Silvias Leben endete an einem sonnigen Sonntagmorgen im Juni in der Bückerklinik. Ihr Sohn Tommy und seine Großmutter waren bei ihr, als sie ihren letzten Atemzug tat und diese Welt verließ. Zuvor hatte sie sich noch von ihren Lieben verabschieden können, sie war jedoch schon sehr schwach. "Und wenn du einmal auf Michael triffst, Tommy und das wirst du in ein paar Jahren, dann sag ihm bitte, dass er mir verzeihen soll, und dass ich ihn bis zum letzten Atemzug geliebt habe." - "Aber Mama, er hat dich so unglücklich gemacht! Wie kannst du ihn um Verzeihung bitten?" - "Wenn es soweit ist, wirst du es verstehen, Tommy und ich hoffe, auch du wirst mir verzeihen. Du warst immer, wirklich immer das Allerwichtigste für mich! Ich liebe dich über alles mein Sohn!" Silvia wurde zusehends schwächer. "Mama! Ich danke dir für alles, was du für uns getan hast und noch für Tommy tun wirst. Seid nicht so traurig, ihr beiden, es ist Zeit für mich zu gehn. Ich wünsche mir nur, dass Tommy und Michael mir vergeben können. Lebt wohl!" Zu schwach zum Reden sah sie den Beiden in die Augen und entspannte sich. Etwa zwanzig Minuten später schloss sie ihre Augen für immer...
Auch Selina war bei der Verabschiedung anwesend. Sie kannte die beiden von ihren Besuchen her und es traf auch sie sehr, dass sie Silvia nicht mehr helfen hatte können. Sie bedauerte Tommy und seine Oma sehr und als sie wie versprochen wegen der Wohnung und dem finanziellen Auskommen mit Frau Weber sprach, stellte sie fest, dass die beiden die Wohnung nicht halten können würden. Sie sprach daher mit ihrem Vater, der ihr erlaubte, die beiden monatlich mit einem kleinen Betrag aus der Stiftung zu unterstützen, damit der Junge bei seiner Oma aufwachsen könne und sein Erbe nicht verlieren würde.
Michael hatte von all dem keine Ahnung, doch auch er erlitt fast zum gleichen Zeitpunkt einen großen Verlust. Horst Schliermann, sein Mentor, der ihm wie ein Vater gewesen war, hatte einen weiteren schweren Schlaganfall überlebt, aber er lag im Koma. Horst hatte schon lange damit gerechnet, dass er einen weiteren Anfall erleiden würde, weshalb er noch sein Haus und sein ganzes Vermögen an Michael überschreiben lassen hatte, wobei aus unerfindlichen Gründen sein Bootshaus übersehen worden war. Als er das erfuhr verfügte er, dass es nach seinem Tode in Michaels Besitz übergehen sollte. Ferner hatte er Michael als Sachwalter eintragen lassen und ihn gebeten, dafür zu sorgen, dass er nicht durch Maschinen am Leben erhalten werden sollte, falls er ins Koma fallen sollte. Michael war sehr traurig, aber er wollte natürlich Horsts Wunsch entsprechen. Leider konnte er diesen nicht erfüllen. Zwar wurden die Maschinen abgeschaltet, Horsts Herz wollte aber nicht zu schlagen aufhören...
Zwei Umschläge hatten dank Selina ihren Weg zum Notar gefunden. Einer enthielt das Testament, in dem Silvia alles was sie besaß ihrem Sohn vermachte. Der andere enthielt einen Brief, der Tommy die Wahrheit preisgeben würde...
Mein über alles geliebter Tommy!
Mein Herz ist so schwer, weil ich dir in den letzten Jahren nie die Wahrheit über Michael gesagt habe. Ich bitte dich, mir zu vergeben, wenn du die Hintergründe erfahren hast, die ich dir in diesem Brief nahebringen will! Nichts auf dieser Welt, habe ich jemals mehr geliebt, als dich, Tommy und ich fürchte, dass ich deshalb auch den größten Fehler meines Lebens gemacht habe: Ich habe dich belogen! Ich habe Michael verlassen, als er mich am meisten gebraucht hätte, aus Angst davor, dich zu gefährden. Michael hat dich wirklich geliebt, als wärst du sein eigener Sohn und er hätte uns, wie du richtig vermutet hast, niemals verlassen. Er ist absolut unschuldig an unserer Trennung die ich aus Angst um dich herbeiführte und das auch noch, als er im künstlichen Tiefschlaf lag.
Wie du weißt sind wir damals in Kroatien beschattet und fotografiert worden. Michael wurde von einer Organisation, dem Konsortium bedroht, weil er etwas erfunden hatte, dass der Industrie große Verluste gebracht hätte. Da wir beide auch auf dem Foto waren gab er nach und versprach, seine Erfindung nicht zu patentieren, um uns nicht zu gefährden. Er liebte uns wirklich sehr! Eigentlich, hätte nichts passieren dürfen, doch die Killer, die schon beauftragt gewesen waren, ließen sich nicht zurückpfeifen und haben Michael fast totgeschlagen. Auf ganz brutale und gemeine Weise. Er musste mehrmals wiederbelebt werden. Es grenzt an ein Wunder, dass er überlebt hat. Als ich bei ihm im Krankenhaus war, hing er an zahlreichen Geräten und wurde beatmet. Ich hatte furchtbare Angst, das diese Mafia auch dir etwas antun könnte, also verließ ich Michael, den ich bis heute unsterblich liebe. Ich konnte dir nicht erzählen, wie diese Schweine deinen "Papi" zugerichtet hatten. Und ich konnte dir auch nicht erzählen, wie schäbig ich den armen Kerl im Stich ließ, während er noch im Tiefschlaf lag. Ich bereue es bis heute zutiefst, dir den Papi, mir meinen geliebten Michael und ihm seine Familie genommen zu haben. Ich habe mich jeden Tag aufs Neue dafür gehasst, die falsche Entscheidung getroffen zu haben, deren Konsequenz das Ende unseres Glücks war. Ich habe Michael beschuldigt, damit es dir leichter fiele, ihn nicht zu vermissen. Ich hasse mich dafür, euch das angetan zu haben. Bitte verzeih mir, Tommy und bitte sag Michael, dass ich ihn liebte wie am ersten Tag, als ich starb!
Leb wohl mein geliebter Sohn!
Außerdem befanden sich in dem Umschlag drei Fotos: Eines zeigte sie in Miras Privaträumen nach dem gemeinsamen Essen. Das Zweite zeigte die drei in Mirkos Motorboot in voller Fahrt und das Dritte zeigte Tommy und Michael mit Rasierschaum im Gesicht im Bad der Dachgeschosssuite bei Mira.
Es war geplant, diesen Umschlag Tommy an seinem achzehnten Geburtstag auszuhändigen oder aber nach dem Ableben seiner Oma.