Mahalas Entdeckung
Mahala war früh auf den Beinen. Die Sorge um Mikkel auf seiner Reise hatte sie schlecht schlafen lassen. Direkt nach dem Frühstück war sie von Shenzir abgeholt worden. Hatora hatte ihn beauftragt, Mahala die Kristallkammer zu zeigen und sie in gewisse Dinge einzuweihen. Als Shenzir die Tür zur Kammer geöffnet hatte und Mahala eintrat, war sie überwältigt von den vielen Kristallen und blieb zunächst in der Mitte des Raumes stehen, um die Energie der Kristalle auf sich wirken zu lassen. Bei einigen Kristallen hatte sie den Eindruck, als würden sie Verbindung mit ihr aufnehmen wollen. Shenzir war ein sehr feinfühliger Mensch und bemerkte ihre Verwunderung.
"Sprechen sie mit Dir?", fragte er nach.
"Ja, bei einigen habe ich den Eindruck, sagte Mahala verwundert. Du spürst es?"
"Ja. Ich beschäftige mit schon recht lange mit den Kristallen und ausserdem hat Hatora mir aufgetragen, Dich besonders aufmerksam zu beobachten, wenn Du mit ihnen in Kontakt kommst. Ich glaube, sie vermutet eine besondere Gabe in Dir, welche noch zum Vorschein kommen wird. Schaue Dich einfach um und wenn Dich ein Kristall besonders anspricht, nehme ihn heraus und ich erkläre Dir was ich von ihm weiss."
Langsam, Schritt für Schritt begann Mahala die Reihen der Regale abzugehen, in denen die Kristalle lagen. Ein zu einer Kugel geschliffener Kristall weckte ihre Aufmerksamkeit. Sie zeigte auf ihn und fragte Shenzir:" Was ist das für ein Kristall?"
"Dies ist Weldur. In ihm ist viel an Wissen gespeichert über die Heilkräfte von Kräutern und Pflanzen."
"Oh, dann wundert es mich nicht, dass er mich anspricht, antwortete Mahala. Ich durfte schon viel über die Kräuter und Pflanzen lernen. Meine Mutter war eine kundige Kräuterfrau und einige Dinge habe ich von Mikkels Mutter lernen dürfen. Sie war eine besondere Frau."
"Du hast sie noch gekannt? Wie schön. Ich hörte von ihrem tragischen Schicksal. Es muss damals ein schwerer Verlust für Mikkel gewesen sein, Mutter und Vater gleichzeitig zu verlieren."
"Ja sicher, antwortete Mahala. Aber er hatte Glück im Unglück, dass sich Alturin und Hatora um ihn gekümmert und sich seiner angenommen haben."
"Gewiss, entgegnete Shenzir. Beide sind sehr weise und gütige Menschen und es ist ein grosses Glück für ihn gewesen."
In einem der Eckregale fiel Mahala ein roher Kristall auf und sie fragte Shenzir nach seinem Namen und seiner Bedeutung.
"Dies ist Aquor. Er besitzt die Kraft, Wasser mit Heilkräften zu versetzen. In unserem Brunnen oben sind Teile von ihm eingearbeitet und uns schon von grossem Nutzen gewesen bei der Behandlung kranker Menschen und Tiere."
Beim Weitergang um die Ecke übersah Mahala eine alte Schriftrolle, die ein wenig aus dem Regal heraus ragte und streifte sie mit ihrem Arm. Die Rolle fiel zu Boden. "Oh", rief sie erschrocken und bückte sich, um die Rolle aufzuheben. Der Kristall, den sie auf der Lichtung gefunden hatte, als sie ihre Eltern dort beerdigte und der seitdem an einer kurzen Kette um ihren Hals hing, baumelte beim Bücken nach der Schriftrolle ein wenig nach vorn. Plötzlich fiel Mahala und Shenzir ein seltsames Leuchten auf, welches von unterhalb des letzten Regalbodens kam. Auch der Kristall um ihren Hals begann plötzlich zu leuchten! Verwundert ging Shenzir auf die Knie und fischte unter dem letzten Regalboden nach dem leuchtenden Etwas. Als er seine Hand wieder hervor brachte, leuchtete ein Kristall in seiner Hand.
"Das ist Ushadran!", entfuhr es Shenzir überrascht. Wir glaubten, er sei verloren gegangen im Laufe der Zeiten und nun taucht er mit Dir plötzlich wieder auf. Ein seltsames Geschehen." Shenzir trat mit dem Kristall näher an Mahala heran, um ihn ihr genauer zu zeigen. Beide Kristalle leuchteten immer noch und als Shenzir näher heran kam, schien sich das Leuchten noch zu verstärken.
"Schau, sie würden perfekt zusammen passen," sagte Shenzir.
"Ja, tatsächlich. Sieht so aus, als wären sie einmal ein einziger Kristall gewesen."
Kaum hatte Mahala dies ausgesprochen, entfuhr beiden Kristallen ein heller Blitz und das Bruchstück in Shenzirs Hand hatte sich mit dem Bruchstück an der Kette um Mahalas Hals verbunden. Zunächst erschrocken und wortlos betrachteten beide den Kristall an Mahalas Kette.
"Wo sagtest Du, hast Du den Kristall gefunden Mahala?", fragte Shenzir nach.
"Auf der Lichtung nahe unserem Dorf. Ich habe dort meine Eltern beigesetzt und beim Ausheben der Gräber fand ich ihn. Seitdem trage ich ihn um den Hals."
"Steht auf dieser Lichtung eine alte Knorreiche mit dem Zeichen der zwölf Lichter auf dem Stamm?", fragte er weiter.
"Ja genau, dort war es! Du kennst den Ort?", fragte Mahala überrascht nach.
"Ja ich kenne ihn. Die Sage geht davon, dass Usha dort in seiner letzten Schlacht den Kristall verlor, genau wie er dort sein Leben verlor. Der Kristall soll mit einem Schwerthieb seiner Feinde durchtrennt worden sein. Wir müssen Hatora sofort nach ihrer Rückkehr davon berichten Mahala. Ich weiss nicht, welche Kräfte dem kompletten Kristall innewohnen und deshalb bitte ich Dich, den Kristall abzulegen und hier in der Kammer zu belassen, bis Hatora wieder hier ist und ihn betrachten und untersuchen kann."
"Gut, wenn Du meinst werde ich ihn ablegen und hier in der Kammer belassen, Shenzir. Wer weiss, was er wirkt."
Das Leuchten des Kristalles war etwas schwächer geworden und als Mahala die Kette abnahm, erstarb das Licht plötzlich. Erneut legte sie die Kette wieder um ihren Hals. Der Kristall begann sofort wieder zu leuchten.
"Seltsam, sagte Shenzir, er scheint einen direkten Bezug zu Dir zu haben, Mahala."
"Ja, so hat es den Anschein. Aber ich habe keine Ahnung, worum es sich hier genau handeln könnte." Mit diesen Worten nahm Mahala die Kette wieder ab. Das Licht erlosch und sie legte die Kette mit dem Kristall auf einen freien Platz im Regal.
"Hatora weiss bestimmt Rat. Wenn sie wieder zurück ist, wird sie sich der Sache annehmen und bestimmt hat sie eine Erklärung," meinte Shenzir.
Sie verliessen die Kammer und Shenzir führte Mahala zum Brunnen mit dem heilenden Wasser, da sie ihn unbedingt einmal sehen wollte. Sie setzten sich auf eine kleine Bank vor dem Brunnen und Mahala hielt ihre Hand in das Becken. Während sie sich unterhielten, spielte Mahala mit den kleinen Wellen, die sich im Brunnen bewegten. Als sie dann ihre Hand wieder heraus nahm, bestaunte sie ihren Handrücken. Die kleine Verletzung, welche sie sich auf dem Ritt in die Kristallstadt an einer Dornenhecke zugezogen hatte, war verschwunden. Sie berichtete Shenzir davon und zeigte ihm ihren geheilten Handrücken.
"Ja, er hat tatsächlich erstaunliche Heilkräfte. Aquors Bruder hat schon viele Menschen geheilt und uns allen grossen Dienst erwiesen."
"Weisst Du woher all diese Kristalle stammen, Shenzir?," fragte Mahala.
"Ja, Hatora hat mir viel darüber berichtet, als sie mich mit der Verwaltung der Kristallkammer betraute. Vor dem ersten Zeitalter vor langer langer Zeit lebten Lichtwesen hier, welche diese Kristalle unter ihrer Obhut hatten. Sie waren keine Menschen aus Fleisch und Blut so wie Du und ich, sondern waren eher durchscheinend, verstehst Du? Im Laufe der Zeit jedoch verfestigten sie sich durch die Kräfte der Erde und dies fügte ihnen mehr und mehr Schaden zu. Sie beschlossen, die Erde zu verlassen und konnten die Kristalle nicht mit zurück nehmen, da sie sich unter den Einflüssen unserer Mutter Erde verändert hatten.
So suchten sie nun nach geeigneten Menschen, denen sie die Kristalle anvertrauen konnten. Sie wussten natürlich um die enormen Kräfte, welche ihnen innewohnen und waren darauf bedacht, dass sie nicht den falschen Menschen in die Hände kamen, denn ihnen war bewusst, dass man die Kräfte der Kristalle auch zu niederen Zwecken missbrauchen konnte und sie waren sehr friedliebende Wesen. Nach langer Suche fanden sie endlich eine alte Frau in den Wäldern, die ihnen sehr weise erschien. Ihr vertrauten ihr die Kristalle an und verlangten ihr das Versprechn ab, diese niemals zu niederen Zwecken zu missbrauchen.
Der Name dieser weisen Frau war Halora. Dies alles ist viele viele Jahre her.
Und Hatora steht nun am Ende dieser Ahnenreihe.....