Sanchandra wehrte sich gegen die unzähligen Soldaten, die um sie herum waren. En-Die half seinem Reittier so gut er konnte und gemeinsam fegten sie Reihe um Reihe Feuerbändiger zurück. Hinter ihnen standen viele Erdbändiger, die sie mit aller Macht unterstützten. Feuer und Fels flogen durch die Luft und hinterließen ein Trümmerfeld. Neben En-Die stand ein älterer Mann, der mächtige Erdwälle auf die Feuersoldaten losließ. "Nicht müde Bumi?", fragte En-Die ihn. Bumi lachte laut. "Ich werde gerade erst richtig warm!", rief er zurück. Die Soldaten der Feuernation traten langsam aber sicher den Rückzug an. "Sie ziehen sich zurück!", riefen die Erdsoldaten triumphierend und alle jubelten. "Seid keine Narren!", brachte Bumi sie zum Schweigen. "Sie formieren sich nur neu. Bald kommen sie zurück und zwar zahlreich! Ich will, dass die Stadt bis dahin wieder gesichert ist!" Die Männer nickten. "Ihr habt‘s gehört Jungs! Los geht’s!" En-Die und Bumi gingen gemeinsam durch das Treiben. "Sie werden sie nicht aufhalten können", meinte En-Die ernst. "Jeder Mann hier ist bereit, das Leben für diese Stadt zu geben", antwortete Bumi. "Das alleine wird aber nicht reichen. Es sind zu viele Bumi, ihr schafft es niemals Gaoling weitere sieben Tage zu halten", flüsterte der Schatten. Sein Blick schweifte in die Ferne. "Zumindest nicht allein", fuhr er mit nachdenklichem Ton fort. Er pfiff kurz und Sanchandra kam angetrabt. Mit einem einzigen Schwung war er in ihrem Sattel. "Willst du uns etwa verlassen?", fragte Bumi überrascht. "Ich würde es nicht tun, wenn ich es nicht müsste. Ihr schafft das niemals allein, ich werde Hilfe holen", antwortete er seinem Freund. "Ihr müsst unbedingt standhalten, bis ich zurück bin!“ Bumi klopfte sich gegen die Brust. „Verlass dich drauf!", kicherte er. "Wenn der Vollmond hoch am Himmel steht werde ich zurück sein", versprach der Schatten. "Warte En-Die! Wohin willst du eigentlich? BaSingSe wird dir keine Hilfe anbieten. Die verschanzen sich lieber hinter ihren Mauern, anstatt aktiv etwas zu unternehmen." En-Die sah Bumi an. "Wer redet von BaSingSe?", fragte er und gab Sanchandra die Sporen, so dass der riesige Skorpion in Richtung Norden losgaloppierte. Bumi sah ihm nach. "Viel Glück mein Freund. Wir werden noch hier sein, wenn du zurückkommst. Ich verspreche es!"
Die Erdbändiger hielten die feindlichen Soldaten der Feuernation so gut sie konnten zurück, doch sie wurden langsam aber sicher zurückgedrängt. Bumi befand sich hinter den Mauern und besprach die Lage mit seinem General. "Wir schaffen es nicht mehr lange, wir müssen uns zurückziehen", meinte dieser, doch Bumi schüttelte den Kopf. "Nein, es muss einen anderen Weg geben", überlegte er fieberhaft. Sein Blick schweifte in die Ferne, und er sah den Vollmond klar und hell am Horizont aufgehen. "Wenn der Vollmond hoch am Himmel steht werde ich zurück sein!" En-Dies Worte hallten ihm wieder durch den Kopf. Bumi drehte sich zu seinem General um. "Wir werden angreifen!", sagte er bestimmt. Der General sah ihn grimmig an. "Ein letzter verzweifelter Angriff?", fragte er. "Es ist die einzige Möglichkeit, noch etwas Zeit zu gewinnen. Und es wird nicht unser letzter Angriff sein", antwortete Bumi und sein Gegenüber nickte. "So soll es sein. Ich werde die Männer informieren, dass wir in die Offensive wechseln." Und so rückten die Erdbändiger ein letztes Mal aus. Kaum waren sie im Kampfgetümmel, begannen sie auch schon, die Feuerbändiger zurückzudrängen. Die beiden mächtigen Erdbändiger halfen ihren Soldaten so gut sie konnten. Zwar verlangsamte sich der Vorstoß der Feuersoldaten etwas, doch sie rückten weiterhin unerbittlich vor. Zu zahlreich waren ihre Gegner und zu erschöpft waren die Soldaten des Erdkönigreichs von der tagelangen Belagerung. Bumi stand auf einem Erdbrocken, den er aus dem Boden wachsen hat lassen, als er plötzlich etwas aus dem Augenwinkel bemerkte. Auf dem nördlichen Hügel war eine Gestalt aufgetaucht. Bumi brauchte kurz um zu erkennen, dass es Sanchandra war, auf deren Rücken der letzte Schatten saß.
En-Die zügelte seinen goldenen Skorpion und blickte auf das Kampfgetümmel. "Das sieht nicht gut aus", meinte er. Neben ihm kam ein schwarzes Fledermauspferd zum Stehen. Leila, die auf dem Tier saß, blickte nun auch hinunter. "Es ist noch nicht vorbei", antwortete sie und hob den Stab des ewigen Blutes, woraufhin eine gewaltige Menge an Reitern auf Straußenpferden hinter ihnen über die Hügelkuppe kam. Einige von ihnen hatten rote Augen, wie Leila, doch es waren auch viele Menschen unter ihnen. "Reitet!", rief Leila laut, so dass es alle hören konnten. "Reitet für Gaoling!" "Für Gaoling!", brüllte die Menge und alle begannen den Hügel hinunter zu galoppieren, En-Die und Leila an der Spitze. Die Feuersoldaten hatten die neue feindliche Armee bemerkt und machten sich bereit, die ersten Straußenpferde mit ihren Lanzen in der vordersten Reihe aufzuhalten. Leila hob ihren Stab, dessen Spitze in unheimlichem Rot aufleuchtete und die Lanzenträger krümmten sich mit schmerzverzerrten Gesichtern zusammen und fielen zu Boden. Was folgte war kurz, aber hart. Als erstes prallte Sanchandra mit voller Wucht auf die Gegnerhorden. Ihre dicke Panzerung schützte sie vor den Hieben der Schwerter und den Feuerstößen der Bändiger, während sie mit ihren gigantischen Fangscheren jeden zur Seite fegte, der vor ihr auftauchte. En-Die stand auf seinem Reittier und feuerte Plasmabälle in die weiter entfernten Mengen an Gegnern. Leila war direkt hinter ihrem Freund, die ledrigen Flügel ihres Pferdes waren weit ausgebreitet, so dass alle Gegner, die sich in einem Umkreis von sechs Metern um sie herum befanden gnadenlos niedergeschmettert wurden. Mit ihrem Stab räumte sie den Weg vor ihr frei, so dass niemand zu nahe an sie herankam. Die bewaffneten Reiter preschten hinter den beiden durch die Truppen der Feuernation und erledigten die Übriggebliebenen. Wer nicht von einem Schwert erfasst wurde, wurde vom nächsten Straußenpferd über den Haufen geritten. So schnell wie es begonnen hatte, so schnell war es auch wieder vorbei. Die Armee der Feuernation zerstreute sich und floh in alle Richtungen. Gaoling war gerettet.
"Du bist gerade noch rechtzeitig gekommen", meinte Bumi und klopfte seinem Freund lachend auf die Schulter. "Nicht ich. Wir", antwortete der Schatten ihm. "Stimmt. Wo ist denn der leitende Feldherr?", fragte der Erdbändiger. "Feldfrau in dem Fall. Gibt es dieses Wort überhaupt? Naja egal. Bumi, darf ich dir Leila vorstellen." Bumi sah das Mädchen überrascht an. "Du bist ziemlich jung für eine Heerleiterin", meinte er dann. "Täuscht Euch da mal nicht alter Mann", antwortete Leila. "Sie ist eine Blutlose, und weitaus älter als du selbst", erklärte En-Die seinem Freund, welcher das Mädchen aufmerksam musterte. "Ist mir eine Freude, dich kennenzulernen", kicherte er dann und gab ihr einen kräftigen Händedruck. "Ebenso", meinte Leila und lächelte.
Es vergingen einige Stunden. Leila und En-Die spazierten zusammen durch die große Stadt. "Ich wusste, dass du es schaffen würdest, die Völker des Gebirges zu vereinen", meinte En-Die gerade. "Ich war wirklich überrascht, als du plötzlich in unserem Dorf aufgetaucht bist", kicherte Leila. "Dorf kann man diese Festung, die ihr da hinter dem Wasserfall errichtet habt, wohl kaum mehr nennen", lachte En-Die. Leila grinste und entblößte dabei ihre spitzen Zähne. Um sie herum sah sie, wie ihre Leute den Soldaten des Erdkönigreiches halfen, die Stadt wiederaufzubauen und die Verwundeten zu versorgen. "Ich wünschte nur wir hätten uns unter besseren Umständen wiedersehen können", flüsterte sie und En-Die sah sie mit seinen violett leuchtenden Augen an. "Du bist erwachsen geworden", stellte er plötzlich fest und sie zuckte überrascht zusammen. "Als ich dich getroffen habe warst du ein stures kleines Mädchen. Aber jetzt. Jetzt befehligst du eine Armee, die stark genug ist, um die Truppen der Feuernation zurückzustoßen." Leila rollte mit den Augen. "Und deswegen bin ich plötzlich erwachsen?", fragte sie. "Unter anderem. In dir steckt viel mehr, als du selbst denkst, Leila, Königin des Nordens." Sie gingen eine Weile schweigend weiter durch die Straßen, bis das Mädchen schließlich fragte: "Warum hast du hier gekämpft? Warum war dir diese Stadt so wichtig, dass du extra zwei Tage und Nächte durchgeritten bist, um zu mir zu kommen und mich um Hilfe zu bitten?" En-Die blieb stehen. "Ich habe hier vor ein paar Tagen ein sehr interessantes Mädchen getroffen. Ich kann es nicht erklären, aber obwohl sie erst ein Jahr alt ist habe ich irgendwie das Gefühl, dass sie später noch eine unglaublich wichtige Rolle spielen wird. Nicht nur in meinem Leben, sondern auch für die ganze Welt. Doch ich hätte auch so für Gaoling gekämpft. Dieser Krieg ist Wahnsinn, er muss aufhören. Und ich werde meinen Teil dazu beitragen." Damit schwang er sich auf Sanchandra. "Du gehst?", fragte Leila ihn und eine Spur von Enttäuschung schwankte in ihrer Stimme mit. "Ich muss weiter. Meine Aufgabe hier ist erledigt", antwortete der Schatten ihr. "Ich wollte nichts weiter, als auf meinen Reisen zu lernen und die Welt sehen. Aber jetzt bin ich ein Kämpfer geworden. Jemand, von dem die Leute erwarten, dass er stark genug ist, um sie zu retten", flüsterte er. "Nun ja, ein Schatten ist auch ein ziemlich guter Kämpfer", murmelte Leila. "Täusch dich da bloß nicht. Die meisten meines Volkes waren friedliche Leute, die nie im Leben daran gedacht haben, ihr Plasma für einen Kampf zu verwenden." Er sah zum Horizont, wo die Sonne langsam aufging. "Gesandter und Krieger der Schatten. So hat man mich früher genannt und das war ein sehr seltener Titel für einen Schatten. Jetzt erinnert sich keiner mehr daran. Die meisten Menschen denken sogar, dass es immer nur einen Schatten gab", flüsterte er traurig. Leila stellte sich auf die Zehenspitzen, um seine Hand greifen zu können. "Du bist eine Legende geworden En-Die. Es passiert mit allen früher oder später, wenn sie lang genug leben", meinte sie. "Weißt du, wie man mich heute nennt?", fragte ihr Freund sie und Leila schüttelte den Kopf. "Der dunkle Wanderer." Leila lachte auf. "Kommst du denn so viel herum?", fragte sie kichernd. "Tja, anscheinend ist das einzige, was die Menschen jetzt noch mit einem Schatten verbinden ein großer Mann mit schwarzem Umhang, der um die Welt reist." "Du gibst ihnen Hoffnung. Hoffnung, dass sie gerettet werden", meinte sie. "Ich weiß und davor fürchte ich mich. Was ist, wenn ich diese Hoffnung nicht erfüllen kann?", fragte er sie und sie sah ihn verwundert an. Er war doch sonst immer so selbstsicher. Plötzlich leuchteten En-Dies Augen auf, als ob ihm etwas eingefallen wäre. "Was ist es?", fragte Leila ihn und er sah sie überrascht an. "Woher…", begann er, doch sie schnitt ihm das Wort ab. "Nach all den Jahren, die ich mit dir verbracht habe, weiß ich ganz genau, wenn dir etwas durch den Kopf geht. Also raus damit, was hast du vor?" "Ich werde denjenigen suchen, der den Menschen eigentlich Hoffnung machen sollte", antwortete er. "Der Avatar", flüsterte Leila und En-Die nickte. "Ich werde ihn finden. Das ist meine neue Aufgabe." Dann beugte er sich zu ihr herunter und gab ihr einen Kuss auf die Hand. Als er sie wieder losließ hatte er ihr die Kette mit dem Feuerstein gegeben, den Rubina ihm damals bei den Sonnenkriegern geschenkt hatte. "Die hole ich mir irgendwann zurück. Lebt wohl Majestät. Bis zu unserer nächsten Begegnung." Damit gab er Sanchandra die Sporen und galoppierte davon. "Leb wohl, alter Freund", flüsterte Leila und sah ihm mit einem verschmitzten Lächeln nach.