Du bist Brenna Sundergeer.
Du schüttelst den Kopf. „Gehen wir zu diesem Golding“, schlägst du vor. Immerhin habt ihr nur Markas Wort, dass der Schuppen wirklich so schlecht ist.
Der Händler erkennt eure Entscheidung und spuckt euch vor die Füße. Kopfschüttelnd steigt ihr auf die Pferde und reitet den Weg zurück, den ihr gekommen seid.
„Ihr begeht einen Fehler!“, ruft Marka euch hinterher.
°°°
Beim ersten Blick auf Goldings Schuppen bist du bereit, Markas Worten zu glauben. Es ist ein heruntergekommenes Holzgebilde auf den Wiesen, wohl ein ehemaliger Heuschober.
Golding ist zuerst nicht aufzufinden, Aji entdeckt schließlich einen Betrunkenen an der Rückseite der Hütte. Da Ajis Augen und Haare immer noch verfärbt sind, hält Golding euch zuerst für Einbildungen. Als Allyster von Geld zu sprechen beginnt, wird Golding schlagartig nüchtern.
„Pferde? Wie viele Pferde?“
„Diese zwei“, wiederholt Allyster geduldig.
„Und für wie lang?“
„Das wissen wir nicht.“
„Ein Silber pro Woche“, brummt Golding, ein fetter, aufgedunsener Mann mit roten Flecken im Gesicht. „Sie sin' hier sicher.“
„Sehr schön“, meint Allyster und betrachtet die Wiesen zweifelnd. „Können wir hier auch irgendwo übernachten?“
„Im Heuboden.“ Golding quält sich taumelnd hoch und führt eure Pferde in den Schuppen. Zu eurem Erstaunen befinden sich hier bereits mehrere andere Tiere, die euch schnaubend begrüßen. Der Heuboden entpuppt sich als niedriges Obergeschoss des Schuppens, doch es ist allemal besser als eine weitere Nacht im Freien.
Golding versorgt eure Pferde, während ihr eure Schlafplätze bereitmacht. Um euch die Zeit zu vertreiben, geht ihr in das Dorf und esst dort etwas, dann legt ihr euch früh schlafen. Immerhin beginnt morgen eine lange und gefährliche Reise.
Am nächsten Tag könnt ihr euch vergewissern, das eure Pferde bestens versorgt sind. Allyster bezahlt Golding das Geld für drei Wochen und beschwört ihn, die Tiere auch danach zu behalten, da er weiteres Geld erwarten könne.
Dann brecht ihr zu Fuß nach Graufels auf, um euch ein Schiff auszusuchen.
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Am Hafen liegen immer noch die drei Schiffe vor Anker. Allyster übernimmt es, mit den jeweiligen Kapitänen zu sprechen, während ihr im Hintergrund wartet. Aji trägt wieder einen Mantel mit großer Kapuze, da er sonst zu auffällig wäre. Der Junge zieht misstrauische Blicke auf sich, ein paar Seemänner werfen dir schmierige Kusshände zu oder pfeifen dir nach. Bettler hocken an der Felswand, die eine natürliche Hafenmauer bildet, oder vor den heruntergekommenen Gebäuden. Ihr ignoriert sie alle.
Der erste Kapitän besitzt das große Handelsschiff und ist damit beschäftigt, Waren aufzuladen.
„Verzeihung, können wir Euch kurz stören?“, fragt Allyster, als er auf den großgewachsenen Händler zu geht. Dieser trägt goldbestickte Kleidung, einen roten Turban und hat gepflegte, lange Haare und einen schwarzgelockten Bart.
Er sieht Allyster an. „Aber nur kurz, wir haben es eilig!“
„Ich wollte fragen, ob Ihr Reisende mitnehmen würdet“, kommt Allyster gleich zur Sache.
Der Kapitän zwiebelt eine geflochtene Strähne seines Bartes und lässt den Blick über euch wandern. „Natürlich, in diesen Gewässern nehmen wir jedes Geschäft an. Wir segeln in Richtung Mittsee, das sollte euch nicht verwundern. Ich werde keinen Umweg über Kaltmoor machen, falls das euer Ziel ist.“
„Mittsee ist genau die richtige Richtung“, sagt Allyster.
Der Händler nickt. „Die Überfahrt kostet drei Silberlinge pro Tag und Person. Für Kabinen, Verpflegung, einfach alles. Habt ihr mehr Gepäck als ihr bei euch tragt?“
Allyster verneint.
„Gut. Wir stechen um Mittag in See, seid pünktlich, wenn ihr mitwollt.“
Allyster dankt dem Kapitän und ihr wandert den Steg entlang.
„Das ist teuer“, bemerkst du, als ihr außer Hörweite des Händlers seid.
„Unvernünftig teuer“, pflichtet Allyster dir bei. „Aber dafür die bei weitem komfortabelste und sicherste Option. Handelsschiffe sind schwer bewaffnet. Aber versuchen wir es bei dem Schiff dort drüben!“
Ihr haltet auf das Piratenschiff zu, was dir nicht wie eine gute Idee erscheint.
„Meinst du wirklich, wir sollten …“, beginnst du, doch Allyster winkt ab.
„Die Piraten werden uns nichts tun, falls du das fürchtest. Sie leben genau wie die Händler vom Transport. Es kann nur passieren, dass sie uns rekrutieren wollen – das würde uns aber vielleicht sogar helfen.“
Als ihr euch dem Schiff mit der roten Flagge nähert, bemerkst du, dass die Piraten nicht nach dir pfeifen. Allyster tritt an den Rand des Stegs und verlangt rufend nach dem Kapitän. Nicht viel später wird eine Planke ausgefahren und der Kapitän kommt zu euch: Eine breitgebaute, kräftige Blondine mit harten Augen. Sie ist dir sofort sympathisch.
„Was gibt es?“, fragt sie.
„Wir müssen nach Mittsee“, sagt Allyster und bedient sich zu deiner Verwunderung des schweren Piratenakzents, der Bilder von rauschenden Wellen und knarrenden Segeln weckt. „Habt ihr Platz, Käpt'n?“
„Aye, haben wir“, sagt die Frau, ihr Blick bleibt an dir hängen. „Bezahlt ihr in Silber oder in Arbeitskraft?“
„Arbeitskraft wäre zu bevorzugen“, meint Allyster. „Ich habe ein wenig Wissen über Nautik und Sterndeutung, kann den Wind lesen und solche Dinge. Brenna hier ist stark und unermüdlich, und Aji ...“
„Kinder reisen umsonst“, fällt die Piratin ihm ins Wort. „Aber ich traue niemandem, der sein Gesicht nicht zeigt.“
„Aji hat ein kleines Problem“, setzt Allyster an, doch die blonde Frau winkt an.
„Ich respektiere eure Geheimnisse. Ich sag euch nur, dass ich euch nicht traue. Die Arbeit an Bord wird hart, ihr packt mir an oder ihr müsst zahlen. Faulenzer können wir nicht gebrauchen. Abfahrt ist, sobald die Sonne hoch steht. Falls ihr es euch noch anders überlegen wollt.“
Allyster nickt und dankt, doch die Piratin wartet seine Worte nicht ab. Schon ist sie wieder an Deck, du hörst, wie die Befehle brüllt.
„Was genau meint sie damit, dass die Arbeit hart wird?“, fragst du vorsichtig, während ihr zu dem letzten Schiff geht.
„Sehr hart“, brummt Allyster kurz angebunden. „Und möglicherweise werden wir an Überfällen beteiligt. Wenn wir uns weigern, kann es durchaus sein, dass sie uns kielholen.“
Dich schüttelt es. Aber irgendwie überrascht es dich nicht wirklich.
Das letzte Boot ist die winzige Schaluppe, die aussieht, als könnte sie jeden Moment sinken. An Bord sitzen Männer mit stumpfem Blick. Der Kapitän hat euch bereit kommen sehen und wartet auf dem Steg. Er ist ein untersetzter, dicklicher Mann, kahlköpfig und schlecht rasiert, mit tiefliegenden Augen und grauer Haut.
„Reisende?“, fragt er statt eines Grußes.
„Unterwegs nach Mittsee.“ Allyster nickt.
„Da sieht ihr hier richtig“, meint der Mann und wirft dir einen Blick aus tränenden Augen zu. „Im Gegensatz zu den anderen biete ich euch einen Pauschalpreis. Ein Goldstück für jeden von euch für den Weg bis nach Mittsee. Falls das Wetter schlechter wird und wir länger segeln, braucht ihr nicht mit erhöhten Kosten zu rechnen. Essen und eine Hängematte gibt’s für einen Aufpreis von je einem Kupferstück, ebenfalls für die ganze Fahrt.“
Allyster wirf einen überraschten Blick zu dir – der Preis ist wahrlich günstig.
„Wann fahrt ihr?“, fragt der Zauberer.
„Gegen Mittag.“ Der Mann grinst und offenbart schiefe, braune Zähne.
„Wir überlegen es uns“, sagt Allyster reserviert und wendet sich zu euch. Auf eurem Rückweg über den Steg kommt ihr an dem Piratenschiff und dem hektischen Händler vorbei.
„Dieser Schaluppen-Kerl gefällt mir nicht“, brummst du.
„Ja, aber er hat bei weitem den besten Preis“, meldet sich Aji zu Wort. „Immerhin kann es sein, dass wir uns in Mittsee noch etwas kaufen müssen.“
Allyster nickt. „Der Preis ist ein echtes Argument. Der Händler ist hoffnungslos überteuert und bei den Piraten müssen wir vorsichtig sein.“ Er zuckt ratlos mit den Schultern. „Was meinst du?“
Du entscheidest dich …
- … auf das Handelsschiff zu gehen. Lies weiter bei Kapitel 6.
[https://belletristica.com/de/books/20829/chapter/22393]
- ... auf dem Piratenschiff anzuheuern. Lies weiter bei Kapitel 7.
[https://belletristica.com/de/books/20829/chapter/22394]
- ... auf der Schaluppe zu reisen. Lies weiter bei Kapitel 8.