Am ersten Oktober hatte ich gleich das Glück, eine Glasschale mit Yoghurt in meinem Rucksack zu zerbrechen und mich am Glas zu schneiden, später dann auch noch beim Rasieren. Ich würde mich vor meinem morgigen sechzehnten Geburtstag noch selbst zerstören.
Mein Geburtstag war wirklich schön. Ich hatte mich zwar nicht allzu sehr darauf gefreut, aber das zeigte mir mal wieder, dass ich eine tolle Familie und die besten Freunde habe. Das Peinliche war, dass Mama so komische Fragen über Luke gestellt hat. Am vorigen Tag meinte sie noch, dass ich mich freuen soll, da »morgen vielleicht noch ein Päckchen von [m]einem Jugendfreund kommt.« Beinahe wäre ich in hysterisches Gelächter ausgebrochen. Umso überraschter war ich, dass er überhaupt daran gedacht hat. Als ich seine Nachricht sah, hätte ich erneut fast losgelacht. Aber wir schrieben daraufhin sogar mal mehr als nur zwei Nachrichten. Dass ich ihm vor paar Tagen alles sagte, was wichtig war, und was mich verunsicherte, ignorierte er ostentativ. Er meinte nur, er hätte noch Hoffnung. Na toll. Das hätte man auch nicht mal eher sagen können. Aber wie dem auch sei, ich war jedenfalls positiv überrascht.
Dann fing er auch noch an, wie meine Mutter zu reden, von wegen, dass es ja mein Geburtstag sei und dass das nur einmal im Jahr passiert und dass ich den Tag genießen soll und blabla. Und anschließend fragte er auch noch, ob er was für mich tun könne. Na klar! Nun wurde ihm bewusst, dass wir vielleicht mal reden sollten, da ich ja dann für zwei Wochen nicht erreichbar sein würde. Weil ich ja auch so gern mit ihm reden wollte. Er war krank, aß nichts und sollte gefälligst schlafen. Dann wollte er bitte nach England reden. Als ob ihm das so wichtig wäre. Außerdem würde das sowieso nichts, da ich gleich den Tag darauf nach Mallorca flog und nur ein paar Stunden zuhause hatte, bis mich mein Opa zu sich nehmen würde, da er näher am Flughafen wohnt. So ein bisschen Genugtuung verspürte ich schon, als ich ihm mitteilte, dass ich das nicht versprechen könne, weil. Wenigstens vermisse er mich auch. Konjunktiv, ich liebe dich. Irgendwie schreibe ich Luke viel zu oft, dass ich ihn liebe, obwohl ich weiß, dass da nichts zurückkommt. Aber ich muss mir das dauernd ins Gedächtnis rufen.
Da fällt mir ein, dass es paar Tage zuvor in Sport so einen Moment gab, in dem ich mich vor einer Freundin total über Luke aufgeregt hatte und sie meinte, dass man total merke, dass ich ihn liebe. Dann ist mir die Kinnlade heruntergeklappt. Woran merkt man das bitte? Sie war die Dritte, die das zu mir sagte!
Ich verbrachte zehn Tage in England, die wirklich sehr sehr schön waren, und in denen ich mal wieder feststellte, dass Städte, insbesondere London, echt nicht meins sind. Wie unser Englischlehrer Mike meinte: »It's dirty, it's smelly and there are lots of people.« Gewisse italienische Eisverkäufer haben mit mir geflirtet, und ich war in den halbnackten Untermieter unserer Gastmutter hineingerannt, kurzum: Es war wundervoll. Auch wenn ich mich jedes Mal auf deutsche Duschen freue. Ein weiterer Vorteil vom Reisen: Man lernt zu schätzen, was man hat. Aber allzu lange konnte ich die Begebenheiten zu Hause nicht bewundern, denn mein Opa holte mich nach ein paar Stunden wieder ab. Ich versicherte mich, dass Luke noch am Leben war und brach dann nach Palma de Mallorca auf, wo mich meine Eltern am Flughafen abholen sollten.
Auch auf Mallorca brachte ich wunderschöne zehn Tage zu. Dennoch, mein eigenes Bett war eben mein bester Freund. Ich setzte Luke darüber in Kenntnis, dass ich wieder da sei und wir so schnell wie möglich reden müssten. Ich glaubte ja selbst nicht daran, aber einen Versuch war es wert. Zugegebenermaßen missglückte dieser, aber nun ja. Ich fragte Luke, weshalb er eigentlich mit mir zusammen wäre, und er meinte, ich wüsste es. Aha. Vielleicht hatte ich es ja vergessen. Irgendwie kam es dann dazu, dass er ohne darüber nachzudenken nicht wusste, warum er mit mir geschlafen hatte. Erniedrigend. Ich wusste, ich hätte es nicht fragen sollen. Ich war so dämlich. Das war ein Schlag ins Gesicht. Hätte ich doch bloß nicht mit ihm geschlafen. Das Ding war ja, dass ich es ihm nicht übel nehmen durfte, weil es ihm schlecht ging. Ich antwortete vorsichtshalber nichts, sonst wäre ich nur böse geworden. Vielleicht fiel mir ja noch eine adäquate Antwort ein, aber zunächst war ich sprachlos. Was dazu führte, dass ich am nächsten Morgen eine Nachricht von ihm bekam, in der stand, dass er alles, was er sagt und tut, falsch mache. Das Ganze war ein einziges Desaster. Wenn wirklich etwas passieren würde, ich bekäme es nicht mit. Was auch der Grund war, weswegen ich mit den Nerven so oft am Ende war.
Irgendwann teilte mir Luke mit, dass er das Studium abbrechen werde, da er es nicht schaffe. Allerdings konnte ich mich darauf kaum konzentrieren, da ich eine kleine Existenzkrise hatte. Davon abgesehen war ich so abgrundtief traurig über diese ganze Misere, dass ich schon nicht mal mehr weinen konnte. Es war genau wie vor einem Jahr. Manchmal hätte ich ihn gern vor die Wahl gestellt: entweder er sagt mir, was das hier wird, oder es ist vorbei. Emotional und nervlich würde ich das nicht mehr lange mitmachen können.