, um die Bisswunde zu begutachten. Es sieht nicht gut aus. Deutlich sind zwei Reihen tiefer Zahnabdrücke zu erkennen.
Du legst die Hände auf Brennas Seite und murmelst einen Heilspruch, der die Blutung stoppt und das Fleisch wieder verschließen sollte, doch die Wunden klaffen weiter offen. Weder dir noch Brenna steht genug überflüssige Energie zur Verfügung, um die Heilung zu vollziehen.
„Wurdet ihr gesehen?“, fragst du. „Habt ihr den Schöpferstein?“
Aji nickt und zieht einen beigen Stein hervor, der für dich auf den ersten Blick wie ein großes Schneckenhaus aussieht. „Der Ammonit!“
„Wir wurden nicht verfolgt.“ Brenna atmet schwach. Ihr Lächeln ist blutig. „Deine Ablenkung … hat funktioniert.“
„Und Karja?“, die Piratin ist nicht zu sehen, die Straße liegt leer hinter der offenen Haustür.
Brenna fallen die Augen zu und sie wird ohnmächtig. Aji senkt den Blick. „Sie … hat uns Zeit erkauft.“
Du schließt einen Moment die Augen, als dir klar wird, was das bedeutet. Doch ihr habt den Schöpferstein, das sollte alles sein, was zählt. Schweren Herzens ziehst du Brennas Hemd zurecht und schleifst sie dann zu einem nahen Sofa, um sie darauf zu betten.
„Hol mir eine Decke, mein Junge“, weist du Aji sanft an. Der Kleine steht unter Schock, doch darum kannst du dich erst später kümmern. Jetzt musst du erst einmal dafür sorgen, dass Brenna überlebt.
Mit der Hand auf ihrer Stirn stellst du fest, dass sie Fieber hat. Ihre Atmung wird bereits schwächer.
„Wird sie sterben?“, fragt Aji leise, als er dir die Decke bringt.
„Was? Nein! Nein, natürlich nicht!“ Du breitest die Decke sanft über Brenna aus. „Komm, wir beide trinken uns erst einmal einen Tee.“ Du legst den Arm um Ajis Schultern und führst ihn zur Küche. „Brenna muss sich ausruhen.“
Nach allem, was der Junge erlebt hat, muss er nicht auch noch mit ansehen, wie die Kriegerin stirbt.
Dies ist kein Canon-Ende, deswegen gibt es hierzu keine Fortsetzung.
Um das richtige Ende zu erreichen, musst du dich entscheiden, Aji für Ablenkung sorgen zu lassen.
Vielen Dank für's Lesen und viel Spaß beim Weiterspielen!