Lumnia's Herz war schwer wie Blei. Gerade erst hatte sie die schreckliche Nachricht erfahren. Als ihr diese von Mathew Shaw, dem einzigen Überlebenden des Massakers im Hügelland übermittelt wurde, wollte sie es nicht glauben. Es war als würde alles über ihr zusammenstürzen, als ob ihr Leben mit einem Schlag an Sinn und Freude verloren hätte. In diesem Augenblick fiel sie in ein dunkles, tiefes Loch, aus dem sie glaubte nie wieder entrinnen zu können.
Weinend war sie aus der weiß leuchtenden Stadt Sturmwind geflohen. Hinaus zum Tal der Helden, wo eindrückliche Steinstatuen wichtiger Persönlichkeiten, die aus weißen Marmorquadern gefertigte, mächtige Brücke säumten. Über diese Brücke gelangte man zum Haupttor der Stad. Es war früher Abend und auf den Mauern spiegelte sich das rosagoldene Licht, der untergehenden Sonne. Doch Lumnia hatte keinen Sinn mehr für diese Schönheit und Herrlichkeit ihrer Heimat. Dunkelheit legte sich über ihr Gemüt.
Sturmwind, war das letzte sichere Bollwerk der Menschen, in dem von Kriegen und Verderbnis erschütterten Welt Azeroth. Der Kind- König Anduin Wrynn regierte hier.
Die meisten Mitglieder der Armee waren ausgezogen, um auf fernen Schlachtfeldern gegen die Horde und gegen die Brennende Legion zu kämpfen. Nur wenige Soldaten waren geblieben, doch das Volk von Sturmwind war zäh und schützte seine Heimat.
Lumnia dachte an die schreckliche Nachricht, die sie erhalten hatte. Sie saß auf der Mauer der gewaltigen Brücke und tief unter ihr lag ein blaufunkelnder See. Am liebsten hätte sie sich einfach fallen lassen, so schrecklich fühlte sie sich. Sie wollte einfach nur noch sterben und doch...etwas hielt sie dennoch davon ab. Sie blickte an der großen marmornen Statue eines Priesters empor, der neben ihr aufragte. Sie war Priesterin, sogar eine Hohepriesterin. Sie musste sich nach dem Licht orientieren, aber...wie das bewerkstelligen, wenn es ihr erschien, als sei das ganze Licht ihres Lebens mit einem Schlag ausgegangen?
Sie hatte das Liebste verloren. Ihr Lebenspartner Dabog...er war in diesem schrecklichen Massaker gefallen, dass diese verfluchten Verlassenen- Untote ohne Seele, angerichtet hatten. Doch damit nicht genug! Sie hatten seinen toten Körper auch noch mitgenommen, um ihn für ihre Zwecke zu nutzen. Mathew hatte es ihr gesagt. Er und Dabog, waren nach Süderstade berufen worden, um dort gegen die ständigen Angriffe der Untoten zu kämpfen. Sie waren mit drei andern auf Patrouille geschickt worden, als sie von ihren Feinden überrascht wurden. Jene waren in der Überzahl und so fielen alle von Dabog‘s Truppe dem Tod anheim. Nur Mathew überlebte, durch einen glücklichen Zufall und konnte, wenn aus schwer verletzt fliehen.
„Der Kampf war aussichtslos...“ hatte er ihr tief betroffen erklärt. „Alle waren schon tot, auch Dabog. Diese verdammten Verlassenen haben ihn und die andern mitgenommen, ich konnte es noch sehen, dann bin ich zusammengebrochen und wurde, dem Licht sei Dank, von freundlichen Truppen gefunden. Es...tut mir so schrecklich Leid Lumnia! Bestimmt werden sie...Dabog wiederbeleben... und ihn für ihre Armeen einspannen.“ Als die Priesterin diese schreckliche Nachricht erfuhr, stürzten hunderte von Gefühlen über sie herein: Wut, Trauer, Schmerz. Sie hatte sich nicht mehr unter Kontrolle, beschimpfte Mathew sogar, weil er Dabog und die andern nicht bis zum Ende verteidigt hatte, um sie wenigstens vor dem schrecklichen Untod zu bewahren, aber sie sah nun ein, dass dies dumm von ihr gewesen war. Mathew hätte keine Chance gehabt und er wäre dann selbst noch zu einem seelenlosen Körper geworden. Das konnte und durfte man von niemandem erwarten. Dennoch tat es so unendlich weh! Sie und Dabog waren schon seit Jahren ein Paar gewesen. Nichts auf der Welt, schien mehr einen Sinn zu haben ohne ihn.
Sie starrte hinunter ins Wasser und sah vor sich das wunderschöne Gesicht ihres Liebsten. Er war nur wenig älter gewesen als sie. Sein schwarzes, langes Haar war meist zu einem Pferdeschwanz gebunden. Voller Sehnsucht, dachte Lumnia an die wunderbaren Stunden zurück, die sie miteinander jeweils verbrachten, fern von allem. Sie spürte seine Küsse und Liebkosungen auf ihrer Haut, dachte an die langen, geschmeidigen Wellen seines Haares, die wie ein Vorhang über sie fielen, wenn sie sich liebten. Sein voller Mund küsste sie zärtlich und seine tieflauen Augen schauten sie mit solcher Liebe und Hingabe an, das sie glaubte durch einen Traum zu schweben. Nun aber...war dieser Traum für immer zerstört! Dabog war tot und das Schlimmste...er wandelte nun als seelenloser Krieger der Verlassenen umher. Wieder schossen ihr Tränen in die Augen. Hätte sie ein Messer gehabt, sie hätte es sich wohl in die Brust gerammt, nur um diesen Schmerz nicht mehr ertragen zu müssen.
Die Schatten wurden länger, die weißen Mauern von Sturmwind wechselten nun langsam in einen Grauton. Die Nacht brach herein und mit ihr die schrecklichen Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit einer gebrochenen Frau.
Lumnia ging langsam über die Brücke zurück in die Stadt. Sie wandelte noch lange umher, wusste nicht wie lange. Zeit und Raum waren aufgehoben. Nichts mehr zählte. Sie konnte sich nicht mal mit dem Licht verbinden, das sie sonst immer getröstet hatte. Sie musste immer wieder daran denken, dass Dabog nun wohl auch durch Dunkelheit wandelte, ohne das Licht der wunderbaren Seele in seinem Herzen, ohne Hoffnung...Verlassen...
Schließlich erreichte sie ihr heimatliches Haus. Wie sie hierher gekommen war, sie wusste es nicht genau. Es war ein ebenfalls aus weißen Quadern bestehendes Gebäude, das direkt auf die Kathedrale und das Waisenhaus von Sturmwind blickte. Es hatte ein Dach aus gelbbraunen Ziegeln. Seine Fenster schimmerten bläulich und waren durch Fensterkreuze unterteilt. Zwischen dem obersten und dem mittleren Geschoss, wo Lumnia auch wohnte, hatte man an der Mauer einen mit Meißeln verzierten Zierstreifen angebracht.
Sie ging die Treppe hoch und betrat ihren Wohnraum. Dieser war eher schlicht eingerichtet. Das Prunkvollste war noch ein, aus fein abgeschliffenen, mit Schnörkeln verziertem Holz gefertigtes Himmelbett, mit einem blauen Stoffdach. Selbst dieses Dach erinnerte sie an die Augen von Dabog. Wie oft hatten sie hier wundervolle Stunden verbracht, wenn sie beide mal etwas Zeit hatten.
Wieder überkam sie das Leiden wie ein dunkler bedrohlicher Schatten, der kein Licht mehr barg. Sie hatten viel zu wenig Zeit zusammen verbracht, viel zu wenig! Sie ließ sich auf einen der hölzernen, eher rustikal anmutenden, breiten Stühle fallen, die um einen quadratischen Tisch standen und starrt erneut vor sich hin. Schließlich dann fühlte sie sich schrecklich schwach und müde und legte sich, ohne sich zu entkleiden auf das Bett und schloss die Augen. Doch die schrecklichen Bilder, die sie heimsuchten, wollten einfach nicht verschwinden.
Sie zermarterte sich das Gehirn, darüber, was sie vielleicht unternehmen konnte, um ihren Liebsten aus dem Händen der Verlassenen zu befreien. Doch...vermutlich erinnerte er sich gar nicht mehr richtig an sie. Er war nun ein Geschöpf ohne Seele und Gefühle. Nichts mehr würde an ihm sein, dass sie noch lieben konnte und auch er würde nichts mehr empfinden. Aber...sie konnte das einfach nicht richtig akzeptieren. Den Tod von Dabog allein, hätte sie noch besser verkraften können.
Doch...nun. Was wurde überhaupt aus einer Seele, wenn der Körper wieder durch Nekromantie ins Leben zurückgerufen wurde? War sie dann gefangen in einer Zwischenwelt, streifte sie unruhig umher, bis in alle Ewigkeit, weil ihr Körper nicht richtig sterben konnte? Nein, das konnte und durfte nicht sein!! Bestimmt, war Dabog‘s Seele befreit worden und kümmerte sich nicht mehr um ihren Körper. Aber wenn doch nicht? Lumnia wurde beinahe verrückt bei dem Gedanken. Sie musste es erfahren! Sie musste wissen, was genau mit diesen Untoten geschah, musste ihren Liebsten noch einmal sehen!
Auf einmal fasste sie einen Entschluss und nun endlich fiel sie in einen unruhigen Schlaf. Sie träumte einen seltsamen Traum. Auf einmal sah sie sich durch eine smaragdgrüne Welt gehen. Es war ein wunderschönes Gefühl, voller Leichtigkeit und Freude. Ein Wunder, bei allem was passiert war. Um sie herum erhoben sich hohe Bäume, mit Schlingpflanzen daran. Grünliches Licht erfüllte alles, sogar die Luft um sie herum schien in Grün getränkt und dann...sah sie ihn: Dabog! Er sah aus wie immer und kam lächelnd auf sie zu. Sie wollte auf ihn zulaufen, ihn umarmen, doch sie kam nicht von der Stelle. Verzweifelt schrie sie seinen Namen, doch er schaute sie nur lächelnd an und sprach einige wenige Worte: „Gedenke des Smaragdgrünen Traums! Dann wirst du mich finden!“ doch ehe Lumnia antworten konnte, verschwand die grüne Welt und sie erwachte...