"Michael, du bist einfach zu gut für diese Welt!" - "Sag das nicht! Manchmal erschlag ich auch Leute... Mit der bloßen Hand!" - "Michael! Das ist nicht witzig! Lass mich den Brief wenigstens der Oma zeigen. Bitte!" - "Nein!" - "Nur Oma!" - "Ich sagte nein!" - "Mhh!" Sie stampfte mit dem Fuß auf wie ein beleidigter Teenager und ich schäme mich fast, zu erwähnen, dass ich das einen Moment lang total sexy fand. (Und das wusste diese kleine Kröte ganz genau!) "Selina, du benimmst dich..." Darauf hatte sie gewartet: "Wie eine Frau, die dich abgöttisch liebt und die dich nie, NIEMALS im Stich lassen würde! Und die nicht zulassen will, dass du immer draufzahlst! Wenigstens Oma soll wissen, wie es wirklich war...!" Bitte, bitte!" (Dackelblick!) "Ach, Selina..." Das war ein Fehler. Ein versöhnliches "Ach Selina". Sie fiel mir um den Hals. "Danke, Liebling! Ich leih mir kurz den Rover!" Sie küsste mich und lief zum Auto. "Selina!" - "Ich weiß, es ist das Auto des Königs... aber ich brings ja wieder!" "BRRMMM..." Weg war sie. Ja Selina war sehr lieb und das ist sie auch heute noch. Und sie akzeptiert fast alle meine Entscheidungen. Aber gegen sie zu gewinnen, das ist auch heute noch eine Herausforderung. Auch für den König! Ich brauchte noch eine ganze Weile, um meine Unterlagen zu durchforsten und die Passenden so zu sortieren, das Bertl durchstarten konnte. Dabei fragte ich mich, ob Selina nicht deshalb so um den Jungen kämpfte, weil sie eben auch gerne Familie gehabt hätte. Ich beschloss, wenigstens nicht böse auf sie zu sein,(was ich ja sowieso nicht geschafft hätte!) und ihr vielleicht ein Wenig auf den Zahn zu fühlen. Ich würde wohl heute noch in die Stadt müssen, ohne Selina... Nach etwa einer Stunde hörte ich das satte Brummen des Rover. Ich ging hinaus und schloss die Haustür ab. Selina sprang aus dem Auto und warf sich mir an den Hals. Sie küsste mich ungestüm und sehr sehr leidenschaftlich. "Selina? Was war das eben?" - "Schadensbegrenzung!" Herrgott, ich liebte diese Frau! Ich war und bin ihr einfach wehrlos ausgeliefert...
Noch am selben Abend, nach einer Besorgung in der Stadt, war ich noch kurz in mein Büro gegangen, als mein Handy vibrierte. Frau Weber rief an. "Herr Montar, ich kann ihnen gar nicht sagen, wie leid es mir tut!" - "Frau Weber, sie können erstens, überhaupt nichts dafür und zweitens hat mich Selina überrumpelt. Ich muss sie bitten, diesen Brief ihrem Enkel NICHT zu zeigen, weil ich sein Bild von seiner Mutter nicht trüben will. Er soll wenigstens an Silvie nur gute Erinnerungen haben. Die, die er an mich hat, kann auch dieser Brief nicht mehr umdrehen und mir ist zuviel an Silvias Andenken gelegen, als dass ich diesen Brief für mich verwenden wollte... Ich möchte, dass der Bub an seine Mutter glauben kann! Ich bin kein kleines Kind mehr. Ich steck das weg...mittlerweile..."
"Sie sind unglaublich! Selina sagte mir schon, dass sie ihnen den Brief mehr oder weniger illegal abgenommen hat. Aber glauben sie nicht, dass es für Tommy gut wäre, die Wahrheit zu kennen." - "Frau Weber, es gibt Wahrheiten, die kein Mensch braucht! Tommy ist es damals sicher schwer gefallen, zu glauben, dass ich doch nicht sein Papa werde, noch schwerer sich daran zu gewöhnen, mich deshalb zu hassen. Einzig seine Mutter war immer da und immer lieb zu ihm. Ich möchte dem Jungen nicht auch noch seine Mutter schlecht machen. Gerade ich weiß, wie wichtig es ist, von seiner Mutter geliebt zu werden! Das ist mein letztes Wort! Ich brauche diesen Brief nicht mehr! Silvie hat mich damals in einen Dornröschenschlaf geschickt. Ich hatte das große Glück, von einer einzigartigen, unbeschreiblich liebevollen Frau daraus erweckt zu werden! Ich habe Silvie sehr geliebt und ich wünsche, dass niemand ihr Andenken beschmutzt. Ich für mein Teil lebe ein neues Leben mit einer fantastischen Frau, mit der ich nur noch nach vorne schauen möchte. Ich nehme für mich in Anspruch, mir dieses Glück für den Rest meines Lebens verdient zu haben. Ich werde noch oft an ihre Silvie denken, in Liebe und ohne Groll! Aber meine Liebe gehört nun Selina und das ist gut so! Sie ist jetzt die Familie, die ich mir so gewünscht habe. Und wir sind ja noch nicht so alt, wer weiß ob uns das Schicksal immer nur zu zweit sein lässt... Verbrennen sie den Brief Frau Weber, dieses Leben ist Geschichte. Leben sie wohl!" Ich hatte am Fenster gestanden in meinem Büro und in die Dunkelheit geschaut während dieses Gesprächs. Ich hatte mich eigentlich alleine gewähnt, doch als ich das Handy vom Ohr nahm, spiegelte sich eine zierliche rothaarige Gestalt darin...