Umständlich beginne ich den Reißverschluss meines Kleides mit zwei Fingern zu öffnen. Nach kurzer Zeit und mehreren Verkrümmungen, habe ich es geschafft den Reißverschluss komplett aufzuziehen und steige dann aus dem Kleid heraus. Meine Schuhe folgen sofort. Mit nackten Füßen husche ich über den Holzboden in meinem Zimmer zu meinen Schubladen. Heraus ziehe ich ein paar dicke Socken und einen warmen Schlafanzug. Alles ziehe ich schnell an, da es in meinem Zimmer nach wie vor kalt ist. In diesen warmen Sachen eingekleidet, stapfe ich mit meiner warmen Decke im Arm die Treppe hinunter, bis ins Wohnzimmer. Jetzt werde ich mir noch einen schönen Abend machen ganz ohne die Leute auf der Party.
Unten angekommen, werfe ich die Decke schonmal aufs Sofa und gehe dann weiter zur Heizung, von der aus man auf das Haus der Familie Ross blicken kann. Scheinbar ist die Party noch in vollem Gang. Im Garten, nur wenige Meter von unserem Zaun entfernt, liegen überall verstreut mehrere Leute und schlafen auf dem Rasen oder trinken aus großen Vodkaflaschen. Augen verdrehend wende ich mich ab und gehe stattdessen lieber in die Küche, um mir etwas zu Essen zu holen. Schließlich bin ich noch im Wachstum und da ist es ganz wichtig viel zu essen. Jedenfalls ist das immer das, was ich meinen Eltern sage, wenn sie fragen, warum ich ständig so viel Hunger habe.
Meine Finger schließen sich um den Griff des Kühlschranks und ich öffne die Tür. Der Kühlschrank ist fast leer. Scheinbar waren Mom und Dad nicht einkaufen. Ich drehe mich zum Tisch um und greife nach einem kleinen, bunten Zettelblock und einem Stift. Darauf schreibe ich eine Erinnerung für jeden im Haushalt, das bald wieder eingekauft werden muss. Den blauen Post-It Zettel klebe ich an die Tür des Kühlschrankes. Dann öffne ich das Eisfach, um nachzuschauen, ob wir noch etwas Eis haben. Wenigstens haben wir davon noch ein bisschen. Langsam ziehe ich einen Hocker vor das Regal, in dem sich die Schüsseln für Eis befinden, und versuche dabei möglichst leise zu sein, weil meine Schwester und meine Eltern bereits schlafen. Schließlich ist es schon nach ein Uhr und eigentlich würde ich auch schon lange im Bett schlafen, wenn ich heute nicht zur Party gegangen wäre.
Das Schokoladeneis führe ich mit einem großen metallenen Löffel in die Schüssel und stelle dann die Packung wieder weg, doch etwas Kaltes reicht mir noch nicht. Deshalb mache ich mir noch einen Kakao mit Streuseln und lasse mich dann mit beiden Sachen in der Hand aus Sofa sinken. So lässt es sich doch leben. Endlich habe ich das Gefühl wirklich glücklich zu sein und mich einfach mal entspannen zu können. In letzter Zeit hat die Schule mich so gestresst, dass ein entspanntes Wochenende Gold wert ist. Ausnahmsweise muss ich am Wochenende mal keine Referate vorbereiten oder Hausaufgaben machen, sondern einfach ein ruhiges, entspanntes Wochenende verbringen. Bevor ich mich jedoch meinem Eis zuwende, gehe ich auf den DVD-Player zu und lege eine DVD ein. Darauf steht in silbernen Lettern “Sex and the City“ und darunter “Staffel 1“. Mit der Fernbedienung in der Hand starte ich die erste Folge und decke mich mit meiner grauen Decke zu. Immer wieder nehme ich abwechselnd einen Schluck Kakao und esse dann einen Löffel Eis, doch ich kann mich nicht richtig auf die Serie konzentrieren.
Stattdessen sind meine Gedanken fast ununterbrochen bei meinem Nachbarn Cameron Ross, den ich schon seit ich denken kann, kenne. Ich habe mich schon oft gefragt, wie unsere Beziehung so kippen konnte, wenn man bedenkt, dass wir früher sehr gut befreundet waren und so gut wie jede freie Minute miteinander verbracht haben. Als wir jedoch in die Middle School kamen, kamen wir mit Ashley zusammen. Bereits von Anfang an, hat er für das Mädchen geschwärmt, was mich anfangs nicht gestört hat, aber als er dann begonnen hat sich gegen mich zu wenden und sich immer weiter von mir zu entfernen, hat unsere Freundschaft immer mehr gelitten, bis er angefangen hat mich, auf Ashleys Wunsch hin, zu mobben und mit mir auf der High School kein einziges Wort mehr mit mir zu sprechen. Wahrscheinlich wusste er bis gestern gar nicht, dass es mich gibt. Die Erinnerung an unsere Vergangenheit macht mich total traurig. Wie konnte es nur so kommen? Schon so oft habe ich mich gefragt wie es wäre, wenn wir Ashley nie getroffen hätten. Wäre es dann anders gekommen oder hätte er mich trotzdem irgendwann so behandelt?
Mein Kakao und auch das Eis sind bereits leer, als es an der Tür klingelt. Verwundert runzele ich die Stirn. Wer kann das denn nur sein? Überrascht befreie ich mich und stehe vom Sofa auf. Langsam schlurfe ich zur Tür und öffne die Tür, um nachzusehen, wer davor steht. “Morgan? Was tust du hier?“, frage ich total überrascht: “Wieso bist und nicht auf Camerons Party?“ “Ich habe mir Sorgen gemacht. Du warst plötzlich weg“, erklärt sie wehmütig und schaut mich besorgt an. Ich schaue mich draußen um, ob noch jemand vor der Tür steht. Als das nicht der Fall ist, ziehe ich sie zu mir ins Haus: “Komm erst mal rein.“ Morgan kommt meiner Bitte nach und setzt sich zu mir aufs Sofa. “Also? Wieso bist du gegangen?“, fragt sie nachdenklich: “Ist irgendwas passiert? Wurdest du belästigt?“ Schnell versuche ich sie zu beruhigen: “Nein, nein. Alles gut. Die Stunde war nur noch vorbei und ich hatte keine Lust mehr. Partys sind nichts für mich.“ Überraschenderweise nimmt sie mich in den Arm: “Ich hab mir richtige Sorgen gemacht. Geh nie wieder, ohne mir vorher Bescheid zu sagen.“ Meine Überraschung kann ich kaum verstecken. Ihr Verhalten ist einfach zu untypisch für sie, was wohl ein Zeichen dafür ist, dass sie wirkliche Angst um mich hatte. Um sie ein wenig zu beruhigen, verspreche ich es: “Ich verspreche es. Tut mir leid, dass ich einfach gegangen bin. Mach ich nicht noch mal.“ “Danke“, sie schmiegt zufrieden an mich. Mein Kopf fällt auf ihre Schulter und jetzt erst merke ich, wie müde ich eigentlich bin. Langsam wird mir schwarz vor Augen und ich schlafe, mit einer tiefen Befriedigung in meinem Inneren, ein.