Drei Tage nach dem Ausritt hatte Sakura immer noch Muskelkater. Kyle war auch in den letzten Tagen wieder mit Echo aufgetaucht. Zweimal waren sie in der Halle geritten, dann hatten sie noch einen Ausritt gemacht, allerdings einen weniger wilden.
Auch jetzt hörte Sakura wieder, dass ein Wagen auf dem Hof vorfuhr, und sie roch das falbe Pony, das aus jenem Wagen ausgeladen wurde.
Wenig später roch sie auch Kyle, der sich bestens darauf verstand, seinen eigenen Geruch mit dem Echos verschmelzen zu lassen.
Sakura fragte sich, ob das bei ihr und Amelie inzwischen so ähnlich war. Sie verbrachten immerhin mehr Zeit miteinander als alleine.
Sie wollte sich freuen, dass Kyle gekommen war, aber stattdessen fühlte sie sich nur müde. Ihre Beine taten weh und sie hatte nicht die geringste Lust auf einen weiteren, schwierigen Tag voller Übungen.
Sie hörte die Stimmen von Kyle und Amelie, die draußen etwas besprachen, konnte aber aufgrund der Entfernung die einzelnen Laute nicht zu Worten verbinden, verstand also nicht, was besprochen wurde.
Wenig später quietschte Amelie jedoch herein, wie immer in ihrem Metallding. Langsam ahnte Sakura, dass dieses Metallding zu ihrem neuen Leben gehörte.
Amelie striegelte sie, säuberte ihre Hufe und machte – das gehörte nicht zur Routine – Sakuras Box umständlich sauber. Sakura beobachtete ihre Reiterin neugierig dabei, wie sie sitzend mit der Heugabel hantierte. Bisher hatte Sakura niemals zusehen können, wenn Amelie das tat.
Es war offensichtlich schwierig für ihre Reiterin, doch Amelie kämpfte sich verbissen durch die Box und lenkte ihr Metallding dabei so geschickt, dass sie sich selbst niemals im Weg war. Sakura war begeistert.
Nachdem sowohl Pferd als auch Box sauber waren, musste Sakura Amelie auf den Hof folgen. Doch statt wie üblich gesattelt zu werden, legte ihr Amelie nur eine grobe Decke und einen Riemen mit Griffen auf den Rücken. Auch die Trense wurde um viele Riemen erleichtert, bis Sakura sich beinahe fühle, als hätte man sie überhaupt nicht gesattelt.
Kyle wartete geduldig neben Echo. Der Junge war schon fertig, aber Sakura hatte sich daran gewöhnt, dass ihre Reitern mehr Zeit brachte. Durch das Metallding war sie ja sehr viel kleiner als zuvor.
Vollkommen ohne Kyles Hilfe, sondern nur, indem sie sich auf einen erhöhten Punkt setzte und Sakura mit Schnalzlauten zu sich dirigierte, gelangte Amelie auf die grobe Decke. Ohne den neuen Sattel saß sie gleich viel unsicherer: Ihre Beine hingen lose zu beiden Seite von Sakura, und auch der durchgestreckte Rücken hatte nicht mehr die Kraft von einst. Sakura spürte, wie Amelie schwankte und sich am Riemen festhielt. Sie spürte, wie Amelie in der Hüfte vor und zurück kippte.
Sakura folgte Kyle mit langsamen,gemessenen Schritten. Sie spielte dabei nervös mit den Ohren, denn sie konnte die Unsicherheit ihrer Reiterin wahrnehmen.
Es ging im Schritt vom Hof herunter, in den Wald hinein. Doch es blieb beim Schritt, und bald trottete Sakura gemütlich neben Echo, versuchte hie und da an einem Strauch zu knabbern und lauschte halb dem Gespräch der beiden Reiter.
„Aber du machst große Fortschritte“, sagte Kyle eben auf einen leisen Zweifel von Amelie. „Sieh dich doch an: Du sitzt auf der Decke, als wäre nichts gewesen!“
„Nein, das stimmt nicht“, sagte Amelie ernst. „Früher wäre ich ohne Probleme in den Galopp übergegangen.“
Sakura wippte mit dem Kopf. Daran erinnerte sie sich noch gut: Ein Galopp ohne Sattel war – mit einer Reiterin wie Amelie damals gewesen war – eine wahre Freude!
„Aber heute – ich würde mich einen Galopp nicht trauen. Und auch sonst will ich mich nichts mehr trauen.“
„Ich weiß“, sagte Kyle. „Genau darüber wollte ich mit dir reden. Ich möchte, dass du an einem Turnier teilnimmst.“
„Ein Turnier?“, auf Sakuras Rücken versteifte sich Amelie.
„Ja, ein Turnier. Ich habe mich informiert. Es ist ein Querfeldein-Rennen. Sakura ist dafür bestens trainiert.“
„Aber …“, Amelies Hände krampften sich um die Zügel, zogen an Sakuras Mundwinkeln. Sie blieb stehen, und Kyle hielt Echo an.
„Aber ich will bei keinem Rennen mitmachen. Schon allein dieses ganze Gerede von wegen die Beste sein – das liegt mir nicht! Und ich … wenn ich einen Unfall habe, dann werde ich im Sattel festgebunden sein. Was, wenn Sakura in Panik gerät, wenn ich in Panik gerate … Kyle, ich kann nicht!“
„Du kannst“, beharrte Kyle. „Und ich denke, du musst sogar. Du bist nach dem Unfall vorsichtiger geworden. Das ist gut. Aber du darfst nicht zu vorsichtig sein, und nicht so bleiben. Ihr beide sollt etwas wagen, und ihr sollt sehen, dass ihr dieses Hindernis überwindet.“
„Nein!“, Amelie schüttelte den Kopf so heftig, dass sogar die Decke auf Sakuras Rücken verrutschte.
„Ihr sollt nicht gewinnen. Ihr sollt nur zeigen, dass ihr ein Turnier bestehen könnt“, sagte Kyle ruhig.
„Nein! Ich werde das nicht machen!“, rief Amelie aus. Sakura schüttelte die Mähne. Amelie überwand ihren Ärger mit einem Kichern: „Und Sakura möchte auch nicht, siehst du, Kyle?“
Das überraschte Sakura. Wann hatte sie gesagt, dass sie kein Turnier machen wollte? Aber sie hatte wirklich keine Lust und konnte ihrer Reiterin nur zustimmen. Die Rennen Querfeldein waren gefährlich!
„Nun, ich werde euch nicht zwingen“, meinte Kyle besänftigter.
Echo warf einen Blick auf Sakura, der ein wenig an den hochmütigen Rocket erinnerte.
Du hast Angst?, fragte dieser Blick.
Sakura senkte den Kopf: Ja. Ich habe Angst.
Sie wurden wieder angetrieben und gingen nebeneinander.
Angst ist eine gefährliche Krankheit, teilte Echo ihr mit. Du musst die Angst irgendwann überwinden.
Nicht so, sagte Sakura. Nicht so.