Er zählte die Münzen ab und reichte sie widerstrebend über den Tresen. Das Klimpern in seiner Hosentasche war besorgniserregend leise.
Schweren Herzens nahm er den Kaffee entgegen. Lieber hätte er sich Bier geholt, Bier hielt besser warm, und seine Kleidung hatte inzwischen so viele Löcher … ob das Geld durch sie verschwand?
Die Verkäuferin musterte seine bandagierten Hände. Ihr Blick drückte Mitleid aus, Kaiko wurde schlecht davon.
Er nahm den Pappbecher und ging. Über die kalte Straße. Die brennende Hitze an seinen Fingern spürte er kaum. Er trank, verbrannte sich die Lippen, schlurfte weiter.
Der Drang, den Becher einfach wegzukippen, stieg in seiner Seele auf. Was für eine dumme Idee, das Geld überhaupt auszugeben. Warum sollte er sich wachhalten wollen? Der Kaffee schmeckte ihm nicht länger.
Kaiko blieb stehen. Er sah den Wolken zu, die zerfetzt über den Himmel rasten. Sah den Autos zu, die ihn an ihm vorbeirauschten. Als wäre er das einzige Ding im Universum, das sich nicht bewegte, außerhalb der Zeit, außerhalb der Gesellschaft.
Und obwohl es heller Tag war fühlte er sich, als würde er in einem dunklen Raum stehen und das letzte Fenster schloss sich langsam, es verschwand der blasse Lichtstrahl und bald würde die Schwärze ihn endgültig verschlingen.
Und dann sah er es … das BILD.
Er sah es, weil jemand ihn anrempelte und seinen Blick von dem letzten Fenster riss. Kaiko erhaschte einen goldenen Punkt durch eine Glasscheibe. Jemand entschuldigte sich, weil er Kaikos Kaffee verschüttet hatte.
Kaiko hörte nicht zu. Wie im Traum überquerte er die Straße.
Das Bild hing in einer Galerie, hinter einer großen Glasscheibe.
Es zeigte eine Sonne, in der Mitte geteilt durch blauen Ozean. Der untere Teil sah aus wie ein Spiegelbild … fast.
Oben war die Sonne blutrot, der Himmel violett und von schwarzen Wolken bedeckt, das Meer stürmisch und dunkel. Ein Sonnenuntergang.
Unten war die Sonne hellgolden. Der Himmel rosa und mit kleinen, weißen, friedlichen Sternen gesprenkelt. Ein Sonnenaufgang.
Kaiko spürte sein Herz schlagen. Wie ein Tier, das in seiner Brust erwachte.
Um das Bild zog sich ein goldener Rahmen, darauf ein Schriftzug:
Every Sunrise is a Sunset somewhere else. Every Sunset is a Sunrise somewhere else.
Ein Spruch, der in Kaiko ein Echo fand. Die Welt drehte sich … selbst wenn er stand, stand er doch niemals still. Er trommelte mit den Fingern gegen die Scheibe, die Schmerzen ignorierend.
Seine Situation hatte sich nicht geändert. Ja, seine Hände waren immer noch zerstört. Immer noch hatte er sich von seinem besten – und einzigen, wenn man es recht bedachte – Freund abgewandt, er war immer noch allein, verloren, zerrissen.
Aber es würde ein neuer Sonnenaufgang folgen. Er könnte wieder arbeiten, Geld verdienen … vielleicht hätte er wieder Glück.
Ein Sonnenstrahl, vielleicht von dem Bild ausgehend, berührte Kaiko im tiefsten Herzensgrund.
Er war nicht allein. Das wollte ihm das Bild zuflüstern.