Der Boden verschwindet für einige Minuten unter meinen Füßen. Dann spüre ich jedoch wieder harten Stein unter meinen Füßen. Jackson und Kaya lassen meine Hände los. Was ist geschehen? Wieso lassen sie meine Hände los? Ich öffne meine Augen, die ich zuvor so fest ich kann zugekniffen habe.
Ich sehe mich um. Das Portal befindet sich hinter uns. Einige Leute steigen hinein. Wahrscheinlich waren sie als Besucher zu Gast. Wir befinden uns in einem Harfen. Rechts und links von den Anlegestellen, der Schiffe, stehen mehrere Häuser. Das Wasser klatscht heftig gegen die Schiffe. Es riecht nach Fisch und man hört einige Verkäufer, die ihre Stände anpreisen. Vereinzelt hört man einen Hund bellen. Die Menschen, die über den Markt laufen, könnten unterschiedlicher nicht sein. Von gruseligen Männern bis zu altertümlich gekleideten Frauen, bis zu buntgekleideten Kindern gibt es hier alles. Wenn man genauer hinsieht, kann man vereinzelt wichtige Merkmale erkennen, die Leute als Übernatürlich kennzeichnen. So hat ein Mann in schwarzer Kleidung, der an uns vorbei läuft, spitze Eckzähne, die ihn als Vampir kennzeichnen oder eine Frau, aus deren Schulterblättern weiße Feenflügel sprießen. Wieso habe ich Kayas Flügel eigentlich noch nie gesehen? "Kaya? Hast du auch solche Dinger?", frage ich flüsternd. Sie nickt lautlos, reagiert aber sonst nicht. Plötzlich rennt ein kleiner Junge zwischen uns hindurch. Er hat ebenfalls spitze Zähne und verwandelt sich kurz in einen Werwolf und dann wieder zurück in einen Menschen. Seine Mutter rennt hinter ihm her. Ich kann mir ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Jackson zieht mich weiter. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass ich stehen geblieben bin.
Ich betrachte die Stände, an denen wir vorbei kommen. So gut wie Jeder verkauft etwas Anderes. Von Altmetall bis hin zu Waffen aller Art. Ein besonders großer Stand zieht seine Aufmerksamkeit auf sich. In mehreren Käfigen sitzen Werwölfe und Vampire. Die Wölfe fauchen Jeden an, der an ihnen vorbei geht und die Vampire versuchen die Stäbe der metallenen Gefängnisse zu verbiegen. Diese armen Wesen tun mir leid. Kaya will schnell weiter gehen, doch Matt und Jackson bleiben stehen. Beim Anblick ihrer Artgenossen in den Käfigen, sehe ich die Wut der Beiden in ihren Augen leuchten. Matt bleckt gefährlich die Zähne und Jackson zerquetscht fast meine Hand, die er irgendwann einfach genommen hat. Auch ich werde wütend. Schließlich sind es auch meine Artgenossen. Ich bin ja ein Hybrid und kann es genau so wenig gut heißen Mitglieder meiner Rasse oder generell irgendwen einfach eingesperrt und zum Verkauf gestellt zu sehen.
Kaya seufzt und zieht uns mit aller Kraft weiter:"Leute. Kommt jetzt. Wir müssen weiter. Unsere Mission ist es die Krone zu holen. Das hier erledigen wir später." Wir folgen ihr wutentbrannt. Leider hat sie Recht. Wir haben eine andere Mission.
"Wir sollten uns aufteilen. So sind wir schneller", stellt Jackson fest. Alle scheinen einverstanden zu sein und wir teilen uns auf.
Ich soll eine Gasse absuchen, während die Anderen weiter am Hafen suchen. In der Gasse ist es dunkel. Nur wenig Licht fällt hinein, doch trotzdem kann ich alles gut erkennen. Links und rechts an den Hauswänden stehen Stände. Es gibt auch hier vereinzelt Stände an denen man Lebewesen kaufen kann. Dort gibt es aber anstelle von Werwölfen und Vampiren, Gargoyles und Feen. Plötzlich erstarre ich und bleibe geschockt stehen. Einige Meter von mir entfernt vor einem Stand mit Pflöcken steht er. Ein hochgewachsener Junge mit blonden Haare und blauen Augen. Es ist Venanzio Harris. Der Junge, den ich an meinem ersten Schultag kennengelernt habe. Was macht er hier? Ich drehe mich um und hoffe, dass er sich nicht zu mir umdreht und mich entdeckt. "Hey, du bleib stehen", sagt er mit seiner tiefen Stimme. Mist. Ich beginne zu rennen. Als ich mir sicher bin, ihn abgeschüttelt zu haben, verstecke ich mich in einer Ecke und hoffe, dass er mich nicht findet.
"Es ist unhöflich einfach weg zu rennen", sagt plötzlich jemand neben mir. Ich erschrecke mich und springe zur Seite. Neben mir steht Venanzio. Er hebt beschwichtigend die Hände:"Hey. Renn bitte nicht wieder weg." Ich wäre verrückt es nicht zu tun. "Ich finde dich sowieso. Du bewegst dich hier in meinem Gebiet", er redet einfach weiter. "Dein Gebiet? D-Das h-heißt du bist ein...", stottere ich. Er zuckt mit den Schultern:"Ja, ich bin ein Hunter. Also, was tust du hier?" "Ich mache einen Ausflug." Wieso versuche ich immer wieder zu lügen? Das klappt doch sowieso nicht! Er hebt eine Augenbraue. "Na gut. Ich bin mit meinen Freunden hier, um die Hunterkrone zu suchen", sage ich und hoffe dabei, dass es für ihn so absurd klingt, dass er mir selbst die Wahrheit nicht glaubt. Er beginnt zu lachen. Ich starre ihn fragend an:"Was ist so witzig?" "Die Hunterkrone? Die existiert doch nicht wirklich und selbst wenn es sie geben würde, wäre sie nicht schwer zu finden?" "Wie meinst du das? Leicht zu finden?", frage ich verwirrt. Er zuckt mit den Schultern:"Wir Hunter schätzen dieses Ding nicht. Sie ist für uns nicht wert." Jetzt wird's interessant:"Wieso?" "Weil die Krone ja nichts mehr kann", sagt er gleichgültig. Vielleicht kann er uns ja helfen:"Wenn es die Krone wirklich geben sollte, wo würde sie sich dann befinden?"
Er zieht mich aus meinem Versteck und schleift mich zu einem Stand mit vielen Dingen aus Metall. Auf einem Klappstuhl hinter dem Tisch, der als Stand dient, sitzt ein alter Mann. Er hat schütteres graues Haar, knochige Hände und eingefallene Wangen. Der Mann ist sicher schon neunzig. "Wenn es die Krone gibt, findest du sie nur bei Mr Turner. Er ist der Beste auf dem Gebiet des Metallsammelns. Wenn es die Sachen, die du suchst hier nicht findest, findest du sie nirgendwo. Die Anderen sind nur Nacharmer", verkündet er stolz. Er scheint Mr Turner sehr gut zu kennen. Mr Turner scheint zu schlafen. Venanzio tritt neben ihn und tippt ihn an:"Hey Henry. Wach auf. Du hast Kundschaft." Der Mann schreckt aus dem Schlaf hoch:"Kundschaft?" Ich muss grinsen. "Guten Tag", grüße ich:"Könnten sie mir vielleicht helfen?" "Sicher. Womit kann ich dir helfen Kindchen?", fragt der greise Alte. Ich senke meine Stimme:"Sind sie im Besitz der Hunterkrone?"
In diesem Moment höre ich Jemanden meinen Namen rufen. Ich drehe mich um und sehe Kaya, Jackson und Matt, die auf mich zu gerannt kommen. Ich bitte Henry mir eine Minute zu geben und er nickt. "Hast du sie gefunden?", fragt Matt hoffnungsvoll. "Vielleicht", grinse ich. "Vielleicht?", wiederholen Kaya und Jackson gleichzeitig. Ich nicke mit dem Kopf in Richtung des Mannes:"Jap. Das ist Henry Turner. Wenn es die Krone irgendwo gibt, dann bei ihm." Kaya strahlt, Jackson scheint sich jedoch nicht zu freuen:"Wer sagt das?" "Venanzio", ich deute auf den Jungen. Jackson kneift die Augen zusammen und ballt seine Hände zu Fäusten. Oh Gott Jackson, raste jetzt bitte nicht aus. "Dem glaubst du?", fragt Jackson wütend. Ich nicke und wende mich wieder Henry zu:"Nun wieder zu meiner Frage. Wissen sie, was ich suche?" "Nein...", sagt er. Ich schaue ihn traurig ab und will gehen, doch der Mann fährt fort und ich drehe mich wieder zu ihm um:"...aber ich hatte sie." "Und was habe sie damit gemacht?", fragt Matt gespannt. Der Mann zuckt munter mit den Schulter:"Ich habe sie verkauft." "An wen?", fragt Kaya nun. Er kratzt sich am Kopf:"An...einen Dämon..." "Das hilft uns nicht. Wir verschwenden nur unsere Zeit", murrt Jackson. Ich bedeute ihm die Klappe zu halten. "...er hat ist mit seinem Schiff hier. Wenn ihr schnell genug seid, könnt ihr ihm die Krone vielleicht noch stehlen. Seid aber vorsichtig. Er ist einer der stärksten Dämonen, denen ich je begegnet bin und das waren viele." Wir vier starren uns überrascht an. Ob es nun daran liegt, dass ausgerechnet einer der stärksten Dämonen die Krone gekauft hat oder daran, dass er uns gewarnt hat, was für eine Hunter sehr untypisch ist, weiß ich nicht.
Als wir uns wieder gefangen haben, bedanken wir uns bei dem Mann und verabschieden sich bei ihm und Venanzio. Dann rennen wir los, damit das Schiff nicht einfach, ohne dass wir die Krone gestohlen haben, ablegt.