Drittes Kapitel
Korahan de Goliah
Korahan lag auf den Knien. Er wagte nicht, mit seinem Blick auch nur den Sockel des enormen Sonnenbildnisses zu streifen, das er anbetete. Seine Gedanken waren absolut auf die Feuergöttin Mione fokussiert. Nur das stete Knistern lohender Kohlenpfannen duldete er in seiner Wahrnehmung und verstand sie als den hehren Klang Miones Stimme. Nicht einmal das chaotische Treiben ringsum konnte die Konzentration des Fürsten stören. Unzählige Festländer strebten aus allen erdenklichen Richtungen durch den Saal, trugen Ballen roten Segeltuchs, Bretter oder Farbtiegel von einem Ort zum nächsten, fluchten über Missgeschicke und entschuldigten sich sogleich verlegen mit angedeuteten Verbeugungen vor dem geheiligten Symbol. Dieser Ort sollte dereinst ein Tempel werden, zur Zeit aber war er kaum mehr als eine Ansammlung von Marmorsäulen, überspannt mit der ausgedienten Takelage der Rotseglerflotte. Trotz der Umstände flirrte die Luft regelrecht vor göttlicher Präsenz und das durch die Segel dringende Licht tauchte den Raum in wohlig warme Farben, was so mancher mit Miones Segen assoziierte. Korahan genoss das Gebet wie einen Schluck Wasser in der Wüste. Wie Atemluft sog er die Magie auf, die ihm die Göttin schenkte und er dankte es ihr mit zutiefst empfundener Demut. Er beendete die Meditation und küsste den Marmorboden. Dann erhob er sich und schenkte dem Sonnenbildnis ein freundliches Nicken. In nur einem Augenblick hatte er so seine Rolle als demütiger Diener der Feuergöttin abgelegt, und jene als Regent der Kolonie wiederaufgenommen.
Gestärkt und entspannt trat er aus dem Heiligtum hinaus und stand wieder mit beiden Beinen in der Realität. Es war eine dreckige, laute und geschäftige Realität. Er steckte bis zu den Knöcheln im Morast der Hauptstraße von Atleaux. Die Stadt bestand zum größten Teil aus Baustellen, Zelten und gestrandeten, bereits zur Hälfte zerlegten Schiffen, die gleichermaßen als Behelfsunterkünfte und Bauholzvorrat dienten. Einiges aber war auch schon fertiggestellt worden. Fachwerkhäuser säumten eng aneinandergereiht den Fuß des Fjordes und schirmten die Stadt mit ihren verstärkten Rückseiten vor der Wildnis ab. Dem gegenüber lag der Hafenkai mit seinen Piers und Kontoren. Er war als erstes errichtet worden, unmittelbar nachdem man die Rotsegler an Land gezogen hatte, und war bereits in eifrigem Betrieb dabei, Ladungen und Passagiere vom Festland abzufertigen. Auf halbem Weg zwischen Fjordwand und Hafenkai ragte imposante der Herrschersitz des Fürsten empor, das Palais de Goliah. Er hätte eigentlich darauf bestanden, es zuletzt zu errichten und nach seinem Standort zu benennen, in diesem Fall aber hatten die Menschen ihn zu sehr verehrt, um seiner Bitte zu entsprechen. Der Ostflügel war bereits bewohnbar. Es war ein eisig kalter Tag und die Menschen froren, doch das sollten sie nicht. Es war Korahans Aufgabe das zu verhindern. Er blinzelte zur Sonne hinauf, welche man hinter weißem Dunst nur erahnen konnte. Es bedurfte einer größeren Macht als nur der seinen, den Himmel zu klären und die Bucht zu erwärmen.
Der Fürst de Goliah marschierte die Straße entlang auf den zentralen Platz der Kolonie zu. Der Markttag war in vollem Gange, was dem Platz eine dichtgedrängte Menschenmenge bescherte. Diese teilte sich unbefohlen und ohne Aufsehens, um dem Fürsten einen schmalen Korridor zu schaffen. Aus der Masse traten mehrere Männer mit rotgoldenen Mänteln und Kapuzen in den Korridor und folgten Korahan in einer geordneten Zweierreihe. Ihre Gesichter waren unter den Kapuzen kaum zu erkennen, nur das bleiche, Pickelgesicht eines jungen Altardieners war unbedeckt, wofür er unversehens von seinem Hintermann gerügt wurde.
Korahan und die Kleriker stiegen auf ein Galgenpodest. Einer der Männer warf sich gegen den einmastigen Galgen woraufhin die leere Schlinge hin und her zu schwingen begann. Kurz darauf sackte der Mast mit einem Krachen eine Hand breit nach unten und kippte schließlich seitwärts. Das schnelle Klopfen eines Holzriegels auf einem großen Zahnrad begleitete das Umfallen des Galgens bis dieser plan zwischen den Dielen des Podests einrastete. Die Schlinge stieß Korahan lässig mit dem Fuß über den Rand. An sechs vergoldeten Griffen wurde nun von einigen Klerikern eine riesige Kohlenpfanne auf das Podest gehievt. Ein anderer stellte ein kunstvoll verziertes Gestell auf, das offenbar für die Pfanne gedacht war. Nachdem man sie darauf angebracht hatte, warf man Kohlen hinein, entzündete sie jedoch nicht. Der Fürst und die Priester formten einen Kreis darum. Nach und nach begann das Volk ruhiger zu werden und dem Spektakel am Galgenpodest mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Die Männer nahmen ihre Schlapphüte und Stirnbänder ab, die Frauen wiesen ihre Kinder an, still zu sein. Die Kleriker krempelten ihre Ärmel hoch. Einer nach dem anderen entfachte magisches Feuer um seine Hände. Zuletzt auch Korahan, dessen Feuer von allen am hellsten schien. Mit erhobenen Händen musterte er seine Helfer und prüfte ihre Bereitschaft wie ein Dirigent vor dem ersten Ton.
Der Fürst machte nur eine leichte Handbewegung und all ihre Feuer erloschen zugleich, als hätte man ihnen die Nahrung entzogen. Stattdessen begannen die Kohlen zu brennen. Kaum wahrnehmbar züngelten vereinzelte, blasse Flammen aus den Händen der Magier und nährten das Feuer in der Mitte, welches immer heller und heller brannte. Bald blendete es die Zuschauer und so schlossen sie ihre Augen oder wendeten ihre Blicke ab. Es wurde geradezu unerträglich hell. Selbst die Kleriker begannen sich zu winden, ihre Gesichter abzuwenden und versuchten ihre Augen mit ihren Kapuzen zu schützen. Nur Korahan blickte weiterhin stoisch ins Zentrum des Zaubers. Dem Pickelgesicht wurde es zu viel, er wandte sich ab, sprang vom Podest und kauerte sich darunter im Schatten zusammen. Seine Robe dampfte in der kalten Luft, er riss sich die Kapuze wieder vom Kopf und blies wie wild auf seine Finger, um sie zu kühlen. Die anderen Kleriker verteilten sich nun vorsichtig, um die Lücke zu schließen, aber auch sie schienen langsam nachzulassen, wanden sich mehr und mehr und verkrampften ihre Finger. Korahan blieb ungerührt. Er hatte keine Mühe, den verschwundenen Diener zu kompensieren, während seine Helfer zu wimmern und stöhnen begannen. Mit einem Knall löste sich der Zauber auf. Eine starke Böe durchfuhr die gesamte Stadt und tauschte die Winterkälte mit sommerlich warmer Luft. Selbst die Wolken am Himmel wurden einfach fortgeblasen. Über dem Podest flirrte die Hitze und darunter kauerten fünfzehn dampfende Priester, schälten sich aus ihren Roben und versuchten sich abzukühlen.
Vereinzelte Jauchzer in der Menge gaben Korahan zu verstehen, das das Volk mit seiner Tat zufrieden war. Man reichte den Klerikern kühles Wasser, entledigte sich überzähliger Bekleidungsstücke und machte sich wieder an die Arbeit, geradeso als wäre nichts geschehen. Der Fürst schickte seine Gehilfen fort und blieb allein auf dem Podest zurück. Er hielt die Magie aufrecht, umkreiste das Feuer sehr langsam und formte Symbole mit seinen Händen. Den ganzen Tag verbrachte er auf diese Weise, nur unterbrochen von seinen Architekten, die regelmäßig am Galgen erschienen, die Treppe bis zur halben Höhe erklommen und ihn um die Absegnung eines Bauplans oder die Bewilligung weiterer Rohstoffe baten. Einmal tauchte auch ein Richter auf und bat um Rat in einem ganz besonders scheußlichen Fall von Ehebruch.
Als die Sonne am Abend schließlich hinter dem Kamm des Fjords verschwand und sich die Menschenmenge am Markt langsam auflöste, fanden sich die Priester des Feuerordens wieder bei Korahan ein. Sie hatten ihre Haltung wiedererlangt, hatten sich und ihre Roben auf Vordermann gebracht und waren bereit, die Nachtwache zu übernehmen. Der Galgen wurde wieder aufgestellt, die Kohlenpfanne abgebaut, aber zuvor entzündete noch ein jeder eine Fackel im magischen Feuer. Dann verteilten sie sich in den Straßen und versuchten mithilfe ihrer Magie die Wärme des Tages in der Stadt zu erhalten. Das gelang ihnen selten länger als einige Minuten. Sie waren zwar redlich bemüht, doch auch trotz ihrer Anzahl einem Fürsten Korahan de Goliah nicht ebenbürtig.
Auf seinem Weg zum Palais sinnierte dieser über die Vorzüge einer Sänfte, dem bevorzugten Fortbewegungsmittel seiner Standesgenossen am Festland. Ein Gedanke, der seinen Ursprung wohl irgendwo in seinen Oberschenkeln hatte, die von den magischen Anstrengungen des Tages brannten und bei jedem Schritt schmerzten. Korahan grinste. Er konnte sich so gar nicht vorstellen, als fettleibiger Snob durch Atleaux geschaukelt zu werden und dabei aus einem goldenen Pokal zu schlürfen und Passanten schelmisch mit Weinkernen zu bespucken. Er betrat sein Anwesen und war schon auf der Türschwelle versucht, kehrt zu machen und sich einen ruhigeren Ort zu suchen. Ein kurzer Blick auf die Stadt hinter sich, an der auch zu dieser Stunde noch unvermindert und lautstark gebaut wurde, zerstreute jede Hoffnung einen solchen Ort zu finden.
Im Inneren des Palais wimmelte es von Soldaten, die dreckige Lieder sangen, billigen Wein soffen oder sich im Armdrücken maßen. Der Fürst empfand große Sympathie für diese Männer. Er selbst war viele Jahre einfacher Soldat gewesen, bevor er die Magie entdeckte. Deshalb hatte er ihnen erlaubt, das Untergeschoss seines Refugiums zu nutzen, bis die Handwerker die Kaserne fertigstellten. Trotz aller Zuneigung war ihm der wilde Haufen keine Hilfe dabei, sich zu erholen. Immerhin zügelten sich die Soldaten, sobald sie den Fürsten erblickten und reduzierten die Lautstärke ihre Gespräche auf Geflüster.
Er stieg die breite Marmortreppe in das Obergeschoss hinauf, wo ihn ein sichtlich verärgertes Gesicht erwartete. Es war das Gesicht der Princesse Cordula de Goliah, Korahans Tochter, deren Schönheit auch der Ärger kaum zu entstellen vermochte. Sie stand vor dem Eingang zu ihren Gemächern und lauschte aufmerksam. Die Tür stand weit offen und der vermeintliche Lärm einer Schlacht epischen Ausmaßes hallte durch die Kammern. „Was geht hier vor“, fragte Korahan besorgt und schickte sich an, selbst nachzusehen. „Eine Maus, Vater“, sagte sie, als würde es alles erklären. „Ein halbes Bataillon gegen ein Nagetier? Ein maßlos unfairer Kampf!“ „Zumal ich keine Angst habe vor Mäusen. Sie übertreiben, Vater, mit einer Maus werde ich auch alleine fertig.“ „Sei nachsichtig mit ihnen, sie versuchen Dir zu gefallen.“ Cordulas Gesicht nahm bei dieser Bemerkung beinahe die rotbraune Farbe ihrer Haare an. In diesem Moment kam einer der Soldaten triumphierend aus dem Gemach. Er hielt das strampelnde Tier am Schwanz hoch vor ihre Nase. Den Fürsten ließ er dabei gänzlich außer Acht. „Ich habe den Störenfried erlegt, Princesse“, rief er stolz. „Werdet nicht übermütig, Gefreiter“, fuhr ihn Korahan schroff an, „wenn das Wachbataillon derart schlecht ausgelastet ist, werde ich euch in die Baustellen schicken! Das wäre ohnehin das klügste und den Bürgern sowie dem König nur recht!“ „Ja, mein Fürst“, sagte der Soldat stimmlos. Dann machte er sich davon und folgte seinen Kameraden, die bereits ein paar Stufen die Treppe hinunter auf ihn warteten. Cordula sah ihren Vater vergnügt und zugleich fragend an. „Sehr nachsichtig“, stellte sie fest. „War ich zu streng?“ „Ich denke, Deine Strenge ist stets angemessen, Vater. Nimm die Stadt zum Beweis – Du hast die Menschen zu einer Leistung motiviert, die für das gesamte golatesische Imperium beispielhaft ist.“ „Atleaux ist mir in Wirklichkeit ein Gräuel, Cordula. Ich sehe Ärger auf uns zukommen. Wenn es nicht der Winter ist, der uns vertreiben wird, dann werden es die Barbaren besorgen“, erklärte Korahan. Er küsste seine Tochter auf die Stirn und seufzte tief, ehe er sich in seine Räumlichkeiten zurückzog. Cordula stand noch eine Minute nachdenklich dort. Es beunruhigte sie immer sehr, wenn ihr Vater Sorgen hatte. Erst als sie die neugierigen Blicke der Soldaten bemerkte, die sich am unteren Ende der Marmortreppe sammelten und unverhohlen zu ihr heraufstarrten, ging auch sie in ihr Zimmer und verschloss die Tür mit mehreren Riegeln.
Am Morgen trat Korahan auf den Söller des Palais hinaus und sah hinab auf die junge Stadt. Auch letzte Nacht war sie wieder ein gutes Stück gewachsen. Es erstaunte ihn immer wieder, wie fleißig die ansonsten so trägen und dekadenten Golater hier ans Werk gingen. Aber es waren wohl genau jene Menschen mit ihm gekommen, die die Dekadenz ebenso verachteten, wie er selbst. Nur weit weg vom König, vom Adel und von den Aristokraten - weg von dem geldgierigen, faulen Abschaum der sich in den Provinzen breit gemacht hatte. Korahan sah zur Sonne hinaus die langsam über dem Ozean auftauchte und den Himmel rotorange färbte. Es war ein beruhigender Anblick. Er stimmte ihn ein wenig fröhlicher. Schon immer hatte er eine starke Verbindung zur Sonne. Und seit dem Seekrieg mit Sianor und den Nowilar war dieses Band für alle offensichtlich. Er verdrängte die Gedanken an Krieg und Zerstörung aus seinem Kopf und sah sich wieder in Atleaux um. Er ging die Aufgaben durch die er noch zu erledigen hatte, bevor er wieder zum Galgen musste, um die Stadt zu wärmen. Zum einen waren neue Siedler gekommen - die Hänge des Fjordes waren inzwischen zum Bersten voll mit Kontoren, Wohnhäusern und Baustellen, deshalb würden die Neuankömmlinge kaum mehr Platz in der Stadt finden. Korahan wollte ihnen die Felder vor dem Askawald zuteilen. Dann waren da die Priester der Mione, die darum bettelten, wieder in das hohe Heiligtum der Feuergöttin, im Tempelbezirk der Hauptstadt, geschickt zu werden. Doch waren sie noch unabdingbar. Ihre Hilfe war zwar kaum mehr als ein Funke in der Glut, aber immerhin. Selbst die Planung der Stadt lag allein in seinen Händen. Jedes Grundstück und jeder Plan wurde erst von ihm abgesegnet, bevor mit dem Bau von Gebäuden begonnen werden durfte.
Der Fürst wollte gerade ins Schloss zurückgehen, um sich auf den Tag vorzubereiten, da legte sich ein dumpfes Schweigen über die Bucht. Der Wind ebbte ab, die Stimmen verklangen und das Hämmern und Sägen stoppte abrupt. Korahan suchte nach der Ursache für die unheilschwangere Stille. Er spürte Sandkörner auf seine Haut prasseln. Dann entdeckte er die Silhouette eines alten Mannes, der dabei war, gemächlich einen engen Trampelpfad, die felsige Flanke des Fjordes entlang, zur Bucht hinabzusteigen. Tausende Golater Augenpaare beobachteten gebannt jeden Schritt des Fremden. Alles schien inne zu halten. Selbst die Zeit schien an Ort und Stelle zu verharren.
Erst Princesse Cordula brachte wieder Bewegung in die stumme Anspannung. Sie kam aus ihrem Gemach gesaust, als hätte sie lange und gespannt auf jemand gewartet, der endlich eintraf. Cordula stützte sich auf die Brüstung und beugte sich gefährlich weit nach draußen. Sie schien das Eintreffen des Fremden kaum erwarten zu können. Ihr Gesicht aber, spiegelte mehr Neugierde und Ehrfurcht wieder denn Freude. Korahan stellte sich nahe neben sie. Er tat es instinktiv - er wollte sie immer beschützen. Als wäre sie noch das kleine Mädchen, welches, tollpatschig wie es war, Gefahr lief, gleich vom Söller zu stürzen. Der Fremde verschwand hinter den tönernen Schindeln eines dreistöckigen Kontors. Die Stadt atmete auf. Alle gingen wieder ihrer Arbeit nach, als wäre nichts geschehen. Der Lärm der Hämmer und Stimmen nahm wieder seinen vollen Umfang an. Auf die kurze Stille, die eben geherrscht hatte, schien er aufreibend laut und de Goliah fragte sich, wie er die Nacht hatte schlafen können. Die Princesse stand immer noch da als würde sie gleich vor Ungeduld vom Altan springen. “Kennst du diesen Menschen“, fragte Korahan verwundert über ihr Benehmen. „Ich habe geträumt, Vater …“ „Du träumst von alten Männern in dreckigen Lumpen?“ Sie lächelte. „Ich träumte ein Nimrod würde aus dem Askawald kommen und einen König zu Dir und einen Prinzen zu mir führen.“ Korahan verkniff sich eine Bemerkung zum Prinzen. Die Angelegenheit schien ihm zu wichtig. Ihre Träume waren schon früher wahr geworden. Viele versuchten ihre Träume zu deuten. Auch den Tod ihrer Mutter hatte Cordula vorausgesehen. Aber einen Prinzen? “Ich wusste nicht, dass Du ans Heiraten denkst“, meinte er hämisch. Nun hatte er es doch gesagt. Seine Tochter warf ihm einen gespielt bösen Blick zu, ehe sie wieder in ihren Räumen verschwand. Korahan beschloss den seltsamen Wanderer ausfindig zu machen.
Voll gerüstet, mit einer reich verzierten Bänderrüstung und seinem schwarz verrußtem Schwert, verließ er das Chateau de Goliah. Am weiten Platz vor dem Prunkbau hatte sich eine große Menschenmenge gebildet. Zwei geistesgegenwärtige Gardisten drängten die Menge vor dem Fürsten auseinander und er erkannte gleich die Ursache des Aufruhrs. Der namenlose Wanderer hatte mitten am Hauptplatz ein Zelt aufgeschlagen. Jetzt saß er mit verschränkten Armen und Beinen vor dem Eingang des Zeltes, auf einem abgewetzten Teppich. Er starrte de Goliah ausdruckslos an. „Sei gegrüßt, oh, seltsamer Fremder. Ich wollte gerade ausziehen um Euch zu suchen“, begann Korahan zaghaft, da er noch nicht wusste, was er von dem Fremden halten sollte. „Ich wusste wann ihr kommen würdet …“ „Nun, warum habt ihr dann ein Zelt aufgeschlagen? Mitten am Hauptplatz dieser Stadt?“ „Zu aller erst, ist dies ebenso sehr eine Stadt wie ein Funke Feuer ist. Zu Eurer Frage: Ich weiß auch, dass es noch einige Zeit brauchen wird, bis ihr mich in Euren prächtigen Palast hineinrufen werdet.“ Bei diesem Satz zuckten des Wanderers Mundwinkel ein Stück nach oben. Sein Gesicht veränderte sich - einen Moment lang sah er aus wie ein Knabe von fünfzehn. Dann formte sein Mund wieder eine Gerade und der alte weißhaarige Mann hatte wieder Einzug in dem Gesicht gehalten. „Ich bezweifle, dass es überhaupt jemals soweit kommen wird.“ „Ihr seid nicht so höflich und edel wie es eurer Ruf erahnen lässt, Fürst Korahan de Goliah! Aber auch das wusste ich.“ Korahan war bemüht diese letzte Bemerkung zu überhören. In der Tat war er weit edelmütiger und umgänglicher als es im Gerede weitergegeben wurde. Als erstes wollte er in Erfahrung bringen, wen er vor sich hatte. „Ihr würdet jetzt gerne wissen wer ich bin, nicht wahr?“, fragte der Alte. Kaum etwas störte Korahan mehr als die Vorstellung, jemand könnte seine Gedanken lesen. Aber eigentlich brauchte es keinen Seher, um diese Frage vorauszuahnen. Er schob alle Zweifel und Unsicherheiten beiseite und verlangte mit aller Entschiedenheit: „Nun sagt mir schon wer ihr seid, alter Mann, oder soll ich Euch von der Westklippe werfen lassen?“ Das hörte sich schon viel mehr nach einem golater Adeligen an. Manchmal verfiel er in dieses überhebliche Gehabe, das für seinen Stand üblich war. Doch jedes Mal schreckten ihn daraufhin seine eigenen Worte. Aber er hasste Telepathie wirklich über alles. „Mein Name ist Awaxer. Ich bin ein einsamer“, er betonte dieses Wort nachdrücklich, „Wanderer durch die Zeiten. Ich bin das Orakel Eneliens. Oft stehe ich den hohen Herren der Insel mit meinem prophetischen Rat bei.“ Awaxer war kein typisch enelischer Name. Irgendetwas sagte Korahan, dass dieser Seher, kein gewöhnlicher Enelier war, wenn er überhaupt von der Insel stammte. Er entschloss trotzdem, dem Fremden vorerst Glauben zu schenken. „Nun, wenn Ihr mir für ein paar Münzen aus der Hand lesen wollt, muss ich Euch enttäuschen, Orakel.“ Der Prophet lachte verschlagen in sich hinein, wie über einen anstößigen Witz. „Auf Eure Hand kann ich genauso gut verzichten, wie auf Euer Gold. Glaubt mir, mein Fürst, nichts, das Ihr besitzt oder je besitzen werdet, würde ausreichen, um Euch meine Dienste zu erkaufen. Wenn ich Euch die Zukunft deute, dann aus freien Stücken.“ Die Selbstsicherheit in den Worten des Propheten ließ keinen Zweifel daran, dass er auch meinte, was er aussprach. „Was also ist es, das Ihr wollt, Orakel? Die Zukunft wollt Ihr mir nicht weissagen und der Einlass in das Chateau de Goliah muss wohl verdient sein.“
Dieselbe reglose Stille wie vor einigen Minuten erstickte Klänge und Gedanken. Awaxer blickte Korahan in die Augen. Ein mächtiger Zauber war im Gange, doch dem Orakel schien er nicht die geringste Kraft zu kosten. Alle Bewegung ringsum hatte aufgehört. Selbst die Seevögel über ihren Köpfen hatten inmitten der Luft ihren Flug angehalten - was für eine Demonstration magischer Macht! Nur einen Augenblick später nahm alles wieder seinen gewohnten Lauf und es schien, als wäre nie etwas geschehen. Auch hatte es wohl niemand so bewusst miterlebt, wie der von Magie durchtränkte Fürst de Goliah. „Glaubt mir, mein Fürst, nichts fällt mir leichter, als meinen Wert für die Menschen zu beweisen.“ Ein Hauch von Bitterkeit lag in Awaxers Stimme. „Ich werde mir den Einlass in Euer wertloses Gemäuer bald verdient haben.“ Korahan hatte selten einen so mächtigen Zauber gesehen. Es war eine Art der Magie, die er nicht kannte - nie hätte er geglaubt, dass jemand die Zeit selbst beeinflussen kann, zumal er sie für keines der göttlichen Elemente hielt.
Ein Hellseher oder Telepath und ein mächtiger Magier – Korahan wusste nicht was schlimmer sein sollte, als so ein Wesen unter dem eigenen Dach zu beherbergen. In diesem Moment kamen einige Stadtwachen aus dem Schloss gerannt. Mit langen Hellebarden bewaffnet drängten sie sich um Korahan, der versuchte, sich einen Reim auf dieses Dilemma zu machen. Auch die Lady Cordula kam nun aus dem Chateau. Sie stand auf der untersten Stufe der Eingangstreppe und beobachtete die Situation aus der Ferne. Die Wachen drängten die Bürger zurück, die sich bereits zu hunderten auf dem Platz eingefunden hatten und einen Kreis um Korahan und Awaxer bildeten. Die Anwesenheit seiner Soldaten stärkte Korahan den Rücken selbst wenn auch sie kaum etwas gegen das Orakel ausrichten hätten können. Aber immerhin zeigte Awaxer keine bösen Absichten. Obwohl Machtdemonstrationen wohl immer einer Bösen Absicht entspringen - oder einem bösen Geist. Er besann sich auf seine eigene Stärke, seine eigenen magischen und körperlichen Kräfte. So mächtig Awaxer auch sein mochte, Korahan war ihm ebenbürtig. Doch hatte er von nun an einen Heros am Hals der seine Zukunft gewaltig zum Schlechten beeinflussen konnte. Ihn fortschicken konnte er nicht und ignorieren genauso wenig. Also beschloss er, das Beste daraus zu machen und es einfach dabei zu belassen, dass dieser Fremde hier am Hauptlatz zeltete. Wenigstens würde ihn die Bevölkerung mehr belächeln als fürchten. „Sei's drum! Bleibt hier am Platz und versucht Euch zu beweisen. Doch solltet Ihr auch daran denken, Euch als Freund zu beweisen, denn einem Feind gewähre ich ebenso wenig Obdach wie einem Unwürdigen“, sagte der Fürst bestimmt und wirbelte soldatisch auf dem Absatz herum, ehe er sich zum Heiligtum der Mione aufmachte. Die raue Stimme Awaxers gebot ihm Einhalt:
„Ein Nimrod wird aus dem Askawald kommen und er wird einen König und einen Prinzen zu Euch führen, Fürst“, dieses Wort klang schmeichelnd und verschlagen, „Korahan de Goliah.“
Korahan blieb stehen und sah erschreckt zu Cordula hinüber. Dann warf er dem Propheten einen verwirrten Blick zu. Dieser nickte leicht. Schließlich sprach er noch eine Warnung aus: „Und achtet auf das Haus der Feuer, auf dass es nicht verbrennen möge, in enelischem Zorn.“
„Ich werde bald zurückkehren“, hatte Gunthir ihm geschworen, „und mit mir der König selbst. Du aber, bleibe hier und wache über die Heiden. Lass sie in ihrer Raserei nicht noch mehr Unheil anrichten.“ Sechs Tage war das nun her. Wenn es auch keine Hierarchie gab, bei den Wasserleuten oder den Waldläufern, war doch keiner unter ihnen, der gegen Gunthirs Geheiß gehandelt hätte. Und so tastete sich der Kleriker an der steinigen Steilwand zur Stadt hinab. Er rutschte ab. Das Geröll gab unter seinen Füßen nach und rollte mit ihm einige Meter in die Tiefe. Er krallte sich mit den Fingern in den Steinen fest, um sich zu bremsen. Es war Nacht, klare, kalte Winternacht.
Einen Moment streifte sein Blick über die Kolonie Korahans. Er sah die Lichter und Feuer, die zu ihm heraufleuchteten und sein Herz fröstelte. Sein Gesicht aber erwärmte sich. Eine trockene Wärme, wie man sie vor dem Lagerfeuer verspürt. Vorsichtig löste er den Griff seiner Hände und prüfte ob seine Füße nun ausreichenden Halt hatten. Seine Finger waren taub vor Kälte und aufgeschürft. Einen Augenblick war er versucht sich der magischen Wärme der Fremden hinzugeben. Schon aber umfing ihn ein widerliches Gefühl - ganz ähnlich dem, das ein anderer Enelier vor nicht allzu langer Zeit beim Leibe seines toten Pferdes erfuhr. Er wusste nicht, ob er mehr von der Tatsache angewidert war, dass die Festländer den Wassergott mit ihrer Dummheit bis aufs Blut erzürnten oder aber von sich selbst, dass er sich beinah so leicht hätte verführen lassen. Noch einmal grub er seinen Finger in die kalten Steine als wolle er sich von der Sünde reinwaschen. Wieder durchsuchten seine scharfen, pechschwarzen Augen die Stadt. Er wusste wonach er suchte. Es war ein Tempel, gewidmet einer fremdländischen Göttin. Schon am Morgen hatte er ihn erspäht. Korahans Schergen hatten ihn in nur wenigen Tagen unter einem Gespinst aus roter Takelage errichtet. „Als ob Tuch dies Sakrileg vor Horn hätte verbergen können“, flüsterte er sich selbst zu, als seine Augen das Bauwerk wiederfanden. Er musste durch die halbe Stadt, um zu ihm zu gelangen. Also fuhr er fort zaghaft in die Bucht hinab zu klettern. Die Golater hatten keinen Wall um ihre Stadt gezogen. Sie waren hier, auf einer fremden Insel. Sie waren in Landen, wo die Namen Diothan und Meglor so gefürchtet waren, dass selbst Bären vor Angst erschauderten, wenn sie bloß ausgesprochen wurden. Sie aber schienen nichts zu fürchten, ja, sahen es noch nicht einmal als notwendig an, Wachen aufzustellen. Sie hatten Terrassen in den Fels geschlagen. Die obersten Gebäude verschmolzen ihre roten Dächer mit den Wänden der Klippe. Zwischen zwei dieser Dächer stieg der Wasserspäher nun hinab in eine enge Gasse. Unten angekommen legte er eine Hand auf das irdene Mauerwerk. Es war heiß. Erschreckt zog er sie zurück. Von überall her drangen leise Geräusche an seine Ohren. Müdes Sägen und vereinzeltes Hämmern. Flüsternde Stimmen die in einer fremden Sprache diskutierten. Das Klacken von Goldmünzen die eine nach der anderen gestapelt wurden und die Stimme des Mannes der sie zählte. Und das allgegenwärtige Knistern und Lodern von abertausenden Feuern. Vorsichtig streckte er den Kopf heraus, um um die Ecke zu lugen. Er sah in eine lange, leere Straße.
Noch ein Blick nach rechts und einer nach links und schließlich sauste er hinaus, huschte fast lautlos über die Pflastersteine und verschwand gegenüber wieder in einer dunklen Gasse. Er hörte Pfiffe hinter sich. Also zog er sich weiter ins Dunkel zurück. Ein keuchendes Husten. Er wandte sich um. Sein Herz raste. Er durchbohrte die Dunkelheit mit seinen Blicken, doch selbst seine scharfen Späheraugen vermochten nur sehr wage Umrisse zu erkennen. Zögernd wich er zurück. Er erwartete jede Sekunde eine kalte Klinge in seiner Brust. Die Angst drohte ihn zu überwältigen. Er wollte in das Licht der Straße hinaus laufen, nur um wenigstens zu sehen, wer oder was ihn wohl gleich ermorden würde. Da erklang von der Straße her wieder die Melodie des Pfeifers und mit ihm seine von schwerem Metall scheppernden Schritte. Er war zu nah, um über diesen Weg zu flüchten. Der Wasserspäher war umzingelt. Er konnte nirgendwo mehr hin. Der einzige Schutz, den er bei sich trug, war sein unerschütterliches Gottvertrauen. Wenn auch viele behaupten mochten, dass dies eine der mächtigsten Waffen sei, derer ein Mensch habhaft werden konnte, so schien ihm das doch in diesem Moment nicht ausreichend Rüstzeug zu sein, um die Nacht zu überstehen. Wieder ein Geräusch aus dem Dunkel. Er erstarrte. Es war ein dumpfes Rascheln, gleich einem fallenden Sack Korn. Dann rollte langsam und knirschend eine Flasche hinaus in das Licht der Straßenlaternen. Der pfeifende Palisadenritter hielt mitten in Lied und Schritt an und betrachtete die Flasche mit einigem Erstaunen. Der Wasserspäher unterdessen drückte sich mit aller Kraft gegen das Gemäuer, um nicht entdeckt zu werden. Der Ritter hockte sich hin, nahm die Flasche auf und besah sie. Dann gab er einen erfreuten Pfiff von sich. Er schüttelte sie und nahm einen gehörigen Schluck. Schließlich warf er die Flasche in die Seitengasse zurück aus der sie gekullert war und marschierte fröhlich von dannen. Erst als er fort war, wagte der Späher wieder zu atmen.
Ihm war immer noch unbehaglich in seinem finsteren Eck, also schlich er wieder auf die Straße hinaus in die Richtung des Tempels. Es gelang ihm, einiges an Weg ungesehen hinter sich zu bringen.
Er wäre schon fast am Ziel gewesen, da kamen zwei Festländer nur wenige Fuß weit vor ihm aus einem Gebäude gerumpelt. Sie trugen eine schwere Last und keuchten bei jedem Schritt. Es war ein ordentlicher Stapel Bretter. Jener der voran ging, wusste nicht so recht, was er mit all dem Gewicht anfangen sollte. Erst versuchte er den Stapel zu schultern, hatte aber nicht genug Kraft, um ihn so weit zu stemmen. Dann drehte er sich und versuchte, die Ladung hinter dem Rücken zu tragen. Doch auch das gelang ihm nicht. Am Ende verließ ihn die Kraft und die Bretter fielen ungelenkt zu Boden. Er streckte sich und hatte erst jetzt die Zeit sich umzusehen. Da fand er den Enelier mit weit aufgerissenen Augen an eine Wand gedrückt stehen. Der Arbeiter musterte den wild gekleideten Eindringling von oben bis unten. Vorsichtig zog er sein Messer. Er murmelte etwas in seiner seltsamen Sprache. Dann holte er aus einem Lederbeutel an seinem Gurt einen Apfel heraus. Er teilte ihn mit dem Messer und warf eine Hälfte dem Späher zu. “Da“, rief er, „und jetzt hilf, auf dass mein Rücken mir noch im Alter diene!“ Der Wasserspäher verstand kein Wort. Trotzdem entschloss er, irgendetwas zu tun, um nicht durchschaut zu werden. Also nahm er den Apfel in den Mund und packte mit an. Glücklicher Weise führten ihn die Arbeiter genau auf den Tempel zu. Allerdings stellten sie ihm einige Fragen, die er nicht verstand. Mit dem Apfel im Mund aber, hatte er genügend Vorwand um unverständlich zu antworten. „Ah, ja“, nickte der Vordermann darauf immer, der seine Fragen viel mehr aus Höflichkeit denn aus Neugier stellte. Der Enelier half ihnen ihre Last bis zum Tempel bringen, dann ließ er los und verschwand in dessen Inneren. Die Träger riefen ihm ihre Einwände hinterher, hatten aber nun das schwere Gewicht auf den Schultern und konnten sich kaum noch bewegen. Sie mussten ihn ziehen lassen.
Drinnen angekommen warf er erst einen Blick nach hinten um sich zu vergewissern, dass ihm niemand gefolgt war. Dann atmete er tief durch und erblickte eine Manifestation des Feuerelements. Alles war rot und gelb und golden. Eine enorme Sonne aus Gold und Edelsteinen zierte die Front. So gewaltig war Miones Bild, dass ein Menschenauge aus dieser Distanz nicht genügte, um es zu erfassen. Und ringsum tanzten die Flammen. Magische Flammen waren es, denn sie waren mannshoch, doch bar jeder Nahrung. Ein Gefühl der Ehrfurcht traf ihn wie ein Schwerthieb. Er fiel auf die Knie und begann leise zu schluchzen: „Oh Kouri, Göttin der Feuer, bitte verzeih mir, was ich zu tun habe …“ Zwar hatten alle Völker ihre eigenen Namen für die Götter, doch spürte jeder Mensch auf der Welt ihre Gegenwart, gleichgültig unter welchen Namen man sie anpries. So war der Name der Feuerherrin Kouri unter den Festländern Mione, dennoch waren sie ein und dieselbe. „Vor allen anderen habe ich zu erst Horn zu dienen“, erklärte der Wasserspäher traurig.
Er erhob sich langsam und bedrückt und begann die Tempelräume nach etwas Entzündlichem abzusuchen. In einem Winkel fand er einen großen Haufen roter Leinen. Außerdem fand er einige hohe Regale, die voll waren von festländischen Büchern. Er wickelte die Leinen um die hölzernen Stützbalken der Haupthalle, in der Hoffnung, dass diese, vom Feuer entfacht, nachgeben würden. Danach nahm er sich Bücher so viele er tragen konnte, steckte eines nach dem anderen an und verteilte sie überall dort, wo er etwas Brennbares sah. Bald stand der ganze Tempel lichterloh in Flammen. Er hatte seine Pflicht erfüllt und wollte aus dem Tempel flüchten. Da packte ihn die Scham und er erstarrte. Er konnte nicht leben mit dem was er getan hatte. Er hatte auf schändlichste Weise gegen einen der Götter gehandelt. Aber er musste es tun. Es zerriss ihm das Herz. So entschloss er, in den Flammen zu sterben. Bald schon hatten sich die Feuer so ausgebreitet, dass er nicht einmal mehr die Möglichkeit zu einer Flucht gehabt hätte.
Plötzlich tauchte eine Gestalt in den Feuern auf. Sie brannte wie ein Kienspan. Langsam und ruhig schritt sie ins Zentrum der Halle, als wären die Flammen nur hohe Gräser. Ja, sie strich sogar mit den Händen über sie hinweg, wie es der stolze Bauer mit seinem Korn tut. „Kommt her zu mir, ihr Feuer. Werdet Teil von mir. Tanzt und brennt mit mir. Kommt und lebt in mir“, rief er, Korahan de Goliah, und die Flammen gehorchten. Eine nach der anderen züngelte in ihn hinein und verschwand in der Hitze seiner Seele. Der Späher sah noch wie der Fürst auf ihn zu kam, zum Schlag ausholte und …
… ein schrilles Pfeifen verwandelte sich in rauschenden Applaus. Ausgelassene Heiterkeit überall … Eine große Ansammlung von Menschen die ihm alle zuriefen und lachten. Er sah nur verschwommen und seine Augen brannten. Faule Eier, braune Äpfel, hartes Brot … Er versuchte sein Gesicht zu schützen, doch seine Hände waren festgebunden. Der blaue Himmel und das mulmige Gefühl freien Falls waren die letzten Dinge, die er im irdischen Reich erlebte.