Nachdem Church geschworen hatte an Cash Bett die Stellung zu halten vertrat Shanora sich nach drei Tagen das erste Mal draußen die Beine. Sie spazierte durch das Ilks im Wiederaufbau, es gefiel ihr, wie alle sich gegenseitig unterstützten. Jeder schien daran interessiert zu sein, dass es schnell voranging und alle wieder ein schönes Zuhause hatten. Schlimme Zeiten konnten auch das beste in den Menschen hervorbringen. Sie ging weiter in den Wald, vorbei an der kleinen Hütte, in der sie übernachtet hatte.
Was für eine Ironie, da hatte sie noch gedacht, dass sie Cashs Verletzung gut kuriert hätte. Aber sie war einfach nicht Allister, ihre Fähigkeiten waren vielleicht auch gar nicht auf die Heilung anderer ausgelegt. Als sie zu einem kleinen Bach kam verharrte sie und legte sich in das weiche Gras um dem Plätschern zu lauschen.Es dauerte nicht lange, bis sie friedlich einschlief.
Als die Sonnenstrahlen Shanoras Gesicht wärmten, öffnete sie die Augen. Sie konnte den Bach hinter sich hören, vor ihr saß der Rabe. Langsam erhob sie sich und streckte sich. Außer einem Muskelkater schien sie aber keine Schäden davon getragen zu haben. Warum war er hier? Und warum lebte sie noch?
„Warum hast du zugelassen das Claude den Nordmann tötet?“, Shanora wusste, dass er hinter ihr stand, sie konnte, auch wenn er sich extrem schnell bewegte seinen Atem hören.
„Weil es das ist was wir machen, Shanora“, wisperte er, „wir sind Assassinen, wir töten Menschen. Auf Norbert den Nordmann ist ein hohes Kopfgeld ausgesetzt, Claude ist mir bis heute böse, dass ich seinen Körper zurückgelassen habe! Wir sind böse Kreaturen!“
Shanora schüttelte den Kopf: „Das ist nicht wahr, der perverse Typ vielleicht, aber du – du nicht!“ Ihre Stimme klang so eindringlich, bis ihrer Kehle die Luft abgeschnürt wurde. Seine Hand um ihren Hals und dann der Rest von ihm manifestierte sich aus schwarzem Rauch.
„Was denkst du, was ich bin?“, knurrte er, seine Stimme klang nun nicht mehr monoton, sondern wütend.
Shanora packte seine Hände: „Lass mich los!“, keuchte sie, er schleuderte sie zurück, sodass sie hart auf dem Rücken aufschlug. Langsam richtete sie sich wieder auf und rieb sich ihre Schulter.
„Du bist kein Monster, Deseis“, Shanora erwiderte seinen intensiven Blick und blieb hart, „du bist gütig, sonst hättest du mich in Schwarzwasser meinem Schicksal überlassen. Oder Lillet damals! Aber du warst plötzlich da um mich zu retten. Weißt du, ich habe gelernt das wir alle nicht das sein müssen als das wir geboren wurden!“
Blitzschnell erschien der Rabe vor ihr und verpasste ihr einen Schlag in die Magengrube der sie zusammensinken ließ.
„Ich weiß nicht woher du all diese Namen kennst, aber wage es nie wieder sie in den Mund zu nehmen!“, zischte er ihr ins Ohr, dann war er verschwunden. Shanora rieb sich den Bauch und richtete sich wieder auf.
"Gut für ihn!", Church hatte sich von hinten genähert, unzählige Fäden waren aus seinem Körper hervorgekommen. Das erklärte das plötzliche Verschwinden des Raben. "Ich frage mich, was er eigentlich wollte!", Shanora betrachtete Churchs Augen. Sie schienen schwärzer zu sein als sonst. Noch tiefer und dunkler. Und die Pupille seines linken Auges war größer, sie füllte beinahe das ganze sichtbare Auge aus.
"Ich bin froh das dein junger Freund gerade jetzt aufgewacht ist! Darum habe ich dich eigentlich gesucht!", Churchs Fäden verschwanden und auch sein Auge normalisierte sich.
"Er ist wach? Und du lässt ihn einfach alleine?", Shanora setzte sich sofort in Bewegung.
Church seufzte: "Wenn ich nicht Bescheid gesagt hätte, dann wäre es auch nicht okay gewesen, oder?"
Shanora nickte: "Stimmt! Egal, lass uns schnell zurückgehen!"
Church folgte ihr bis direkt vors Krankenhaus, dann blieb er stehen: "Marbas ist wieder da, ich muss den Körper des Nordmannes finden!"
Shanora runzelte die Stirn: "Finden? Wie kann ein toter Körper verschwinden?"
Church zuckte mit den Schultern: "Ich weiß nicht, Marbas hat ihn nicht gefunden, ich sehe selbst nach... Shanora!"
Sie drehte sich noch einmal um, war schon dabei ins Krankenhaus zu gehen.
Church seufzte laut: "Ich denke er kann sich noch nicht an alles erinnern, er fragt nach Norbert!"
Churchs Worte hatten Shanoras Freude über Cashs erwachen getrübt. Nur ungern überbrachte sie ihm jetzt die Nachricht von Norberts Ableben. Schnell legte sie den Weg zu seinem Zimmer zurück, sie wurde noch schneller als sie lautes Krachen und Schreie hörte. Marbas lehnte trotz des Lärms lässig an der wieder verschlossenen Türe.
"Was ist los?", fragte Shanora außer Atem.
"Kein Plan, der Junge dreht total durch, damit kann ich nicht arbeiten!", Marbas ließ sie vorbei. Shanora erkannte sofort, was den Lärm verursacht hatte.
Cash hatte die Stühle und den Tisch gegen die Wand geworfen. Als er sich selbst von der Infusion befreit hatte, war der Wagen, an dem sie hing umgekippt. Nun schlug er aufgelöst gegen das EKG Gerät, das den Dienst schon quittiert hatte. Auch wenn der Anblick des jungen Mannes, in dem hellblauen Krankenhausgewand, wie er randalierte, sie verstörte - sie konnte seine Gefühle nachvollziehen.
"Denkst du es erweckt Norbert wieder zum Leben wenn du das EKG schlägst?", fragte sie deswegen mit strengem Ton.
"Was weißt du schon?", schrie er sie an. Wie erwartet, jetzt richtete seine blinde Wut sich gegen sie.
"Ich weiß wie du dich gerade fühlst!", rief sie aus und ließ sich nicht von seinem Getobe beeindrucken.
Cash versetzte dem EKG hinter sich noch einen Schlag: "Du weißt gar nichts! Deine Freunde laufen hier zahlreich herum. Und du hast sicher Mommy und Daddy daheim die auf dich warten!"
Shanoras Blick verhärtete sich: "Denkst du? Es gab immer nur mich und meinen Bruder! Unsere Eltern sind tot, viele meiner Freunde sind tot und mein Bruder ist dem Tod gerade näher als dem Leben! Glaub mir, ich weiß wie alleine, verzweifelt und wütend man sich da fühlt!"
Cash starrte sie überrascht an, damit hatte er wohl nicht gerechnet. Er ließ seine Fäuste sinken und setzte sich zurück auf sein Bett: "Es tut mir leid, ich war nur so... Wütend..."
Shanora setzte sich zu ihm: "Ich weiß! Aber du musst versuchen einen kühlen Kopf zu bewahren..."
"Sie kann gut mit dem Jungen umgehen!", Marbas lehnte die Türe zu dem Krankenzimmer langsam an.
"Ich weiß, aber wir müssen ihn so schnell wie möglich über alles aufklären. Bevor uns jemand zuvor kommt!", Church rieb sich beunruhigt die Arme. "Du hast da draußen nichts gefunden, oder?", fragte Marbas besorgt.
"Nein, nichts als Blut und verdorrtes Gras!", Church schien angestrengt zu überlegen, "Wenn er den Körper des Nordmanns hat... Dann hat er damit ein Druckmittel um den Jungen zu sich zu locken!"
Marbas schauderte bei dem Gedanken: "Er hat auch den Raben mit demselben Trick unter Kontrolle gebracht! Denkst du wird es so auch wieder funktionieren?"
Church zuckte mit den Schultern: "Vielleicht kann man es dem Jungen erklären! Aber ob er uns glauben wird... Außerdem hat dieser Rabe irgendein Interesse an Shanora!"
Marbas wirkte überrascht: "Wie kommst du darauf?"
Church strich sich eine Strähne seines Haars aus dem Gesicht: "Er hat sie aufgesucht... Ich bin nicht sicher, ob das nicht in friedlicher Absicht geschah!"
Marbas runzelte die Stirn: "Denkst du kann sie ihn zu einem Verbündeten machen?"
Die Türe schwang auf und Shanora merkte sofort, dass sie ein wichtiges Gespräch unterbrochen hatte.
"Was ist los?", wollte sie wissen, Church und Marbas warfen sich verdächtige Blicke zu.
"Ich konnte die Leiche des Nordmannes nicht finden, jemand hat sie mitgenommen!", erklärte Church dann.
"Was? Oh nein, wer macht den sowas?", Shanora verzog angewidert das Gesicht, "Halt, der Rabe und sein Komplize nicht, der Rabe sagte mir sie hätten immer noch Streit, weil sie die Leiche nicht bekommen haben!"
Church seufzte, also würde es keinen Sinn machen wenn er den Raben verfolgte, er hatte den Leichnam nicht.
Shanora wurde kreidebleich, sie schlug die Hände vor dem Mund zusammen.
"Was hast du?", fragte Marbas besorgt, auch Church musterte sie verwirrt.
"Norbert hatte einen Brief bei sich... Von Cashs Mutter! Sie schreibt darin, dass er der Sohn des Dunklen ist!", Shanora atmete tief ein und aus um sich zu beruhigen.
Church seufzte diesmal richtig genervt: "Na toll, also wer auch immer den Leichnam hat weiß darüber Bescheid!"
Shanora merkte wie ihr schwindlig wurde, ihr Kopf begann schrecklich weh zu tun. Ihre Augen brannten und alles verschwamm, Church Marbas, der Gang...
Plötzlich sah sie die weißen Gemäuer des Schlosses in Yoricksstadt, der Himmel drüber war von schwarzen Wolken bedeckt, ein tosender Sturm ging über die Stadt nieder. Flammende Felsbrocken fielen nieder und verwandelten sich in riesige, brennende Höllenbestien, die sich daran machten, die Stadtmauer nieder zu reisen. Kreischer flogen über die Stadt und setzten die Wachen außer Gefecht. Die Armee aus Dämonen, die sie schon vor Osilia gesehen hatte, überflutete durch die Löcher in der Mauer die Stadt. Sie schlachteten alle ab niemand blieb am Leben, eine Schneise der Zerstörung zog sich bis zum Schloss.
Shanora sah König Liam verbittert kämpfen, Allister und Yalhan an seiner Seite. Aber auch sie konnten der Flut nicht standhalten, sie starben, wurden von unzähligen Schwertern durchbohrt.
Sie sah den Dunklen, in Finns Gemach, seine Stimme dröhnte durch ihren Kopf: "Endlich habe ich dich!"
Dann fuhr er mit der Macht des Nachtschattens in Finns Körper und riss ihm sein Herz heraus.
Church musterte Shanora, die er auf dem Sofa im Gang abgelegt hatte. Sie schien zu schlafen, aber er war kein Arzt, was konnte er schon sagen.
"Marbas!", er holte den wie immer sofort bereit stehenden Dämonen zu sich.
"Ja, was willst du tun?", fragte dieser und streckte sich gelangweilt.
"Wir müssen Allister holen!", Church deutete Marbas ihre Abreise vorzubereiten. Dann klopfte er an die vergitterte Türe und trat ein.
Cash lag auf seinem Bett und starrte die Wand an.
"Kannst du kurz auf Shanora aufpassen?", fragte er und versuchte nett zu klingen, "Sie braucht einen Arzt, ich werde mit Marbas einen geeigneten holen!"
Cash schwang sich auf: "Natürlich, aber was hat sie?"
Church seufzte: "Ich weiß es nicht, sie ist einfach zusammengebrochen! Sie schläft draußen auf dem Sofa, hab ein Auge auf sie!"
Cash nickte und machte sich sofort auf den Weg nach draußen: "Natürlich!"
Er fand Shanora eingerollt in einer Decke auf dem Sofa am gang. Sie schlief, aber ihre Gesichtszüge waren nicht gerade entspannt und verkrampften sich immer mehr. Schweiß lief über ihr Gesicht und sie murmelte unverständliche Sätze und ihm unbekannte Namen. Cash vermutete, dass sie einen Alptraum hatte, einen der übelsten Sorte. Er kannte das Gefühl in einem Traum gefangen zu sein, im Moment fühlte sein Leben sich wie ein Alptraum an.
Norbert hatte ihn immer geweckt, darum beschloss er dasselbe zu tun. "Shanora!", vorsichtig rüttelte er an ihrer Schulter und wiederholte ihren Namen.
Plötzlich schreckte sie hoch und setzte ich auf, Cash fiel überrascht selbst nach hinten und landete unsanft auf dem Rücken. Shanora schien immer noch befangen von ihrem Alptraum zu sein, sie begann zu weinen.
Cash war völlig überfordert, Norbert hatte ihm nach seinen Alpträumen immer auf die Schulter geklopft und ihn beruhigt.
Er nahm Shanora also schützend in den Arm und versuchte ihr dasselbe zu sagen wie Norbert ihm: "Alles ist gut, du bist wieder in der echten Welt, die Träume und Tricks von Loki können dir nicht hier her folgen!"
Wie dumm er sich dabei vorkam. Er glaubte nicht einmal an diese alten Götter.
"Sie sind alle tot...", flüsterte Shanora in seine Schulter, "Er hat sie alle getötet..." Cash könnte ihr Herz rasen spüren, was auch immer sie geträumt hatte musste sich real angefühlt haben. Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatte und friedlich einschlief.
Cash beschloss einfach auf dem Boden sitzen zu bleiben.
"Danke, das du auf sie aufgepasst hast!", eine glockenhelle, warme Stimme, in der auch ein wenig Arroganz mitschwang, ließ ihn schließlich wieder hoch schrecken. Die Aura dieses Mannes, nein, des Elfenmannes der ihm seine warme Hand entgegenstreckte, schien Cash Herz zu erwärmen. Er fühlte sich irgendwie erleichtert, ließ sich dankbar auf die Beine ziehen.
Der Elf mit dem langen, seidigen schwarzen Haar hatte goldene Augen und wirkte perfekt in seinem weißem, lockeren Leinenhemd und der schwarzen Hose.
"Starr ihn nicht so an, er weiß leider das er schön ist!", Church lehnte gelangweilt hinter ihnen an der Wand.
"Ich bin Allister!", stellte der Elf sich vor, "Du musst Cash sein, würde es dir etwas ausmachen mit mir zu kommen?"
Cash antwortete wie ferngesteuert: "Nein, natürlich nicht!"
Allister? Das war einer der Namen die Shanora in ihrem Alptraum geflüstert hatte. Der Elf beugte sich zu Shanora, dann hob er sie behutsam auf und folgte Church, der den Gang hinunterging. Cash begleitete ihn wie versprochen, durch die Anwesenheit des Elfen schien sich Shanora endgültig zu entspannen.
"Ich bin wohl der erste Elf den ihr seht, oder?", fragte Allister ihn.
"Ja, das ist richtig, mein Herr!", antwortete Cash, "Mein Ziehvater erzählte mir von den Kräften und der... Schönheit... der Elfen! Aber ich hatte noch nie die Ehre einen aus der Nähe zu betrachten!"
Allister lächelte: "Norbert, der Nordmann, war ein weiser Mann! Ich bedaure seinen Tod, aber nach all den Jahren, verloren, als letzter seiner Sippe... Er hat verdient in das Totenreich einzukehren, an das er glaubte!"
Cash nickte: "Das ist wohl richtig so! Also glauben die Elfen an Walhalla?"
Allister zog eine Braue hoch: "Ich zumindest denke, dass wenn er daran geglaubt hat, Hoffnung besteht das seine Seele mit seinen Vätern nun dort ist. Er hat viele Opfer gebracht. Zuletzt hat er sein Leben geopfert, um euch zu retten!"
Cash hatte seit Norberts Tod das erste mal das Gefühl frei über all, das reden zu können: "Opfer bringen! Ich fühle mich schlecht! Dieser gelbäugige Teufel! Wenn er mich nicht wie in meinen Alpträumen außer Gefecht gesetzt hätte..."
Allister unterbrach ihn: "Gib dir nicht die Schuld an dem was passierte! Ich kenne die Macht, die sich gegen euch gestellt hat. Sie lässt viele machtlos erscheinen, wenn wir es zulassen! Norbert hat dafür gekämpft, dass du eine Chance hast! Das Opfer, das du bringen musst, ist danach zu leben! Egal was man dir abverlangt!"