4
Das heiße Wasser läuft über meinen Kopf und ich schließe die Augen. Alex zieht mich noch enger an sich. Seine dunklen Haare sind wieder klatschnass und mit einer Handbewegung streicht er sie sich aus der Stirn. Als das Wasser an seinem Kinn abtropft und über seine Brust läuft, komme ich mir wieder lebendig vor und mein Herz fängt zu pochen an. Er sieht mich an und ich erstarre bei diesem Ausdruck in seinen Augen. Dieser Blick fesselt mich immer wieder und als er seine Hände an meine Hüfte legt, durchfährt mich wieder dieses Gefühl. Mit einem Schlag ändert sich die Stimmung in diesem Raum. Ich kann förmlich das Knistern hören. Seine blauen Augen lassen mich nicht los. Seine rechte Hand löst sich von meiner Hüfte und er lässt sie langsam und sinnlich über meine Haut zu meinem Nacken wandern um mich damit noch näher an sich zu ziehen. Sein Blick hält mich noch immer gefangen und ich spüre seinen heißen Atem auf meinen Lippen, der mich erschaudern lässt. Dann kommen seinen Lippen noch näher, sein Griff in meinem Nacken wird fester als seine Lippen die meinen berühren und mich eine Hitze durchfährt. Zuerst ist dieser Kuss sanft und vorsichtig. Doch dann wird er leidenschaftlicher und seine Zunge bahnt sich den Weg zwischen meine Lippen. Sie berühren sich und ich bekomme am ganzen Körper eine Gänsehaut. Sein Griff um meine Taille wird fester und mit einem Ruck dreht er mich mit dem Rücken zu der Rückwand der Dusche. Mit langsamen Schritten und immer leidenschaftlicheren Küssen, drängt er mich mit dem Rücken an die kalten Fliesen, bei deren Berührung mein Körper für eine Sekunde erbebt. Doch die aufsteigende Hitze in mir, lässt mich ironischerweise dankbar über diese Kälte sein.
Sein Körper schmiegt sich an meinen und er drückt mich dadurch noch fester an die Wand. Ich kann dieses Verlangen spüren. Ich spüre es in mir und ich glaube es auch in Alex zu spüren. Doch bevor ich kurz davor bin durchzudrehen, von diesen leidenschaftlichen Küssen, die immer wilder werden, lässt er von mir ab und tritt einen Schritt von mir weg, um mich mit einem beängstigten Blick zu bedecken. Seine Augen sind auf einmal so dunkel. Ich könnte schwören sie haben sich verändert. Sein Blick ist ernster als vorhin. Seine Finger fahren langsam durch sein nasses Haar und für einen kurzen Moment glaube ich einen Seufzer von ihm zu hören.
„Ich...Also ich denke, es ist besser wenn ich jetzt gehe.“
Gerade spielen meine Gefühle verrückt. Wie kann er mich in der einen Sekunde so leidenschaftlich küssen und dann will er gehen? Ich verstehe ihn nicht. Und noch bevor ich nachdenken öffnet sich mein Mund.
„Bitte bleib.“
Er sieht mich immer noch mit diesem dunklen Blick an.
„Verdammt. Es tut mir leid. Ich kann nicht.“
Er dreht sich um, greift nach seinem Shirt und seinem Pullover und würdigt mich nicht eines Blickes, als er mit seiner durchnässten Hose das Bad verlässt. Und ich? Ich stehe noch immer unter der Dusche und verstehe nicht was eben passiert ist.
Das ist das Schlimmste, wenn man ganz oben gewesen ist. Auf Wolke sieben. Denn dann fällt man noch tiefer und schmerzhafter. Deswegen sollte ich keine Gefühle für irgendwen entwickeln. Deswegen sollte ich mich von all diesem Scheiß fernhalten.
Plötzlich bin ich wieder alleine und in mir bricht wieder eine kleine Welt zusammen. Wie kann er nur? Wie kann er mich jetzt alleine lassen, nachdem er mich so leidenschaftlich geküsst hat? Und plötzlich sehe ich dieses Bild wieder vor meinen Augen. Diese Frau. Während diesem Kuss habe ich dieses schreckliche Bild vergessen können. Aber jetzt ist es wieder da. Dieses verrückte, abscheuliche Bild. In mir scheint alles einzustürzen. Diese Mauer, die ich mir jahrelang aufgebaut habe, scheint einzustürzen und ich hasse dieses Gefühl. Ich sinke auf den Boden der Dusche, unter das warme Wasser. So viele Fragen die in meinem Kopf herumschwirren. Wer war diese Frau? Hatte Sie eine Mutter, die nach ihr sucht? Was ist ihr zugestoßen? Ich versinke in eine Traurigkeit und diese lässt mich nicht mehr los.
Als ich das nächste Mal aufblicke, sehe ich, dass meine Finger schon vollkommen aufgeweicht sind. Bestimmt bin ich schon eine halbe Ewigkeit hier drinnen und versinke in meiner Traurigkeit. Nur noch ein paar Minuten. Ich möchte einfach nur noch ein paar Minuten. Und die brauche ich auch noch. Danach stehe ich langsam auf und halte mich mit einer Hand an der kalten Mauer fest. Ich stelle mich noch einmal unter den Wasserstrahl, der jetzt nicht mehr so warm ist wie vorhin. Dann ziehe ich mir meine nassen Sachen aus und lasse diese am Boden der Dusche liegen.
Ich bin nackt und suche mir das nächste Handtuch, um mich damit abzutrocknen. Ich wickle es mir um meinen Körper und gehe wie ferngesteuert in die Küche um meine ausgetrocknete Kehle mit Wasser zu versorgen. Nach dem zweiten Glas, mache ich mich vollkommen zerstört auf den Weg in mein Schlafzimmer. Ich öffne die Tür und als ich das Licht anmache, erschrecke ich mich fast zu Tode, als ich Alex auf dem Bett sitzen sehe. Meine Hand wandert sofort zu meinem Herz, dass mir jetzt fast schon wieder aus der Brust springt.
„Alex, bist du verrückt. Du kannst mich nicht so erschrecken.“
Er sieht wieder zu mir auf und dieses mal sind seine Augen wieder in dem gewohnten Blau zu sehen. Keine Ahnung was er mit seinen Augen macht, aber ich kann mir das nicht einbilden. Oder vielleicht doch?
„Tut mir leid.“
Seine Stimme klingt ruhig und irgendwie zittrig. Ich bin schon wieder verwirrt. Er hat einfach diese Wirkung auf mich. Er lässt mich nicht klar denken, obwohl ich noch immer verletzt bin, dass er mich einfach alleine gelassen hat.
„Was machst du hier?“
Er kann einfach nicht vorhin abhauen und mich einfach meiner Einsamkeit überlassen und dann wieder auftauchen, wenn es ihm in den Kram passt. Das würde ich ihm auch gerne sagen, aber ich kann nicht. Denn irgendwie freue ich mich ja, dass er hier ist und ich nicht alleine bin.
„Ich wollte nochmals nach dir sehen. Geht es dir besser?“
„Das weiß ich nicht. Ich bekomme einfach dieses Bild nicht aus meinem Kopf.“
Er steht auf und sieht mich von oben bis unten an und erst jetzt bemerke ich, dass ich nur mit meinem Handtuch bekleidet, vor ihm stehe. Nicht so dass er mich nicht schon halbnackt gesehen hätte, aber das ist doch etwas anderes. Ich kann seinen Blick nicht genau deuten, aber ich glaube zu wissen, was er andeuten will.
„Ich hatte keine Sachen im Badezimmer.“
Ich bleibe in der Tür stehen und sehe ihn an. Er sieht mich kurz an und dreht sich dann zum Fenster.
„Sorry.“
Ich bin ihm dankbar, dass er seinen Blick von mir abgewendet hat. Ich nehme mir etwas aus dem Schrank und verschwinde wieder im Bad. In meiner grauen Sporthose und meinem schwarzen Pullover gehe ich wieder in das Zimmer, wo Alex immer noch auf dem Bett sitzt. Erst jetzt bemerke ich, dass er andere Sachen trägt. Einen grauen trockenen Pullover und eine helle etwas zerfetzte Jeans. Er hat auch noch seine Schuhe an und seine Ellbogen sind auf seinen Knien abgestützt. Der verschleierte Blick auf seinen Zügen, als er aufblickt, trifft mich wie ein Blitzschlag. Mit einer langsamen Bewegung erhebt er sich und kommt auf mich zu.
Seine Haare sind schon fast wieder trocken und in dem gewohnten Alex-Look. Ich weiß nicht, ob ich einen Schritt zurückweichen sollte oder mich einfach seiner Nähe stellen soll. Doch meine Gedanken scheinen zu langsam zu sein, als ich bereits warme Handflächen an meinen Wangen spüre und in diese Augen blicke, die mich wieder einmal in ihren Bann ziehen.
„Soll ich gehen?“
Seine Stimme erklingt rau und heiser in meinen Ohren und legt sich wie ein Balsam um mein Herz. Wie sehr würde ich mich wünschen heute nicht alleine sein zu müssen.
„Bleib.“
Ich glaube in seinen Augen Erleichterung zu sehen, doch schon in der nächsten Sekunden verändern sie sich wieder einmal und in seinen Augen blitzt Verlangen auf. Dieses Gefühl, dass ich in seiner Nähe immer wieder empfinde, macht sich wieder bemerkbar. Als würde er mir all seine Energie weiterleiten. Unsere Augen sind aneinandergefesselt und sein Kopf wandert langsam auf meinen zu. Unsere Lippen berühren sich und es ist, als würde alles um mich verschwinden. Als wären nur noch ich und Alex und nichts anderes. Keine Frau im See nur noch wir zwei.
Sein Atem streift den meinen, als sich seine Zunge mit meiner vergnügt. Der leichte Druck den seine Zähne auf meiner Unterlippe ausüben, lässt mich vollkommene Hitze empfinden. Dieser ganze ohnehin schon berauschende Kuss wird durch seine sanften Berührungen noch intensiver. Seine Finger gleiten langsam über meinen Rücken und streichen daraufhin meine nassen Haare von der Schulter um gleich darauf über die empfindliche Stelle an meinem Nacken zu gleiten, bei dessen Berührung sich eine Gänsehaut über meinen Körper legt. Der plötzliche feste Griff an meiner Hüfte lässt mich kurz erschrecken. Doch als dann seine Hände dann weiter hinunterwandern, hebt er mich, wie es scheint mit einer Leichtigkeit nach oben. Instinktiv schlinge ich meine Beine um seine Hüfte und kann dabei ebenfalls seine Begeisterung für diesen Kuss, zwischen meinen Beinen spüren.
Als er mich auf dem Bett absetzt, verlassen mich seine warmen Lippen und als hätte ich bereits nach einer Sekunde Entzugserscheinungen, öffne ich meine Augen wieder, um nach diesen wahnsinnig weichen Lippen zu suchen.
Doch alles was mich erwartet ist ein Feuer in seinen Augen, in denen gerade ein Kampf ausgetragen wird. Ich kenne diesen Ausdruck in seinen Augen. Es ist derselbe wie vorhin, als er verschwunden ist. Schon habe ich wieder Angst dass er das Ganze wiederholt und mich wieder alleine zurücklässt. Meine innere Stimme ruft ihm zu, zu bleiben. Doch er wendet sich zum Gehen und ich spüre, wie die Einsamkeit wieder näher an mich herankommt. Zu meiner Überraschung stoppt er und dreht sich zu meiner Nachtlampe, die auf dem kleinen Tisch neben dem Bett steht. Dort angekommen macht er das Licht aus. Meine Augen brauchen ein paar Sekunden, damit sie sich an die Dunkelheit gewöhnen und die Umrisse seiner Gestalt erkennen können.
Langsam zieht er seinen Pullover über den Kopf und wirft ihn zur Seite. Seinen Schuhen entledigt er sich ebenfalls um sich gleich darauf in mein Bett fallen zu lassen.
Überrascht von seiner Aktion drehe ich meinen Kopf in seine Richtung, da ich noch immer auf dem Rand des Bettes sitze, doch schon packen mich seine starken Arme an meiner Hüfte und ziehen mich zu sich. Auch wenn die Dunkelheit nicht zu viel preisgibt, kann ich noch immer seine leuchtenden Augen erkennen.
„Danke Alex.“
Die Worte kommen so leise über meine Lippen, dass ich mir nicht einmal sicher bin, sie wirklich gesagt zu haben.
„Versuch etwas zu schlafen.“
Seine tiefe Stimme vibriert in meinen Ohren und ich kann diesen innerlichen Kampf, den er vorhin ausgetragen hat, nicht mehr darin wahrnehmen. Es ist, als hätte er sich mit ganzem Herzen entschieden hierzubleiben und genau dass ist es, was mich ein in diesem Augenblick ein klein wenig Glückseligkeit empfinden lässt, bevor sich diese Bilder wieder in meinen Kopf schleichen.
„Ich will meine Augen nicht schließen, nur damit ich dieses Bild wieder vor Augen habe.“
Seine Hände ziehen mich noch enger an sich und hüllen mich in eine feste, beschützende Umarmung, die mein Herz vollkommen willkommen heißt. Schon lange nicht mehr, habe ich mich so beschützt gefühlt. Auch wenn ich es nie zulassen wollte, genieße ich es in diesem Augenblick und lasse es zu.
„Es tut mir leid, dir das jetzt zu sagen. Dieses Bild wird immer in deinen Gedanken sein. Es hat sich manifestiert. Aber du hast auch die Macht darüber, wie dieses Bild deine Gefühle beeinflusst. Versuche einfach, dich nicht von Angst und Mitleid einnehmen zu lassen und betrachte es als ein Erlebnis, dass dich zwar begleiten wird, aber niemals kontrollieren wird. Und ich verspreche dir, eines Tages wirst du damit klarkommen.“
Die Worte legen sich in meine Gedanken und um mein Herz. Denn diese Worte aus seinem Mund klingen so ehrlich und es fühlt sich so an, als würde er aus Erfahrung sprechen.
Er klingt traurig und doch ist eine Härte in seiner Stimme, die ich noch nicht kenne.
Mit seinen Worten in meinem Kopf und dieser Umarmung, versuche ich seinen Rat zu befolgen und schließe meine Augen. Das beruhigende Geräusch seines Atems und die sanfte Bewegung die seine Brust dabei macht, wenn sie sich senkt und wieder hebt, lassen mich dieses Bild etwas verdrängen. Hier mit ihm zu sein ist alles, was ich jetzt brauche. Ich brauche ihn. Ich will ihn. Auch wenn ich es mir nicht eingestehen will.