Eine seichte Brise des frischen Nachtwindes nahm die Hitze des Sibulek und seines Gefährten auf und trug sie in die Kammer. Leise hörte er die Wasserkrüge am anderen Ende des Raumes im warmen Luftstrom vor sich hin köcheln, dann wehte er wieder zum Fenster hinaus und ein neuer kühler Hauch wiederholte das Spiel. In unmittelbarer Nähe ertönte ein dumpfer Knall. Yos Haare mussten sich erneut entzündet haben, doch dieses Mal schienen sie, noch heftiger zu lodern als zuvor, denn die Hitze war ungleich sengender. Auch hörte er das Holz des Fensterrahmens knistern, als ob die Flammen bis an den oberen Rahmen schlugen. Eine dunkle Vorahnung befiel Cru. Sein Schwertbruder hatte das innere Chaos nicht gebändigt, nein. Er konnte das zehrende Feuer in ihm ganz deutlich spüren. Ungehindert strahlte es aus jeder Pore. Yos Aura leuchtete gleißend hell und tränkte sein Sichtfeld hinter der Augenbinde blutrot. Ihm war, als stürzte sie sich regelrecht auf ihn. Hungrig. Gierig. Durstig!
Augenblicklich fröstelte ihn trotz der Schwüle und ein banger Gedanke dämpfte seine Erregung erheblich. Hatte er eine Lawine losgetreten, die nicht mehr aufzuhalten war? Was wenn sein Freund …
„Nein“, zerriss Yos flüsterleise Stimme die angespannte Stille und brachte Crus Befürchtungen zum Schweigen.
Hörbar atmete sein Gefährte mehrmals tief durch und der Sibulek wusste nicht zu sagen, wem das Flüstern galt. Hatte Yo seine Gedanken gelesen? Oder war es der hilflose Versuch, die inneren Dämonen zurückzuhalten? Bevor er weiter darüber nachsinnen konnte, spürte Cru, wie sein Freund die Hände ganz nah über seinen Oberkörper hielt. Offenbar waren auch sie nun von Flammen umhüllt, denn es brannte und biss angenehm auf seiner Haut. Dann fiel etwas Schweres, Nasses auf ihn. Blut. Yo ließ das Blut aus der Wunde auf seine Brust tropfen. Sanft strich er über sein Schlüsselbein, dann tauchte er zwei Fingerkuppen in die kleine Lache und begann, fremdartige Zeichen zu malen. Cru versuchte, sich zu konzentrieren und sie zu enträtseln, scheiterte jedoch kläglich. Stattdessen zuckte er immer wieder ob der ungewohnt zärtlichen Berührungen zusammen und erschauderte unter der glühenden Hitze der feuerumnebelten Hände.
‚So muss es sich anfühlen, bei lebendigem Leibe zu verbrennen‘, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf.
War das Yos Rache? Sollte das seine Strafe sein? Wenn ja, dann war sie nicht halb so grausam, wie er befürchtet hatte. Doch dafür doppelt so gemein und unglaublich sinnlich. Dabei war er sich nicht einmal sicher, ob sein Gefährte überhaupt noch geistig anwesend war. Yos Bewegungen waren fahrig und ihm schien es, als war sein Schwertbruder in eine Art Dämmerzustand verfallen. Mit einer Hand fuhr er seinen Arm hinauf und verhakte die Finger mit den seinen, mit der anderen strich er seine linke Körperseite entlang nach unten. Einen Wimpernschlag lang zögerte Yo, dann küsste er seinen Hals und schob ihm die leichte Leinenhose über die Beckenknochen. Cru hielt den Atem an und versuchte, das überlaute Hämmern seines Herzschlages, das von jeder Hirnwindung widerhallte, und die verstörenden Bilder in seinem Kopf zu ignorieren. Wusste Yo, was er da tat?
Ohne die Lippen von seinem Körper zu nehmen, wanderte der Kopf seines Freundes tiefer. Cru atmete gepresst und seine Lungen brannten ob der heißen Luft, als war er auf der Flucht. Als Yo den Vorsprung seines Hüftbeines küsste, durchfuhr ein Energiestoß sondergleichen seinen Leib und die zusammengebundenen Hände gegen die Mauer gedrückt bäumte er sich auf. Mit aller Macht hielt der Sibulek das lustvolle Keuchen zurück, das seine Kehle verlassen wollte. Wurde sein Gefährte sich erst einmal gewahr, wie erregend das alles für ihn war, dann war es um ihn geschehen. Dann nutzte Yo seine missliche Lage zweifelsohne gnadenlos aus. Ein Gedanke, der Cru weit weniger erschreckte, als er vermutlich sollte.
Ein leises, helles Geräusch ließ ihn aufhorchen und im nächsten Augenblick zog ein stechendes Beißen durch seine Hüfte. Betont langsam kratzten Yos feine Krallen vom Bauch aus aufwärts. Laut zischend atmete der Sibulek ein und konnte sein Stöhnen nicht länger unterdrücken. Wie züngelnde Flammen brannten die vier schmalen Schrammen auf seiner Brust und sich regelrecht in seine Haut hinein. Besonders schlimm war es dort, wo die Fänge ihren Weg begonnen hatten. Vorübergehend überdeckte der Schmerz sogar jedwedes Lustgefühl und stattdessen drängte sich eine ganz andere Empfindung in den Vordergrund, je höher die Krallen kamen. Cru konnte sie bereits in seiner Halsgrube spüren und als das kühle Metall flüchtig sein Kinn berührte, streckte er im Reflex den Kopf weit nach hinten. War das sein Ende?
Als sein Freund die Hand an seinen Hals legte, fuhren die Fänge wieder zurück und der Sibulek atmete erleichtert auf. Nur einen Atemzug später umfasste Yo seine Kehle mit beiden Händen und drückte ohne Vorwarnung zu. Crus Denken setzte aus, schockiert riss er die Augen hinter der Binde weit auf und jeder einzelne Muskel seines Körpers verkrampfte. Drei quälend lange Atemzüge drosselte sein Gefährte ihn mit ganzer Kraft, dann gab er ihn ebenso abrupt wieder frei.
Das Blut des Sibulek rauschte laut in seinen Ohren und sein ersticktes Husten zerriss die Grabesstille des Momentes. Noch bevor er den Schreck überwunden und sein Verstand wieder den Dienst aufgenommen hatte, beugte Yo sich erneut über ihn. Dieses Mal offenbar mit ausreichend Sicherheitsabstand, denn er spürte die Arme seines Schwertbruders nicht mehr an seiner Seite. Dieser schien, ihm etwas sagen zu wollen, und kam ganz dicht an sein Ohr heran. So nah, dass er den kleinsten Atemzug hören konnte. Doch sein Freund brachte kein Wort heraus. Nicht einen Laut. Nichts als flache, gepresste Lufthauche, die Cru ahnen ließen, dass er ob dieser Attacke wohl ebenso fassungslos war wie ob des ersten Kusses, der all dies erst in Gang gesetzt hatte.
Sanft drückten die zitternden Lippen seines Gefährten sich nun auf seinen Hals und sofort spürte der Sibulek das Wundmal. Leise stöhnte er auf. Teils vor Schmerz, teils vor Erregung. Aber auch vor Erleichterung. Denn nun kannte er die Antwort auf seine stillen Fragen. Er wusste, dass der vermeintlich zu weit nach vorn gewagte Schritt vielleicht genau der richtige gewesen war. Denn wichtiger als Yos plötzliche Bewusstseinstrübung war die Tatsache, dass er sie offenkundig bereute. Tief im Herzen wusste Cru, was sein Schwertbruder ihm hatte sagen wollen, und ebenso stumm wie Yo ihn um Vergebung bat, gewährte er sie ihm. Verzieh ihm mit jedem Kuss auf die schmerzenden Läsionen. Verlor sich mit jedem Wimpernschlag mehr in dem gefährlichen Sog dieser absonderlichen Gefühle.
In Windeseile bedeckten die feurigen Lippenbekenntnisse seinen gesamten Hals, seine Schultern und seinen Nacken. Eine kleine Träne stahl sich aus Crus rechtem Augenwinkel. Der Schmerz schwand und das warme, lustvolle Prickeln kehrte zurück. Gleichmäßig breitete es sich in seiner Brust und seinem Bauch aus, strahlte allmählich gar bis in seine Lenden.
‚Wenn ich doch nur etwas sehen könnte‘, dachte er sehnsüchtig.
Am liebsten hätte er Yo darum gebeten, ihn freizugeben, doch sein Stolz verbot ihm dies. Die Frage war nur wie lange noch.
Hatte er ihn vor wenigen Augenblicken noch töten wollen, sprühte sein Gefährte jetzt plötzlich vor nie gekannter Leidenschaft und der rasante Umschwung ließ den schrecklichen Moment schneller verblassen als trocknende Geheimtinte auf Pergament. Die sinnliche Begierde Yos schien die Oberhand über diesen gewonnen zu haben und seine Zärtlichkeiten wurden immer fordernder. Rastlos wanderten sowohl die Lippen als auch die Zunge seines Schwertbruders über die Brust des Sibulek und hinterließen feuchte Spuren, an mancher Stelle vielleicht sogar sichtbare Kussmale. Kein Hauch mehr von Zögern oder Ringen. Keine Zurückhaltung, keine Scham. Ungeniert leckte sein Freund nun über seine Brustwarzen, knabberte und saugte an ihnen. Cru konnte nicht fassen, wie gnadenlos gut sich das anfühlte.
Viele Winter war es her, dass er zuletzt den Freuden der Lust gefrönt und Intimitäten mit einem anderen Wesen ausgetauscht hatte. Zu lange, wie es schien. Fordernd reckte sein Körper sich Yo entgegen und lechzte geradezu nach Zärtlichkeit. Wie ein Darbender nach einigen Tropfen frischen Wassers. Anders war es nicht zu erklären, dass er gebunden und blind unter seinem Schwertbruder lag, diesen zu sinnlichen Gunstbezeugungen animierte und diese völlig verquere Situation auch noch genoss.
War es ihm vormals noch schwergefallen, seinen Kopf auszuschalten, gelang es ihm nun mit erschreckender Leichtigkeit. Alle Gedanken waren verstummt und sein gesunder Verstand schien sich in den Untiefen seines Geistes verkrochen zu haben. Auch sein Stolz schwand zusehends und in gleichem Maße stieg seine Lautstärke. Zum wiederholten Male legte Cru keuchend den Kopf in den Nacken und wand sich zunehmend unter den brennenden Küssen. Mittlerweile begann sein Schwertbruder sogar, ihn leicht zu beißen, was ihn nicht minder erregte. Es stimmte, was Yo einmal im Flachs zu ihm gesagt hatte: Lust und Schmerz lagen ebenso nah beieinander wie Genie und Wahnsinn.
Heiße Atemwolken bliesen an seine Kehle und die oberen Frontzähne seines Gefährten streiften die Haut des Sibulek. Wie vom Blitz getroffen setzte sein Herzschlag kurz aus. Panisch riss er beide Arme nach oben und sich dabei die Augenbinde vom Kopf, stieß Yo vor die Brust, richtete sich ein Stück auf und drückte ihn von sich weg. Sein Atem rasselte und seine Gedanken überschlugen sich fast.
„Nicht“, wisperte er kaum hörbar, dann sank er wieder auf den Sims zurück.
Behutsam fasste Yo mit einer Hand seine Arme und legte sie wieder über seinen Kopf, mit der anderen löste er zeitgleich die Fesseln um seine Gelenke. Dann schlug sein Freund schuldbewusst die Augen nieder und wandte den Blick ab. Regungslos blieb Cru liegen und schloss die Lider. Sein eben noch ausgeschalteter Verstand arbeitete plötzlich auf Hochtouren und die Erkenntnisse, zu denen er kam, waren mehr als beängstigend.
Von all den Dingen, die an diesem sonderbaren Abend geschahen, beunruhigte den Sibulek eines am Meisten. Er hatte nicht nur Yos Aussetzer ohne Widerstand geschehen lassen, auch seine jetzige Reflexhandlung war keine wirkliche Abwehr gewesen. Denn dann hätte er seinen Freund mit Leichtigkeit von sich runtergestoßen und vom Sims oder gar aus dem geöffneten Fenster geworfen. Nein, wenn er ehrlich war, dann hatte er nur auf diesen Augenblick gewartet. Die heißen Küsse seines Gefährten hatten ihn schon die ganze Zeit darauf vorbereitet und ihm Yos Begehr verraten. Vermutlich lange bevor dieser es selbst erkannt hatte. Doch wenn Cru das zuließ, dann war er seinem Schwertbruder auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Immerhin war Yo zu einem Teil Vampir. Keiner von ihnen wusste, wie stark das elbische Bluterbe in ihm war, geschweige denn wie er reagierte, wenn er sich erst einmal in ihm verbissen hatte. Unter Umständen ließ Yo erst dann wieder von ihm ab, wenn es zu spät war. Und ihm blieben dann kaum Mittel, sich noch in irgendeiner Art und Weise zu wehren oder gar zu befreien.
Trotz allem wusste der Sibulek ebenso gut, dass er seinen Gefährten bei einem neuerlichen Versuch wider jede Vernunft gewähren ließ. Eine Gewissheit, die ihn einerseits erschreckte, doch andererseits seine Erregung intensivierte. Insgeheim wünschte Cru sich sogar, Yo würde einen erneuten Vorstoß wagen. Doch ehe er das wirklich gestatten konnte, musste er sichergehen, dass er sich nicht irrte. Bevor er sein Leben und sein Seelenheil riskierte, musste er wissen wofür!
Entschlossen öffnete er die Lider. Sein Schwertbruder sah beschämt aus und hatte das Gesicht abgewandt. Es schien, als wollte er zurechtgewiesen oder gar geschlagen werden, um wieder zur Besinnung zu kommen. Doch diesen Gefallen konnte und wollte Cru ihm nicht tun. Stattdessen hob er einen Arm und strich seinem Freund über die glühende Wange. Sofort wandte dieser sich noch weiter ab, worauf er Yos Kopf in beide Hände nahm und bestimmt zu sich herumdrehte.
„Sieh mich an!“, verlangte er eindringlich.
Doch nichts geschah. Yo weigerte sich standhaft, seine Gesichtszüge verhärteten sich und er schien ohnmächtig und hilflos zugleich zu sein.
‚Jetzt oder nie!‘, dachte Cru kämpferisch.
Geduldig wartete er eine gefühlte Ewigkeit lang und musterte dabei fasziniert den bleichen Körper seines Gefährten, auf dem die Adern sich mittlerweile so deutlich abzeichneten, dass es aussah, als wäre dieser von einem dichten, feinmaschigen Netz blauer Spinnfäden umgeben. Unverhofft schlug Yo dann doch die Augen auf und Cru stockte der Atem. Mit durchdringendem Blick sah sein Freund ihm direkt in die Augen und in der unendlichen Schwärze der Pupillen brannte ein unheiliges Feuer, in dem er alles, wirklich alles lesen konnte. Mit einem Schlag war auch der Schutzwall um Yos Geist hinweggefegt und der Sibulek hörte jeden Gedanken, fühlte jede Empfindung, als waren es seine eigenen. Eine kaum zu bewältigende Flut stürzte auf ihn ein. Was immer Cru gehofft hatte, auf diese Weise zu erfahren, damit hatte er nicht gerechnet!
„Es tut mir leid“, flüsterte Yo mit bebender Stimme, während sein Blick langsam wieder abwärts und zur Kehle des Sibulek rutschte. „Ich kann nicht anders. Ich …“
Die Worte des Vampirelben verloren sich im seichten Nachtwind, doch erneut ahnte Cru intuitiv, was sein Freund sagen wollte, aber nicht über die Lippen brachte. Überwältigt holte er Luft und sein Herzschlag machte einen Sprung. Es dauerte eine Weile, bis er den unausgesprochenen Satz in seiner ganzen Tiefe begriffen hatte, dann jedoch brach auch der letzte Damm, der ihn noch zurückhielt, und sein Verstand ergab sich gänzlich seinen Gefühlen.
Ohne Vorwarnung schnellte Cru hoch, presste seinen Schwertbruder so eng an sich, dass dieser kaum noch atmen konnte, und küsste ihn. Sobald er den Kuss löste, beugte Yo sich um Luft ringend nach hinten und er umfasste ihn in der Hüfte. Kraftvoll drückte er ihn ins Hohlkreuz und bedeckte die bleiche Brust mit wilden Küssen. Mit einer Hand kratzte er fahrig den Rücken seines Gefährten hinab, mit der anderen packte er dessen Zopf und hinderte ihn durch beständiges Ziehen daran, sich wieder aufzurichten.
Beinahe ergeben schloss sein Freund die Augen. Cru fühlte, wie er mit jeder Berührung die Härte aus dem blassen Leib strich und nichts als weiche Geschmeidigkeit hinterließ. Aus Yos Kehle drangen Laute, wie er sie noch nie von ihm gehört hatte: stöhnend, keuchend, fast schon flehend. In einer Laustärke, die jeden Anstand missen ließ und ihm spürbar die Röte auf die Wangen trieb. Unvermittelt spürte er einen brennenden Schmerz am Handgelenk, zog zischend die Luft ein und begriff, dass Yo auch seine Narbe aufgerissen hatte. Prompt ließ er knurrend von ihm ab und noch ehe er etwas sagen konnte, packte sein Gefährte sein kahles Haupt.
„Ich kann ohne dich nicht mehr leben“, raunte der Vampirelb und funkelte ihn aus schmalen Augen dämonisch an.
Cru stockte der Atem. Die eigenen Gedanken ausgesprochen zu hören, ließ ihm sprichwörtlich das Blut in den Adern gefrieren. Er wusste, was gleich geschah. Und er sah die untertänige Bitte, die sich hinter dem teuflischen Leuchten in Yos Augen verbarg. Erkannte das stumme Flehen, seinen Gefährten endlich zu erlösen, ihn freizugeben. Doch anstatt auf das Versprechen zu beharren oder wenigstens in lebensrettende Gegenwehr auszubrechen, spürte er ein verzehrendes Feuer in sich, das sich selbst mit Yos Glut messen konnte. Unfähig, seinen Freund bei den folgenden Worten anzusehen, schloss er die Augen und ein verlangendes Flüstern verließ seine Kehle: „Lass mich ein Teil von dir sein.“
Wie sehnsüchtig musste sein Schwertbruder auf diesen Moment gewartet haben? Einen tiefen Atemzug lang zögerte Yo, dann wurde der Griff um sein Haupt eisern. Forsch drehte er seinen Kopf zur Seite, überspannte ihn und küsste noch einmal beruhigend seinen Hals. Cru zersprang fast vor erwartungsvoller Anspannung, da kamen seinem Freund eben jene Worte, denen er sich noch vor wenigen Augenblicken schamhaft verweigert hatte, nun voll Inbrunst über die Lippen.
„Ich will dich!“
Die Worte waren kaum verklungen, da biss Yo schonungslos zu und ein ekstatischer Laut, irgendwo zwischen schmerzerfülltem Schrei und lustvollem Stöhnen, entrang sich Cru. Sengende Hitze, heißer als jedes Feuer der Welt, schoss in ihn und der blutige Kuss fraß sich durch Mark und Gebein. Eine betäubende Welle rollte seinen Körper hinab, beraubte ihn der Kontrolle über seine Gliedmaßen und schnürte ihm den Brustkorb so eng, dass jeder Atemzug brannte. Sein Herz hämmerte wie wahnsinnig gegen die Rippen und sein Geist schient der Enge seines Schädels entfliehen zu wollen. Bereits nach wenigen Atemzügen spürte der Sibulek den Schmerz jedoch nur noch unterschwellig und wurde immer mehr von wohliger Wärme, Glück, Verlangen und Liebe, wie er sie nur aus Erzählungen seines viel zu früh verstorbenen Vaters kannte, erfüllt.
Haltsuchend klammerte Cru sich an Yo und ließ seinem Stöhnen freien Lauf, während er die Nägel in den Rücken seines Gefährten bohrte und die Beine um dessen Körpermitte schlang. Dann führte er das nur noch leicht blutende Handgelenk seines Freundes vorsichtig an den Mund und leckte zaghaft über den Schnitt. Noch nie zuvor hatte er das blaue Blut des Vampirelben gekostet und war überrascht von dem bitteren, leicht säuerlichen Geschmack und dem scharfen Prickeln, das es auf seinen Lippen verursachte. Für einen kurzen Moment hatte der Sibulek gar das bizarre Gefühl, einen winzigen Teil der Kraft, die stetig seinen Körper verließ, mit diesem einen blauen Blutstropfen zurückzuerlangen, und ein eigenartiges Brennen rann seine Kehle hinab. Nie hatte er verstanden, nie den Mut oder Willen gehabt, sich auch nur vorzustellen, was Yo dabei empfinden musste, wenn er das Blut eines anderen Wesens trank. Doch in diesem Augenblick konnte er es zumindest erahnen. Und so unglaublich sich das anhörte und auch anfühlte, tief in seinem Inneren konnte er seinen Freund ansatzweise verstehen.
Dieser schien indes so sehr berückt, dass er offenbar nur noch aus dunkler Begierde bestand. Laut hallten die finsteren, besitzergreifenden Gedanken seines Schwertbruders in Crus Kopf wieder. Animalische, blutige Begierde, sprach aus den geistigen Bildern, die nunmehr ungebremst aus dem Geist des Vampirelben in den seinen fluteten, und ihre rasant wachsende wollüstige Tönung trieb sein emotionales Auf und Ab in ungeahnte Höhen und Tiefen. Yo wollte ihn! Mit Haut und Haar. Er wollte ihn, wie noch nie etwas anderes zuvor. Wollte ihn bis auf den letzten Tropfen aussaugen. Wollte ihn verschlingen, ihn sich einverleiben. Wollte ihn erfüllen und alles, was er war, in sich aufnehmen. Yo wollte ihn so sehr, dass es schmerzte.
Fieberhaft trunken kratzten die Krallen seines Freundes über seine Kehrseite, während er ihn mit übernatürlicher Kraft festhielt und jeden Versuch, sich ihm zu entwinden, erbarmungslos im Keim erstickte. Cru spürte, wie seine Lebenskraft allmählich schwand. Wie jedes Körperteil seines Blutes beraubt kalt und schwer wurde. Erst die Zehen, dann seine Beine. Auch die Finger kribbelten bereits. Eine allumfassende Taubheit nahm allmählich sein Inneres ein. Doch obwohl ihn seine Kräfte in beängstigend rasantem Tempo verließen, schärften seine Sinne sich seltsamerweise. Jede kleinste Berührung, und sei es nur das sanfte Kitzeln eines Haares oder ein leichtes Touchieren der Finger, jagte dem Sibulek blitzartige Stöße durch den Körper und sandte grelle, schmerzhafte Lichter in sein völlig benebeltes Gehirn. Auch der normalerweise kaum wahrnehmbare, dezente Körpergeruch seines Gefährten glich plötzlich einem betörenden Duftwasser, das ihn in eine schwere Wolke rauchig-blumigen Schwefeldunst mit einer wilden Raubtiernote hüllte und das Atmen zusätzlich erschwerte.
‚Lange halte ich nicht mehr durch!‘, dachte Cru, als Yo ihn plötzlich zu Fall und unter sich brachte.
Bald brach sein Organismus zusammen, das spürte er nur allzu deutlich. Und dieses groteske Gefühl, diese unvermeidliche Gewissheit brachte ihn fast um den Verstand! Der Vampirelb hatte sich fest in ihm verbissen und machte nicht den Anschein, alsbald von ihm ablassen zu wollen. Gewaltsam presste sein Schwertbruder ihn auf den Sims, obwohl er ohnehin keine Kraft mehr hatte, sich noch zu wehren, bohrte die Zähne immer tiefer in sein Fleisch, drängte seine Lenden in rhythmischen Abständen gegen die seinen und trieb ihn mit energischen Stößen immer weiter an den Rand des Abgrunds.
Mit geschlossenen Augen sog der Sibulek dieses wahnsinnige Gefühl, derart gewollt zu werden, so tief in sich auf, dass sein Selbsterhaltungstrieb vollends kapitulierte und auch der letzte Verteidigungsreflex seines Körpers erlosch. Kalt war ihm, unendlich kalt. Doch gleichzeitig so wohlig warm und behaglich. Von Ferne sah er ein verschwommenes helles Licht, das mit jedem Stöhnen seinerseits näherkam, während die Welt um ihn herum in Schatten versank. Sein Ende war nah. Doch so widersinnig das auch war, Cru hatte keine Angst. Er vertraute Yo und legte sein Leben willentlich in dessen Hände. Selbst auf die Gefahr hin, dass sein Freund und Gefährte ihn hier und jetzt tötete!