Gelangweilt saß Kaiko auf dem Stuhl vor dem großen Schreibtisch. Er stützte die Ellbogen auf die Tischplatte und das Kinn auf die Fäuste. So, dass die Fäuste sein Gesicht einquetschten und seine Lippen nach vorne gedrückt wurden. Sein Spiegelbild in der Scheibe hinter dem Schreibtisch sah ein bisschen aus wie ein Fisch. Hinter dem Spiegelbild spielten Kinder auf der Straße.
„Fischer, Fischer, wie tief ist das Wasser?“
Kaiko würde gern mitspielen. Aber er sollte Hausaufgaben machen. Sachkunde … Deutsch … Was sind Tuwörter?
Kaiko hasste Deutsch. Er hasste die Schule. Dort war es laut. Alle redeten durcheinander. Er konnte sich selbst nicht mehr hören.
Hier war das anders. Nur der Regen war zu hören, wenige kleine, leise Tropfen, die gegen das Fenster tippten. Und das Ticken der Uhr. Kaiko brummte. Ein wenig Spucke sprühte auf das aufgeschlagene Heft vor ihm. Er brummte weiter. Summte eine Melodie. Langsam verschwammen die Aufgaben vor seinem Blick.
Er wackelte mit den Füßen. Wippte mit ihnen schwungvoll hin und her.
Er summte fröhlicher. Die Aufgaben blieben vor ihm liegen.
Nur Mathe hatte er schon gemacht. Kaiko mochte Mathe. Er mochte die klaren Strukturen und Zahlen. Und er mochte es, dass alle leise waren, wenn sie Mathe hatten.
Niemand lachte oder kreischte oder lief herum. Man konnte die große Uhr hören, die über der Tür tickte und das Quietschen der Kreide auf der Tafel. Jemand stöhnte, aber das störte Kaiko nicht so sehr.
„Und, wer kann mir sagen, was 7 mal 7 ist?“, fragte der Lehrer.
Niemand antwortete. Kein nerviges Schnippsen, kein „Hier, hier, hier“ oder „Ich, ich, ich“. Stille.
Kaiko brummte und summte. Eine Melodie, die ihm einfiel. Ein Heldenmarsch.
„Halt die Klappe, Freak!“, schrie einer der Klasse.
Dann schrien alle. Kaiko legte die Hände vor das Gesicht und bohrte die Daumen in die Ohren, bis die Stimmen ganz gedämpft waren, er öffnete den Mund, weil dann irgendwas im Kopf auf die Ohren drückte und er noch weniger hörte.
Er legte die Finger fest über die Augen, presste sie dagegen, sodass kein Licht durchdringen konnte.
Und er beugte sich vor, als zusammengeknülltes Papier auf ihn prasselte.
Er war allein. Auch beim Essen war er allein, weil er summte und weil er sich die Ohren zuhielt.
Aber manchmal hörte er zu. Er hörte gerne zu, wenn er am Rand saß, wenn die Geräusche nicht von allen Seiten kamen.
Wenn er sich sicher fühlte.
Auch jetzt hörte er zu. Unsichtbar hinter dem Heft, bei dem er so tat, als würde er es lesen.
„Habt ihr das von der Irren gehört?“
„Was? Nein.“
„Ich! Ich hab’s sogar gesehen! Sie hat ihn mit ihrer Jacke geschlagen.“
„Hat er geblutet?“
„Oh ja. Ganz doll. Da war so Metalldings an der Jacke, hier, das hier. Das, was alle haben.“
„Er hat echt geblutet?“
„Er ist jetzt beim Arzt oder so.“
„Warum hat sie das gemacht?“
„Wer weiß das schon? Die ist irre!“
„Hier? Auf unserer Schule?!“
„Nein, auf der Assischule. Die, wo nur die ohne Geld hingehen.“
„Ich hab gehört, der Junge hätte nur was über Hunde gesagt.“
Kaiko presste die Fäuste gegen die Augen. Es war schon wieder so laut und hell und komisch.
Er summte vor sich hin. Leise. Damit niemand ihn hörte.