»Verdammtes Mistwe...«
Wind brauste auf und verdichtete sich zu einer kräftigen Böe, die jedwede Laute übertönte. Alles, was nicht festgezurrt, verankert oder genagelt war, rührte sich wie durch Zauberhand.
Tonnen und Kisten wurden rumpelnd verschoben, Werkzeuge pochten klappernd gegen Wände oder fielen anderenorts polternd zu Boden. Lose hängende Bretter schlugen klagend aneinander und der von seeseits peitschende Regen verwandelte Gehwege in schlüpfrige Unterfangen.
Rondal hatte sich rücklings unter eine marode Treppe gedrängt und sah sich aufmerksam um. Seine Verfolger schienen endlich von ihm abgelassen zu haben. Auch wenn zu dieser fortgeschrittenen Zeit und bei diesem Wetter kein vernunftbegabter mehr freiwillig draußen anzutreffen sein sollte ... er befand sich auf ihn unbekannten Boden. Mehr noch, dieses Gebiet beherbergte allerlei Menschen, die erst handelten und hinter fragten - eventuell, unter Umständen.
Zwischen dem brausenden Geheul der Windstöße drängten sich verschiedenste Wortlaute. Keiner dieser war zusammenhängend und zu unterschiedlich in den Tönen, als das irgendeine Sinnhaftigkeit dahinter zu erahnen war. Weiterhin geduckt spurtet er bedacht in jene Richtung, aus welcher er glaubte, dass die Geräusche entstammten.
Vollends durchnässt stand eine Gestalt in dunklen Farben gehaltenem Umhang vor der Tür eines runtergekommenen Gebäudes. Zweifelsfrei eines auf die Bedürfnisse einer Schenke Umfunktioniertes. Seine Rechte ruhte auf dem hölzernen Riegel und verharrte. Den Kopf neigte er seitwärts, um sich zu vergewissern, von niemandem beobachtet zu werden. Zweifel, würden jene meinen, die die Aufgabe bekämen seine Gesichtszüge zu umschreiben.
Kaum das seine Hand sich senkte, um die Tür zu öffnen, nahm irgendjemand von drinnen ihm die Arbeit ab. Die durchnässte Gestalt davor versteifte sich in Erwartung.
»Huch, hasch u misch erschrecht. Scheich Aben, um sich bei em Pischwetter rauschen ufzuhalten, wa?«
Anstatt zu antworten, trat Angesprochene mit rümpfender Nase zu Seite.
»Musch nich mit mir ren, mach mei Weib och nisch ... Nach.«
Der augenscheinlich Sturzbetrunkene winkte ab und verschwand torkelnd im Dunkel der umstehenden Aufbauten. Sein schwankender Gang bemaß die gesamte Breite des Weges. Abzuwarten blieb, ob der Suffkopf es überhaupt lebend bis zu seinem Unterschlupf schaffte.
Von drinnen wurden Stimmen Laut, die ihn aufforderten, die Tür vor oder hinter sich zu schließen und so trat er ein.
Die vorherrschenden Gesamteindrücke übertrafen seine Befürchtungen. Ein jeder schien zusammenhangloses Zeugs zu brabbeln und sich in der Lautstärke übertreffen zu wollen. Überall standen, saßen oder lagen Betrunkene und natürlich jene, die diesen Zustand noch zu erreichen hofften.
Die Luft war zum Schneiden. Anstand und ein rebellierender Magen haderten um Vorherrschaft. Übelkeit und erbrechen oder Augen zu und durch.
Beißender wie stinkender Qualm von allerlei billigem Tabak und solchem, was andere dafürhielten sowie undefinierbare Essensgerüche der womöglich vergangenen Tage, schwängerten den überfüllten Raum. Dessen ungeachtet blieben der penetrante Geruch nach ranzigem Schweiß und Erbrochenen am auffälligsten.
Seine Augen huschten unstet von links nach rechts. Mit raschem Blick erhaschte er einen jeden und versuchte sich ein Bild der gegenwärtigen Situation zu verschaffen. In einer nahezu uneinsehbaren Nische saßen zwei Personen an einem als Tisch umfunktioniertem Fass. Sie schienen sich gut zu kennen und verhielten sich für Unbedarfte vollkommen unauffällig, was für ihn auffallend genug erschien.
»Hey du. Fremder. Steh da nicht blöde rum, du verschreckst meine Gäste.«
Angesprochener drehte sich und maß den Sprecher aus den Schatten seiner Kapuze heraus.
»Mann o Mann, nicht noch einer. Geh da rüber, ich bring' was zu trinken.« Mit dessen Rechten deutete er hinüber zu Nische und wedelte dabei mit einem schmuddelig aussehenden Lappen, den er alsdann über einen blank gegrabbelten Tresen wischte. Vermutlich ebenso provisorisch, wie alles andere auch. Eine alte aufpolierte Schiffs- oder Bootsplanke. Durch Unmengen Dreck, Schweiß und Fusel glatt poliert.
Nass, wie er war, wagte er sich durch das Gedränge des Raumes, schob die triefende Kapuze zurück und blieb vor der Nische stehen. Dolvi hob argwöhnisch den Blick und verengte die Brauen. Noch bevor er etwas sagen konnte, donnerte der Wirt drei gefüllte Krüge vor ihnen auf den Tisch und funkelte böse drein. »Kein Ärger. Auch keine widrigen Umstände. Verstanden?«
»Kümmere dich lieber um das räudige Pack, welches du Gäste schimpfst, dann gibt es auch keine Probleme.«
»Dolvi ...«
»Ja ja. Wir sind friedlich ... versprochen.« Der Jarl hob ergeben die Hände und schenkte dem Schankwirt ein abwegiges Lächeln.
»Dein freches Grinsen wird dir eines Tages noch ausm Arsch scheinen.« Mit seinem Lappen wedelte er vor dessen Gesicht und provozierte weiter, indem er einen ungelenken Knicks darbot. »Eure Durchlaucht.«
Alric hielt den Hünen am Handgelenk, als dieser im Begriff war aufzuspringen, um mit dem dreisten Wirt was auch immer zu veranstalten.
»Ron verdammt. Was tust du hier?«
»Gleiche Frage könnt ich wohl dir stellen.« Theatralisch umfasste er mit den Händen das Umfeld. »Hier?« Mit dem rechten Daumen zeigte er abwertend auf den Freibeuter. »Mit einem Seebären?«
»Dieses hier Jüngelchen ist das Zuhause aller, die das ihre verloren. Ach, und was den Seebären anbelangt ... ich rauch dich Hemd gleich in de' Pfeife.«
Rondal besah seinen Gegenüber abschätzend und verzog beinahe selbstsicher die Wangen. Er überging die Spitze und wandte sich an Alric.«
»Kayden schickt mich.«
»Hey sache ma'.«
Der sitzende Schattenjäger hob staunend die Brauen und nickte sodann. »Ein Bussard. Auf dem Dach von Bestlins Nest.«
»Übrigens, habe ich schon erwähnt, dass ich auch noch hier bin? Und wenn wir schon dabei sind, uns vorzustellen ...«
»Dolvi, das ist Rondal. Einer meine Vertrauten und Freund«, viel er dem aufgebrachten Jarl ins Wort.
»Angenehm.« Rondal reichte ihm die Rechte, schenkte ihm jedoch nicht wirklich Aufmerksamkeit.
»Maskenmann, du wandelst auf Messers Schneide.«
»Ron, warum schickt ausgerechnet Kay dich?«
Angesprochener beugte sich vor und senkte die Stimme. Er sah seinem langjährigen Weggefährten lange ins Gesicht. »Du hast dich getäuscht, mein Freund. Nicht Veyed ist der ›Falke‹. Ich soll dir ausrichten ... es hat begonnen.«
Alrics Gesichtsfarbe glich einer frisch gekalkten Wand und sank merklich in sich zusammen. Er hätte schwören können, dass der ältere der beiden Brüder erwählt werden würde.
»Kay also«, wiederholte er das Gehörte flüsternd. Er rieb sich das Kinn und schüttelte den Kopf. »Aber ... das Mal.«
»Glaub mir. Die Aars selbst haben ihn bestimmt. Veyeds Brandmal ist und bleibt eine Narbe.«
»Ihr entschuldigt, wenn ich nicht folgen kann?«, beschwerte sich der Jarl; griff nach seinem verdünnten Bier und stürzte dieses in einem Zug herunter.
»Dolvi, du kennst die Legende um den ›Falken‹ vermutlich besser als wir alle zusammen. Sie entstammt doch deines Volkes?«
Angesprochener hielt den Krug nach wie vor an den Lippen. Der letzte Rest des Gerstensaftes fand den Weg jedoch nicht in dessen Mund, sondern lief ihm seitlich am Kinn herab. Mit den Augen fixierte er sein Gegenüber.
»Wenn du mir jetzt weismachen willst, dass die Weisheiten der alten Spinner zutreffend sein sollen ...«
Anstatt zu antworten, nickten beide Schattenjäger.
Dolvi rümpfte die Nase, stellte beinahe zaghaft den Krug auf den Tisch und lehnte sich gedankenverloren zurück. Mit seiner Rechten wischte er sich das Bier vom Kin und schien zu überlegen. Dass der kräftig aussehende Seemann niemanden für bare Münze nahm, geschweige den als ebenbürtig ansah, bewies er abermals aufs Neue.
»Wer beim Barte bist du verdammt? Der Lappen hier spricht dich mit Alri...«, er stockte und schluckte. Seine zuvor glänzenden Augen schienen sich zusehend zu verfinstern.
»Ich bin jemand mit etwas Einfluss in Gesellschaft derer, die sich zu wehren wissen.«
»Dein Versprechen? Dein Frondienst?«
»Geh zu den Ältesten. Sie kennen den Weg zu einer kleinen sandigen Bucht weit nördlich in den Riffen.«
»Du bist doch irre. Niemand ...«
»Bitte sie und dein Volk wird bekommen, wonach es ihnen am meisten giert und die Schuld der meinen, soll getilgt sein.«
»Führe mich auf Abwege und ich schwöre dir, dass ich dich finden werde. Selbst hinter dem Rockzipfel deiner Amme wirst du dich nicht verkriechen können.«
»Denk nach alter Haudegen. Was wäre wenn?«
»Von Anbeginn der Zeit gehörte uns die See.« Das Funkeln in seinen Augen kehrte zurück und Belustigung überzog seine Züge.