Du bist Elred Aramys Nuvian.
Du packst Arthrax am Arm. „Egal, verschwinden wir!“
Der menschliche Krieger sieht dich an und für einen Moment huscht ein Schatten über sein Gesicht. Du erschrickst, als du den brennenden Hass spürst. Mit einer heftigen Bewegung reißt Arthrax sich los und tritt dem Ork mit gezogener Waffe entgegen.
„Elender Sturkopf!“, fluchst du, zieht dein Jagdmesser und springst an Arthrax' Seite.
Euer Gegner hebt eine schwere Keule, die mit rostigen Nägeln gespickt ist. Die Keule rast von oben auf euch zu. Du spürst einen Druck an der Schulter, als Arthrax sich von dir abstößt, und nutzt seinen Schwung, um ebenfalls zur Seite zu springen. Die Keule kracht donnernd auf den Boden zwischen euch, Matschspritzer und kleine Steinchen fliegen in alle Richtungen davon. Du wirfst dein Jagdmesser in die Luft und fängst es so auf, dass die Klinge unten aus deiner Faust ragt, dann stößt du das Metall in den grünhäutigen Arm des Orks. Im nächsten Moment duckst du dich unter dem waagerecht schwingenden Blatt von Arthrax' Axt hindurch. Die Axt prallt gegen die mit Metallbändern gepanzerte Brust des Orks, eure Gegner heult laut auf – allerdings klingt er mehr wütend als verletzt.
Mit einem harten Ruck, von dem seine Muskeln hervor treten, zieht er die Keule in die Höhe und schwingt sie in einem ungelenken, schrägen Bogen gegen euch. Ihr springt beide zurück, doch Arthrax stürmt direkt wieder vor und hämmert mit der Axt auf den Feind ein. Diesmal dringt die Schneide zwischen den Metallbändern in das Fleisch, schwarzes Blut sprudelt aus der Wunde. Doch der Ork erwischt Arthrax mit dem Ellbogen, als er die Keule zurück schwingt. Der Mensch wird zur Seite geschleudert und landet irgendwo in der Menge.
Die Keule saust auf dich zu und trifft vor deinen Füßen auf die Erde. Du siehst deine Chance gekommen, setzt die Füße geschickt auf die Keule und springt auf deinen Gegner zu. Ehe der riesenhafte Ork reagieren kann, bist du auf seine knotigen Schultern gesprungen und rammst ihm das Messer seitlich in den Hals, so tief wie möglich, und führst einen schnellen, harten Schnitt durch.
Der Ork brüllt und schleudert dich ab. Du landest auf dem Boden, rollst durch den Matsch und hebst den Blick. Der Ork schwankt auf dich zu, tastet mit der freien Hand ungeschickt nach seinem Hals und kippt dann donnernd um. Der Matsch schlägt kleine Wellen und der massige Ork versinkt halb im Boden. In sein offenes Maul läuft dunkler Schlamm.
Du richtest dich keuchend auf und willst dein Messer abwischen, da erstarrst du: Sämtliche Orks haben einen Kreis um dich geschlossen und zeigen mit ihren Waffen auf dich. Im ersten Moment fürchtest du, dass euer Kampf gegen eine ungeschriebene Regel verstoßen hat, doch es ist etwas weit Schlimmeres.
Du entdeckst Arthrax, der bewusstlos zwischen zwei Orks hängt. Der Helm ist ihm vom Kopf gerutscht und offenbart, dass die Rüstung nichts weiter als eine Verkleidung war. Du steckst dein Messer weg und hebst beide Hände neben die Ohren.
Ihr seid enttarnt!
°°°
Die Orks zerren euch grob durch die Straßen von Orkstadt.
Dich wundert, dass Orks etwas von solcher Schönheit und Kunstfertigkeit schaffen können. Zwar sieht man jeder Mauer an, das sie zum Kriegshandwerk geschaffen wurde – mit schwarzen Dornen im Mauerwerk, die nach oben zeigen, Schießscharten und Kanälen für kochendes Pech – doch die Art, wie die tausend Burgen ineinander übergehen, wie sich in jedem Winkel und jeder Ecke noch ein kleiner Hof für einen Hinterhalt findet, verlangt nach Bewunderung. Mit vollendetem Geschick haben die Orks jeden Flecken Erde mit Steinen überpflastert und jede Handspanne ihrer Stadt für einen langen, verwirrenden Krieg gerüstet. Fast schon liebevoll willst du ihren Blick für das Detail nennen.
Schließlich gelangt ihr über eine Treppe, die sich über einen Burggraben spannt, in eine größere Burg. Sofort wird offensichtlich, dass es sich um ein älteres Gebäude handelt, denn es gibt eine einheitliche Burgmauer und die Architektur wirkt weniger planlos. Ihr werdet über einen großen, offenen Platz geführt.
„Elred? Haben wir verloren?“
Du drehst den Kopf und stellst fest, dass Arthrax wachgeworden ist. Im Griff der Orks hängend, das Gesicht mit Blut verklebt, wirft er dir einen benommenen Blick zu.
„Wir haben gewonnen“, stellst du richtig.
„Ja, klar!“, schnaubt Arthrax spöttisch.
Dann fällt ein dunkler Schatten auf euch. Ihr habt den Platz vor dem Haus überquert. Als sich zwei gewaltige Flügeltüren vor euch öffnen, tauscht ihr einen beunruhigten Blick.
In der Halle hinter den Türen herrscht reges Treiben. Unzählige Orks stehen in dem riesigen Raum aus Stein. Sie verströmen dabei einen intensiven, übelkeitserregenden Gestank, den Geruch von hunderten ungewaschenen Leibern mit einem Parfum von Blut und Alkohol.
Der Lärm ihrer Stimmen und ihres Gebrülls verstummt auf einen Schlag, als ihr in die Halle geführt werdet. Die Orks formen ein enges Spalier, durch das ihr hindurch gezerrt werdet. Die Faust eines Orks stößt dich unsanft vorwärts, vorbei an einer langen Wand missgestaltener Gesichter und rostiger Waffen.
Doch am schlimmsten trifft dich der Anblick des Orks, der auf einem hochlehnigen Stuhl aus Stahl und Stein auf einem erhöhten Podest am Ende der Halle sitzt. Im Gegensatz zu allen anderen Monstern ist seine Haut nicht grün, sondern lilastichig. Seine Augen sind milchig weiß, scheinbar blind, doch er richtet seinen Blick genau auf euch, als ihr vor ihn gestoßen werdet. Gehüllt ist das Wesen, wie bei Orks üblich, in eine rostige, verbogene und verbeulte Rüstung, in seiner Hand schwenkt er eine unangenehm aussehende Waffe, eine Art Stab, der mit Spitzen und Zacken verziert ist. In einen Käfig aus dünnen, schwarzen Metallstangen ist ein leuchtender Stein eingelassen, ein großer, goldener Stein mit orangen Adern.
Du atmest die Luft durch den Mund ein und schmeckst den Gestank der Orks auf der Zunge – und das Prickeln von Macht: Ein Schöpferstein!
Der lilafarbene Ork beugt sich zu euch herunter und rümpft die schiefe Nase. „Was haben wir hier?“, fragt er in einem kehligen Dialekt der Gemeinsprache.
„Eindringlinge, Euer Schrecklichkeit!“, quiekt der Ork, der dich festhält, mit überraschend hoher Stimme. „Sie wurden beim siebten Tor gefasst und wollten sich verkleidet in unser Land schleichen!“
Ein Raunen, Grunzen und Knurren geht durch die versammelten Orks. Man stößt dich nach vorne, du stolperst und kannst dich nur mit einiger Mühe auf den Beinen halten. Neben dir stürzt Arthrax schwer auf die Steine. Stöhnend rollt sich der Mensch auf die Seite und steht langsam auf. Er sieht furchtbar aus. Der Kampf am Tor hatte ihn bereits übel zugerichtet.
Leider sieht es nicht so aus, als wäre das die letzte Verletzung, die er heute erleidet.
Der Orkkönig beugt sich vor und mustert euch aus seinen milchigen, tränenden Augen. Er schnieft laut, wischt sich mit der Pranke die Nase, dann erhebt er sich schwerfällig und kommt mit wiegenden Schritten auf euch zu, in dem watschelnden Gang eines Übergewichtigen, und sein Bauch pendelt hypnotisch vor ihm her.
„Scheiße“, murmelt Arthrax.
Du fühlst dich ähnlich, auch wenn du dich vielleicht gewandter ausdrücken würdest. Und ausgerechnet Arthrax ist derjenige, mit dem du deine letzten Stunden verbringst! Du legst den Kopf in den Nacken und starrst zu dem großen Ork auf.
„Ihr wolltest euch also als Orks verkleiden?“, schnaubt der König. „Lächerlich!“ Dann, an die Orks gewandt, die euch gefangen haben: „Was hat sie verraten?“
„Sie haben einen Kampf angefangen, dabei hat der da“, der Ork deutet auf Arthrax, „den Helm verloren.“
Langsam, fast wie in Zeitlupe, macht sich ein Ausdruck der Überraschung auf dem Gesicht des Königs breit. Es ist offensichtlich, dass er nicht mit einer solchen Geschichte gerechnet hat. Als er sich zurücklehnt, wirkt er beinahe zufrieden mit euch.
„Ihr habt vielleicht doch das Zeug zum Ork. Wisst ihr was, ich mache euch einen Vorschlag. Wenn ihr mich davon überzeugt, dass ihr mit etwas mehr Glück unerkannt durch mein Reich hättet reisen können, lasse ich euch am Leben. Ich lasse euch zur Grenze bringen und wenn ihr schnell genug rennt, könnt ihr vielleicht sogar eure Gliedmaßen behalten!“
Du merkst, dass du blass wirst, obwohl du das gerne vermeiden möchtest. Ob jetzt ein guter Zeitpunkt ist, darauf hinzuweisen, dass du von Anfang an gegen die Verkleidung warst?
Arthrax richtet sich selbstsicher auf. „Natürlich können wir das beweisen, Euer Grausamkeit!“
Du starrst den Krieger an. Hat er etwa einen Plan? Der Blick, den er dir zuwirft, überzeugt dich sofort vom Gegenteil.
Der König der Orks dagegen scheint sich auf eure Vorstellung zu freuen. Er kehrt watschelnd zu seinem Thron zurück, während die Orks einen Kreis um euch schließen. Einige runzeln missbilligend die Stirn. Orks sind nicht fähig, ihre Gedanken zu verbergen – sie halten den König offenbar für verrückt.
Du siehst Arthrax an, der leicht mit den Schultern zuckt, als wolle er sagen: „Was haben wir schon zu verlieren?“
„Erste Frage“, sagt der König, der sich jetzt gemütlich auf seinem Thron fläzt. „Wie verhaltet ihr euch in Anwesenheit eines mächtigeren Orks?“
Du wirfst einen Blick auf die Orks, die euch umringen und sich ja wohl eindeutig in Anwesenheit eines mächtigen Orks befinden: Sie furzen, lachen, trinken, schauen euch zu oder beachten die Vorgänge beim Thron überhaupt nicht.
Arthrax an deiner Seite fällt auf die Knie und reißt den Kopf mit einer seltsam herrischen, gleichzeitig aber auch verletzlichen Geste hoch, weil jetzt sein Hals überdehnt ist und die mit braunen Haaren gespickte Kehle aus der Rüstung ragt.
Doch du musst ebenfalls reagieren.
- Du machst es wie die Orks und bleibst stehen. Lies weiter in Kapitel 12.
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- Du tust, was Arthrax tut. Lies weiter in Kapitel 13.