Corey ging langsam in die Hocke, warf einen Blick über die Schulter und fing Shanes erwartungsvollen Blick auf. Sie legte langsam einen Finger an die Lippen und drehte sich wieder nach vorn. Konzentriert sah sie durch die Blätter und wartete. Sie spürte Shane dicht hinter sich, der ihnen den Rücken sicherte, doch sie hatte auch die Gegenwart eines anderen, nicht weit vor ihnen, wahrgenommen.
Es dauerte nicht lange und ihr Gefühl bestätigte sich. Ein Schatten bewegte sich zwischen dem Geäst. Tatsächlich schlich noch jemand durch den Wald, gewahr der Gefahr, angesichts der achtsamen Bewegungen. Aufgeregt biss Corey sich auf die Unterlippe und zog den Kopf zwischen die Schultern, um sich so klein und unscheinbar wie möglich zu machen, während der Schatten zu einer schlanken Gestalt, mit aschblondem Schopf wurde, die, sich immer wieder umsehend, sichtlich beunruhigt, und doch fast ohne einen Laut zu verursachen, zwischen Bäumen und Gestrüpp hindurch, in Coreys Sichtfeld trat. Carolin.
Beim Anblick ihrer Beute, erschien ein Lächeln auf Coreys Gesicht und ihre Hände kribbelten. Das fremde Mädchen lief wie auf heißen Kohlen und warf, zu Coreys Überraschung, auch immer wieder suchende Blicke nach oben, in die Bäume. Auf ihrer Stirn glänzte Schweiß und dunkle Strähnen, die sich aus ihrem geflochtenen Zopf gelöst hatten, klebten an ihrer Haut im Nacken und am Hals. Sie hielt ihr Messer so fest in der Hand, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten.
Corey machte sich bereit zum Angriff, als sie etwas zögern und inne halten ließ. Gerade rechtzeitig, um den verräterischen Laut hören zu können, kurz bevor jemand die Luft anhielt. Sie drehte den Kopf zur Seit, sah eine weitere schattenhafte Bewegung aus dem Augenwinkel und ein Sekundenbruchteil später flog etwas an ihr vorbei, und hinterließ einen scharfen Schmerz an ihrer Wange und ihrem Ohr statt sich zwischen ihre Augen zu bohren. Instinktiv ließ sie sich zur Seite fallen und entging knapp einem zweiten Messer. Sie rollte sich auf den Bauch und sprang auf. Haken schlagend stürzte sie auf Carolin zu, die nicht im Mindesten von der Situation überrascht schien und bereits ein selbst ein Messer gezogen hatte, um es nach ihr zu werfen. Doch Corey warf sich bereits auf das Mädchen, bevor das Messer seine Hand verlassen konnte, und riss sie mit sich zu Boden.
Corey griff nach den Handgelenken des Mädchens, das in jeder Hand ein Messer hielt. Sie versuchte die Arme lange und soweit wie möglich vom Körper weg zu halten und mit den Daumen auf ihren Puls drücken, damit sich Carolins Finger durch Blutmangel öffneten und ihr die Waffen entglitten. Doch ihre Gegnerin war zäh und rammte ihr Knie so fest in Corey Unterleib, dass sie zusehen musste nicht selbst die Fäuste zu öffnen. Der Hieb trieb ihr die Luft aus den Lungen und ihre Carolin nutzte die Schwäche, um Corey auf den Rücken zurollen. Brust an Brust, rangen die jungen Frauen verbissen miteinander, sich dessen bewusst, dass es um nicht weniger als das Leben selbst ging.
Zähnefletschend nahm Corey Schwung und ließ ihren Kopf gegen Carolins Gesicht krachen. Knirschend brach die Nase des blonden Mädchen und Blut sprudelte hervor, spritzte Corey ins Gesicht und vermischte sich mit ihrem eignen, das ihre Wange hinab rann und ihr Ohr verklebte. Sie hakte ihr Bein zwischen die ihrer Gegnerin, drückte ihren Rücken durch, ihr Becken hoch und rammte sich mit aller Kraft gegen ihre Konkurrentin. Corey erlangte die obere Position zurück, doch auch Carolin ließ nicht locker. Sie zappelte und wandte hartnäckig ihre Hände in Corey eisernem Griff, um endlich auf sie einstechen zu können. Auf dem Boden herumrutschend gingen Corey langsam die Ideen aus. Die Nehmerqualitäten ihrer Gegnerin waren bemerkenswert und verlangten dem brünetten Mädchen einen gewissen Respekt ab.
„Nicht schlecht, Caro“, zischte sie provozierend. „Hast du die Ausdauer in dieser Position zwischen den Laken trainiert?“
Carolin knurrte, doch das Geräusch verwandelte sich in ein hässliches, gurgelndes Lachen. „Immerhin kann ich dem Mann zwischen meinen Laken ins Gesicht sehen. Hab gehört, du wirst nur in aller Heimlichkeit und von hinten gefickt.“
Corey Grinsen verschwand schlagartig. Ein roter Schleier senkte sich wie Nebel über ihre Augen. Sie öffnete den Mund wie zu einen Schrei, ihre Lippen zogen sich beben zurück und sie stieß zu. Sie trieb ihre Zähne wie Klauen in den Hals des Mädchens unter sich. Carolin schrie gellend auf, doch Corey hört nur dröhnendes, pochendes Rauschen. Sie riss an der empfindlichen Haut, bis ihre Mundhöhle sich mit salzig metallischer Flüssigkeit füllte, ihr aus den Mundwinkeln und über das Kinn ran. Carolin strampelte und kreischte vor Panik, doch selbst mit der schier übermenschlichen Kraft, mit der Menschen in Todesangst ausgestattet waren, kam sie nicht gegen den Hass an, den sie in Corey geweckte hatte und sie nun verschlang.
Mit einem tiefen kehligen Laut, hob sie, die Zähne noch immer fest im Hals ihres Opfer, langsam aber beharrlich den Kopf. Carolin folgte der Bewegung, soweit es sie konnte, doch eine kalte Hand drückte ihren Kopf unerbittlich zurück auf die Erde. Sie zermalmte Sehnen und Muskelgewebe, während das Kreischen anhielt und immer schriller und qualvoller wurde. Mit einem schmatzenden Geräusch biss Corey ein großes Stück aus Carolins Hals heraus. Würgend spie sie es dem Mädchen ins Gesicht, das ihr entgeistert in die Augen sah. Corey beobachtete apathisch, wie der Glanz in Caros Augen verblasste, während es krampfend zuckte. Blut tropfte von ihrem Kinn, während der rote Nebel in ihrem Kopf sich wieder lichtete.
Sie stand auf und trat ein paar Schritte zurück. Der Blick ihres vierten Opfers schien sie zu verfolgen und Corey konnte die Augen nicht abwenden. Caros und ihr eigenes Blut hatte ihre gesamte Kleidung besudelt, ihr einst weißes Nachthemd durchtränkt und ihre Haare verklebt. Nach einer gefühlten Ewigkeit blinzelte sie und wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht und ihre brennenden Augen.
Sie atmete ein. Und fühlte nichts. Ihr Gewissen schwieg. Endlich. Sie hatte es nicht bereut Noël, Daryna und Jiri getötet zu haben, doch abgesehen, von Carolins Worten und was sie in ihr ausgelöst hatten, war ihr dieses Mal irgendwie leichter zumute.
Sie hatte keine Ahnung wie viel Zeit vergangen war und sah sich orientierungslos um.
Der andere Schatten. Die Erinnerung traf sie wie ein Schlag auf den Hinterkopf. Caro war nicht allein gewesen und trotzdem ist sie nicht von einem zweiten Gegner attackiert worden.
Die Wurfmesser. Woher kamen die? Sie wandte sich um, suchte nach dem Gebüsch, aus dem sie Carolin angesprungen hatte, doch alles sah gleich aus. Wild sah sich um. Etwas fehlte. Irgendetwas fehlte, doch sie kam nicht darauf. Beruhig dich! Wenn er noch da wär, hättest du schon ein Messer in der Brust.
Sie heftete den Blick auf den Boden, und suchte nach einer Blutspur. Das erste Wurfmesser hatte sie verletzt und sie hatte sich über den Boden abgerollt, um weiteren Angriffen auszuweichen. Sie musste ihre eigenen Spuren finden. Sondierend zirkelte sie um den Kampfplatz, der zum Grab einer weiteren Rivalin geworden war, bis sie platt gedrückte Gräser und umgeknickte niedrige Sträucher ausmachte. Und ein kleines Messer, das nicht weit entfernt in der Erde stecken geblieben war. Sie hockte sich vor das Messer, den Blick in die Richtung, in der schmale Griff zeigte. Sie konnte keine sichtbare Schneise im Wald ausmachen oder einen besonderen Ort, von dem das Messer besonders gut geworfen worden sein könnte.
Entschlossen zog sie es aus dem Boden, behielt es in der Hand und ging mit gebeugten Knien und leicht geduckt, aber zügig los. Alles fühlte sich nass und klebrig an. Sie hatte das dringende Bedürfnis sich zu waschen, doch sie wollte ihr Wasser nicht verschwenden. Im Gehen zog sie die Blase aus dem Gürtel und nahm einen Schluck, um sich den Mund auszuspülen. Sie spuckte das Wasser aus, das rot und schaumig im Waldboden versickerte. Ungerührt nahm sie einen weiteren Hieb aus dem Schlauch und schluckt das Wasser dieses Mal. Sie hatte bis dahin gar nicht gemerkt wie durstig sie war.
Mit schwindendem Adrenalin kamen die Geräusche des Waldes zu ihr zurück. Und weitere. Ein gedämpftes Klatschen und Klopfen. Sie bewegte sich von Baum zu Baum und späte erst um sie herum, bevor sie zur nächsten Deckung huschte. Das Pochen wurde deutlicher und als sie um eine alte Hainbuche spähte, sah sie zwei Männer, vertieft in einen heftigen Faustkampf.
Erschrocken, über die Szene, deren Zeuge sie wurde und mehr noch über sich selbst, stockte ihr der Atem. Shane! Sie hatte ihn völlig vergessen. Und dabei schien er diesmal ihr den Arsch gerettet zu haben. Corey konnte nicht erkennen, gegen wen er kämpfte, doch er machte keine schlechte Figur dabei. Trotzdem konnte sie diesen Kampf nicht weiter erlauben. Shane hatte den Unbekannten lange genug gebunden und abgelenkt. Es war an ihr, dem ein Ende zu setzen. Ihre Aufgabe. Ihre Pflicht.
Nicht länger darum bemüht, ungesehen zu bleiben, lief sie gezielt auf die beiden zu, und kam wenige Meter hinter Shane zum Stehen, als er einen saftigen Hieb in die Magengrube kassierte und sich zusammen krümmte. Als sein hochgewachsener, stämmiger Gegner sie entdeckte, erstarrte er entgeistert. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht.
„Sam, hi!“, begrüßte sie ihn gespielt fröhlich.
Auch Shane drehte sich beim Klang ihrer Stimme um. Seine Augen weiteten sich bei ihrem Anblick.
„Hey Shane, bist du okay?“ Sie klang nicht sonderlich besorgt. Er nickte langsam und sah sie ebenfalls an, als wäre sie ein Geist. oder schlimmeres.
„Und… du?“, fragte er unsicher.
„Bestens.“ Sie wandte sich Samuel zu, der sich langsam rückwärts entfernte. „Und gleich geht’s mir noch besser.“
Ihre Hand schloss sich fester um das zarte Wurfmesser. Samuel schluckte und sie sah seinen Adamsapfel hüpfen.
„Da sind sie!“, rief jemand laut. „Los, schnappt sie. Sam, halt sie auf!“
Überrascht drehten sich alle drei um. Vier junge Menschen rannten durch die Bäume auf sie zu. Gerrit, Alex, Yasha und Filipa.
„FUCK!“, keuchte Corey. „Shane, lauf!“, schrie sie ihm zu, verpasste dem immer noch völlig überrumpelten Sam einen harten Schlag auf den Kehlkopf und rannte los.