Der Bankier, trotz der sommerlichen Hitze in eine elegante knielange Tunika aus scharlachrotem Wolltuch gekleidet, erwartete Joran auf der Schwelle seines Kontors. Sie tauschten einige höfliche Floskeln, ehe der Bankier Joran in den Raum bat.
Pisani führte eine der vier venezianischen Banken vor Ort. Scharfsinn, gepaart mit rechtschaffener Ehrlichkeit waren die Grundlagen seines ausgezeichneten Rufes, und Joran fragte sich, was er einem Mann wie ihm wohl mitzuteilen hatte.
Pisani brachte zwei Glaspokale und füllte beide, ehe er einen davon einladend über den Tisch schob. »Trinken wir auf Eure glückliche Rückkehr«, sagte er. Joran nippte aus Höflichkeit an dem schweren Malvasier, bevor er den Pokal abstellte. Er verschränkte die Hände auf der Tischplatte und sah den Bankier direkt an. »Ihr wolltet mich in einer dringenden Angelegenheit sprechen, Messèr Pisani?«
»In der Tat«, bestätigte der Bankier. »Es geht um den Nachlass Eures Vaters, Ordelaf Ferroni. Wie Ihr sicher wisst, waren wir gut befreundet. Bevor er zu jener verhängnisvollen Schiffsreise aufbrach, hat er mich mit der Wahrung seiner Interessen beauftragt.«
»Was wisst Ihr über seinen Tod?«, fragte Joran.
»Nicht sehr viel. Euer Vater befand sich schon auf der Heimreise, als sein Schiff während eines schweren Sturmes vor Malta in Seenot geriet. Plankenreste der San Marco, Teile der Galionsfigur und drei tote Seeleute wurden an die Küste Gozos gespült. Es gab keine Überlebenden.«
»Hm.«
»Ihr wusstet das nicht?«, fragte Pisani.
»Nein. Ich war zu der Zeit auf Reisen. Nachrichten aus der Heimat erreichten mich nur selten und dann oft mit monatelanger Verspätung.«
»Ich verstehe. Das erklärt dann wohl, warum ich Euch nicht finden konnte.«
Schmerz durchzuckte Joran, als unerwünschte Erinnerungen auf ihn eindrangen. Was für den unwissenden Zuhörer nach abenteuerlichen Handelsreisen klang, war in Wahrheit eine Treibjagd gewesen, bei der Lucca und seine Kumpane ihn wochenlang durch das Heilige Land gehetzt hatten. Er hatte sich große Mühe gegeben, genau die Dinge zu vergessen, die Pisani ihm jetzt ins Gedächtnis rief. Das Letzte, was er gebrauchen konnte, war, die Schrecken wieder aufleben zu lassen. »Berichtet weiter«, verlangte er barsch.
»Euer Vater hatte mir eine Generalvollmacht hinterlassen, mit der er Euch, sowie Eurer Mutter das freie Verfügungsrecht über alle geschäftlichen Angelegenheiten des Handelshauses Ferroni einräumt. Folglich wandte ich mich zunächst an Monna Marliana.« Pisani trank einen Schluck, bevor er fortfuhr. »Als sie jedoch plötzlich nicht mehr erreichbar war, begann ich mir Sorgen zu machen. Wenig später erhielt ich eine Nachricht, die besagte, Trauer und Schmerz hätten sie dazu veranlasst, sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen. Sie sei in ein Kloster eingetreten und wünsche mit geschäftlichen Dingen nicht mehr behelligt zu werden. Ich begab mich also auf die Suche nach Euch.«
»Vergeblich.«
»Ja.« Pisani griff erneut nach seinem Wein, trank jedoch nicht, sondern drehte den Pokal zwischen den Fingern. »Wo habt Ihr gesteckt, junger Mann? Warum habt Ihr Euch jahrelang nicht in Venedig sehen lassen?«, fragte er in einem Ton, der Widerspruch provozierte.
Doch Joran sagte lediglich: »Es hat sich nicht ergeben.«
Ein dünnes Lächeln quittierte seine zurückhaltende Antwort. »Ich fürchte, Ihr werdet Euch in Kürze wünschen, es getan zu haben«, bemerkte der Bankier.
Joran wurde unruhig. »Kommt zur Sache, Messèr Pisani. Was wollt Ihr von mir?«
»Nun denn, da Ihr es anscheinend so haben wollt. Ich hätte es Euch lieber schonender beigebracht.« Pisani erhob sich und ging zu einem der Regale, die seine Geschäftsbücher enthielten. Er kehrte mit einem dicken Band zurück, den er vor Joran auf den Tisch legte.
»Euer Vater hat sich für den Kauf des Grundstücks am Canalezzo Geld geliehen. Desgleichen für den Bau des Hauses. Sein Eigenkapital hat er benutzt, um Waren zu kaufen, deren Weiterverkauf es ihm ermöglichen sollte, seine Anleihen zurückzuzahlen. Er hatte ein gutes Augen für gewinnbringende Investitionen und so ging sein Plan zunächst auf.«
Joran warf ihm einen langen Blick zu. »Zunächst? Heißt das, ich erbe Schulden?«, fragte er schließlich.
Pisani seufzte. »Leider ist es noch ein wenig schlimmer. Wisst Ihr, das Haus war erst zur Hälfte abbezahlt, als Euer Vater starb. Ich führte seine Zahlungen fort, solange sein Konto Guthaben aufwies, danach wurde es schwierig. Ich begann, die Waren zu veräußern, die sich in seinem Lager stapelten, doch ein besonders heftiges Aqua alta hatte einen Großteil der Tuchballen verdorben. Sie waren nicht mehr zu gebrauchen. Ich sah mich gezwungen im Haus nach Dingen zu suchen, die sich veräußern ließen, das silberne Tafelgeschirr, Pokale, Wandbehänge, Heiligenstatuen, alles was sich möglichst teuer verkaufen ließ. So gelang es mir immerhin, Euch Haus und Grundstück zu bewahren. Doch dieser Zustand wird nicht mehr lange anhalten. Nach dem augenblicklichen Stand der Dinge ist das Handelshaus Ferroni am Ende. Banca rotta.«
Joran starrte auf das ledergebundene Geschäftsbuch, ohne etwas zu erwidern. Verlangte Pisani tatsächlich von ihm, dass es sich mit den Schwierigkeiten des Handelshauses Ferroni befasste? Sich um die Erhaltung eines Besitzes bemühte, der ihm im Grunde wenig bedeutete? Er wollte reisen und sich seine Waren in allen Häfen der bekannten Welt selbst zusammensuchen. Wozu brauchte er da ein Haus am Canalezzo?
Pisani ging erneut zum Regal, suchte eine ledergebundene Mappe heraus und brachte sie zum Tisch. Er entnahm ihr ein dünnes Bündel loser Blätter und breitete sie vor Joran aus. »Hier habe ich die Vollmacht, die Euch ermächtigt, nach Eurem Gutdünken zu schalten und zu walten.« Er räusperte sich verlegen, bevor er ein weiteres Blatt aus der Mappe zog und es Joran vorlegte. »Und hier haben wir die Aufstellung Eurer Verbindlichkeiten, die zum Ende des nächsten Monats fällig werden.«
Joran nahm das Blatt in die Hand, warf einen kurzen Blick darauf und legte es in betonter Gleichgültigkeit auf den Stapel zurück. »Meine Verbindlichkeiten. So, so.«
»Ich bin Euch gerne behilflich, soweit es in meiner Macht steht, doch es ist an Euch, die nötigen Entscheidungen zu treffen, Messèr Ferroni.«
»Was ist mit der Villa in Venetien, den Weinbergen, dem Olivenhain?«
Pisani zuckte die Schultern. »Verkauft, um die jährlichen Steuern an die Signoria bezahlen zu können.«
»Demnach ist von meinem Erbe nichts von Wert übrig.«
»Wenn man von dem Haus absieht - leider nein.«
»Und wenn ich aus eigener Kraft nicht in der Lage wäre, die Schulden meines Vaters zu begleichen?«, gab Joran zurück. »Was dann?«
Pisani breitet die Hände aus. »Dann müsstet Ihr auch das Haus verkaufen. Was Ihr jedoch nur mit Zustimmung Eurer Mutter tun könnt.«
»Ich kann meine Mutter nicht mit solchen Entscheidungen belasten. Ihre Gesundheit ist angegriffen«, schoss Joran zurück. Er schob die Blätter zu einem Stapel zusammen und steckte sie in die Mappe zurück, die er auf das Geschäftsbuch legte. »Gebt mir die Schlüssel zum Haus.«
»Selbstverständlich. Ich dachte mir schon, dass Ihr sie haben wollt.« Der Bankier zog einen Schlüsselring aus seiner Gürteltasche und schob ihn Joran zu.
»Wie dem auch sei, ich brauche Eure Entscheidung, Ferroni. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit, um das Dilemma abzuwenden.«
»Vielleicht will ich das ja gar nicht«, murmelte Joran.
Der Bankier hob die Augenbrauen. »Wie bitte? Ihr wollt kampflos aufgeben, wofür Euer Vater so hart gearbeitet hat?«
»Ich habe andere Ziele. Zudem sehe ich keine Möglichkeit, die fehlende Summe aufzutreiben, ohne das Haus zu verkaufen.«
Pisani tat die Worte mit einer Geste ab. »Was ihr braucht, ist ein schnelles Geschäft. Eines mit hohem Gewinn. Ihr seid jung, ihr habt zwei gesunde Hände, da sollten sich doch Möglichkeiten finden lassen.«
Sicher, dachte Joran. Reliquien zu stehlen ist eine davon. Doch diese Antwort verkniff er sich lieber.
»Ich könnte mit Euren Gläubigern zu verhandeln«, fuhr Pisani fort, »und sie bitten Euch mehr Zeit einzuräumen.«
Joran zuckte die Schultern. »Wozu hinauszögern, was unausweichlich ist?«
Der Bankier starrte Joran an und dieses Mal gelang es ihm nicht, seine Verachtung zu verbergen. »Ich habe Euch anders eingeschätzt, Ferroni. Ich dachte, Ihr wärt aus dem gleichen Holz geschnitzt, wie Euer Vater. Ein Kämpfer. Aber das seid Ihr nicht. Ihr gebt einfach auf.«
Joran schoss von seinem Stuhl hoch, so ungestüm, dass dieser über die Marmorfliesen kratzte und gegen eine Truhe stieß.
»Ich lasse Euch meine Entscheidung wissen, Pisani.« Er griff nach Geschäftsbuch und Schlüssel und stürmte aus dem Kontor.