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Kurze Zeit später stehe ich, leicht außer Atem vor der großen weißen Eingangstür. Das Licht spiegelt sich in dem bunten Glaselement der Tür und in dem Moment, als ich meinen Finger auf die Tür zu bewege, höre ich schon Schritte und darauf ein Schloss, das sich öffnet. Das mir so bekannte Gesicht erscheint vor meinen Augen und Sandra's Arme umschließen mich keine Sekunde später. In dieser grauen Sporthose und dem schon etwas abgetragenen Pullover könnte man glatt meinen, sie sei gerade von einem wilden Trip zurückgekehrt. Doch wenn man sie genauer betrachtet, kann nicht einmal ein solches Outfit sie verunstalten. Denn sie sieht wie immer aus, als würde sie gerade eine stundenlange Schönheitsbehandlung hinter sich haben. Manchmal frage ich mich, wie sie das macht.
„Mit was habe ich das verdient?“
Damit meine ich die überschwängliche Umarmung, die ich gerade über mich ergehen lassen habe. Diese gibt es nur, wenn etwas Gutes passiert ist, was mir das Grinsen in ihrem Gesicht bestätigt.
„Du bist meine Freundin. Ich habe dich eben schon lange nicht mehr gesehen. Außerdem bin ich glücklich. Sehr glücklich.“
Das Grinsen, dass sich gerade fast über ihr komplettes Gesicht legt, kenne ich nur zu gut. Es kann nur wieder einmal etwas mit einem Typen zu tun haben. In den sie dann meistens eine Weile verliebt ist, bis sie sich wieder „entliebt“. Das kommt bei Sandra öfters vor. Denn im Gegenteil zu mir glaubt sie noch an die Liebe. Auch wenn ich ihr von Herzen wünsche, dass sie eines Tages wirklich Mister Right findet und sie sich dann nicht wieder „entliebt“, glaube ich selbst nicht daran. Die Liebe. Diese wahre Liebe, existiert nicht für mich. Vielleicht ist es Angst. Angst davor, wieder verletzt zu werden. Darum kann ich diese in sich alles verzehrende Liebe niemals wieder zulassen. Auch wenn sie vielleicht doch existieren mag. Doch wie schon häufiger, kommt mir bei diesen Gedanken an die Liebe, Alex in den Sinn. Sein Bild und seine Stimme schleichen sich in meine Gedanken und so sehr ich sie auch verdrängen will, schaffe ich es nicht. Er hat irgendeinen Weg gefunden, in meinen Kopf zu kommen und das gefällt mir gar nicht. Denn je öfter er sich in meine Gedanken schleicht, desto mehr fangen mein Verstand und mein Herz an sich zu bekriegen. Mein Verstand verdrängt jegliches Gefühl für ihn. Doch mein Herz. Es macht mich verrückt. Lässt mich jede Sekunde an diese Augen und diese Stimme denken. Lässt mich etwas Empfinden, dass ich so verzweifelt versuche zu verdrängen. Denn es fühlt sich so an wie das Gefühl, dass ich einst Liebe nannte.
Noch immer in Gedanken folge ich Sandra in die Küche. Wie so oft, sind ihre Eltern unterwegs und Sandra alleine zu Hause. Ihre Eltern sind eben beruflich schwer beschäftigt. Das waren sie schon immer. Doch im Gegensatz zu mir hat Sandra noch beide Elternteile. Was würde ich dafür geben, nur noch eine einzige Minute mit meiner Mutter verbringen zu dürfen. Mich verabschieden zu können. Ihr sagen zu können, wie sehr ich sie liebe und vermisse.
Immer wieder habe ich ihr und Peter zu erklären versucht, dass sie es schätzen sollten, wenn sie Zeit mit ihren Eltern verbringen können. Auch wenn es nicht viel ist. Doch Peter ist nicht gut auf seine Eltern zu sprechen und schon mit achtzehn in eine Wohnung, etwas außerhalb der Stadt gezogen. Er ist noch immer wütend auf sie, weil sie sich selten Zeit genommen haben um für die Beiden da zu sein.
Der in die Jahre gekommen Barhocker gibt ein leises Quietschen von sich, als ich ihn etwas zurechtrücke um mich darauf zu platzieren. Sandra füllt gerade zwei Gläser mit etwas Limo und stellt sie dann auf dem Tresen der Küche ab. Als sie sich auf den Hocker neben mir niederlässt, kann ich schon förmlich ihre Fingernägel auf dem Glas hören, wie sie nervös darauf tippen. Sie kann es kaum erwarten mir die Neuigkeiten zu erzählen und allmählich finde ich Gefallen daran, sie auf die Folter zu spannen. Auch wenn nicht ich diejenige bin, die etwas zu erzählen hat. Aber auch wenn ich sie zu gerne auf die Folter spanne, bringt mich ihr nervöses Getue dazu, sie zu erlösen.
„Na, los. Erzähl schon!“
„Endlich.“
Obwohl ich dachte, dass auf ihrem Gesicht kein breiteres Grinsen mehr Platz hat, ist es zu meiner Überraschung doch möglich.
„Also Anna, du weist doch noch, diese eine Nacht wo wir in der Scheune waren? Ich hab da Jemanden kennengelernt und wie soll ich es am besten sagen. Okey. Ich hab mich voll verknallt.“
Sie grinst wie ein Honigkuchenpferd. Und ohne es wirklich zu wollen, verfalle ich in die Rolle der Spielverderberin. Vielleicht ist es meine Meinung zu dem Thema Liebe, die mich dazu macht. Oder vielleicht auch nur etwas Fürsorge für sie. Doch wie heuchlerisch bin ich eigentlich? Denn wenn ich so an Alex und mich denke, ist es auch nicht wirklich vernünftig, was er mit mir macht. Oder gemacht hat. Mein Herz lässt mich auf eine kleine Chance hoffen, er würde mich nicht verletzen. Doch mein Verstand sagt mir, dass ich aber auch nur vielleicht ein Zeitvertreib für ihn bin und er mich bei der nächsten Gelegenheit in den Wind schießen wird. Oder es kommt noch schlimmer und ich ihn erwische ihn mit der nächstbesten Schlampe im Bett.
„Und du denkst, es ist Liebe?“
„Ich weiß nicht ob man verknallt sein, als Liebe bezeichnen kann. Vielleicht ein klein wenig. Und nur damit du vorgewarnt bist. Es ist nicht Lucas.“
Das Grinsen in ihrem Gesicht verschwindet und dadurch bekommen ihre Worte nur noch mehr Ausdruck. Am liebsten würde ich ihr jetzt einen Vortrag halten, dass es viel zu schnell geht und sie sich lieber Zeit lassen sollte. Doch in meiner Situation ist es ebenfalls so schnell vorangegangen. Es ist seit diesem Tag einfach so Vieles passiert. Wie gerne ich es ihr erzählen möchte. Angefangen von dem Tag, an dem ich das erste Mal in diese blauen Augen geblickt habe. Wie er mich jedes Mal nervös macht und mich fast zum Ausflippen bringt. Doch ich kann nicht. Denn ich weiß nicht einmal, was das genau zwischen Alex und mir ist.
„Wow. Ich dachte wirklich, du bist mit Lucas abgehauen. Kenne ich ihn? Bist du dir sicher, dass es nicht wieder nur eine kurzzeitige Verliebtheit ist?“
Verdammt. Schon wieder habe ich meine Ausdrucksweise nicht unter Kontrolle. Ich hasse es, wenn ich mich aufführe wie eine besorgte „Übermutter“ und sofort bereue ich meine Worte ein wenig. Es ist einfach so, dass ich sie davor beschützen will. Vor dem was mit mir passiert ist. Vor diesem Schmerz. Doch wenn ich so darüber nachdenke, weiß ich ja, dass es bei Sandra etwas ganz anderes ist, wie bei mir. Jedes Mal wenn sie sich verknallt, kommt nach kurzem wieder ein Tief und ich muss sie da wieder rausholen. Besser gesagt, muss ich dann mit ihr ein Wochenende lang um die Häuser ziehen, bis sie sich den Nächsten geangelt hat. Dann ist wieder alles in Ordnung. Manchmal wünschte ich, bei mir wäre das so schnell gegangen und ich wäre an einem Wochenende über Steve hinweggekommen.
„Anna, es ist lieb von dir, dass du dir Sorgen machst. Aber ich weiß, was ich tue und nein, du kennst ihn nicht, denn er ist noch nicht lange in der Stadt. Ich habe gehofft, du freust dich für mich.“
An ihrem Schmollmund ist unschwer zu erkennen, dass sie beleidigt ist. Beleidigt darüber, dass ich ihre Euphorie zerstören wollte.
„Tut mir echt leid. Ich freue mich ja für dich. Wirklich. Ich wollte mich nicht so anhören, wie eine über fürsorgliche Großmutter. Ich will einfach nur, dass du glücklich bist.“
Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, ziehe ich Sandra zu einer Umarmung an mich heran. Mit einem Lächeln versuche ich mich zu entschuldigen und schon heben sich ihre Mundwinkel wieder zu einem Lächeln.
„Ist schon in Ordnung. Ich weiß ja, dass du dir Sorgen machst, aber ich komm schon klar. Und jetzt zu dir. Um was für einen Gefallen wolltest du mich bitten?“
„Also, ich weiß es ist eine wirklich große Bitte. Ein riesiger Gefallen besser gesagt. Aber ich muss herausfinden, was mit dieser Frau im See passiert ist. Ich will wissen, was wirklich mit ihr passiert ist. Nicht diesen Scheiß, der in den Zeitungen steht. Von wegen sie sei gestürzt und dann ertrunken. Ich habe sie gesehen. Ihre Hände waren weggerissen und dass kann doch bei keinem Sturz passiert sein. Vielleicht könntest du deinen Vater fragen, ob er etwas herausfinden kann. Ich will endlich damit abschließen und ich denke, das kann ich nur, wenn ich weiß, was ihr wirklich widerfahren ist.“
Ihr auffällig lauter Atemzug lässt mich kurz zusammenzucken und als sich ihre Lippen zu einem schmalen Strich zusammenpressen, werde ich unwillkürlich an etwas erinnert. Es ist zwar schon einige Zeit her, jedoch weiß ich auch, dass sie es nicht vergessen wird. Denn sie hat schon früher in den Sachen von ihrem Vater herumgewühlt, obwohl er es ihr strengstens verboten hatte. Sie hatte zwei Wochen lang Hausarrest und nicht einmal ich durfte sie in dieser Zeit sehen. Wäre mir eine andere Option eingefallen, hätte ich sie mit Sicherheit nicht darum gebeten. Doch mir bleibt nur diese eine Möglichkeit.
„Du weißt, das ich schon einmal echte Probleme deswegen hatte?“
Mit einem Mal ist meine Hoffnung im Erdboden verschwunden. Niedergeschlagen gebe ich ihr mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass ich mich noch sehr wohl daran erinnern kann. Doch als ich bereits mit einem Nein rechne, ändert sich ihr Gesichtsausdruck und erneut huscht ein Grinsen über ihre Züge.
„Aber ich wäre nicht ich, wenn ich den Nervenkitzel nicht lieben würde. Trotzdem werde ich es zuerst mit einer höflichen Bitte versuchen. Vielleicht habe ich ja dieses Mal Glück.“
Ein Stein fällt mir von meinen Herz und Erleichterung überkommt mich. Die Freude darüber, dass sie es wenigstens versuchen wird, lässt mich auf einen alptraumfreien Schlaf hoffen. Diese Träume bringen mich ansonsten noch um den Verstand und auch meine Neugier wächst mit jedem Traum nur noch mehr. Ich muss es einfach wissen.
Der restliche Tag vergeht fast wie im Flug. Wie haben uns unsere Lieblingsfilme, einen nach dem anderen angesehen. Herumgealbert und über Gott und die Welt geredet. Es war genau die Ablenkung, die ich gebraucht habe. Einfach einen ganzen Tag nur zu faulenzen und das Leben nicht all zu ernst zu nehmen. Das hat mir irgendwie gefehlt.
Gerade als der letzte Film endet und wir noch immer, eingepackt in die riesige Decke, auf der Couch liegen, springt Sandra plötzlich auf. Als hätte sie eine geniale Eingebung, legt sie ihre Handflächen auf meine Schultern und sieht mich mit großen Augen an.
„Wir Zwei. Also du und ich. Wir werden heute noch Party machen. Ich bin einfach zu überdreht um jetzt zu Hause zu vergammeln und du mein Fräulein, hast dringend eine geistige Reinigung in Form von Alkohol nötig.“
Mit erwartungsvollem Blick starrt sie mich mit ihren großen, braunen Augen an. Schon muss ich grinsen und nicke mit dem Kopf. Keine Sekunde später sehe ich die Freude in ihren Augen und sie auf und ab hüpfen, als sie zu ihrem Schrank läuft und die Türen in einer dramatischen Geste öffnet. Irgendwie bin ich froh über diesen Vorschlag. Noch mehr Ablenkung kommt mir wirklich gelegen.
In der Zwischenzeit, in der Sandra in ihrem Schrank herumwühlt, denke ich an Alex. Noch immer habe ich ihm nicht geantwortet. Mein Stolz, auch wenn nicht mehr allzu viel davon übrig ist, zwingt mich noch weiter zu warten. Genau so wie er mich immer wieder warten hat lassen. Auch wenn meine Finger sich am liebsten schon über die Nachricht stürzen möchten.
Da ich keine Lust mehr habe nach Hause zu gehen, leiht mir Sandra etwas zum Anziehen. Das Problem dabei ist nur, dass sie einen vollkommen anderen Kleidungsstil hat wie ich. Also ziehe ich, etwas widerwillig, ein enges blaues Top mit einem für meinen Geschmack zu weitem Ausschnitt und eine schwarze Jeans von ihr an. Diese verdammte Hose ist so eng, dass ich versuche, mit Kniebeugen meine Beweglichkeit zu testen und ich muss zugeben, Sandras’s lautes Lachen ist gerechtfertigt. Es muss wirklich sehr verrückt aussehen, wie ich in dieser engen Jeans Kniebeugen mache. Sie sieht mich an, hält beide Daumen hoch und lacht sich vor meinen Augen kaputt.
„Echt scharf Anna, du kannst doch auch richtig sexy aussehen. Aber bitte lass diese Zuckungen, denn sonst glauben die Leute noch, du hättest einen Anfall.“
„Dass ist absolut nicht mein Stil und zu meiner Verteidigung, diese Hose ist echt eng und ich kann mich kaum bewegen.“
„Jetzt hör auf zu nörgeln. Es steht dir und ich weiß, wovon ich rede.“
Sie sieht mich an und hebt ihre Nase hoch. Manchmal kann sie sehr überzeugt von sich sein. Auf eine gute Art und Weise. Also gebe ich mich geschlagen und behalte die Hose an. Außerdem würde das dann genauso anstrengend sein, wie sie anzuziehen.
Wir machen uns, mit meinem zum Glück wieder funktionierendem Wagen, auf den Weg zur Scheune. Da die Schlange der parkenden Autos heute unendlich lange ist, parke ich etwas weiter weg.
Schon vor dem Eingang stehen heute mehr Leute als sonst und als wir einen Blick ins Innere werfen, blicken wir auf eine Menschenmenge, die diese Scheune fast zum Platzen bringt.
Trotz der tanzenden, lachenden und schreienden Menschen, die sich dicht aneinanderdrängen, versuchen wir uns einen Weg zur Bar zu bahnen. Ich hasse diese Menschenmengen. Jeder drängt sich an jeden. Jeder berührt jeden und jeder sieht dich an, als wärst du ein Störfaktor. Die laute Musik dröhnt in den Ohren und der Rauch der Zigaretten kriecht in meine Nase. Auf der Tanzfläche wird wild getanzt und ausgiebig gefeiert. Endlich an der Bar angekommen, bestellt Sandra für uns beide und dieses mal bin ich mit Tequila einverstanden. Heute versuche ich, meine innere Stimme zu ignorieren, um einfach wieder einmal abschalten zu können. Einen Moment lang an nichts denken.
Tequila in der rechten und Bier in der linken Hand haltend, stehe ich vor Sandra. Wir nicken uns zu und schon brennt der Tequila in meinem Hals. Gleich nachdem scheußlichen Brennen muss ich einen Schluck von meinem Bier nehmen. Dieser Tequila ist echt zu hart für mich. Vor allem da ich mich dabei immer an meine letzte Tequila-Session erinnere. Damals habe ich drei Tage danach noch nichts in meinen Magen belassen können und mich gefühlt als würde ich sterben.
Nun halte ich mein drittes Bier in der Hand, trinke den letzten Schluck und muss mich konzentrieren, dass ich nicht hinfalle. Drei Tequila und drei Bier sind für einen erprobten Partygeher vielleicht nicht viel, aber meinem Körper reicht es schon. Trotz geschwächtem Koordinationssinn folge ich Sandra, als sie mich auf die Tanzfläche zerrt und ohne großartig darüber nachzudenken bewege ich mich im Takt der lauten Musik. Auch wenn ich nicht weiß wieso, stimmen wir in ein lautes Gelächter mit ein. Es fühlt sich so an, als hätte sich über alle meine Sorgen ein Nebel gelegt. Keine ernsten Gedanken an Alex. Keine Gedanken von dieser Frau. Es geht mir gerade so gut wie schon lange nicht mehr.
Nach einer Weile auf der Tanzfläche und weiteren Lachanfällen sehe ich einen Mann, der direkt auf Sandra zukommt und seine Hände um ihre Hüften schlingt, als wäre es die normalste Geste der Welt. Mit überraschtem Blick dreht sie sich um und fällt ihm danach sofort um den Hals. Das muss wohl dieser Jemand sein, von dem sie heute gesprochen hat. Die Musik ist so laut und ich bin schon etwas neben der Spur, aber sie will ihn mir vorstellen und so lehnt sie sich zu meinem Ohr um mir dann mehr oder weniger etwas ins Ohr zu brüllen.
„Anna, das ist Marius.“
Schon hält er mir seine Hand entgegen und ich muss all meine nüchternen Zellen zusammennehmen, um seine Hand mit meiner ergreifen zu können. Seine Hände fühlen sich kalt an und ich kann meine verschwitzten heißen Handflächen in seinen fast schon schmelzen hören. Sein Gesicht wandert ebenfalls zu meinem Ohr und genauso wie auch Sandra versucht er, seine Worte etwas lauter in mein Ohr zu sprechen.
„Hallo, Anna. Schön dich mal kennenzulernen.“
Nach diesen Worten muss ich meinen Blick wieder nach oben richten, da er um mindestens einen Kopf größer ist als ich. Ein Blick auf sein Aussehen lässt mich verstehen, wieso Sandra sagt, sie sei verknallt. Denn wie könnte man bei diesem Körper nicht in ihm verknallt sein. Breite Schultern und einem gut gebauten Oberkörper, dessen Muskeln sich an das graue, enge Shirt pressen. Auch die blonden Haare auf seinem Kopf, sind sicherlich ganz nach Sandra's Geschmack.
Aber als ich meine Hand wieder von seiner löse und er sich wieder Sandra widmet, überkommt mich ein unerklärliches Gefühl. Als würde irgendetwas an diesem Bild vor mir nicht passen. Ich weiß zwar, was meine Augen sehen. Sie sehen eine überglückliche, tanzende Sandra mit einem Mann, der jede Frau um den Finger wickeln könnte und dennoch sagt mir mein Bauchgefühl etwas anderes. Es lässt mich misstrauisch werden. Noch dazu kommt mir Marius's Stimme so bekannt vor. Auch wenn die Geräusche um mich herum so laut sind, dass ich mich bei seinen Worten habe konzentrieren müssen, ist da dieses Gefühl ihn zu kennen. Seine Stimme zu kennen. Nach längerer Begutachtung finde ich irgendetwas an ihm seltsam. Ich kann es nicht erklären, aber es ist ein komisches, negatives Gefühl, wenn ich ihn ansehe. Je mehr ich darüber nachdenke, desto übler wird mir und um mich vor einer peinlichen „Kotz-Orgie“ zu retten, gebe ich Sandra bescheid, dass ich kurz an die frische Luft gehe. Irgendwie fühle ich mich nicht gut. Also verabschiede ich mich auch noch von Marius und versuche mich durch die tanzende Menschenmasse zu drängen. Es ist eine gefühlte Ewigkeit, die ich benötige um mir den Weg zum Ausgang zu erkämpfen. Doch dann spüre ich die frische, kalte Luft, die sich den Weg in meine Lungen bahnt und Erleichterung überkommt mich. Fast hätte ich mich da drinnen schon übergeben müssen.
Doch so schnell, wie ich glaube, dass es mir wieder besser geht, so schnell spüre ich auch wieder den Schwindel und die Übelkeit. Also versuche ich, ein geeignetes Fleckchen zu finden, wo ich mich einfach nur hinsetzen kann. Auf keinen Fall will ich hier und jetzt kotzen. Nach einigen wackligen Schritten, geben meine Beine auf und ich lasse mich auf die kalte Wiese sinken, gerade noch im Lichtkegel des Scheinwerfers. Ansonsten hätte ich Angst, dass dieser Mann vom letzten Mal.... Verdammt....ich glaube ich weiß jetzt von wo ich Marius kenne. Diese Stimme. Der Verrückte, der mich beim letzten Mal so dermaßen erschreckt hat. Die Unsicherheit darüber, ob ich es Sandra sagen soll oder nicht, lässt mich noch mehr Kopfschmerzen spüren. Was sollte ich ihr den sagen? Ich kann ihr nicht einfach sagen, dass ich ihn wegen diesem Vorfall für verrückt halte. Klar ich hatte Angst, aber ich bin mir nicht einmal sicher, dass er wirklich dieser Verrückte ist. Mein Entschluss ihr noch nichts zu sagen und die ganze Sache weiter zu beobachten, steht fest. Auch wenn ich es ihr nicht wünsche, habe ich die Hoffnung dass sich diese Sache, wie alle bisherigen Beziehungen von Sandra verflüchtigen.
Es dauert nicht lange, bis ich die Tequila in meinem Körper bereue, als sich alles um mich herum zu drehen anfängt. Um es erträglicher zu machen, schließe ich meine Augen und lege den Kopf auf meine Knie um mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Nicht auf das stechende Gefühl in meiner Magengrube und dem Gefühl ich würde in einem Karussell sitzen. Nach einigen kontrollierten Atemzügen scheint mein Zustand sich wieder zu verbessern.
Meinen Kopf noch immer auf meine Knie gestützt, höre ich leise Schritte die auf mich zukommen und vor mir Halt machen. Um zu sehen, wer mir jetzt Gesellschaft leistet, versuche ich meinen Kopf zu heben. Jedoch meldet sich sofort die Übelkeit und der stechende Schmerz, der durch das grelle Scheinwerferlicht verstärkt wird, zurück und so lasse ich ihn wieder auf meine Knie sinken.
„Anna.“
Eine mir so vertraute Stimme flüstert meinen Namen und eine warme Hand legt sich auf meinen Kopf.
„Alles in Ordnung?“
Mit meiner letzten Kraft, versuche ich nochmals, meinen Kopf zu heben und meinen Blick trotz des grellen Lichtes, auf diesen Jemand vor mir zu richten. Doch es ist einfach zu anstrengend. Aber auch ohne einen Blick auf ihn werfen zu können, weiß ich, zu wem diese Stimme gehört. Alex.
„Ich bring dich nach Hause.“
Kaum hat er diese Worte über seine Lippen gebracht, schieben sich seine kräftigen Arme unter meinen Körper und heben mich hoch. Seine warme Brust schmiegt sich an meine Seite und sein warmer Atem legt sich über mein Gesicht, dass ich daraufhin in seinem Nacken vergrabe um diesen unwiderstehlichen Duft einzuatmen.
Doch schon nach viel zu kurzer Zeit setzt er mich wieder auf dem kalten Asphalt ab. Sein Arm ist noch immer um meine Hüfte geschlungen und ich bin auch wirklich froh darüber, weil ich mit Sicherheit wieder umkippen würde. Erst jetzt bemerke ich den schwarzen GTO vor meiner Nase, als Alex die Beifahrertür mit seiner freien Hand öffnet. Da mein Blick noch immer etwas unscharf ist, bin ich froh, dass er mir beim Einsteigen hilft und ich mich auf das kühle Leder niederlasse. Der Sitz ist echt bequem und am liebsten würde ich hier und jetzt sofort einschlafen. Um es meinem Kopf etwas Einfacher zu machen, schließe ich meine Augen, um gleich darauf den warmen Atem an meinen Lippen zu spüren. Als ich meine Augen mit letzter Kraft wieder öffne, blicke ich in die faszinierenden wunderschönen Augen und auf seine weichen Lippen, die sich so nahe an meinen befinden. Doch zu meiner Enttäuschung sind sie nicht vor mir um mich zu küssen. Er versucht lediglich nach einer Wasserflasche zu greifen um sie mir dann an die Lippen zu legen. Die kalte angenehme Flüssigkeit bahnt sich ihren Weg in meinen Mund und meine Kehle hinab. Ich kann jeden Zentimeter fühlen, den das Wasser in meinem Körper zurücklegt.
Alex gibt mir einige Sekunden um mich ein klein wenig zu erholen und wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Soweit dies eben möglich ist. Schon spüre ich, wie mein Blick wieder klarer wird und meine Gedankengänge nicht mehr so verschwommen sind. Auch wenn ich noch immer den Alkohol in mir spüre, fühle ich mich besser als noch vor wenigen Minuten. Mit Sicherheit werde ich es morgen bereuen, mir mit Tequila den Durst nach Ablenkung gelöscht zu haben. Erst als ich mir sicher bin, nicht vollkommenen Blödsinn über meine Lippen zu bringen, versuche ich ihn zu begrüßen. Auch wenn dieses blöde Grinsen in meinem Gesicht nicht zu verschwinden scheint.
„H...allo, Aless!“
Okey. Versuch massiv gescheitert. Doch sein Lächeln entschädigt mich für diese Peinlichkeit.
„Hey. Geht es dir schon besser?“
Jetzt wo mich seine Augen fixieren, geht es mir besser denn je. Sie sind so nahe, dass ich fast schon glaube, darin etwas Silberfarbenes schimmern zu sehen.
„Jop. Wiel beesser.“
„Das denke ich nicht. Du bist sturzbetrunken. Was hast du dir nur dabei gedacht? Du bist doch kein kleines Kind mehr, dass nicht weiß wann es genug hat? Du machst mich noch wahnsinnig. Und jetzt werde ich dich nach Hause bringen. Bevor du kotzen musst, informiere mich bitte rechtzeitig darüber.“
Diese Worte klingen echt wütend. Was soll das heißen, ich habe genug? Ist das nicht mein Problem, ob ich genug habe oder nicht? Er behandelt mich gerade wie ein kleines naives Mädchen und ich hasse es, so behandelt zu werden. Auch wenn sich jetzt kein Alkohol in meinen Adern befinden würde, wäre ich jetzt wütend. Diese Worte verletzen mich auf eine Art und Weise, die ich nicht erklären kann. Ohne es darauf anzulegen, drängen sich die ganzen Erinnerungen wieder in meinen Kopf. Als er mich versetzt hat und ich zu Fuß gehen musste. Das er sich tagelang nicht melden konnte. Irgendetwas in mir will einfach nur weg von ihm. Vielleicht ist es die Wut, die sich gerade in mir aufstaut und mich fast explodieren lässt. Also erhebe ich mich von diesem wirklich gemütlichen Sitz. Ich versuche es, denn der Alkohol scheint mir meine Motorik genommen zu haben und ich muss mich echt konzentrieren. Auch wenn es nicht elegant aussieht, schaffe ich es, auszusteigen und mich an ihm vorbei zu drängen. Zu meinem Glück versucht er nicht, mich aufzuhalten, auch wenn ein leiser Seufzer aus seinem Mund dringt. Eine Seite von mir, will ja hierbleiben. Die Naive verknallte Seite. Doch die Seite auf der sich mein Stolz befindet, will sich nicht so behandeln lassen. Also setze ich einen Fuß vor den anderen und versuche mit etwas unkontrollierten Schritten zurück zur Scheune zu gehen. Nach ein paar Schritten, kommen die ersten Zweifel. Denn vielleicht hätte ich im nüchternen Zustand nicht so reagiert. Mit Sicherheit hätte ich nicht so reagiert. Ich hätte die Wut mit höchster Wahrscheinlichkeit in mich hineingefressen. Sie mit nach Hause genommen und dann einfach irgendwo vergessen. Doch jetzt. Jetzt werde ich einfach von meinen Gefühlen kontrolliert und kann mich nicht dagegen wehren. Dieser verdammte Tequila.
„Anna. Bleib jetzt hier.“
Seine Schritte knirschen auf dem Asphalt, als er mir folgt und seine Hand auf meine Schulter legt um mich zum Stehenbleiben zu bringen. Doch ich schaffe es, sie von meiner Schulter abzuschütteln und versuche mich weiterhin auf meine Füße zu konzentrieren.
„Scheiße Anna. Okey. Es tut mir leid. Aber jetzt bleib verdammt nochmal stehen.“
Noch immer kann ich die Schritte hinter mir hören und seine kurze Entschuldigung lässt mich hellhörig werden. Also versuche ich mich umzudrehen, um in seine Augen zu blicken und damit herauszufinden, ob er die Entschuldigung ernst meint. Auch wenn ich meine Schritte nicht stoppe, kann ich sehen, dass er nicht mich ansieht. Sein Blick ist neben mich gerichtet und das macht mich noch wütender. Also drehe ich mich mit einem Ruck wieder nach vorne und versuche einfach nur von ihm wegzukommen. Doch da habe ich wohl nicht damit gerechnet, dass ich gegen etwas laufe, dass mich fast zum Sturz bringt. Hätte dieses Hindernis nicht seine Hände fest an meine Hüfte gelegt, wäre mein Körper wohl jetzt auf dem kalten Asphalt. Als ich meinen Kopf hebe, um in die Augen dieses Jemandes zu blicken, erwarten mich noch faszinierendere Augen als Alex sie hat. So etwas habe ich noch nie gesehen und es fasziniert mich so sehr, dass ich meinen Blick nicht davon lösen kann. Eine ist Blau und das andere Grün. Sie leuchten, als befänden sich darin kleine Diamanten. Dieser Tequila hat es wohl echt drauf und lässt meine Gefühle noch verrückter werden, vor allem in Alex Gegenwart scheint dies um das tausendfache verstärkt zu werden.
Ich meine, ein kleines Lächeln auf dem markanten Gesicht zu sehen, das von schwarzen Haaren umrahmt wird. Doch sein Gesichtsausdruck ändert sich in der Sekunde, in der er bemerkt, dass ich ihn anstarre wie ein faszinierendes Gemälde.
„Du solltest aufpassen, wo du hinläufst, Kleine.“
Seine tiefe Stimme trifft auf mein Gehör und vorerst werde ich vom Klang der Stimme völlig betäubt. Doch nach einigen weiteren Gedankengängen werden mir seine Worte bewusst. Ich hasse es „Kleine“ genannt zu werden. Noch dazu in diesem selbstgefälligen Ton. Während ich ihn nun weiter anstarre und überlege, was ich dem entgegnen könnte, schiebt er mich mit seinen Händen zur Seite, als sei ich nichts Weiter als eine Puppe.
„Alex.“
Er sieht Alex an und nickt ihm zu. An Alex’s Kinn kann ich trotz meines vernebelten Verstandes ein Zucken erkennen.
„Nathan.“
Der Mann den Alex gerade Nathan genannt hat, wendet sich ohne ein weiteres Wort von uns ab und verschwindet mit langen Schritten in Richtung Scheune. Als ich mir einigermaßen sicher bin, dass er uns nicht mehr hören kann, wende ich mich wieder Alex zu. Ich bin neugierig. Woher kennen sich die beiden und was sollte diese Anspannung zwischen ihnen, die wohl auch ein Blinder gespürt hätte..
„Wer war das?“
„Eine alte Bekanntschaft. Hätte nicht gedacht, dass ich ihm jemals wieder über dem Weg laufen würde.“
Der Ausdruck, der bei diesen Worten über seine Züge huscht, lässt mich vermuten, dass es sich dabei um keine freundschaftliche Bekanntschaft gehandelt hat. Dann kommt er auf mich zu, legt seine warmen, ja fast schon brennend heißen Handflächen auf meine Wangen und sieht mich an als würde die Welt untergehen.
„Es tut mir leid, dass ich dich gerade so behandelt habe. Auch wenn du noch immer sauer auf mich bist, mach bitte einfach, was ich dir sage. Bleib im Wagen. Egal was passiert. Ich muss noch etwas sehr Wichtiges klären und dafür muss ich dich in Sicherheit wissen. Du musst hierbleiben. Hast du mich verstanden?“
Seine Worte machen mir noch mehr Angst. Vollkommen ferngesteuert folge ich ihm, als er meine Hand ergreift und mich zum Wagen führt. Sein Gesichtsausdruck ist mir so unbekannt. Noch nie habe ich ihn so gesehen. Er wirkt aufgebracht und wüsste ich es nicht besser auch ein wenig ängstlich. Beim Wagen angelangt setze ich mich dieses Mal bereitwillig auf den kalten Ledersitz. Bevor ich jedoch noch ein Wort sagen kann, um meine Neugier mit einer weiteren Frage zu stillen, legt er seine Lippen auf meine. Seine langen Finger streifen sanft über meine Wange und seine Augen betrachten mich so innig als würde er sich dieses Bild genau einprägen wollen. Langsam bewegt er sich von mir weg und mit jedem Zentimeter zwischen uns überkommt mich mehr und mehr eine Traurigkeit. Was war das jetzt? Warum hat es sich angefühlt, als würde er sich von mir verabschieden? Als würde er sich darauf vorbereiten mich vielleicht nie wieder zu sehen. Doch schnell verdrängt mein Verstand dieses Gefühl und spätestens als meine Augen ihn durch das Tor verschwinden sehen, bin ich mir sicher, er kommt zurück. Dieses Gefühl ist einfach nur diesem Tequila zu verdanken.
Noch einige Sekunden lang lasse ich meinen Blick auf dem großen Tor ruhen. Doch als ich meinen Blick wieder nach vorne richte, erschrecke ich fast zu Tode, als ich eine Gestalt durch die Windschutzscheibe wahrnehme. Nathan. Er steht vollkommen regungslos am Ende der Motorhaube und betrachtet mich innig. So als würde er jeden Moment über mich herfallen und je länger ich in diese Augen blicke, desto mehr verhärtet sich mein Verdacht. Sein Blick ist mehr als nur ein Beobachten. Hinter diesen Augen befindet sich etwas Böses. Mein Herz beginnt zu rasen und mein Atem beschleunigt sich so dermaßen, dass ich fast schon hyperventiliere. Panik überkommt meinen ganzen Körper und ich suche nach Auswegen. Nach Antworten und nach einer Fluchtmöglichkeit. Was könnte er von mir wollen? Alex wird gleich wieder hier sein. Er wird mich beschützen. Vielleicht hatte Nathan nur nach Alex gesucht. Die Gedanken die mich gerade noch etwas beruhigt haben, scheinen sich wieder zu verflüchtigen, als ein bösartiges Lächeln über seine Lippen huscht und er sich in Bewegung setzt. Langsam kommt er auf mich zu und lässt dabei seine langen Finger provokant über den schwarzen Lack der Motorhaube gleiten. Panisch suche ich nach dem Knopf, um die Türen von innen zu verriegeln. Taste die komplette Innenverkleidung der Tür ab und gerade als ich die Luft vor Erleichterung ausstoßen will, weil ich den Knopf endlich gefunden habe, wird die Tür aufgerissen.
Vor Schreck bekomme ich kein einziges Wort über meine Lippen. Mit Sicherheit ist die Farbe aus meinem Gesicht gewichen und meine Gedanken werden nur mehr von Angst kontrolliert. Dieser Blick. Er wirkt belustigt und so dunkel, dass nicht einmal ein Scheinwerferlicht diesen Blick erhellen könnte. Dazu noch diese Stimme, die mich zusammenzucken lässt. Unbewusst habe ich meine Hände zu Fäusten geballt, sodass sich die Knöchel dabei weiß hervorheben. Hilflosigkeit überkommt mich und lässt mich noch tiefer in den Ledersitz gleiten.
„Was bist du? Eine weitere Schlampe von ihm oder etwas Besonderes? Vielleicht etwas Einzigartiges.“
Er legt seinen Kopf schief und grinst mich an, als wäre ich ein Nichts. Irgendein Gegenstand, über den er sich gerade lustig macht. Genau das ist es, was mir noch mehr Angst einjagt als ich ohnehin schon habe. Sein Blick und diese Worte lassen mich vollkommen erstarren. Zum gefühlt tausendsten Mal versuche ich einen Ausweg aus dieser Situation zu finden, doch das Einzige, was mir einfällt, ist die Hoffnung auf Alex. Dass er rechtzeitig hier ist um mich aus dieser Lage zu befreien. Oder besser noch. Das vielleicht gar nichts passieren wird und ich einfach nur zu ängstlich bin.
„Also Alex......er.....er müsste gleich wieder hier sein.“
Durch meine zittrige Stimme, hat er mit Sicherheit bemerkt, dass ich Angst habe und plötzlich, ohne irgendwelche Vorzeichen packt er mich an meinem Oberarm und zieht mich mit einer Geschwindigkeit aus dem Wagen, dass ich sogleich mit dem Rücken auf etwas Hartem aufpralle. Mein ganzer Körper scheint sich zu verkrampfen. Der Schmerz brennt auf meinem Rücken und der Aufprall scheint die ganze Luft aus meinen Lungen gepresst zu haben, sodass ich Mühe habe, sie wieder mit welcher zu füllen. Durch diesen Schmerz habe ich meine Augenlider fest zusammengepresst und versuche mich nur darauf zu konzentrieren, diese Schmerzen auszuhalten.
Dann wird es still um mich herum und ich hoffe dass er weg ist. Das mir irgendjemand zur Hilfe gekommen ist. Alex oder auch irgendjemand anderes. Irgendwer. Doch dann wird die Stille von dem Geräusch der Schritte unterbrochen, die auf mich zuzukommen scheinen. Langsam versuche ich, meine Lider wieder zu öffnen und mich zu versichern, dass es Alex’s Gestalt ist, die sich nun vor mir aufbaut.
Doch es sind nicht diese mir so vertrauten Augen. Es sind die Augen von Nathan, die mich anstarren und sich noch immer über mich zu amüsieren scheinen. Dann erst bemerke ich den Wagen und ich werde noch panischer. Denn wir sind soweit davon entfernt, dass ich mir nicht erklären kann, wie ich hier gelandet bin. „Wie kann er.....wie hat er das geschafft?“
Noch immer ringe ich nach Luft, als er mich mit beiden Händen packt und mich mit meinem schmerzenden Rücken an den Baum presst. Mit letzter Kraft versuche ich mich zu wehren. Versuche irgendwie seine kräftigen Arme von mir zu drücken. Doch er bewegt sich keinen Zentimeter und nach einigen Sekunden bin ich mit meiner Kraft am Ende und die Schmerzen übernehmen wieder meinen Körper. Nicht einmal einen einzigen Schrei bekomme ich über meine Lippen. Denn noch immer muss ich mich darauf konzentrieren Luft in meine Lungen zu befördern. Erst jetzt bemerke ich, dass meine Füße nicht einmal mehr den Boden berühren uns sich sein Gesicht direkt vor meinem befindet. Er hält mich so fest an den Baum gedrückt, dass ich ihm vollkommen ausgeliefert bin.
Sein kalter Atem legt sich auf meine Lippen und lässt mich erschaudern. Seine Augen mustern mein Gesicht und er wirkt noch immer belustigt darüber, dass ich ihm so wehrlos ausgeliefert bin. Doch was er dann macht, lässt mich keine Sekunde zweifeln, dass er ein Psychopath auf freiem Fuß ist. Denn seine Lippen wandern zu meiner Wange, streifen sie und wandern dann weiter zu meinem Nacken. Wo er an mir zu riechen scheint? Es muss ein Alptraum sein. Ein kranker Alptraum, den ich mit Sicherheit nie wiederholen möchte. Mit einem tiefen Atemzug scheint er meinen Geruch aufzunehmen und ich spüre, wie sich bei seinen darauffolgenden Worten eine Gänsehaut über meine ganzen Körper legt.
„Ich wusste doch gleich, dass du etwas Besonderes bist. Eigentlich bist du ja viel zu wertvoll. Aber dein Geruch. Fuck. Er lässt mich echt wahnsinnig werden.“
Er ist krank. Er braucht wirklich Hilfe. Ich brauche Hilfe. Er macht mir höllische Angst und ich denke über die Grenze nach, wo er sich noch als Gut entpuppen hätte können. Doch diese ist schon lange überschritten und schneller, als ich reagieren kann, spüre ich schon ein Brennen in meinem Nacken. Etwas Hartes bohrt sich in die weiche Haut meines Halses, von dem ich mir sicher bin, dass es seine Zähne sind. Keine Sekunde später spüre ich, wie das warme Blut über meinen Nacken fließt. Noch immer versuche ich mich mit meiner letzten Kraft zu wehren, doch er ist einfach zu stark.
Die Schmerzen in meinem Nacken sind unbeschreiblich. Die wachsende Angst lässt mein Blut nur noch schneller fließen. Ohne Vorwarnung kommt dann dieser eine Moment, in dem alles um mich herum in Stille umgewandelt wird. Ich kann fühlen, wie die Lebensenergie aus mir weicht und die Schmerzen sich verflüchtigen.
Die Grenze bei der sich mein Bewusstsein von mir verabschiedet ist schon so nahe. Nur noch verschwommen nehme ich alles um mich herum wahr. Doch nur einen Augenblick, bevor ich mich aus der Realität verabschiede, kann ich spüren wie sich seine Zähne aus meinem Fleisch zurückziehen und er von mir loslässt. Völlig kraftlos versagen meine Beine und ich sinke, ohne es aufhalten zu können, langsam zu Boden. Mit dem Rücken an dem Baum gelehnt versuche ich, die verschwommenen Bilder vor meinen Augen zu ordnen, als ich zu meiner Erleichterung die tiefe, laute Stimme von Alex wahrnehme.
„Nathan. Du konntest es nicht lassen und bist trotz allem aus deinem dunklen Loch gekrochen.“
Hätte ich nicht gerade Probleme damit, meinen Blick zu schärfen, würde ich meinen das Alex's Augen sich verdunkelt haben. Dennoch kann ich sehen, dass seine Hände zu Fäusten geballt sind und sein Gesichtsausdruck so dunkel und wütend wirkt, als würde er in diesem Moment zu allem in der Lage sein. Die Freude über Alex's Auftauchen vertreibt meine Schmerzen und ich hoffe nur noch, dass Alex mir helfen wird. Mich einfach von hier wegbringt. Von diesem kranken Psycho. Er sollte die Polizei anrufen und ihn verhaften lassen. Er gehört definitiv in eine Anstalt. „Hat dir dein Vater nichts beigebracht? Als ob du eine Chance gegen mich hättest.“
Der überhebliche Ton von Nathan's Stimme drängt sich wieder in meinen Kopf und löst damit das unangenehme Gefühl aus, dass Alex vielleicht keine Chance gegen ihn haben könnte. Ich konnte es am eigenen Leib spüren, dass er viel zu stark ist. Während ich noch die Chancen abzuwägen versuche, kommt Nathan wieder auf mich zu und legt seine Hand um meinen Hals um mich damit wieder nach oben zu ziehen. Wieder schnürt er mir mit seinen langen Fingern die Luft ab.
Alex scheint ebenfalls keine Sekunde lang zu zögern, als er auf Nathan zuläuft, ihn an den Schultern packt und er mich dadurch wieder loslässt. Ihn hingegen scheint es nicht zu stören und ein amüsiertes Lächeln legt sich auf sein Gesicht. Mit einer schnellen Bewegung packt er Alex an seiner Hand und schleudert ihn mit ungeheurer Kraft einige Meter durch die Luft. Heilige Scheiße. Wie kann er nur? Das kann nicht möglich sein. Kein Mensch hat solch eine Kraft. „Anna, das ist der Alkohol. Es muss der Alkohol sein.“ Meine innere Stimme versucht, mich zu beruhigen. Doch als Alex aufsteht, als wäre nie etwas gewesen, überkommen mich Zweifel und tausend Fragen.
Die beiden laufen aufeinander zu und je näher sie sich kommen, desto schneller scheinen deren Bewegungen zu sein. Plötzlich verschwimmt dieses Bild vor meinen Augen wieder. Es muss so sein. Denn das was ich dann sehe, muss ein Resultat meiner Phantasie sein. Es muss ein Traum sein. Noch immer muss ich träumen. So unglaubwürdig es sich auch anhören mag. Alex. Also er verwandelt sich während er auf Nathan zuläuft, in einen Wolf. Meine Phantasie scheint mir einen Streich zu spielen. Gemeinsam mit dem Alkohol ist es wohl keine gute Kombination. Es ist der Alkohol. Einbildung. Reine Einbildung. Das darf einfach nicht wahr sein. Vielleicht habe ich auch zusätzlich noch eine Gehirnerschütterung von dem Aufprall. Auch wenn ich es nicht wahrhaben will, fühlt es sich dennoch so real an. Krankhaft real.
Doch auch wenn ich mich zu konzentrieren versuche, sehe ich noch immer einen Wolf und die bizarre Szene zwischen den Beiden. Sie laufen aufeinander zu und fangen in einer derartigen Geschwindigkeit an zu kämpfen, dass meine Augen deren Gestalten kaum noch folgen können. Einmal wird Alex, also der Wolf, also Alex, ich weiß nicht was ich denken oder glauben soll, und dann wird wieder Nathan herumgeschleudert. Es passiert alles so schnell. Mein Instinkt sagt mir, dass ich so schnell wie möglich von hier verschwinden sollte. Also versuche ich, mit meiner noch verbliebenen Kraft, aufzustehen. Versuche mich vorwärts zu bewegen. Jedoch fallen mir die Beiden vor die Füße als ich mich auf dem Weg zur Scheune machen will. Dabei stehe ich nur noch wenige Meter von der Wolfsgestalt entfernt und für einen Augenblick scheinen mich die feuerroten Augen zu mustern, bevor die scharfen Zähne sich wieder in das Fleisch von Nathan's Unterarm bohren.
Bei diesem Anblick zucke ich zusammen und versuche einen anderen Weg zu nehmen. Ich muss einfach nur von hier weg. Muss das alles hinter mir lassen. Schon bei den ersten Schritten spüre ich ein Stechen in meinem Rücken. Es schmerzt bei jeder Bewegung, aber ich muss es einfach ignorieren. Also laufe ich auf die Bäume zu und versuche so schnell wie möglich, in der Dunkelheit des Waldes zu verschwinden. Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich solche Angst wie in diesem Moment. So schnell mich meine Beine tragen können, laufe ich immer weiter. Doch die Schmerzen lassen mich immer wieder zusammenzucken. Immer wieder muss ich mich an einem rauen Baumstamm abstützen um nicht zu fallen und Luft zu holen. Nach einer gefühlten Ewigkeit halte ich für einen Moment inne und versuche meine schnelle Atmung zu stoppen, um nach Geräuschen zu lauschen, die Jemand machen würde, wenn er mir folgt. Als sich zu meiner Erleichterung nur die gewohnten nächtlichen Geräusche um mich legen, bewege ich mich wieder vorwärts. Dieses Mal noch langsamer als vorhin. Denn das Adrenalin, was mir die letzte Kraft gegeben hat, scheint sich wieder aus meinem Körper zu verabschieden.
Was wenn er mich findet? Was wird er dann machen? Und was ist, wenn Alex mich findet? Die Ungewissheit zerfrisst mich. Habe ich mir das nur eingebildet? Aber das kann nicht möglich sein. Es hat sich alles so real angefühlt. Würde mich Alex jetzt finden, wüsste ich nicht, ob ich vor ihm weglaufen würde. Es ist einfach alles so verrückt und ich kann nicht mehr zwischen Realität und Einbildung unterscheiden. Es jagt mir eine Scheiß Angst ein, die mich vollkommen überwältigt und langsam kleine Tränen über meine Wangen schickt.