***Keeda***
Die Sonne schien warm auf den Marktplatz der sieben Sonne, spiegelte sich in den polierten Wänden des Palastes hoch über ihnen und glitzerte auf den zahlreichen Schüsseln, Waffen, Sätteln und dem Rest des schier unendlichen Angebots der Händler. Hier auf dem Markt, konnte man für den richtigen Preis alles kaufen was man sich nur vorstellen konnte, von exotischen Reittieren bis hin zu Zaubertränken aller Art. Er war außerdem das Zentrum zum Austausch von Informationen und Treffpunkt der zahlreichen Kriegsgilden, wie zum Beispiel dem Feuer des Königs oder dem Orden der wütenden Krähen.
Keeda hatte noch nie ein solch buntes Treiben gesehen und konnte sich an all den wundersamen Dingen nicht satt sehen, während Alice und Harbek ihre Gesichter im warmen Licht sonnten und sich bemühten den hektischen Trubel zu ignorieren. Aus diesem Grund war es auch Keeda, die als Erste den Mann bemerkte, der eilig auf sie zugerannt kam.
Instinktiv wanderte ihre Hand an die Stelle ihres Gürtels, an der ihr Beil normalerweise hing und zischte ihren Gefährten ein schnelle Warnung zu. Ohne zu Zögern änderte sich Alice Haltung und sie zog in einer flüssigen Bewegung einen ihrer Dolche, während Harbek sich drohend hinter sie stellte und sein Siegel hob.
Alice ließ ihre Waffe genau wie Harbek augenblicklich sinken, als sie den Mann als eine der Stadtwachen erkannte. Laut schnaufend blieb er vor ihnen stehen und schnappte zittrig nach Luft. Auf seiner Stirn glitzerten kalte Schweißperlen und die schwere Eisenrüstung drückte seine Schultern nach unten.
Atemlos deutete er mit der rechten Hand nach oben und keuchte: „Der Lord und Feldwebel wünschen euch im Thronsaal zu sehen.“
Keeda schnaubte belustigt auf und unterdrückte eine sarkastische Bemerkung. Noch vor ein paar Tagen hatte sie alles daran gesetzt den Startherrscher zu treffen, und heute bat er sie zu sich? Wenn er dachte, sie würde wie ein abgerichteter Hund zu ihm laufen, sobald ihm danach war, hatte er sich getäuscht.
„Wir werden sofort zu ihm kommen“, antwortete Harbek und neigte demütig den Kopf, woraufhin die Stadtwache noch immer keuchend und mit der Hand an seiner Seite wieder verschwand. Keeda sah den Zwergen voll Entsetzen und Wut in die Augen an und selbst Alice zog verblüfft über so viel Unterwürfigkeit seitens des Zwergen fragend eine Braue nach oben.
„Wir werden sofort zu ihm kommen?“, ahmte Keeda den Zwergen zornig nach, „Wer sind wir, dass wir uns zu seinen Füßen werfen wenn er mit den Fingern schnippt?“ Sie warf dem Zwergen und dem Palast über ihr einen wütenden Blick zu.
Harbek aber überging ihre schnippische Bemerkung und verschränkte spöttisch die Arme vor der Brust, „Du kannst gerne hier unten bleiben Drow, doch ich werde mich keinem Hilferuf verweigern, und auch keiner Belohnung.“ Mit diesen Worten wandte er sich von den beiden Frauen ab und stiefelte entschlossen in Richtung des Palastes davon.
Alice und Keeda tauschten einen fassungslosen Blick aus, bis Alice seufzte und sie ihm betont langsam folgten.
Lord Neverember, Feldwebel Knox und Harbek warteten bereits auf sie, als sie ihm Thronsaal ankamen, dem Saal, in dem schon Keeda fast auf Knien um eine Audienz gefleht hatte und dennoch abgewiesen worden war.
Der Lord stand erhaben über ihnen auf einem Podest und vor einem reich verzierten, goldenen Thron, während Knox unbewegt neben einem der zwei steinernen Löwen verharrte, die den Lord flankierten. Er stand so regungslos und mit starrer Mine da, dass man ihn selbst für eine Statue hätte halten können.
„Seid gegrüßt, meine Helden!“, donnerte Neverembers Stimme durch den Saal und beugte leicht seinen Kopf, „Es ist mir eine Ehre euch in der Halle der Gerechtigkeit begrüßen zu dürfen. Nur dank euch und eurem mutigen Kampf auf der Brücke des schlafenden Drachen, ist es uns gelungen Valindras Armee abermals zurück zuschlagen, bevor sie unsere Mauern überrennen konnten.“
Harbek ließ sich demütig auf ein Knie sinken und nahm die überschwänglichen Worte des Lords bescheiden entgegen. Alice schmunzelte bei dem Gedanken an den Zwergen, der erst gestern jedes gute Wort aufgesaugt und sich mit seinen Heldentaten gebrüstet hatte. Weder sie noch Keeda taten es dem Kleriker gleich und blieben stattdessen aufrecht stehen. Alice aus Stolz, Keeda aus Trotz und Wut.
„Ich fürchte unsere Taten wurden in den Geschichten übertrieben dargestellt“, antwortet Alice wahrheitsgemäß und erntete dafür einen warnenden Blick Harbeks und ein belustigtes Schmunzeln Neverembers.
„Doch jede Geschichte enthält ein körnchen Wahrheit und ich habe Unzählige von euch gehört. Ihr seid erst seit ein paar Tagen in Neverwinter und schon kennt jeder eure Namen, nicht wahr Alice Schattenklinge?“
Alice errötete leicht und konnte nicht anders, als den Respekt in Neverembers Augen zu genießen. Sie wusste, dass es nicht das Ziel eines Helden sein durfte, Bewunderung zu erlangen, und sicher hätte es Wilfred missbilligt, doch der Gedanke an sich selbst, als Heldin einer ganzen Stadt, nein eines ganzen Landes, erwärmte ihr Herz.
***Harbek***
„Danke Lord.“ Keeda durchbrach die ehrfürchtige Stille in der Halle und spuckte das letzte Wort wie ein Schimpfwort aus, „Doch ich vermute der Grund unserer Audienz ist nicht ihr Bedürfnis nach Ehrerbietung?“ Das Lächeln verschwand aus Neverembers Gesicht und Keeda erwiderte den kalten Blick den er ihr zuwarf, ohne sich um die entgeisterten Gesichtsausdrücke von Alice oder Harbek zu kümmern.
Der Zwerg verfolgte sprachlos die Unterhaltung, unfähig sich zu rühren, um der vorlauten Drow das Wort zu verbieten. Ist sie nun vollkommen verrückt geworden? Fragte er sich, Und weshalb bei allen Göttern, sieht sie den Beschützer der Encclave und treuen Diener der Götter, mit einer solch kalten und rücksichtslosen Wut unverhohlen an?
Lord Neverwinter brach schließlich den Blickkontakt zu Keeda ab und wandte sich stattdessen zu Harbek und der Menschenfrau, die Kälte verschwand wieder aus seinem Blick und das warme Lächeln trat an seine Stelle.
Er lachte kurz auf: „Die Dunkelelfen und ihr messerscharfer Verstand. Ihr habt recht. Der Grund, warum ich euch rufen ließ ist nicht ausschließlich mein Wunsch nach Ehrerbietung, wie ihr es ausgedrückt habt. Ich ließ euch rufen, weil ich euch und euren tapferen Heldenmut für eine Mission benötige.“
Harbeks Fassungslosigkeit verschwand und vorsichtig richtete er sich auf. Als er herkam, hatte er, entgegen seiner Worte, eher auf eine reiche Belohnung in Form einer gut gefüllten Truhe gehofft, als auf eine weitere Selbstmordmission. Sicher, es war seine heilige Pflicht den Göttern zu dienen, den Schwachen in Not zu helfen und all dieser Unfug, doch seinen Heldenmut allein in die Dienste des Lords zu stellen, egal wie treu und ergeben er auch den Göttern war, war nicht Teil seiner Träume.
„Die Lage ist schwieriger als wir das Volk glauben lassen. Wir sind umzingelt von den verschiedensten Feinden die sich in allen Ecken und Winkeln Neverwinters verstecken und nur darauf warten uns alle in das Verderben zu stürzen.“ Neverember sah sie traurig an und seufzte schwer. Keeda überging die Schwermut des Lords und schnaubte abfällig, nur um einem weiteren warnenden Blick Neverembers trotzig zu erwidern.
„Ihr belügt euer Volk? Verschweigt ihnen die Wahrheit? Ihr seid tatsächlich ein wahrer Herrscher.“ fauchte sie boshaft.
„Spart euch die zynischen Worte, Drow. Hier ist der einzige Ort, an dem sich noch nicht die Leichen der Besiegten türmen, der noch nicht in Flammen steht und an dem man sich sicher fühlen kann.
Meine Bürger wären außer sich wenn sie um unsere prekäre Lage wüssten. Auf der einen Seite kämpfen wir gegen Valindra und ihre Armee Abscheulichkeiten, der Vorbote gegen den ihr gekämpft habt war nur einer von vielen. Gleichzeitig bedrohen noch zahlreiche Andere Feinde die Sicherheit der Enclave und wollen sie und jeden der auf unserer Seite steht brennen sehen. Werratten vermehren sich in den Kanalisationen, Teufel und rote Magier streunen durch unserer Hügel und die Nasher scharen immer mehr Anhänger um sich. Ich will ihre leblosen Körper zu meinen Füßen sehen!“
Mit jedem Wort wurde er lauter, bis eine pochende Ader an seiner Stirn hervor trat und er seine letzten Worte so laut brüllte, dass die steinernen Säulen der Halle sie zurückwarfen. Neverember schloss die Augen, bemühte sich seinen Zorn wieder zu kontrollieren, bevor er wieder mit ruhiger, eindringlicher Stimme weiter sprach: „Die Bewohner Neverwinters Leben in Angst und Schrecken und auch wenn ich geschworen habe das Land zu verteidigen, kann ich nicht überall zugleich sein. Ich weiß nicht mehr wo ich anfangen soll und die Verluste in den Reihen meiner Soldaten sind bei Auseinandersetzungen zu hoch, doch ihr habt zu Dritt nicht nur Valindras Vorboten, sondern auch all ihre untoten Krieger besiegt.
Daher brauche ich eure Hilfe, Neverwinter braucht eure Hilfe!“