So wandte sich Lumnia, nachdem sie sich wieder einigermassen gefasst hatte um, stieg wie mechanisch über die toten Körper der Dunkeleisenzwerge hinweg und machte sich langsam zu Fuss auf den Weg, Richtung Hügelland. Endlos lange schien nun alles zu dauern, es war als ginge sie durch einen bösen Traum.
Sie kannte sich hier überhaupt nicht aus und wusste nur, das sie sich immer weiter gegen Westen halten musste. Sie durchquerte fruchtbares, hügeliges Land, bestehend aus einem ständigen Auf und Ab von grünbewachsenen Bergen und tiefen Tälern, durch die sich glitzernde Flüsse schlängelten. Es gab auch einige grössere und kleinere Wasserfälle zu sehen. Einige Male führte der Weg auch unter natürlichen Steinmonumenten hindurch. Doch Lumnia sah all das kaum. Sie war ständig auf der Hut, blickte sich immer wieder nach möglichen Gefahren um. Es gab hier nebst Untoten und Räubern auch noch viele wilde Tiere, die ihr gefährlich werden konnten. Doch es gab für sie kein Zurück mehr. Ausserdem machte sich in ihr auch wieder diese seltsame Resignation breit, die sie schon nach dem Tod von Dabog heimgesucht hatte, wobei sie den Wert ihres eigenen Lebens gar nicht mehr so richtig schätzte. Alles wurde ihr genommen! Nun auch noch Dadga, der ihr so viel Sicherheit, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft entgegengebracht hatte. Durch ihn hatte sie sich nicht mehr so einsam gefühlt. Er hatte ihrem Leben irgendwie wieder einen Sinn, eine Freude gegeben. Doch nun...sie musste erneut weinen, als sie daran dachte, dass der Leichnam des Paladins nun den wilden Fluss hinuntergetrieben wurde. Wie sein wohlgestalteter Körper zerschlagen wurde, von scharfem Felsgestein. Nein! Sie durfte nicht daran denken! Es ging ja um seine Seele und diese bekam das ja nicht mehr mit. Genauso...wie auch Dabogs Seele sich vermutlich nicht mehr um seinen untoten Körper scherte. Nun...darin war sie sich noch nicht ganz so sicher. Wenigstens blieb Dadga die Schmach des Untodes erspart.
Langsam begann es einzudunkeln und in der Hohepriesterin machte sich erneut tiefste Verzweiflung breit. Die Vorstellung die Nacht hier draussen zu verbringen, mit all ihren Gefahren, erschien ihr schrecklich. Hatte Dadga nicht von einem Stützpunkt der Allianz gesprochen, den es hier geben sollte? Doch dieser hätte ziemlich bald nach dem Thandolübergang kommen müssen. War sie schon vorbei? Die Sonne färbte sich nun langsam rot und ihr Licht ergoss sich über die grünen Hügel und schroffen Felgrate. Alles bekam dadurch einen weichen Schimmer, die Farben wurden langsam unklar und die Dunkelheit erhob sich..., wie ein bedrohlicher Schatten.
Dann aber auf einmal entdeckte Lumnia einen Wegweiser auf der linken Seite der Strasse! Darauf stand: Bauernhof der Dabyries. Neue Hoffnung keimte in ihr auf und tatsächlich war dieser Hof ein Gestüt der Allianz. Sie wurde sofort freundlich aufgenommen und konnte die Nacht dort verbringen.
Am nächsten Tag wurde sie früh aus dem Schlaf geholt. Eine junge Frau mit dunklem langen Haar und braunen Augen teilte ihr mit: „Milady, da ist ein Pferd in der Nähe aufgefunden worden. Es ist vermutlich ihres, denn es ist ein wunderschöner Schimmel.“
Sofort erhob sich die Priesterin, zog sich rasch an und trat hinaus in den Hof. Tatsächlich dort stand ihr geliebtes Pferd . „Lightfire!“ rief sie und lief auf das Tier zu. Es hatte sie also gesucht und nun... war es wieder bei ihr! Voll tiefster Dankbarkeit, legte Lumnia die Arme um den edel geschwungenen Hals des Schimmels. Dieser schnaubte leise und schien sich auch über das Wiedersehen zu freuen. „Das war wirklich eine schreckliche Sache dort auf der Brücke,“ sprach die Priesterin leise zu Lightfire. „Du hast dich sehr erschreckt. Du bist ja auch kein Streitross, wie... Dadgas Pferd.“ Wieder schluchzte sie auf und das Tier, welches wohl ihren Kummer bemerkte legte ihr seine Nüstern gegen den Hals und atmete sie mit seinem warmen Atem tröstend an. Das half der jungen Frau sehr.
Sie wischte sich dir Tränen aus den Augen und meinte dann in festem Ton: „Wenigstens sind wir jetzt wieder zusammen, so ist alles auch wieder leichter. Vielleicht erreichen wir heute noch den Thoradinswall, der in das Vorgebirge des Hügellands führt.“
Sie packte noch einige Vorräte ein und füllte ihre Wasserschläuche auf, dann verabschiedete sie sich mit innigen Worten des Dankes von den Dabyries und machte sich erneut auf den Weg.
Die Luft war wunderbar rein und roch nach Blumen und frischem Gras. Die Sonne ging über den naheliegenden Bergen auf und ihr gelboranges Licht machte den Anschein, als ob deren Spitzen glühen würden. Dann langsam wurde es heller und heller. Lumnia hatte sich noch bei den Dabyries nach dem weiteren Weg erkundigt und sie wusste nun genau, wie sie zu gehen hatte und wo der nächste Allianzstützpunkt- Süderstade sich genau befand. Dort wollte sie die nächste Nacht verbringen und dann weitersehen.
Als die Sonne bereits wieder etwas niedriger stand, tauchte vor Lumnia dann schliesslich eine gewaltige Mauer aus Stein auf! Der Durchgang, einst von einem aus zugespitzten Holzstämmen gefertigten Tor verschlossen, war nun offen und kein Mensch war weit und breit zu sehen. Lumnia blickte sich mehrfach um, damit sie nicht in einen weiteren Hinterhalt geriet. Das Geklapper von Lightfires Hufen wiederhallte etwas unheimlich an den steinernen Pfeilern des Durchgangs. Die Überreste des Holztores, schwebten bedrohlich über ihr… Man musste es vor einiges Zeit zerstört haben. Lumnia durchquerte das Bogentor und kam in eine weitere, sehr grüne und hüglige Gegend. Allerdings gab es hier wieder viel mehr Bäume, als in Arathi. Es waren meist Tannen, deren Nadeln in gold, grün und purpur leuchteten. Sie hatte das Vorgebirge des Hügellands erreicht…!
„Endlich haben wir es geschafft!“ sprach Lumnia zu ihrem Pferd und erneut verspürte sie einen Stich im Herzen, weil sie niemanden sonst hatte, mit dem sie darüber reden konnte. Eigentlich war sie ganz allein mit sich und sie spürte, dass sie gezwungen wurde, sich nach Innen zu wenden. Sie dachte daran, was sie bereits alles als Priesterin gelernt hatte und doch...kam es ihr irgendwie vor, als ob ihr Zugang zum Licht teilweise abgeschnitten sei. Sie fühlte sich sehr einsam und verlassen und machte sich irgendwie Vorwürfe, dass sie sich duch all diese Ereignisse so aus der Bahn werfen liess. War sie wirklich zur Priesterin geeignet? Denn sie hätte doch mehr Kraft im Glauben an das Licht finden sollen, auch ohne einen... Liebsten.
Ihre Gedanken wanderten zu dem was ihr noch bevorstand. Was würde sie wohl erwarten? Würde sie dieses Abenteuer überhaupt selbst überleben? Doch seltsamerweise hatte sie keinerlei Angst vor den Gefahren, die sie erwarteten. Es war mehr die Angst davor, erfolglos zu sein. Die Angst davor, dass Dabog nicht mit sich reden liess.
Lumnia stiess ihrem Pferd die Fersen in die Flanken und trieb es noch etwas mehr an. Sie wollte möglichst schnell nach Süderstade, damit sie wenigstens eine Bleibe hatte, denn schon bald wurde es wieder Abend und hier draussen war es sehr gefährlich. Sie wollte ja schliesslich nicht das Leben lassen, bevor sie Dabog getroffen hatte.
Als sie nur noch einige wenige Kilometer von der Abzweigung zum Allianzstützpunkt entfernt war, sah sie in der Ferne auf einmal eine Gruppe von sechs Männern auf sich zukommen. Sie hatten eine etwas gebückte Haltung und waren sehr hager. In Lumnia's Kopf begannen sofort die Alarmglocken zu läuten und sie trieb ihr Pferd von der Strasse weg, auf eine Gruppe von Bäumen zu, die in der Nähe standen. Dort stieg sie ab und versteckte sich. „Ganz still Lightfire!“ sprach sie und legte dem Tier ihre Hand auf die Nüstern. Dieses schien zu bemerken, dass etwas nicht in Ordnung war und verhielt sich von sich aus ganz ruhig. Lumnia's Blick wanderte wieder hinüber zur Strasse. Dort kamen sie: sechs Untote, die hier wohl auf Patrouille waren. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, so dass sie glaubte, man müsse es auf weite Entfernung hören. Die Verlassenen waren unheimliche Gestalten mit hageren Körpern und teilweise ziemlich entstellten Gesichtern. Sie trugen violette Rüstungen mit Kapuzen auf dem Kopf. Ihre gebeugte Haltung, täuschte über ihre tatsächliche Kraft und Wendigkeit hinweg. Sie wirkten grässlich und beängstigend. Automatisch hielt Lumnia nach Dabog Ausschau, aber soweit sie sehen konnte, war er nicht dabei. Irgendwie erleichterte sie dass, denn so hätte sie unmöglich mit ihm sprechen können. Dennoch war sie aber auch traurig und wieder machte sich diese Hilflosigkeit in ihr breit. Es konnte Tage dauern, bis sie mit Dabog sprechen konnte, wenn er irgendwo an einem Ort diente, wo es viele Untote auf einem Haufen gab. Dennoch, sie würde nicht von hier weggehen, bevor sie mit ihm geredet hatte.
Auf einmal wurde ihre Aufmerksamkeit noch von etwas anderem in Anspruch genommen. Auf der Strasse entdeckte sie noch eine weitere Person. Es war einer der gelbhäutigen Kobolde, von Gadgezan (Tanaris). Es gab sie an verschiedenen Orten in der Welt Azeroth. Sie waren ein neutrales Volk, das auf niemandes Seite stand. Dieser hier war wohl ein Händler. Er besass einen grossen, mechanischen Begleiter aus bronzefarbenem Metall. Die Untoten begrüssten ihn mit einem Kopfnicken, nahmen aber sonst kaum Notiz von dem Kobold. Sie kannten ihn wohl bereits. Er ging nun weiter Richtung Westen. Genau dorthin musste Lumnia auch. Plötzlich kam ihr eine Idee. Sie wartete, bis die Untoten- Patrouille vorbei war. Dann ritt sie, vorsichtig um sich blickend, zurück zur Strasse. Sie musste sich etwas beeilen, wenn sie den Händler einholen wollte, so trieb sie Lightfire zum Galopp an. Ziemlich bald sah sie ein Stück weiter nach Westen den blaugekleideten Kobold mit dem schwarzen Lederwams. Er hatte senfgelbe Haut und, fledermausartige Ohren. Seine Nase war spitz und die dunklen Knopfaugen standen eng beisammen. Sie ritt sogleich zu ihm hin und er begrüsste sie freundlich mit den Worten: „Grüsse holde Dame, mein Name ist Zixil, was kann ich für euch tun?“ Ich bin auf der Durchreise und suche jemanden Bestimmten, “ sprach sie. „Wenn ich helfen kann, dann jederzeit, “ sprach der Kobold. „Ich bin ja auch da, um den Leuten hier stets das Neueste zu berichten und ihnen auch den Weg zu weisen, wenn es sein muss. „Das ist sehr gütig von euch,“ sprach Lumnia und warf ihm einige Münzen zu.
Zixil schien sehr erfreut und steckte das Geld ein. „Nun wen sucht ihr denn?“ fragte er. „Es geht um einen jungen Menschenmann, der...vermutlich gerade vor kurzem zu einem Verlassenen gemacht wurde...“ „Ojeh, eine traurige Geschichte, nehme ich an,“ sprach der Kobold. „Ja das kann man wohl sagen.“ „Handelt es sich dabei vielleicht um euren einstigen Liebsten?“ Lumnia sah Zixil erstaunt an. „Ist das jetzt wirklich so offensichtlich?“ fragte sie. „Tja, wenn man soviel herumreist wie ich, dann entwickelt man schon eine gewisse Menschenkenntnis. Ausserdem, was sollte denn eine junge, schöne Frau wie ihr sonst allein hier in diese unwirtliche Gegend treiben?“ „Ich war... anfangs nicht allein. Ein Paladin namens Dadga hat mich noch bis vor kurzem begleitet, aber...er kam beim Thandolübergang um, als uns die Dunkeleisen- Zwerge überfielen. Er stürzte in die Schlucht...das kann er nicht überlebt haben. Und nun...bin ich allein unterwegs. Ich suche meinen einstigen Geliebten Dabog Goodheart. Habt ihr vielleicht schon mal von ihm gehört?“ Der Kobold runzelte seine ziemlich flache Stirn und dachte nach, während er den Namen mehrmals leise vor sich hinsagte. Dann auf einmal schien Erinnerung sein Gesicht aufzuhellen. „Ja...da war ein junger Mann mit diesem Namen!“ Lumnia konnte ihr Glück kaum fassen und fragte ungeduldig: „Wo habt ihr ihn gesehen? Wisst ihr wo er jetzt ist?“ Zixil sprach: „Da war ein Scharmützel zwischen einigen Menschenkriegern und einer Gruppe der Verlassenen, gar nicht weit von hier.
Die Untoten gingen als Sieger hervor und nahmen die Leichen der Menschen mit sich. Die Nekromanten erweckten sie wohl wieder zum Leben, auch euren Dabog. War er ein stattlicher Mann mit langem, schwarzen Haar und blauen Augen?“ „Ja genau das ist er!“ Lumnia konnte kaum glauben, dass sie diesmal soviel Glück hatte. Zixil schaute sie mitfühlend an und meinte: „Das tut mir wirklich sehr leid für euch. Euer Liebster wird nicht mehr derselbe sein. Immerhin ist er nun ...schon über eine Woche ein Verlassener. Das hinterlässt einfach gewisse Spuren. Die Untoten führen ein ganz anderes Leben als die Lebenden...“ „Wo ist Dabog denn jetzt?“ Soviel ich weiss, dient er in Tarrens Mühle. Ich bin gerade auf dem Weg dorthin. Wenn ihr... mitkommen wollt?“ Die Priesterin war sehr dankbar über solche Freundlichkeit. „Aber...“ sprach der Kobold dann besorgt „Ihr solltet euch nicht allzu nahe heranwagen, die Untoten fackeln nicht lange, wenn sie Menschen sehen. Sie sehen sie als ihre Erzfeinde und die Menschen hassen und verabscheuen sie.
Vielleicht sollte ich Dabog erstmal allein von eurer Ankunft unterrichten. Die Verlassenen haben zwar keinerlei Gefühl mehr, aber sie erinnern sich schon noch an einige Dinge der Vergangenheit, besonders wenn sie so kurz zurückliegen. Er wird euch noch kennen, aber... ob er wirklich mit sich reden lässt...Es kann auch sein, dass er euch tötet.“ „Dieses Risiko nehme ich auf mich“, sprach die Hohepriesterin. „Eine wirklich mutige, junge Frau seid ihr,“ meinte der Kobold bewundernd. „Und ihr seid sehr gütig und hilfsbereit.“ „Nun, ich finde diese vielen Kriege in unserer schönen Welt sehr bedauerlich. Denn man könnte in Frieden miteinander leben, wenn jeder die Eigenart des andern annehmen und respektieren könnte, aber so viele Dinge sind schon geschehen und es wurde allen Völkern schon viel Unrecht angetan.“ Lumnia nickte und erwiderte: „Ja, ich würde mir auch den Frieden zwischen allen Völkern wünschen. Das ist mit ein Grund, warum ich Dabog unbedingt sprechen will. Ich kann wirklich mit euch kommen?“ „Ja, denn wie gesagt, gehe ich gerade zu Tarrens Mühle. Ich werde dann versuchen euren Dabog zu euch zu schicken. Es wird schon bald dunkel. Bedenkt aber, dass die Untoten auch dann noch sehr gut sehen können!“
Die Priesterin nickte und stieg von ihrem Pferd, um neben dem Kobold herzugehen. Als dieser sich wieder in Bewegung setzte, tat sein gewaltiger mechanischer Begleiter dasselbe. Ein rasselndes Geräusch entstand dabei. „Das ist mein metallener Beschützer,“ erklärte Zixil, als sie das seltsame Ding erstaunt näher betrachtete. „Für unsereins ist es auch nicht ganz ungefährlich hier. Viele wilde Tiere und auch diese...Syndikats- Räuber, schrecken vor nichts zurück.“ „Aber sonst bewegt ihr euch völlig gefahrlos zwischen Untoten und Menschen hin und her?“ „Ja. Das ist ja das Schöne. Alle kennen mich. Ich handle mit beiden Völkern und fungiere auch oft als ein Art Bote, der Nachrichten von den verschiedensten Orten überbringt. Das ist der Vorteil meiner Neutralität.“
Während die Schatten des Abends sich langsam über das Land breiteten, erreichten Lumnia und der fliegende Händler schliesslich die Abzweigung, welche rechter Hand zu Tarrens Mühle führte. Die junge Frau sah in der Ferne einige düstere Gebäude aufragen. Sie erkannte, dass sie aus grauem Gestein waren, welcher aber schon an vielen Stellen einen sehr verwitterten Eindruck machte. Die Verlassenen legten keinen Wert mehr auf Gepflegtheit. Zixilgebot Lumnia nun im Flüsterton hierzubleiben. „Ich werde schauen wo euer einstiger Geliebter sich gerade aufhält. Bleibt ihr hier und verhaltet euch ganz still! Vor allem bleibt weg von der Strasse, damit ihr nicht von der nächsten Patrouille oder von andern Anhängern der Horde erwischt werdet! Es würde mir sehr leid tun um euch.“ Die Hohepriesterin nickte mit klopfendem Herzen und schaute dem Kobold zu, der nun mit einer Fackel in der Hand, die bereits ziemlich dunkle Strasse zu Tarrens Mühle hinab ging. Konnte sie ihm auch vertrauen? Ja bestimmt, diese Kobolde waren wirklich neutral, sie waren auf niemandes Seite. Es berührte sie deshalb sehr, dass Zixil ihr auf diese Art half. Der Himmel hatte ihn geschickt.
Es dauerte dennoch eine ganze Weile, bis sich etwas tat. Lumnia hielt sich abseits der Strasse, im nun tiefdunklen Schatten einer Tannengruppe versteckt und beobachtete von weitem das Treiben bei Tarrens Mühle. Im Zentrum befand sich eine alte, halbzerfallene Kirche mit einem Schindeldach. Soldaten in dunklen Rüstungen, hielten überall Wache. Sie sah ihre gelben Augenpaare im Dunkeln leuchten. Das alles machte einen unheimlichen, gespenstischen Eindruck. Sie war so aufgeregt, dass sie manchmal glaubte, diese Augen würden sie direkt anstarren, aber ihre Phantasie spielte ihr einen Streich.
Umso mehr zuckte sie zusammen, als auf einmal ganz nahe neben ihr eine schleppende Stimme sie ansprach: „Du bist also hierher gekommen, nicht gerade klug von dir Lumnia.“ Sie fuhr herum und blickte in das gelbglühende Augenpaar eines Verlassenen. Es war als müsse ihr das Herz stillstehen. Sie sah nur noch seine Umrisse, der Kobold stand hinter ihm und seine Fackel erleuchtete nun für kurze Zeit dessen Antlitz, dann zog Zixil sich leise zurück und das Licht verschwand fast gänzlich aus der Umgebung. Doch die Hohepriesterin hatte genug gesehen, um ein entsetztes Keuchen auszustossen. Wie sehr hatte sich Dabog verändert! Er war jetzt ganz hager und sein Gesicht leichenfahl. Zwar erkannte man seine Züge noch, doch diese waren durch mehrere Narben hässlich entstellt. Einige Narben zogen sich über seine Stirn und je eine seine beiden Wangen hinab. Sein Haar war noch immer lang, aber hatte jeglichen Glanz verloren. Es war ihm auch zum Teil schon ausgefallen und nur noch ein, mit einem Lederband zusammengehaltener, schmaler Pferdeschwanz ragt ihm hinten aus seinem totenkopfähnlichen Schädel. Sie erkannte ihn vor allem an seinen Lippen und seiner Nase wieder, ansonsten war alles an ihm verzerrt und unnatürlich kantig geworden.
„Beim Licht, Dabog!“ flüsterte Lumnia und sie musste sich beherrschen, nicht in Tränen auszubrechen. Dabogs Stimme war kalt und ohne Gefühl als er sarkastisch meinte: „Ich weiss, ich bin kein schöner Anblick mehr, für das Auge einer Lebenden. Du hingegen hast dich gut gehalten, muss ich sagen.“ Seine gelben Augen blitzten kurz auf und sie wusste nicht, ob er mit dem Gedanken spielte, ihr Gewalt anzutun und sie auch noch zu einer Untoten zu machen. „Das alles tut mir so schrecklich leid Dabog!“ sprach sie und nun liefen ihr doch Tränen über die Wangen. Sie wollte ihn instinktiv berühren, aber er zuckte ob ihrer Berührung zurück. „Fass mich nicht an!“ zischte er. „Aber Dabog, wir...“ „Es gibt kein Wir mehr, schon seit einiger Zeit nicht mehr. Ich gehöre nun zu ihnen.“ Er machte eine Handbewegung in Richtung der Siedlung. „Aber, hast du denn alles vergessen was wir hatten? Wir haben uns doch mal geliebt, so sehr geliebt.“ „Liebe gibt es für mich nicht mehr“, sprach Dabog tonlos. „Ich erinnere mich zwar an dich, auch an uns, aber ich kann keine Gefühle mehr dabei empfinden.“ „Weil du deine Seele verloren hast, aber vielleicht können wir ja etwas dagegen tun, vielleicht können wir deine Seele ja wiederfinden.
Deine Seele ist mir in einem Traum erschienen, wo sie mir gesagt hat, dass ich des Smaragdgrünen Traumes gedenken soll, um sie zu finden. Wollen wir nicht zusammen auf die Suche nach deiner Seele gehen? Vielleicht kriegst du sie mit Hilfe der Götter zurück.“ Der Untote lachte auf: „Du bist ja eine mächtige Idealistin, warst du ja schon immer! Aber ich will meine Seele gar nicht zurück. Es ist jetzt alles viel einfacher und die Verlassenen sind nun mein Volk, nicht mehr... die Menschen!“ „Aber es ist ein schreckliches Dasein dass ihr fristet!“ rief Lumnia aus. Bei diesen Worten blitzten Dabogs Augen erneut auf. „Wie kannst du dir anmassen so über die meinen zu sprechen! Ihr Menschen seid wirklich so schrecklich eingebildet. Wir haben genauso das Recht zu existieren wie ihr!“ „Aber du gehörst doch an meine Seite Dabog!“ rief Lumnia verzweifelt. „Was wir hatten war so einzigartig, so wunderbar! Man kann das doch nicht einfach alles so aufgeben! Wenn du deine Seele wieder hättest, würdest du verstehen, wie wundervoll es ist zu... leben!“ „Ich habe kein Interesse daran. Ich will mein Dasein nicht ändern. Ausserdem ist das was du willst, sowieso aussichtslos. Man kann eine Seele nicht einfach so zurück holen.
Aber wenn auch, dann wäre ich keiner von denen, der das will. Ich bin jetzt viel stärker, viel mächtiger. Es gibt keine Gefühle mehr die mich hindern, das Richtige zu tun.“ „Aber du warst doch einst so voller Liebe und Gefühl!“ „Ich bin nicht mehr dein Dabog, schon lange nicht mehr. Ich empfinde nichts mehr und will das auch nicht.
Eigentlich sollte ich dich töten, da es mein Auftrag wäre, aber der Vergangenheit zuliebe lasse ich dich gehen, auch wenn ich nur noch Bruchteile dieser Vergangenheit in Erinnerung habe.“ Lumnia war es schrecklich zu Mute, als die Kälte seiner Worte, sie wie ein eisiger Hauch traf. Und dann auf einmal war sie sich unsicher darüber, ob sie richtig gehandelt hatte, als sie herkam. Wie konnte sie nur annehmen, dass ein Untoter sich zu so etwas überreden liess? Er war nur noch eine leere Hülle mit der sie hier sprach, eine Hülle nur noch gefüllt mit einem schrecklichen, nekromantischen Geist, einem Verstand und dem Willen zu überleben. Der lebendige, liebevolle und von Licht erfüllte Kern, gab es hier nicht mehr, das sah sie in den Augen von Dabog- dem Verlassenen.
Dennoch versuchte sie ihn jetzt auch noch über den Verstand zu erreichen: „Wenn du eine Seele hättest, wärst du noch viel mächtiger und besser gewappnet gegen das Böse, weil dann das Licht wieder an deiner Seite wäre. Es würde dir einen Nutzen bringen.“ „Das glaube ich kaum“, gab Dabog kühl zurück. „Geh jetzt lieber Lumnia, bevor ich es mir noch anders überlege und dich doch noch umbringe.“ Sie schaute ihn an und sie merkte, dass er dazu imstande gewesen wäre.
„Dann nimm wenigstens das!“ Sie holte einen Art milchigen Kristall aus ihrer Tasche und reichte ihm diesen. „Das hier ist ein magischer Stein, der mit meinem Geist verbunden ist. Wenn du es dir doch noch überlegen solltest, dann nimm ihn einfach in die rechte Hand und sag meinen Namen, dann werde ich dir antworten.“ „Ich denke nicht, dass ich ihn brauchen werde.“ „Wer weiss, auch die Verlassenen können vielleicht mal ihre Meinung ändern“, sprach die Hohepriesterin.
Dabog starrte sie mit funkelnden Augen an und dann auf einmal packte er ihre Hand und drehte sie, bis die junge Frau den Stein schmerzerfüllt fallen liess. „Lass mich in Ruhe!“ zischte Dabog und verstärkte immer mehr seinen Griff. Lumnia begann langsam Panik zu kriegen und wollte sich aus dem eisernen Griff befreien. Doch Dabog spielt mit ihr, wie eine Katze mit der Maus und dabei musterte er sie mit einem unheimlichen Blick.
Lumnias Herz schlug vor rasender Furcht und schliesslich griff sie zu einem Mittel, dass sie sonst nie anwandte. Sie wirkte den „Zauber der Gedankenkontrolle“ auf den Verlassenen. Dessen Blick wurde auf einmal leer und sie sagte zu ihm mit bestimmter Stimme: „Lass mich augenblicklich los!“
Dabogs liess sie los, sein Kopf schmerzte. Sein Körper entzog sich seiner Kontrolle und auf einmal, durchströmten ihn tausende von Gefühlen. Es war als würde er mit dem Bewusstsein der Priesterin für kurze Zeit verschmelzen. Plötzlich spürte er Angst, Wut, Trauer, Hass- alles zur selben Zeit. Bilder tauchten auf, die ihm tiefste Einblicke in ihre Seele gewährten.
In diesem kurzen Augenblick war es, als wäre er sie. Er spürte das Entsetzen über das Verhalten, dass er selbst an den Tag gelegt hatte, das Entsetzen darüber, was die Verlassenen mit den dunklen Mächten der Nekromantie anstellten. Alle Gefühle der Menschen, welche sie in Bezug auf die Verlassenen verspürten, standen plötzlich klar vor ihm und er konnte nicht mehr genau unterscheiden was Teil von ihm war und was nicht.
Er sah Erinnerungen, Erinnerungen an die gemeinsame Zeit, die er und Lumnia verbrachten, als er… noch lebte. Er spürte ihre innige Liebe, die sie für in empfunden hatte und die jetzt langsam zu schwinden begann, immer weiter seinem Blick entrückt... und auf einmal erfasste ihn Trauer und ein Gefühl von Schuld.
Die junge Frau wandte sich mit steinerner Miene ab und ging davon. Ihr Pferd wartete bei der Baumgruppe auf sie. Dabog verspürte, den plötzlichen Impuls sie zurück zu rufen, doch dann löste sie ihren Zauber auch schon wieder und er blieb verwirrt zurück.
Lumnia bemühte sich um einen selbstsicheren Gang, doch als sie bei ihrem Reittier angelangt und ein Stück weit weg geritten war, zerfiel ihre kühle Fassade und sie brach in hemmungsloses Weinen aus...
Ihre schlimmsten Befürchtungen, hatten sich bewahrheitet! Dabog wollte nicht mit ihr gehen, keinen Augenblick lang hatte er Interesse gezeigt. Es war so entsetzlich ihn so zu sehen! Er, der einst so ein wunderbarer, herzlicher und liebevoller Mensch gewesen war. Nichts mehr war da an Emotionen, keine Regung mehr, die auf Lebendigkeit hindeutete.
Lumnia trieb ihr Pferd zu vollem Galopp an, während sie immer weiter weinte. Der kühle Nachtwind wehte ihr ins Gesicht und es war ihr, als wäre alles in ihr zu Eis erstarrt. Sie war so entsetzt darüber, was aus ihrem Liebsten geworden war. Er hätte sie ohne Wimpernzucken getötet, dass sah sie in seinen Gedanken, als diese kurz mit ihrem Bewusstsein verschmolzen waren. Es war vorbei. Ihr Geliebter war für immer verloren...