Unruhig zappelte ich mit den Armen und versuchte die beängstigende Geschwindigkeit zu reduzieren, doch es tat sich einfach nichts. Stattdessen spürte ich auf einmal Widerstand an meinem Rücken und machte mich auf höllische Schmerzen gefasst. Doch entgegen aller Erwartungen, landete ich weich in einem Stapel von Kissen und konnte aufatmen.
Erschrocken schreckte ich auf und befand mich plötzlich in der Senkrechten. Verdammt schnell verlor ich allerdings das Gleichgewicht und fiel mit dem Oberkörper wieder auf den weichen Untergrund.
Helles Licht drang schmerzhaft in meine Augen und ließ mich aufstöhnen.
„Sie kommt wieder zu sich, dann kann ich ja endlich verschwinden. Sie ist reine Zeitverschwendung! Wann verstehst du das endlich?“, hallte es in meinen Ohren und ließ mich aufmerksam werden.
„Sag mal geht’s noch?“, begann eine tiefe und ruhige Stimme, die schließlich von einem lautem Türknall unterbrochen wurde.
Mehr und mehr erkannte ich das vertraute Gesicht, das besorgt über mir lehnte. Leandro. Ich hatte es geschafft! Egal wie ich aus diesem eigenartigen Ort hatte fliehen können, ich hatte es geschafft und nun allen Grund Erleichterung spüren zu können. Ich kniff meine Augen zusammen, als ich den zerrenden Schmerz in meiner Schulter bemerkte. Was war passiert? Ich hatte ein totales Blackout. Ob ich etwas peinliches gesagt hatte?
„Wie geht es dir? Du hast ganz schön was abbekommen“, fragte er besorgt und rutschte auf dem Bett etwas näher an mich heran.
Ob ich wirklich gestorben war? Hatte er mich mit seiner Magie wieder zurückgeholt, in dem Moment wo ich den Stromschlag bekommen hatte? Panisch griff ich an meinen Hals und tastete nach zwei tiefen Einstichen. Beruhigt ließ ich meine Hand wieder fallen, als ich Nirgends blutige Löcher finden konnte.
„Weißt du noch was passiert ist?“
„Nein nicht wirklich?“, gab ich verlegen zu und vergrub mein Gesicht in eins der blauen Kissen. „Das hatte ich mir fast gedacht. Das ist oft eine der möglichen Nebenwirkungen“, entgegnete er mir zweifelnd und setzte wohl vor raus, dass ich wusste, warum er von Nebenwirkungen sprach. Etwa von dem blauen Zeug, was wir uns vorhin eingeflößt hatten?
„Nebenwirkungen? Von was denn?“, fragte ich erschrocken und setzte mich wieder aufrechter. Prüfend musterte ich meinen Körper unter der Decke und konnte erleichtert erkenne, dass alles wie zuvor war.
„Beruhig dich erst mal. Es ist alles gut“, entgegnete er sanft und rutschte noch etwas näher an mich heran, dass er nun seinen Arm um mich herum machen und ich mich anlehnen konnte. Eng drückte ich mich an seinen kalten Körper und atmete auf. Es war alles gut, richtig? Das was ich gesehen hatte, war nicht echt gewesen oder? Meiner Familie ging es gut? Wieder hatte sie mir nur einen Streich gespielt, um mich zu ängstigen oder? So musste es sein! Etwas anderes durfte einfach nicht wahr sein. Er war da und langsam wurde ich ruhiger. Wenn er in meiner Gegenwart war, dann konnte nur alles gut sein. Entspannt schloss ich die Augen und kuschelte mich an ihn heran. Sorgend strich er mir über den Rücken und gab mir einen Kuss auf den Kopf.
„Was hast du gesehen, als du ohnmächtig wurdest?“, fragte er neugierig.
„So einiges. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, wo ich mich in einem weißen, unendlichen Raum befand.“
„Was hast du dort gemacht?“
„Nicht viel. Ich saß Ewigkeiten dort, bis ich die Wand berührte und mit einem heftigen Stromschlag wieder hier landete“, log ich und versuchte mich so kurz wie möglich zu fassen. Ich wollte das nicht wahr haben und genau deshalb konnte ich ihm nichts davon erzählen. Vorerst wollte ich prüfen was an dieser Geschichte dran war. Noch bevor er auf meine Aussage antworten konnte, lugte plötzlich Laureen um die Ecke und störte uns ein weiteres Mal. Auch wenn ich sie immer noch nicht leiden konnte, so war ich in diesem Augenblick verdammt froh, diesem Thema entkommen zu sein.
„Leon kommst du mal eben, es ist ein Brief für dich eingegangen.“
„Ja klar“, brummte er, riss sich dann aber zusammen und schmunzelte ihr entgegen. Ich wollte ihm gerade winken, da war er schon lange durch die Tür verschwunden.
Leon? Was für ein hässlicher Spitzname! Er hat so einen schönen Namen, warum verunstaltete sie ihn?
Völlig alleingelassen saß ich nun im Raum auf meinem Bett und wusste nicht so recht was ich von der ganzen Situation halten sollte. Wieso war er freundlich zu ihr? Oder warum versuchte er es? Vor einer Stunde noch hatten sie sich gezofft und jetzt? Jetzt schenkte er ihr sogar ein Lächeln? Was hatte ich verpasst? Kurz kamen die Erinnerungen wieder in mir hoch und ich erkannte, dass meine Schulter von dem Wolfsangriff so geschmerzt haben musste. Wie war er bloß mit den beiden fertig geworden?
Eine Weile betrachtete ich die tickende Uhr mir gegenüber und wartete darauf, dass er zurück kommen würde. Doch nachdem bereits schleppende zehn Minuten vergangen waren, musste ich mir eine andere Beschäftigung suchen. Gelangweilt ließ ich meine Blicke durch den Raum wandern. Die Bettwäsche bestand aus einem strahlenden Limonengrün, dass durch kleine Blumen etwas aufgelockert wurde. Der Rahmen des Bettes war weiß gestrichen und die Vorhänge waren an die Seite gebunden, damit ich mich mit der Umgebung vertraut machen konnte.
Mir gegenüber befand sich ein kleines Fenster, durch das man einen wunderschönen Ausblick auf das meerblaue Wasser hatte. Von meinem Bett aus konnte ich einen kleinen Steg erspähen, der zu den Hütten führte. Direkt unter dem Fenster befand sich ein kleiner Gemüsegarten, der wohl von einer perfektionistisch veranlagten Person geführt werden musste. Kein einziges Blatt wagte es auch nur annähernd, sich aus ihrer vorgegebenen Linie zu bewegen, sodass alle Pflanzen eine perfekt gerade geschnittene Reihe bildeten.
Es war kein Wunder, dass Laureen schon wieder um die Ecke geschaut hatte. Anscheinend befanden wir uns erneut bei diesen eigenartigen Wesen. Den Namen ihrer Art hatte ich immer noch nicht drauf, aber ehrlich gesagt interessierte er mich auch nicht die Bohne. Wenn sie alle so waren wie Laureen, dann hatte ich das dringende Bedürfnis, endlich hier rauszukommen.
Ich wandte meine Blicke vom Fenster ab und betrachtete den runden, hölzernen Tisch in der Mitte des Zimmers. Um ihn herum standen sechs blaue Stühle, die sich gerade so in den Raum gequetscht hatten. Aufgrund des Platzmangels und der vielen Stühle wirkte das Zimmer wohl noch kleiner, als es ohnehin schon war.
Links neben der Tür befand sich das Bild, was ich vorhin schon sehen musste. Wieder stand er dort, umgeben von hunderten Mädchen, die alle wunderschön in die Kamera lächelten. Und natürlich durfte Laureen nicht fehlen. Sie hatte die gleiche Pose eingenommen und gab Leandro einen Kuss auf die Wange. Wie ich dieses Bild hasste! Mussten sie es wirklich in jedem Raum aufhängen? Eifersüchtig hörte ich auf es anzustarren und wendete mich stattdessen dem Spiegel zu, der auf der anderen Seite der Tür hing.
Verwundert starrte ich mich eine Weile selbst an. Meine Haare waren ganz zerzaust und mit Dreck übersät. Meine Stirn hatte ein paar Kratzer abbekommen und an meinen Wangen sowie dem Kinn, zogen sich lange Schürfwunden entlang, die versuchten mich zu verunstalten. Eine breite Kratzspur führte meinen Hals hinunter und reichte bis zur Schulter. Als ich vorsichtig mit meinen Fingerkuppen über die Wunden fuhr, zuckte ich zusammen.
Mir wurde heiß und kalt zu gleich, als ich die Folgen meines Tastens zu spüren bekam und die Kratzwunde an meinem Hals höllisch zu brennen anfing.
Schnell wurde der Schmerz nebensächlich, als ich die dunkle Gestalt hinter mir bemerkte. Durch den Spiegel sah ich das Mädchen in ihren zerfressenen Lumpen und den kaputten Schuhen. Die blauen Flecke schimmerten unter dem dünnen Stoff hervor. Unerwarteter Weise blickte sie schüchtern zu Boden, als sie erkannte, dass ich nicht aufhören konnte ihre ganzen Narben anzustarren. Beschämt versuchte sie die Wunden zu verdecken, doch sie waren zu Viele.
Erinnerungen an unser letztes Zusammentreffen kamen hoch und ließen mich unsicher werden. An den mysteriösen Raum der nur meiner Fantasie entsprungen sein konnte. Aber für einen Traum hatte es sich viel zu echt angefühlt.
Meistens konnte ich Träume von der Realität unterscheiden, doch dieses Mal war ich mir unsicher. Auch wenn diese Umgebung nur in meinen Träumen hätte existieren dürfen, hatten sich die Gefühle während meines Aufenthaltes erschreckend real angefühlt. Aber gut, seitdem ich wusste, dass es Vampire wirklich gab, erschien plötzlich nichts mehr unmöglich zu sein.
„Kennst du mich noch?“, riss sie mich aus den Gedanken und kam auf mich zu stolziert. Ruckartig drehte ich mich zu ihr um und drückte mich etwas weiter in die Kissen hinein.
„Warum sollte ich dich nicht mehr kennen?“
„Ich weiß nicht, vielleicht weil du an Gedächtnisverlust leidest?“
„Unwahrscheinlich, ich kann mich bereits an alles erinnern!“, protestierte ich und setzte mich wieder etwas aufrecht, um meinen Worten Ausdruck zu verleihen.
„Wie du meinst.“
„Warum kann nur ich dich sehen?“
„Du hast also begriffen dass ich ein Geist bin?“
„Ja.“
„Ich bin ja schließlich nicht blöd“, fügte ich stolz hinzu und verschränkte meine Arme vor der Brust.
„Na ja, dafür hast du aber ganz schön lange gebraucht“, brüllte sie mir amüsiert entgegen und ließ sich auf einen der Stühle plumpsen.
„Kannst du dich noch an unser Zusammentreffen erinnern?“
„Ja wie könnte ich das vergessen? Ich habe doch gerade gesagt, dass ich mich wieder an alles erinnern kann!“
„Also ich meine das Zusammentreffen wo du gestorben bist?“
„Moment... was?“
„Der grelle Raum wo wir waren?“
„Ja ja ich weiß schon was du meinst, aber gestorben? Ich?“, quietschte ich ungläubig und schüttelte fassungslos den Kopf. Warum musste sie meine schlimmsten Befürchtungen bestätigen? War ich wirklich gestorben? Musste er mich wirklich mit irgendeiner Magie wiederbeleben? Ein eiskalter Schauder lief mir den Rücken runter und ich begann mich zu schütteln.
„Lean musste dich wiederbeleben, dass meinte er auch mit den Nebenwirkungen.“ Lean? Wieder ein neuer Spitznahme. Sie musste ihn also gut kennen.
„Nebenwirkungen? Welche können denn noch auftreten?“
„Oh glaub mir die willst du nicht wissen.“
„Na das klingt ja beruhigend.“
„Also?“
„Also was?“, hakte sie nach und begann ihre Finger zu kneten, als hätte sie eine schreckliche Vorahnung welche Frage ich ihr stellen könnte.
„Warum kann nur ich dich sehen?“
„Weiß ich nicht. Das kann ich mir selbst nicht erklären. Ich finde es verrückt. Wäre es nicht viel logischer, wenn alle magischen Wesen Geister sehen könnten?“
„Ich denke?“, antwortete ich fragend und richtete mich langsam auf, da sie gerade nicht den Anschein erweckte mich angreifen zu wollen.
„Anstatt ihr Menschen? Ich meine ihr habt gar keine Fähigkeiten.“
„Ich habe keine Ahnung. Glaub mir, wenn ich´s mir aussuchen könnte, würde ich diese Fähigkeit an jemand anderen abgeben.“
„Du solltest deine Gabe ehren. Sie könnte dir in deinem Leben noch von Nutzen sein.“
„Das mag ja sein, aber auf Geister wie dich könnte ich getrost verzichten.“
„Hey“, beschwerte sie sich gespielt verletzt und rollte mit den Augen.
„Komm schon, du hast mir ganz schön Angst eingejagt! Keine Ahnung woher der plötzliche Sinneswandel kommt.“
„Sorry“, murmelte sie leise vor sich hin und senkte den Kopf. Was ging bei ihr eigentlich ab? Erst erschreckte sie mich zu Tode und drohte mir mich umzubringen und jetzt tat sie auf einmal so, als wäre sie schüchtern. Geister!
„Warum bist du noch hier?“, fragte ich und schnitt damit ein anderes Thema an.
„Geister werden nur in dieser Parallelwelt festgehalten, wenn sie jemanden noch etwas schulden. Sei es eine Rechenschaft, die Wahrheit oder Gerechtigkeit.“ Verzweifelt zog sie die Augenbrauen zusammen und stöhnte leidend auf.
„Ist doch gar nicht so schlecht noch in einer Parallelwelt herumspuken zu können.“
„Sagst du!“
„Na ja ich würde die Menschen wohl auch gerne erschrecken“, antwortete ich grinsend, während ich mir ausmalte wie ich die Hausaufgaben der Klassenstreberin zerstören und ihr geheimnisvolle Botschaften hinterlassen würde, die sie ängstigen würden.
„Über hundert Jahre beobachten zu müssen, wie die eigen Familie sich wegen einem streitet, ist nicht gerade amüsant.“
„Wegen dir? Was hast du gemacht?“
„Nicht viel, es gab nur einfach Missverständnisse.“
„Und worauf wartest du dann noch? Kläre sie doch einfach?“
„Deine Naivität ist schon äußerst amüsant“, lachte sie und stand von ihrem Stuhl auf. Genervt verdrehte nun ich die Augen und ließ eine große Menge Luft aus meinem Mund entweichen. Oh wie witzig ich meine Naivität doch fand. Ich konnte mich kaum noch vor Lachen halten!
„Glaubst du wirklich ich wäre noch hier, wenn ich mal eben ein Schwätzchen mit ihnen halten könnte?“
„Nein wahrscheinlich nicht“, gab ich widerwillig zu.
„Die meisten Wesen, die auf der Erde wandeln, können alles was ich sage und schreibe nicht hören und verstehen. Selbst wenn ich ihnen einen Brief schreiben wollte, könnten sie niemals die Buchstaben darauf entziffern. Keine Ahnung wer auf diese unglaublich tolle Idee gekommen ist. Das Einzige was ich ihnen zufügen kann ist Schmerz, aber der Hilft mir auch nicht weiter.“
„Und wie sollst du dann jemals erlöst werden?“
„Ich muss mir etwas einfallen lassen oder ich treffe auf das wandelnde Wunder.“
„Welches Wunder?“, hakte ich gespannt nach. Doch schon nachdem ich die letzten Laute ausgesprochen hatte, schüttelte sie ungläubig den Kopf und schloss die Augen um sich beherrschen zu können.
„Na du!“
„Kann ich dir denn helfen?“
„Ich denke, mit viel Vertrauen und Nichts als der Wahrheit könntest du mich erlösen“, erklärte sie und brachte damit ihr großen Augen zum Funkeln. Fast hätte ich mich breitschlagen lassen, dann aber erschienen die Szenarien und ihre ruppige Art mir gegenüber in meinem Kopf und ich wurde kritisch.
„Was habe ich davon?“
„Ich wusste es! Ihr seid doch alle gleich!“
„Was?“
„Ihr braucht erst eine Gegenleistung damit ihr helft.“
„Quatsch!“, protestierte ich und rutschte zum Ende des Bettes. Langsam schob ich meine Beine von der Bettkante runter und ließ sie frei in der Luft baumeln.
„An deinem Umgang mit potenziellen Helfern solltest du noch arbeiten.“
„Versteh mich doch! Ich hatte Angst du würdest sowie so nein sagen.“
„Warum sollte ich?“
„Zu viel Risiko? Angst? Zweifel? Keine Ahnung, dir wäre bestimmt eine Ausrede eingefallen.“
„Und da dachtest du dir, schüchtere ich sie so sehr ein, dass sie mir nicht widersprechen kann?“, fragte ich kritisch und stand auf. Meine Beine fingen an zu schmerzen, als ich mich in Stand gehievt hatte und die ersten Schritte auf sie zu gelaufen war. Als hätte ich mehrere tausende Kilometer hinter mir, zog sich ein starker Muskelkater durch meine Waden und veranlasste mich dazu, das Gesicht zu verziehen.
Enttäuscht von sich selbst, starrte sie zu Boden und versuchte jeden meiner Blicke zu meiden.
„Bitte?“, flüsterte sie und lief einen Schritt auf mich zu.
„Es hat auch etwas mit dir zu tun“, versuchte sie mich umzustimmen, während sie das geschlossene Fenster öffnete, um die stickige Luft loszuwerden.
„Ich bin kein Unmensch und ich könnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, dich so zurückzulassen. Aber wenn ich dir helfen soll, dann musst du mir immer die Wahrheit sagen, keine Lügen! Und du hörst gefälligst mit diesen Einschüchterungsversuchen auf, die sind ätzend“,forderte ich entschlossen und reichte ihr die Hand. Ich konnte dieses Gefühl einfach nicht loswerden, dass Leandro mir so einige Sachen verschwieg. Vielleicht könnte sie mir dabei helfen. Keine Ahnung wann ich angefangen hatte meinen Kopf in fremde Angelegenheiten zu stecken, aber was sollte mir schon passieren? So viel Ärger konnte sie schon nicht mit sich bringen. Außerdem wird man schließlich nicht jeden Tag von einem Geist um Hilfe gebeten.
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht nickte sie und hauchte mir ein Dankeschön ins Ohr. Mit einem Hauch verschwand sie und ließ mich mit all meinen Fragen zurück.
„Shit!“, rief ich verärgert und ließ mich wieder auf´s Bett plumpsen. Irgendwie hatte ich mehr erwartet. Hätte sie mir nicht mehr über sich und all das erzählen sollen?
Noch im Selben Augenblick kam Laureen ins Zimmer gestürmt und blickte mir amüsiert entgegen. Hoffentlich hatte sie unser Gespräch nicht mitbekommen, ansonsten erklärte sie mich gleich für verrückt. Aber sie dürfte was das anging, den Mund nicht allzu weit aufreißen, immerhin war sie diejenige, die einen Fischschwanz hatte.
„Na sprichst du wieder mit deinen imaginären Freunden? Wie armselig du doch bist. Keine Ahnung was du denkst wer du bist“, sagte sie herablassend und blickte angewidert auf meine Kleidung.
„Nicht mal ordentliche Sachen kannst du dir leisten? Armselig.“ Hochnäsig strich sie mit ihren roten Fingernägeln über meine zerrissene Jeans und schüttelte den Kopf.
Verdutzt blickte ich ihr entgegen. Laureen`s Worte verletzten mich, da ich schon immer sehr eitel gewesen war und meist mit meiner besten Freundin den Trend in meiner Schule gesetzt hatte. Doch unter ihren herabwürdigen Blicken fühlte ich mich fast wie eine entlaufende Bauernstochter. Natürlich konnte ich weder mit ihrer grazilen und trotzdem sportlichen Figur mithalten, noch konnte ich ein edles Kleid vorzeigen. Bei den weiten Wegen durch den Wald wäre das auch ziemlich unangebracht gewesen.
Eine glitzernde, goldene Uhr zierte ihr schmales Handgelenk und ihre langen Finger wurden von einem Ring geschmückt.
Die langen Beine kamen besonders gut in den den hohen Schuhen zur Geltung und ihre goldenen Ohrringe blitzten unter ihrem blonden, wallenden Haar hervor. Beschämt starrte ich auf meine matschigen Turnschuhe und versteckte sie schleunigst unter dem Bett, damit sie sich darüber nicht auch noch lustig machte.
Plötzlich begann ich mich ganz unwohl in meiner Haut zu fühlen. Vor einer Woche noch, hatte ich mich selbst über den Kleidungsstil anderer lustig gemacht und jetzt war ich das Opfer. Ich atmete aus, als sie endlich von meiner Hose abließ und sich wie selbstverständlich auf einen der Stühle setzte.
„Hat unser Bauerntrampel auch einen Namen?“, grinste sie und schlug ihre Beine übereinander. Sie hatte mich bereits so eingeschüchtert, dass ich Nichts außer meinem Namen flüstern konnte.
„Aha.“
„Deiner?“, fragte ich reflexartig, um nicht unhöflich zu wirken, obwohl ich dazu allen Grund hätte.
„Geht dich gar nichts an! Du bist wie all die anderen Mädchen, Zeitverschwendung. Keine Ahnung was er in dir sieht, aber na ja mach dir nichts draus, es war ja schon bei so vielen Mädchen die große Liebe.“
Ich schloss die Augen, um nicht völlig die Beherrschung zu verlieren und begann wütend meine Finger zu kneten.
Oft hatte ich das Gefühl, sie würde selbst etwas von ihm wollen. In meiner Gegenwart machte sie ihn fast immer schlecht und schien mir einreden zu wollen, dass ich nur eine von Vielen war. Vielleicht war das auch so, vielleicht spielte er wirklich nur mit mir, aber nur weil sie das behauptete, würde ich diesen Gerüchten noch lange keinen Glauben schenken.
Ob sie einen Freund hat? Ob sie vielleicht schon einmal zusammen waren? Laureen`s Blicke wanderten durch den Raum, als schien sie nach etwas zu suchen. Ihre gehässige Art und ihre Behauptungen vergaß ich für´s Erste und versank in meiner ganz eigenen Welt.
Wo das Mädchen wohl auf mich wartete? Wann ich wohl die nächste Gelegenheit bekam sie zu sehen? Im Hotel? In meinem Zimmer?
Als ich an die Empfangshalle dachte, erinnerte ich mich an den waghalsigen Sprung des Mädchens und an den Ort, wo sie letztendlich gelandet war. Jetzt wo ich erneut mit ihr gesprochen hatte, war ich mir nicht mehr so sicher, ob diese eigenartigen Bilder wirklich nur in meiner Fantasie existiert hatten. Was wenn meine Familie wirklich gefangen war? Ich musste sie dringend wiedersehen und danach fragen.
Meine fassungslose Miene verschwand, als meine Gedanken vom Klingeln eines Telefons gestört wurden. Selbstverständlich griff ich in meine Hosentasche und suchte nach meinem Handy, doch ich blieb erfolglos.
Ich schaute zu Laureen deren betrübte Augen plötzlich zu funkeln begannen und voller Hoffnung erstrahlten. Kurz zögerte sie den Anruf entgegen zu nehmen, dann aber tippte sie auf den grünen Hörer und hielt es sich unsicher ans Ohr.
Ich runzelte die Stirn als sie wie selbstverständlich sitzen blieb und wohl verlangte, dass ich den Raum verließ.
Als sie ihre Hand in die Höhe hob und mich aus dem Raum winken wollte, wandte ich meine Augen ganz schnell von ihr ab und versuchte verträumt durch das Zimmer zu blicken, um teilnahmslos zu wirken.
Sollte sie doch das Zimmer verlassen!
Ihr genervter Blick brachte mich zum Schmunzeln, während ich aufmerksam dem Gespräch lauschte:
„Warum rufst du an?“
„Aber ich dachte...“
„Meinst du? Ist das nicht zu gefährlich?“
„Ich weiß nicht...“
„Kannst du das? Kannst du das wirklich?“
„Aber... wenn... also was...“, stammelte sie zweifelnd herum und verstummte dann für eine Weile. Ihre Worte waren für mich ein einziges Rätsel. Ich versuchte ununterbrochen die Worte ihres Gesprächspartners zu verstehen, doch so sehr ich mich auch bemühte, ich verstand nur ein einziges Gemurmel. Aber es war laut genug um erkennen zu können, dass es sich dabei um eine Männerstimme handeln musste.
„Jetzt?“
„Im Wald?“
„Natürlich komme ich allein. Bis gleich. Ich liebe dich“, flüsterte sie, ehe sie auflegte und vom Stuhl sprang.
„Was Glotzt du so? Noch nie ein Handy gesehen?“, keifte sie mich an und verschwand aus dem Raum, bevor ich etwas darauf hätte antworten können. In ihrer Hektik war ein Brief aus aus ihrer Hosentasche gefallen, den ich nun voller Neugierde anstarrte.
Kurz rang ich mit mir selbst nicht aufzustehen und ihn mir durchzulesen. Doch irgendwann siegte meine Neugier und ich redete mir ein, dass ich beinahe ein Recht dazu hatte ihn lesen zu dürfen. Immerhin war sie zu mir so unfreundlich gewesen.
Mit einem Schmunzeln auf den Lippen lief ich zum Brief und hob ihn auf. Wer war der mysteriöse Junge am Telefon gewesen? Den sie zu lieben glaubte? War der Brief von ihm gewesen? Stand etwas in diesem Brief über ihn?
Die Fragen zerfraßen mich fast, sodass ich nicht anders konnte, als ihn gespannt zu öffnen.