"Mami, Mira! Papi hat schon wieder geschlafen! Gib ihm ja keinen Kuss Mami, der will dich nur wieder anlocken, wie vorhin!" - "Von dir hab ich heute auch noch keinen Kuss bekommen, Melina!" - "Na gut!" Sie wuselte auf der Bank zu mir her und gab mir ein Küsschen. Selina und Mira deckten den Tisch. "Kann ich euch was helfen?" fragte ich scheinheilig. "Jetzt fragt er, der Lump!" schmunzelte Selina. "Mira hat extra für dich ein Paar Flaschen Bier eingekühlt. Das könntest du dir selber holen, Schatz!" - "Ok! fehlt sonst noch was?" - "Nein, alles da, Micha!" Mira kochte immer gern für mich, schon seit meiner Jugend. Und ich liebte diese würzigen Speisen, die sie immer auftat, wenn ich zu Besuch war. An der Küste Istriens in einer Konoba zu sitzen, bei gutem Essen und Trinken, umgeben von Jenen, die man liebt, gehört zu den Dingen, die unbezahlbar sind. Weil dieses Gefühl mit keinem Geldwert vergleichbar ist. In solchen Momenten fällt lang angestauter Stress einfach ab und der unverfälschte Mensch kommt zum Vorschein. Monatelang gesuchte Lösungen streifen die vom Alltag völlig losgelösten Gedanken eines Menschen und werden wohlwollend für die Rückkehr ins Arbeitsleben abgespeichert. Manches geht eben nur gänzlich ohne Druck. Denn als "Erfinder" kann ich nur bestätigen: Die besten Ideen kommen immer aus dem Nichts. Sowie man über etwas zuviel nachdenkt, ist es vorbei mit der Genialität!
Es war ein gemütliches Mittagessen, so wie es im Urlaub sein sollte. Mittendrin kam Branka, Miras Nichte, die mich nach dem dem Anschlag sehr liebevoll gepflegt und mich zurück ins wirkliche Leben begleitet hatte. Lustiger Weise, war sie Selina ähnlich, als sei sie ihre jüngere Schwester. Es war ein großes Hallo mit vielen herzlichen Umarmungen. Ich brauche nicht zu erwähnen, das mir Branka sehr nahe steht und mir ihr Wohlergehen auch sehr am Herzen liegt. Aber Selina und Branka hatten auch von Anfang an einen guten Draht zueinander und natürlich Melina auch. Wir alberten zwei Stunden herum, bis das Mittagessen wirklich vorbei war und ich hatte mich in dieser kurzen Zeit, die ich jetzt da war, total entspannt. Kommende Woche sollte ich einen Vortrag halten auf einem Ärztekongress. Die fachliche Kompetenz dazu hätte eigentlich Selina gehabt, aber es ging darum, wie wir in der Stiftung kostengünstig größere Erfolge erzielen konnten, als Andere samt teuerstem Equipment. Und wir ließen uns gern auf die Finger schauen, denn es war unser Anliegen, effiziente Krebsbehandlung für Jedermann erschwinglich zu machen. Man möchte nicht glauben, wie viele Gegner so ein Unterfangen haben kann...
"Liebling! Du hältst die tollsten Vorträge aus dem Stegreif! Das hab ich schon immer an dir bewundert! Also nimm dir jetzt bitte die Zeit, um auszuspannen!" Selina hauchte mir einen Kuss auf die Wange und holte mich und vor Allen Dingen meine Gedanken zurück an den Tisch. Ich liebe diese zwanglose Art, in der sie mir täglich zeigt, dass sie mich noch immer wie am ersten Tag liebt. Ich weiß, das klingt seltsam, aber es hat seinen Ursprung in meiner Vergangenheit und ich bin unendlich dankbar, in Selina die Frau gefunden zu haben, die damit umgehen kann.
Selinas Handy läutete und sie ging kurz vom Tisch. Als sie zurückkam, räumte sie mit den anderen Mädels den Tisch ab. In der Küche sagte sie zu Mira und Branka. "Hört mal, ich habe grade eine Information bekommen, die Michael indirekt betrifft und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll." - "Was ist denn los Sel?" fragte Branka, "Du bist ja ganz blass!" - "Michaels leibliche Mutter hat Krebs! Man möchte sie zu uns überweisen. Michael und ich helfen grundsätzlich jedem, der zu uns geschickt wird. Aber als ich ihn einmal nach seiner Mutter fragte, das war kurz vor unserer Hochzeit, da antwortete er mir: "Meine Mutter lebt in Kroatien!" Und ich weiß, dass sie nicht einmal informiert wurde, als er damals... ihr wisst schon... Er hat mit ihr kein Wort mehr gewechselt, seit er volljährig ist und seine Habe zu Hause abgeholt hatte und da wohnte er schon drei Jahre bei Horst! Sie muss eine unmögliche Person sein..." - "Das ist sie auch! Da kannst du Gift drauf nehmen, Selina!"