Als alle anderen in meinem Zimmer schlafen, erhebe ich mich aus meinem Bett. Der Mond scheint hell durchs Fenster meines Zimmers und erleuchtet mir den Weg. Meine nackten Füße sind auf dem Boden zu vernehmen. Leider habe ich keine Zeit mich anzuziehen, da ich die anderen Schüler im Zimmer nicht aufwachen möchte. Leider musste ich einen Schlafanzug tragen und kann mich deshalb nicht richtig vermummen. Wenn hier also irgendwo Kameras sind, habe ich richtige Probleme.
Meine Haare binde ich zu einem Zopf und schleiche zur Tür. Diese öffne ich dann vorsichtig. Leider knarrt sie laut. Als ich sie so weit geöffnet habe, dass ich gerade so hindurch schlüpfen kann, werfe ich noch einen letzten vorsichtigen Blick auf meine Zimmergenossinnen. Sie schlafen nach wie vor. Puh, das war knapp. Sie dürfen nicht merken, was ich hier tue. Schnell wende ich meinen Blick wieder ab und schlüpfe durch die Tür.
Der Flur ist komplett leer, worüber ich mehr als froh bin, da ich wenig Lust habe erklären zu müssen, warum ich mich zu so später Stunde hier herumtreibe. Meine Angst ist schon groß genug, was sich dadurch zeigt, dass ich bei jedem, Geräusch, egal wie laut es ist, zusammen zucke.
Auf Zehenspitzen schleiche ich über den Flur. Der dunkle Holzboden ist unter meinen Fußsohlen eiskalt. Wieso ist es hier so kalt? Ich sehe mich nach der Quelle um, kann aber nichts entdecken.
Wo wollten wir uns nochmal treffen? Ich blicke über den Gang. Dann fällt mir wieder ein, dass wir uns ja bei den Toiletten treffen wollten, um reden zu können, da keine von uns ein Einzelzimmer hat.
Bei den Toiletten angekommen, stoße ich die schwere Tür auf und blicke mich um. Aria ist noch nirgends zu sehen. Wurde sie aufgehalten oder vielleicht sogar auf dem Flur entdeckt und steckt jetzt in Schwierigkeiten? Ein ungutes Gefühl überkommt mich.
Plötzlich wird die Türklinke hinuntergedrückt. Der Schreck fährt mir in die Glieder und aus einer Kurzschlussreaktion heraus, begeben ich mich in Kampfposition, was wohl das Dümmste ist, was man in dieser Situation tun kann. Als sich eine Gestalt, die ich nicht sofort erkenne, durch die Tür zwängt, stürze ich mich auf sie.
Diese Person schreit erschrocken auf, als ich sie zu Boden werde. Als diese am Boden liegt, halte ich ihr den Mund zu, damit sie aufhört zu schreien. In diesem Moment erkennt auch sie mich und hört auf zu schreien. Ich nehme erleichtert die Hand von ihrem Mund und lege den Kopf in den Nacken: "Erschrick mich doch nicht so!" "Tut mir leid. Ich konnte ja nicht wissen, dass du schon da bist", erklärt Aria unter mir. Sofort bemerke ich es, als sie ihre Hüften sanft unter mir bewegt.
Erst jetzt fällt mir auf, dass sie ich auf ihr sitze, weshalb ich aufstehen will, doch sie hält mich fest. Ich werfe ihr einen ermahnenden Blick zu und erhebe mich von ihr: "Du bist zu spät." "Sorry, ich wurde aufgehalten", erwidere sie daraufhin kleinlaut. "Schon gut. Hast du die Sachen?", frage ich und klinge dabei sehr fachmännisch. "Natürlich", bestätigt sie daraufhin und zieht einen Gegenstand unter dem Pulli hervor. Ich ziehe ebenfalls etwas hervor und halte es unter den Wasserhahn. Es ist eine Glasschale, in die meine Hände perfekt reinpassen. "Vielleicht sollten wir in eine der Kabinen gehen, damit wir nicht sofort entdeckt werden, wenn jemand hereinkommt", gibt die Brünette neben mir zu bedenken. "Ja, die Idee ist gut", gebe ich zu und nehme die bis zum Rand gefüllte Schale mit in die Toilettenkabine. Aria folgt meinem Beispiel und setzt sich, genau wie ich neben der Toilette auf den Boden. Das ist nicht der beste Platz, aber irgendwo müssen wir ja hin und so bleiben wir wenigstens unentdeckt.
Ich stelle das Gefäß auf den hinunter geklappten Deckel, woraufhin Aria ihren eigenen Gegenstand daneben. Es ist eine vergilbte Karte, die den Umriss eines großen Gebäudes zeigt. Sofort weiß ich, dass sie den Grundriss des Gebäudes zeigt, indem wir uns gerade befinden.
"Hast du das schon mal gemacht?", fragt Aria plötzlich. Ich hebe den Kopf und werfe ihr einen Ist-das-dein-Ernst-wie-sollte-ich-Blick zu: "Nein, ich weiß gerade mal seit etwa zweieinhalb Wochen von diesen Kräften. Hast du etwa gedacht, dass ich sofort am ersten Tag so ein Ritual durchführe?" Sie antwortet nicht, sondern zieht noch einen kleinen Lederbeutel aus der Hosentasche: "Hier, das brauchst du auch noch."
Ich nehme den Beutel und verstreue den Inhalt auf dem Papier. Es ist ozeanblauer Sand. Mit beiden Händen häufe ich die krümeligen Feststoffe auf. Dann lege ich meine Hände in die Schüssel und schließe die Augen, um mich konzentrieren zu können, doch irgendwie passiert nichts, weshalb ich bei Aria Rat suche: "Mache ich irgendwas falsch?"
Nach kurzer Zeit gibt mir einen Tipp: "Als da ist was, was die Nexus mir mal erklärt haben." "Und was?", frage ich mit nach wie vor geschlossenen Augen. "Weißt du wie der Kristall aussieht?", fragt sie. In ihrer Stimme schwingt etwas mit, was mir echt Sorgen macht. Wahrscheinlich liegt das aber einfach daran, dass sie sich nun wieder genauer an die Dinge erinnern muss, die sie bei den Nexus erlebt hat. Ich nicke: "Ja, ich habe ihn bereits in einer Vision gesehen. Reicht das?" Sie bejaht:"Gut, dann rufe ihn dir in Erinnerung und betrachte ihn einfach." "Und dann klappt es?" "Ja, dann müsste es funktionieren", vermutet sie. Ich hole tief Luft und tue, was sie sagt.
Vor meinem inneren Auge erscheint das Bild des blauen Kristalls. Er leuchtet von ihnen heraus und es wirkt, als würden tief in ihm drinnen Wellen wüten und toben. In mir erstreckt sich ein total beruhigendes Wärmegefühl und der Wunsch nie wieder etwas Anderes zu sehen oder zu spüren wird immer größer.
Die zufriedene Stimme von Aria lenkt mich ab und sorgt dafür, dass ich meine Augen öffne:"Du hast es geschafft!" Mein Blick senkt sich auf die Karte hinab, sodass auch ich das betrachten kann, was dort gerade geschieht. Wenn ich nicht wüsste, dass ich das gerade getan habe, würde ich denken, dass hier gerade ein Wunder geschieht.
Hintereinander bewegen sich die blauen Sandkörner nacheinander vom Haufen runter und bewegen sich in einer durchgängigen Linie über die Karte. Immer mehr Körner bewegen sich vom Haufen hinab über das Papier, bis alle sich wieder auf einem Fleck zu einem kleinen Hügel generiert haben.
"Es hat geklappt, oder?", fragt ich überrascht und blicke wie verzaubert auf das Bild, was sich mir bildet. Mit einer Kopfbewegung stimmt sie mir zu: "Dann lass uns mal nachsehen, wo der Stein sich befindet."
Mit meiner rechten Hand wische ich den Sand vom Papier runter in den Beutel zurück und deute mit dem Zeigefinger auf den Ort, auf dem sich der Sand gesammelt hatte.
Es ist ein kleiner Raum, der sich im Keller des Gebäudes zu befinden scheint, doch scheinbar gibt es auch keine Tür. "Da müssen wir hin", sagen wir beiden gleichzeitig.
Plötzlich öffnet sich die Tür des Toilettenraumes. Aria will vor Schreck aufschreien, doch ich halte ihr den Mund zu und drücke sie gegen die Wand der Kabine. Dann flüstere ich ihr leise ins Ohr: "Einer von uns muss sich auf den Toilettendeckel stellen, sonst sehen sie, dass wir zu zweit sind." Sie nickt schnell und bedeutet mir, dass ich das übernehmen soll.
Ich stelle mich auf den Deckel und platziere meine Füße so, dass ich nicht auf der Karte stehe. Gerade noch rechtzeitig, da in diesem Moment eine der Personen, die rein gekommen ist, fragt: "Wer ist da?"
Mist, wie kommen wir aus dieser Situation wieder heraus. Unbehagen macht sich in mir breit, als keine von uns antwortet. Aria und ich blicken uns an und versuchen dem jeweils anderen zu verdeutlich, dass er antworten soll.
Als ich merke, dass das ganze hier gerade keinen Sinn hat, überwinde ich die, in mir immer größer werdende, Angst und antworte: "Elena ...äh ... Robinson." Aria stößt mich in die Seite und wirft mir einen Was-tust-du-da-Blick zu. Ich ignoriere ihn und beantworte auch auf die weiteren Fragen, die mir gestellt werden. Das tue ich so lange, bis die Person wieder verschwunden ist.
Dann sind wir glücklicherweise wieder alleine. Sobald ich höre, wie sich die Tür schließt, atme ich tief durch und lege den Kopf in den Nacken: "Das war knapp!" Sie ist der gleichen Meinung wie ich: "Wir sollten in unsere Zimmer zurückgehen, sonst merkt vielleicht noch jemand was." Ich stimme ihr zu: "Gut, wollen wir uns Nachts nochmal hier treffen." "Ja, ich schätze das sollten wir, aber morgen haben wir erst mal unseren dritten Schultag."
Mit meinen Zähnen beginne ich auf meiner Oberlippe herumzukauen, was Aria dazu bringt ihre Hand an meine Wange zu legen und sanft an meiner Oberlippe zuziehen, sodass ich meine Zähne sie loslassen. "Was hast du?", fragt Aria ein wenig besorgt. Deprimiert zucke ich mit den Schultern: "Nichts Wichtiges, ich will hier einfach nur so schnell wie möglich wieder raus." "Ich auch!"
Zur Abwechselung mal ein etwas besseres Kapitel!