Du bist Arthrax Sundergeer.
„Hoch“, sagst du nach einigem Abwägen.
Elred nickt schweigend und ihr bahnt euch einen Weg durch die Menge. Ein Ork gestikuliert mit großer Geste und erwischt dich beinahe an der Schläfe. Du tauchst unter dem gepanzerten Ellbogen weg, grunzt wütend und schubst den Orks zur Seite. Der taumelt in eine Gruppe anderer Orks, die sich sofort mit klirrenden Waffen auf ihn stürzen.
Der ausbrechende Kampf zieht die Aufmerksamkeit der Orks auf sich, ihr beide gelangt ungesehen bis zu den beiden Türen.
Du tauscht einen kurzen Blick mit Elred, der am Fuß der zweiten Treppe steht. Dann lauft ihr die Stufen hinauf. Du siehst, wie Elred sein Jagdmesser zückt und tastest selbst nach deiner Axt.
Die beiden Wachen sehen euch kommen, doch sie können nicht mehr schnell genug reagieren. Ihr sprintet die Treppen hinauf und stürzt euch auf die beiden Orks. Elred übernimmt den linken, du den rechten. Da du deine Axt nicht schnell genug in die Hand kriegst, schlägst du der Wache zuerst die Faust auf die Nase. Der Ork taumelt gegen die Wand und versucht, seine Waffe zu ziehen, einen hässlich aussehenden Knüppel, der mit rostigen Nägel versetzt ist. Du bist schneller, zückst deine Axt und rammst sie dem Ork seitlich in den Hals. Ein schneller Blick zu Elred zeigt dir, dass auch der Gegner des Elfs bereits an der Wand herunterrutscht und eine Spur dunklen Blutes daran zurücklässt.
Elred greift nach der Tür und reißt sie auf, ihr huscht hindurch in ein schmales, düsteres Zimmer. Dann fällt die Tür hinter euch ins Schloss.
Einen Moment lauscht ihr. Auf der anderen Seite der Tür erklingt Geschrei, doch euren Einbruch scheint niemand bemerkt zu haben. Elred zieht seinen Helm aus, dann rammst er die gestohlene Orkwaffe – eine Art Hellebarde – so durch den Türgriff, dass sie über den Rahmen hinausragt und es unmöglich macht, die Tür von außen zu öffnen.
„Das lief besser als ich erwartet hätte.“ Der Elf grinst.
Du nickst und ziehst dir ebenfalls die Rüstung aus. „Lassen wir das hier. Ich fühle mich in meiner normalen Kleidung wohler“, gestehst du.
„Wir brauchen sie hoffentlich nicht mehr“, stimmt Elred dir zu, so legt ihr eilig die Orkrüstungen ab, unter denen ihr immer noch eure gewohnte Kleidung tragt.
Dann wendet ihr euch der kleinen Treppe zu, dem einzigen Ausgang aus dem kleinen Räumchen. Die Treppe ist eine Wendeltreppe, die euch in engen Kurven immer weiter nach oben führt. Selbst Elred keucht, als ihr schließlich auf dem obersten Treppenabsatz vor einer schweren Steintür ankommt. Elred rüttelt an der Tür, die sich jedoch nicht öffnet.
„Na gut“, brummst du, drückst den Elf zur Seite und holst mit der Axt aus.
„Arthrax …“
Du schlägst zu, bevor der Elf seinen Satz beenden kann. Das wäre vermutlich eh ein langweiliger Hinweis von wegen Lärm geworden. Ein lautes Klirren ertönt und dein Arm wird von dem Schlag durchgeschüttelt, doch die Tür rührt sich nicht.
„Warte!“ Elred greift dir in den Arm, bevor du ein zweites Mal zuschlagen kannst. „Das ist eine Steintür, die kannst du nicht aufbrechen!“
Der Elf schiebt nun dich beiseite, zückt einen Pfeil aus seinem Köcher und beugt sich damit über das Schloss der Tür. Er schiebt die Pfeilspitze hinein. Wenig später klickt es und die Tür schwingt zu einem dunklen, stillen Nichts dahinter auf.
„Wie ich mir gedacht hatte – primitives Schloss“, kommentiert Elred und tritt in die Finsternis. „Hast du eine Fackel dabei?“
„Äh, nein“, sagst du und folgst ihm. Du kannst nichts erkennen, nicht einmal deine eigenen Hände. Du hörst Elreds Schritte irgendwo vor dir, dann eine Art Kratzen. Plötzlich flammt helles Licht auf und blendet dich. Du weichst zurück und blinzelst, bis du Elred erkennst, der eine Fackel in der Hand hält – diese stammt offensichtlich aus einer Metallhaltung in der Wand – und bereits den Raum erforscht. Danach schweift den Blick über Berge von Gold und Juwelen, die auf dem Boden verteilt sind. Du merkst, dass dir der Mund offen steht, als du den angehäuften Reichtum bestaunst.
„Arthrax“, sagt Elred plötzlich mit leiser Stimme, in der ein angespannter Unterton mitschwingt.
„Was?“ Du trittst zu ihm, in Erwartung eines riesigen Monsters oder einer Orkarmee, die euch im nächsten Moment umbringt. Doch Elred hat nur einen kleinen Nebenraum entdeckt, der nahezu leer ist, bis auf ein kleines Tischchen mit einem Kissen darauf, auf dem ein einziger Stein liegt.
„Wir haben ihn gefunden“, haucht Elred.
Du starrst den Schöpferstein an. Er ist hellbraun, fast golden. Das Licht zeigt, dass der Stein durchscheinend ist wie Bernstein, jedoch besitzt er mehrere dunkle Streifen, die an das Muster gewisser Großkatzen erinnern. Der Stein ist tropfenförmig und in ein feines Metallgitter eingelassen, das an einer Kette hängt.
Einige Momente starrt ihr euren Fund einfach nur an. Dann tritt Elred vor und streckt zaghaft die Finger aus, um sie schließlich um den Stein zu schließen und sich das kostbare Kleinod um den Hals zu hängen.
Ihr fahrt zusammen, denn mit dem dramatischsten Timing in deiner ganzen Karriere erklingen nun Schritte auf der Treppe, die euch hierher geführt hat.
Ihr werft einander einen alarmierten Blick zu. Im nächsten Moment siehst du schon, wie die Tür sich bewegt.
Elred reagiert schnell und wirft die Fackel auf die Orks, die hereinkommen wollen. Du hörst Schreie und ziehst deine Axt, aber Elred packt dich am Arm und zerrt dich durch dunkle Gänge, von denen du kaum mehr als die Wände mitbekommst, gegen die du unabsichtlich stolperst. Dann siehst du Licht vor dir, Mondlicht, das durch ein halboffenes Fenster dringt.
Elred klettert durch das Fenster und du folgst ihm, nun nicht mehr auf seine Hilfe angewiesen. Ihr findet euch auf dem Dach des Palastes wieder, unterhalb einer breiten Brustwehr. Auf dem Palast befindet sich ein offener Platz zur Verteidigung, doch ihr befindet euch weiter an der Seite, wo die schrägen Dachziegel einen Abfluss für heißes Pech bilden sollen.
Ihr rennt über die schrägen Steine. Elred hält mühelos das Gleichgewicht, dir fällt das schwerer. Du breitest die Arme aus und versuchst, nicht an den tiefen Sturz auf den Boden zu denken, der dich unweigerlich erwartet, solltest du dein Gleichgewicht verlieren.
„Da vorne!“, brüllt Elred. „Siehst du die Zugbrücke? Da können wir runter.“
Du hebst den Blick und wärst um ein Haar gefallen. Im letzten Moment kannst du dich an einen hässlichen Wasserspeier klammern. Die besagte Zugbrücke ist einen guten Steinwurf entfernt, für dich eine unmöglich lange Strecke. Trotzdem rappelst du dich auf und rennst weiter. Hinter euch ertönten Schreie, etwas prasselt auf das Dach: Armbrustbolzen!
Elred erreicht die hochgezogene Zugbrücke als erster und springt auf das metallbeschlagene Holz. Du rennst zu ihm, rutscht aus und wirfst dich nach vorne, um nach einer uneleganten Rutschpartie auf dem Bauch neben Elred anzukommen. Der Elf hält aufgerichtet das Gleichgewicht und zielt bereits mit gespanntem Bogen nach unten. Du siehst, dass die Zugbrücke von zwei starken Seilen, einem an jeder Seite, obengehalten wird.
Dann richtest du den Blick zurück und siehst, wie mehrere Orks auf das Dach klettern und euch rutschend verfolgen. Einer stürzt herunter und du kannst sehen, wie er auf dem Steinpflaster unter euch zerplatzt.
Die Zugbrücke macht einen Ruck, der dich beinahe abgeworfen hätte. Elred hat das erste Seil durchschossen. Das zweite ist zum Zerreißen gespannt.
„Elred, warte!“, brüllst du. „Das überleben wir nicht!“
Der Elf hält inne und folgt deinem Blick nach unten, wo die Zugbrücke ungebremst auf einem Steinfundament aufschlagen würde. Für euch macht es keinen Unterschied, ob ihr mit oder ohne Brücke vom Dach fallt, tot seid ihr in jedem Fall. Nur würde die Brücke euch über einen breiten Graben voller schmutzigem Wasser schwingen und ihr sterbt auf dem anderen Ufer.
Ein Bolzen zischt an deinem Ohr vorbei und trifft das gespannte Seil. Mit einem Knall reißt es und die Zugbrücke fällt.
Du öffnest den Mund zum Schrei, als etwas Merkwürdiges passiert. Goldenes Licht erstrahlt von Elreds Brust und hüllt euch beide ein. Die Zugbrücke neigt sich langsam, träge wie ein alter Mann, der aus dem Bett steigen muss. Ein Bolzen trudelt gemächlich vorbei. Du starrst Elred an, dann die Orks, die wie eingefroren erscheinen.
Du willst etwas sagen, doch die Worte bleiben dir im Mund stecken.
„Vertrau mir“, sagt Elred und fasst dich an der Schulter. Er kann sich mit normaler Geschwindigkeit bewegen, du ebenfalls. Dann, als die Brücke etwa die Hälfte ihres Weges nach unten überwunden hat, springt der Elf von ihr herunter und zieht dich mit nach vorne.
Ihr landet auf einem Dach neben dem Fluss. Das goldene Licht verblasst, die Brücke schlägt hinter euch mit ohrenbetäubendem Krachen auf der Straße auf.
Ihr rollt über das Steindach. Du schlägst dir mehrere Knochen an. Elred zieht dich wieder auf die Beine und ihr rennt über die Dächer. Der schiefe, schwarze Turm erscheint vor dir. Ihr haltet darauf zu, dann könnt ihr vom Dach in einen Strohhaufen springen und habt eure Pferde erreicht.
Keuchend humpelst du zu deinem Kaltblut. Dein Knie tut weh, deine Rippen und dein Ellbogen ebenfalls.
Elred schubst dich unsanft in den Sattel und springt selbst auf den Rücken seines Falben. Schweigend treibt ihr die Pferde zum Galopp und prescht durch die Straßen von Orkstadt, während die Orks im Palast noch immer versuchen, wieder vom Dach zu kommen.
Herzlichen Glückwunsch!
Dies ist das Canon-Ende von Arthrax' Part.
Lies weiter in Kapitel 28.