"Schau mich nicht so ängstlich an!", spottete die Frau auch schon gleich los. "Ich werde dir nichts tun, vorerst jedenfalls, wenn du tust, was man dir aufträgt." Dann drehte sie sich um, und zeigte mit einer Geste ihrer rechten Hand, dass Ferrah ihr folgen sollte.
Das war's, dachte das Mädchen. Ich komme wieder in diesen grässlichen Raum und werde gefesselt. Sie seufzte, ihre Situation konnte sie eh kaum ändern.
Sie gingen eine ganze Weile. Als sie den großen Saal verlassen hatten, steuerte die Frau schnurstracks eine Tür an, die eine Treppe dahinter offenbarte, die ein ganzes Stück unter die Erde ging. Die Wände waren aus massivem Stein, der aber natürlich erschien. Das erklärte aber auch den heruntergekommenen Raum, dachte sich Ferrah. Wenn er unter der Erde lag, und versteckt werden sollte, würde eine High-Tech-Ausrüstung und modernstes Material auffallen.
Sie kamen an etlichen Kreuzungen vorbei, durchquerten Abwasserschächte oder krochen durch niedrige Tunnel. Nach kurzer Zeit hatte Ferrah aufgehört, die Biegungen zu zählen, sie würde sich eh verlaufen, falls sie hier jemals alleine hinkäme. Doch je weiter sie gingen, desto feuchter wurde es und desto schwieriger fiel es ihr zu atmen. Mit den Händen tastete sie sich an der Wand lang, damit sie nie den Halt auf dem glitschigen Boden verlor und in der Ferne hörte man das Tropfen Wassers oder das fiepen von Ratten. Angeekelt verzog sie das Gesicht und war mit einem Mal froh, dass es stockdunkel war, bis auf das leichte Glimmen einer sanft leuchtenden Kugel vor der Frau. Neugierig beobachtete sie die Kugel. Sie schien wie von alleine zu schweben, als würde niemand diese Kugel führen. War das Magie? Oder nur eine objektive Täuschung?
Irgendwann blieb die Frau ruckartig stehen, als vor ihnen eine Wand auftauchte, mit rostigen Metallstufen daran. Die Kugel schwebte weiter nach oben und blieb nach einigen Metern stehen. Ohne etwas zu sagen stieg die Frau testend auf die erste Stufe und belastete sie mit ihrem Gewicht. Unruhig und mit kreisenden Gedanken beobachtete Ferrah die Frau, dessen Namen sie immer noch nicht kannte. Wohin brachte sie sie? Und vor allem: Was hatte sie mit ihr vor? Misstrauisch stand sie noch am Ende der Stufen als die Frau schon bei dem Licht angekommen war. Als sie merkte, dass Ferrah ihr nicht mehr folgte, blickte sie genervt über ihre Schulter nach unten. "Kommst du jetzt, oder willst du dort versauern?" Ihr Blick war finster und duldete keine Widerrede, also kletterte Ferrah die Stufen widerwillig hinter ihr hinauf. Als sie oben angekommen waren, verharrte die Frau kurz ruhig, ehe sich der Gullideckel langsam hob und geräuschlos zur Seite schwang. Wieder einmal fasziniert beobachtete sie diesen Vorgang und hielt angespannt den Atem an. Aus dem kleinen Loch fiel ein wenig Licht in die feuchte Unterwelt und nahm ihr ein wenig die unheimliche Atmosphäre. Die Frau kletterte schnell und geschickt raus und reichte Ferrah die Hand. Misstrauisch betrachtete das Mädchen die scheinbar freundliche Geste. Schnaubend zog die Frau die Hand wieder zurück. "Dann eben nicht." Damit machte sie ihr Platz, um ebenfalls aus dem kleinen Loch in die Wärme der sommerlichen Abendsonne zu steigen können. Das Licht, die Wärme und die, gegenüber der feuchten, dreckigen und stickigen Luft aus den unterirdischen Gängen, saubere und klare Luft, ließ sie kurz innehalten und den Moment vollkommenen Friedens und greifbarer Freiheit in sich aufsaugen. Sie spielte sogar kurz mit dem Gedanken, wegzulaufen und sich irgendwo zu verstecken. Schließlich wollte sie ja eigentlich das Geheimnis über den schwarzen Mann zu enthüllen. Doch die amüsierte Aussage der Frau riss sie aus ihren Pläne schmiedenden Gedanken.
"Das würde ich lieber nicht versuchen, das würde die nur Ärger einhandeln." Mit verschränkten Armen sah sie belustigt auf Ferrah herab. Verwundert blinzelte diese. Woher wusste sie, was sie vorhatte? Sie hatte es doch nicht etwa laut ausgesprochen? Erschrocken fuhr Ferrah einen Schritt zurück und wäre um ein Haar wieder in die unterirdische Welt von Tunneln, Schächten und stinkendem Abwasser gefallen, wenn nicht eine unsichtbare Wand sie aufgehalten hätte und langsam aber bestimmt zurück und außer Gefahrenzone schob. Dann schwebte der Deckel wieder an seinen Platz und die Wand um Ferrah verschwand plötzlich.
Geschockt starrte sie die Frau vor sich genauer an. Bis jetzt hatte sie kaum auf ihr Äußeres geachtet, so dass sie das alles jetzt nachholen musste. Und so hatte sie auch Zeit, sich wieder zu sammeln und ihr schon wieder in Aufruhr gebrachtes Herz zu beruhigen. Sie schätze die Frau auf Mitte 20, und doch wirkte sie wegen ihrer Ausstrahlung um Jahre älter. Sie hatte blondes, mit silbernen Strähnen verziertes langes, glattes und seidiges Haar. Ihre Haut war ebenmäßig und dunkler Teint zeugte von einer südländischen Abstammung. Ihre scheinbar teure Montur hatte nicht einen Flecken, dabei waren die Gänge nicht sauber und gekrochen waren sie ja auch, doch davon sah man keine Spuren an der Kleidung. Instinktiv sah sie an sich herunter und stellte fest, dass auch sie vollkommen sauber war. Das konnte nun wirklich nicht mit rechten Dingen zugehen und so wollte sie grade das Wort an Blondie richten, als sie ihren Blick auffing und ihr kurzeitig auftretender Anfall von Mut in sich zusammensank. Sie bedachte sie mit einem strengen Alles-zu-seiner-Zeit-Blick, der sie unwillkürlich verstummen ließ.
"Nun komm, wir haben nicht ewig Zeit und du hast eine Menge zu lernen. Folge mir." Damit drehte sie sich um und drängte sich durch die Menschenmenge, die sich nicht um die beiden scherte. Sie verließen den großen Platz und verschwanden in einer Seiten Gasse und wechselten noch ein paar Mal die Richtung ehe sie vor einer herunter gekommenen Scheune stehen blieben und Blondie sich erwartungsvoll zu Ferrah umdrehte.
"Nun denn, dies ist deine erste Lektion für heute, aber nicht deine letzte. Für Menschen sieht das hier wie eine verlassene und uninteressante Scheune aus. Als Magusi können wir aber unter die Oberfläche schauen und die Wahrheit sehen. Dafür musst dich für den Anfang entspannen und deine Augen nur auf diese Scheune konzentrieren. Blende alles andere aus. Konzentriere dich und versuche diese zweite Bildschicht abzuziehen, wie eine Folie. Als würdest du einen Vorhang lüften wollen." Ferrah tat wie ihr geheißen und konzentrierte sich. Es war, als würde man durch einen aufwühlen See versuchen den Grund zu sehen, ganz leicht lichtete sich das Bild und eine riesige Kuppel kam darunter zum Vorschein. Es war ein Dom, aus scheinbar dickem Stein und darum herum flimmerte es leicht. Erschrocken über sich selbst drehte sie sich zu Blondie.
"Warum versteckt ihr den Dom unter diesen zweiten Schicht?", wollte sie neugierig wissen.
"Weißt du, vor einiger Zeit wurden wir gejagt, und wir mussten Schutz suchen, doch wer wollte schon gejagten Asyl gewähren und sich selbst in Gefahr bringen? Also mussten wir uns vor den menschlichen und primitiven Augen verstecken. Nur Magusi können hinter die Fassade blicken, bis jetzt sind wir damit recht gut klar gekommen." Ein dunkler Schatten huschte über ihr Gesicht, verschwand aber wieder so schnell, dass Ferrah sich fragte, ob sie es sich nur eingebildet hatte. Achselzuckend wandte sie sich wieder dem Dom zu. Fasziniert betrachtete sie die Kuppel und die kleinen Türme links und rechts. Dann fiel ihr wieder das Flimmern auf, diesmal aber stärker als zuvor. Es schien, als würde es um den kompletten Dom herum gehen und sogar in den Boden hinein.
"Was bedeutet das Flimmern?", fragte sie etwas mutiger nach. Bis jetzt war die Frau erstaunlich nett gewesen und Ferrah fasste etwas Vertrauen zu ihr.
"Das lernst du noch früh genug", grinste sie wissend. Dann ging sie auf den Dom zu, legte ihre Hand auf das Stein und plötzlich wurde eine Tür sichtbar, durch die sie ins Innere gelangten.
Überwältigt von der Vielfalt an Gestein, Verzierungen, Gerüchen und Eindrücken blieb sie in der Mitte stehen und nahm alles mit geschlossenen Augen auf.
Doch Gerüche hatten nun bestimmte Farben, an den Stellen wo wohl Edelsteine waren, leuchtete es unter ihren Augenlidern. Doch plötzlich zog etwas ihre Aufmerksam auf sich. Es war ein verborgener Raum der so hell strahlte, dass es schmerzte und Ferrah die Augen öffnen musste. Blondie betrachtete sie mit einem wehmütigen Lächeln, doch als ihr dies bewusste wurde, straffte sie ihre Gesichtszüge und kam auf sie zu. Ich zeige dir jetzt den Raum, wo die stärkste und rohste Magie verwendet wird. Du hast in wahrscheinlich eben als strahlenden Teil gesehen. Das was dort strahlt, ist die Magie, die in ihm steckt. Einerseits zum Schutz, andererseits, damit sich der Körper regenerieren kann, falls man im Kampf verwundet wurde und die eigene Magiequelle erschöpft ist."