„Hey, alles ist gut. Komm her, dir ist sicher kalt.“, meinte sein Trainer und brachte ihm eine Jacke. Ein rote Einsatzjacke vom DLRG.
„Dank, nein. Es geht schon.“, antwortete Alex und versuchte sich zu beherrschen, was ihm misslang.
„Bitte lass mich mal alleine. Ich habe die Sachen schon gepackt.“, meinte er, zwischen zwei Schluchzern, „Morgen kaufe ich mir ein Ticket und nehme die Bahn nach Hause.
Eine zweite Person trat hinzu. Sie hatte eine lila Jacke an, die aber auch die silbernen Reflektoren wie bei den Rettungsdiensten hatte. Auf dem Rückenschild stand Notfallseelsorger.
„Hey, alles ist gut. Du lebst und du hast ein Leben gerettet. Alles ist gut. Warum zweifelst du an dir?“, fragte sie sanft.
„Ich will nicht mit ihnen reden. Meine Probleme gehen Sie nichts an.“, meinte Alex während er weinte.
„Du kannst mir vertrauen. Ich bin Anika Deventa. Du kannst mich ruhig Anika nennen.“, meinte sie sanft, fast mütterlich.
„Nein, ich möchte nicht mit Ihnen reden.“, meinte Alex laut, „Ich will einfach meine Ruhe und den letzten Abend genießen.“
„Hör mir bitte nur kurz zu. Ich kann dir helfen. Alles ist gut. Du hast richtig gehandelt.“, meinte sie tröstend, „Du bist ein Held.“
„Aber fast Tot. Ich hätte ihr nicht mehr helfen können, nicht mehr auf Sie aufpassen können.“, meinte er schluchzend.
„Aber du bist doch ein guter Schwimmer und du hast dich doch abgesichert, dass deine Kammeraden dich retten.“
„Aber es hätte zu spät sein können. Dann hätten die die Statistik umschreiben müssen 1).“, presste er hervor.
„Alles ist gut. Schau, deine Kammeraden haben zu dir gehalten, in der angespannten Situation, als du in dem Fluss warst. Sie haben auch dich gerettet, obwohl du waghalsig gehandelt hast. Willst du das alles über Bord werfen, und sie im Stich lassen?“, fragte sanft die Seelsorgerin.
„Ich muss ja. Ich bin kein Retter mehr. Ich weiß nicht, warum ich das je gemacht habe.“, fragte Alex.
„Weil du Spaß an der Sache hast? Weil du die Motivation hast, anderen zu helfen? Weil du ganz in dem Wasserretter aufgehst und weil du alles dransetzt um zu helfen, Leben zu schenken? Weil du nicht darauf achtest, ob die Person, deutsch oder ausländisch ist, ob sie farbig oder weiß ist, ob sie eine Frau, ein Mann oder Kind ist?“, munterte die Seelsorgerin ihn auf.
„Ja?“, fragte er unter Tränen.
„Ja. Komm zu mir. Dir ist sicher kalt.“, meinte die Seelsorgerin und drückte ihn.
„Glaube an dich. Du hast alles richtig gemacht. Und du hast gelernt. Und du musst nur noch die richtige Entscheidung fällen.“
„Die habe ich. Ich gehe. Danke für deine Unterstützung.“, meinte Alex und wendete sich ab. Und ging langsam das Kiesbett entlang.
„Dann wirst du nie zufrieden sein. Du wirst immer ein schlechtes Gewissen haben. Du könntest dich nicht mehr bedanken, deinen Kammeraden ein zweites Leben schenken.“, meinte die Notfallseelsorgerin. Sie war im Kiesbett stehen geblieben. Der Fluss rauschte sanft. Es war inzwischen dunkel geworden. Alex fror.
„Kann ich bleiben? Nur noch morgen? Nur noch den einen letzten Tag?“, fragte Alex seinen Trainer Engo.
„Ja klar. Ich habe dich nicht abgemeldet.“, antwortete dieser ruhig und fürsorglich.
„Du kannst was. Glaub an dich. Du bist ein guter Retter. Du hast immer souverän und zuverlässig gearbeitet.“, meinte dieser anerkennend, „Hier deine Jacke.“
Er half Alex in die rote Einsatzjacke. Gemeinsam gingen sie zurück zum Zelt. Sie betraten es. Alle standen wieder auf, machten ihm Platz.
„Liebe Kameradinnen und Kammeraden, Danke dafür, dass ihr mich habt begleitet in den schwersten Stunden meines Lebens. Danke dass ihr mir das Leben geschenkt habt, danke, dass ihr mich akzeptiert, so schwach wie ich bin.“, meinte er als er sich vorne auf eine Bank gestellt hatte, eine Träne lief ihm die Wange herunter, „Danke dass ihr mir in der schweren Stunde zur Seite gestanden habt.“
Hey Livia, ich komme morgen doch nicht mit der Bahn, schrieb kurz darauf Alex Livia. Auch wenn es schon weit nach Mitternacht war, antwortete sie kurz darauf mit: Ich hätte dich auch nicht abgeholt. Und dazu ein Smiley, der ein Herzchen küsste.
1)Alex meint die aktuelle Statistik (Sommerbilanz 2016), die zeigt, dass insgesamt 393 Menschen ertrunken sind, davon 322 in Binnengewässern, 182 in Flüssen, 14 am Meer, 16 im Schwimmbad, 41 im Hafenbecken und 52 Flüchtlinge.