Wie ihr vielleicht in manchen Kapiteln ablesen könnt - ich war mal Gesundheits- und Krankenpflegerin. Für alle, die mit diesen Namen nichts anfangen können: Früher nannte man das mal Krankenschwester.
Aktiv im Gesundheitswesen zu arbeiten, egal ob als Altenpfleger(in), Gesundheits- und Krankenpfleger(in), Krankenpflegehelfer(in) usw., ist einfach hart. Es ist ein wundervoller, erfüllender, emotionaler Scheissjob. Wie überall, herrscht auch hier Personalnot. Dadurch wird die Pflege nicht nur eine Akkordarbeit, bei der teilweise jegliche Empathie auf der Strecke bleibt, sondern teilweise auch gefährlich. Doch das ist ein Thema, was ich vielleicht später noch mal aufgreife.
Der Job ist also hart. Trotz fehlender Zeit versucht man den Wünschen, Ansprüchen und Notwendigkeiten der Patienten und Bewohnern gerecht zu werden. Und man macht es gerne. In der Pflege tätig zu sein ist ein großes Stück Beruf - aber auch Berufung. Ansonsten würde wohl keiner für dieses geringe Gehalt so eine harte Arbeit machen, die weit mehr ist als Arsch abwischen, was leider die meisten Außenstehenden denken...
Personalknappheit, geringe Bezahlung und einen gewaltigen Imageschaden...da müssten doch alle denken, dass die Pflegenden schon genug zu knabbern haben. Doch es kommt noch etwas hinzu, womit viele in diesem sozialen Beruf nicht rechnen: Mobbing.
Liebe Mobber...Mobbing ist das, wo ihr Jahre später eure Opfer verdutzt anschaut und meint: "Was? Das hat euch damals verletzt und fertig gemacht? War doch nur ein Scherz!"
Doch Mobbing ist definitiv nicht lustig. Eigentlich müsste man doch glauben, dass wir die ganze Mobbingscheiße nach der Schule hinter uns haben, doch weit gefehlt. Sie existiert immer noch, aber auf einer vielschichtigeren Art und Weise. Im Berufsleben kann Mobbing jede Ebene erreichen und in alle Richtungen verlaufen. Von oben nach unten: Der Stationsarzt wird nie befördert, obwohl er qualifizierter als seine Kollegen wäre. Vielleicht hätte er dem Chefarzt doch nicht seine Meinung sagen sollen... Horizontal: Jeden Monat treffen sich die Kollegen außerhalb der Arbeit. Nur Pflegekraft P. muss da immer Schichten schieben und wird nicht mal gefragt. Und von unten nach oben: Die Assistenzärztin wird von den Pflegekräften weitgehend ignoriert. Wahrscheinlich hätte sie sich doch verkneifen sollen zu sagen, dass Pflegekräfte kein fachliches Know-How haben. Ich selbst habe Mobbing von oben nach unten selbst erlebt. Ihr könnt euch noch an Kapitel 10 erinnern? Das mit dem Patienten, der seine Bluttransfusion lustig im Zimmer verteilt hatte? Selbe Station. Selbes Personal, welches mich hasste. Ehrlich...das war die schlimmste Station meiner ganzen Ausbildung. Erstmal lag mir schon die Thematik der Station nicht und dann drehte sich bei den Pflegektäften alles nur um irgendwelche aktuellen Diäten und Haarschnitte. Im Nachhinein und paar Jahre später, mit der nötigen Distanz, könnte ich mir vorstellen, dass es gar nicht so krass war... Wie dem auch sei...zurück zum Thema. Auf dieser Station hatte ich 3 Praxisanleiterinnen. Diese sollten den Schüler, also mich, quasi an die Hand nehmen und praktisch anleiten sowie die pflegerelevanten Dinge üben. Drei von der Sorte war natürlich absoluter Luxus. Auf manchen Stationen hatten mich die Schüler angeleitet... So. Problem 1: Von den 3 Praxisanleitern bekam ich nur 2 zu Gesicht. Die dritte hatte nie Dienst mit mir. Problem 2: Praxisanleiterin 1 und 2 mochten mich nicht...so gar nicht. Blöderweise beruhte das auf Gegenseitigkeit. Die 2 waren mir einfach unsympathisch. Sie hatten eine extrem herablassende Art, die mich extrem verunsicherte. Ihr müsst euch vorstellen, dass ich vorher von einer Station kam, in der ich gemocht wurde und immer gefördert und gefordert worden bin. Glatte 1 mit Bienchen. Und dann kam ich hier her und durfte mit der osteuropäischen Schülerin Schränke auswischen. Mein Gott...die Arme hatte es auf der Station auch nicht leicht. Doch sie zuckte jedesmal nur mit der Schulter und meinte, dass sie Schlimmeres erlebt habe. Das glaubte ich ihr vorbehaltlos. Ich konnte es nicht so leicht abschütteln. Egal was ich machte, es war falsch. Bei der Kaffeerunde klapperte mein Wagen zu laut. Im Wäschewagen waren die Handtücher nicht farblich sortiert und warum, um Himmelswillen, trug ich meine Haare immer nur zu einem Zopf. Hatte ich überhaupt schon mal was von Make-Up gehört?! Ja tut mir ja leid, dass ich den Patienten nur ordentlich pflegen und nicht mit den Ärzten ins Bett hüpfen wollte.. Böse Gedanken...Aus! Unterstellung! Wahrscheinlich legten sie einfach nur sehr sehr sehr sehr viel Wert auf ihr Äußeres. Hust. Hust. Jetzt ist doch mal gut! *Mir selbst auf den Hinterkopf hau* Wie ihr mitbekommt nagt diese Zeit immer noch an mir. Ich habe sie gehasst. Ich hasste es auf Arbeit zu gehen. Jeden Tag quälte ich mich aus dem Bett und riss mir verdammt noch mal meinen Popo für diese Station auf, nur um dann einen Arschtritt zu bekommen. Letztendlich bekam ich sogar Schlafstörungen vor Panik. Ich wollte da nicht hin. Ich. Wollte. Da. Nicht. Hin. Täglich weinte ich, vor der Arbeit und danach. Es war die Hölle und ich ein nervliches Frack. Immer wieder wurde ich krank, was ihre Meinung über mich nicht wirklich besserte. Kurzzeitig hatte ich sogar überlegt meine Ausbildung zu schmeißen. Den Satz: Lehrjahre sind keine Herrenjahre, konnte ich echt nicht mehr hören. Irgendwann wurde es mir alles zu viel und ich beschloss mit der Stationsleitung zu sprechen. Noch heute finde ich diesen Schritt äußert mutig, auch wenn er nichts gebracht hatte...So ging ich also zu der Stationsöse und schilderte ihr mein Problem. Dabei blieb ich wirklich nett und freundlich. Sheriff Kelly wäre stolz auf mich gewesen. Ich sagte lediglich, dass ich das Gefühl habe, dass mich meine Praxisanleiterinnen nicht mögen. Schwester S. hörte geduldig zu und nickte immer verständnisvoll. Nach unserem Gespräch ging es mir viel besser. Sie bat mich in 10Minuten noch mal zu ihr zu kommen. Natürlich. Gern. Ich hatte wirklich gedacht, dass sich nun was ändern würde...
Nach den zehn Minuten ging ich frohen Mutes zu ihr. Ich betrat den Raum und stand der Stationsleitung und den zwei Praxisanleiterinnen gegenüber. Alle drei saßen mit verschränkten Armen in einer Reihe an einem langen Tisch. Ein einzelner Stuhl stand etwas abseits, direkt unter einer Hängelampe, und auf diesen sollte ich Platz nehmen. Ich tat wie mir befohlen und nahm mit klopfendem Herzen Platz. "Es liegt nicht nur an ihrem Äußeren, dass Sie so unsympathisch sind.", waren die einführenden Worte der Praxisanleiterin. Und dann zogen sie vom Leder. Ich könne gar nichts. Sie wunderten sich, wie ich bisher überhaupt meine Ausbildung geschafft hatte. Wahrscheinlich wollte ich mich eh nur bei den Ärzten hoch schlafen. Und es würde überhaupt nichts bringen, mich bei diesen einzuschleimen (Anmerkung: Diese Aussage spielte darauf an, dass ich mal einen Arzt während der Kaffeerunde gefragt hatte, ob er auch einen Kaffee wolle. Ohne Hintergedanken. Einfach aus Höflichkeit und Anstand). Und was fiel mir ein den Arzt zu duzen (Anmerkung: Besagter Oberarzt hatte mir das Du angeboten, blöderweise den Fachkräften nicht. Und nein, dass war nicht der Arzt, den ich Kaffee angeboten hatte ;-) ). Ich sei zu blöd den Blutdruck zu messen und überhaupt sei es eine Zumutung mit mir zu arbeiten. Ich bekäme auf der Station auch nur eine 4, weil sie eine 5 bei der Pflegedienstleitung rechtfertigen müssten. Dann durfte ich gehen. Ich bedankte mich für das Feedback (Noch heute frage ich mich,wie ich das geschafft hatte) und ging raus. Dann verließ ich die Station und ging eine Etage höher zu meiner Klassenkameradin, wo ich weinend fast zusammenbrach. Ironischerweise war es ihre Praxisanleiterin, die mich in den Arm nahm und sagte, dass alles wieder gut werden würde...
Am letzten Arbeitstag auf der Station bekam ich dann meine 4 und wurde zu der Pflegedienstleitung bestellt. Nervös trat ich ein und mir wurde gesagt Platz zu nehmen. "Was fällt Ihnen eigentlich ein?" Hä? Was? Fragend sah ich sie an. "Ich weiß nicht, was Sie meinen." Sie schnaubte und reichte mir wortlos 2 Briefe. Schnell überflog ich sie und mein Herz wurde leicht. Es waren zwei Empfehlungsschreiben von Patienten meiner Hassstation. Das Krankenhaus solle mich nach der Ausbildung unbedingt behalten, weil sie noch nie eine so empathische und freundliche Schülerin erlebt hatten. Ich hätte vor Freude heulen können. Es war mir dann auch egal, dass die Praxisanleiterinnen und die Stationsöse mich nicht mochten. Auch der Vorwurf, die Patienten zu diesen Brief angestachelt zu haben, war erträglich, denn ich wusste, dass es nicht so war. Doch das Wichtigste war die Erkenntnis, dass ich etwas richtig gemacht hatte. Meine Pflege war gut und meine Patienten fühlten sich geborgen bei mir. Mir ging es wieder etwas besser.
Etwa anderthalb Jahre später war meine Ausbildung zu Ende und ich hatte mir geschworen nie wieder einen Fuß auf diese Station zu setzten. Doch da hatte ich den Plan ohne die Pflegedienstleitung gemacht. Es war mittlerweile Weihnachten und auf besagter Hass-Station war Personal ausgefallen. Ich sollte über die Feiertage dort aushelfen. Jede Diskussion half nicht. Ich musste da hoch. Auf der Station angekommen suchte ich die Stationsleitung. Als sie mich sah, bekam sie große Augen. "Sie sollen aushelfen?" Ich nickte wortlos. Die gute Frau sah aus, wie ich mich fühlte: angepisst. Sie schnappte sich den Dienstplan, sah zu mir und wieder zu dem Dienstplan. "Wir brauchen Sie doch nicht." Und ich durfte wieder gehen. Innerlich lachte ich auf. Lieber kauten sie zu Weihnachten auf dem Zahnfleisch als mit mir zu arbeiten. Bitte schön. Mich sollte es nicht stören.
Wieder ein halbes Jahr später musste einer dieser Praxisanleiter bei mir auf Station aushelfen, in meinem Bereich...und ich muss zugeben...Ich ließ sie Spießruten laufen. Schon als sie mich sah und große Augen bekam, konnte ich mir den Spruch "Ja, ich habe meine Ausbildung doch geschafft." nicht verkneifen. Ich gab ihr simple Aufgaben, die sie jedoch kaum schaffte, weil sie nicht wusste, wo was ist. Und sie fragte auch nicht. Ich ließ dann solche Sprüche fallen wie "Na toll. Dann hätte ich auch gleich alles alleine machen können" oder "Können Sie wenigstens die Akten vorschreiben, oder ist das auch schon zu viel?!" Ich weiß...ich war so ein Arsch. Nix mehr mit nett und freundlich. Doch ganz ehrlich...es war so ein innerer Vorbeimarsch. Wenigstens etwas sollte sie von dem zu spüren bekommen, was sie mir angetan hatte. Erst als ich bemerkte, dass sie Tränen in den Augen hatte, als ich sie zum gefühlten 50. Mal korrigierte, meldete sich mein schlechtes Gewissen und ich versuchte freundlicher zu sein. Vielleicht hatte sie ja was aus dem Tag gelernt....
Heute, 9 Jahre nach der Höllenstation, würde ich ganz anders reagieren als damals, einfach, weil ich mehr Lebenserfahrung sammeln konnte und schon ganz andere Dinge gemeistert habe. Doch kalt lässt mich die damalige Zeit immer noch nicht. Es war hart und hat eine Narbe hinterlassen. Das Thema Mobbing ließ mich nicht los und ich schrieb sogar meine Bachelor-Arbeit darüber. Ich recherchierte viel und hatte mit vielen Opfern vom Mobbing im Gesundheitswesen Kontakt. Ich hörte Storys von Reinigungskräften, die mit der Zahnbürste den Krankenhausboden schrubben mussten. Eine Chefarztsekretärin, die 8 Stunden rote und grüne Büroklammern sortierte. Eine Pflegekraft erzählte mir, dass sie nur die übergewichtigen Vollpflegepatienten bekam, obwohl sie ein Rückenleiden hatte. Ich könnte noch hunderte Beispiele bringen...
Meine Prüferin begrüßte mich zur Verteidigung meiner Bachelor-Arbeit mit den Worten: "Na da haben Sie sich ja ein Thema ausgesucht, was überhaupt keine praktische Relevanz hat. Es gibt doch überhaupt kein Mobbing und wer sich mobben lässt, ist selbst dran Schuld."
Genau....es gibt kein Mobbing...genauso wenig wie Überstunden oder Personalmangel!
An solchen Missständen wird sich nie etwas ändern, wenn wir die Augen davor verschließen und nicht beginnen dafür zu kämpfen, damit sich etwas ändert!