Ich erinnerte mich noch genau an die letzten zwei Tage, bevor sich alles änderte. Bevor ich fast mein Leben ließ und den Mann, den ich liebe, verlor.
Ich lag mal wieder auf der Couch, Andrew hatte eben erst angerufen, dass er länger arbeiten musste. Das gab mir die Gelegenheit, mal wieder etwas für Andrew zu kochen. Ich ging erst ins Bad duschen, danach frisierte ich mich und schminkte mich dezent, etwas Mascara und Kajal reichten vollkommen aus. Ich band mir ein Handtuch um, lief in die Küche, um einen Topf mit Wasser zufüllen und diesen auf dem Herd zu erhitzen. In der Zeit, die das Wasser zum Erhitzen benötigte, ging ich ins Schlafzimmer, suchte mir da meinen grünen knielangen Rock aus dem Schrank und ein weißes weitausgeschnittenes Top. Ich schlüpfte in die Klamotten, brachte das Handtuch zurück ins Badezimmer und ging wieder in die Küche. Ich warf die Spaghetti ins kochende Wasser und stellte einen weiteren Topf mit Tomatensoße auf den Herd. Direkt, nachdem ich auch diese Platte angemacht hatte, klingelte das Telefon. Ist er etwa schon unterwegs? Ich schnappte mir den Hörer.
„Ja? Hallo?“ fragte ich und wartete auf eine Antwortet.
„Hallo Süße!“ Ich spürte, wie mein Herz aussetzte, um im nächsten Moment loszurasen.
„Sam!“ flüsterte ich erstickt.
„Schön, dass du mich erkennst!“ kicherte er und fuhr fort, „Tyron will dich morgen früh sehen!“ Ich zuckte zusammen, als ich den Namen fallen hörte.
„Das geht doch nicht, ich habe noch einen Tag!“ Ich konnte mir vorstellen, wie er mit seinen Schultern zuckte und sein Grinsen im Gesicht immer breiter wurde.
„Du weißt, dass ihn so etwas nicht interessiert. Tyron sagt, du sollst morgen da sein und du...“ er unterbrach. Er wollte, dass ich den Satz beendete, das wusste ich.
„Und ich muss da sein!“ flüsterte ich.
„Genau, Süße. Morgen früh um zehn Uhr, sei lieber pünktlich. Du willst doch Tyron nicht verärgern, oder?“ fragte er mit einem Hauch Ironie in der Stimme. Dies war eine rhetorische Frage und er erwartet keine Antwort. Wir beide legten auf.
„Verdammt!“ fluchte ich und lief zum Herd, wo ich die Soße und die Spagetti umrührte.
Erneut ging das Telefon los.
„Ja?“ fragte ich leicht gereizt, denn ich rechnete mit einem weiteren Anruf von Sam.
„Hallo mein Schatz!“ hörte ich Andrews Stimme. Ich war erleichtert und ein kleines Lächeln umspielte meine Lippen.
„Du bist unterwegs?“
„Du kannst Gedanken lesen, Baby. Ich bin in zehn Minuten bei dir!“ Ich konnte das Lächeln in seiner Stimme hören. In welcher Stimmung er wohl sein würde, wenn er wüsste, dass ich am nächsten Tag zu Tyron musste?
„In Ordnung. Bis gleich!“ sagte ich abwesend und legte auf. Ich deckte den Tisch, der in unserer weißen Küche stand, stellte eine Kerze in die Mitte, füllte in die Gläser Wein und machte mich daran, das Essen auf den Tisch zu bringen. Der Abend sollte besser verlaufen, als er werden würde, da war ich mir sicher. Ich musste nur Tyrons Namen erwähnen und der Abend wäre gelaufen und die Stimmung dahin.
Ich stellte gerade den zweiten Teller auf den Tisch, als ich Andrews Stimme vernahm.
„Ich bin da!“
Langsam lief ich ins Wohnzimmer und sah, wie Andrew ebenfalls den Raum betrat. Ich bemerkte, wie er mich musterte und mit einem Lächeln auf seinen Lippen zu mir kam.
„Was hast du denn heute noch vor?“ fragte er und schloss mich in seine Arme.
„Nichts weiter, nur meinen Mann verführen!“ Er lachte und küsste mich zärtlich auf die Lippen. Als er von mir abließ, trauerte ich diesem Gefühl etwas nach.
„Ich habe etwas zu essen gemacht!“ sagte ich und lächelte ihm zu.
„Können wir nicht gleich zum Nachtisch übergehen?“ fragte er und küsste mich noch einmal zärtlich. Ich war nicht weit davon entfernt, dem zuzustimmen, besann mich dann aber und meinte: „Man beginnt nicht mit dem Nachtisch!“ Ich schob ihn leicht von mir weg. Er atmete gespielt genervt aus.
„Na schön!“ Mit den Worten lief er in die Küche. Ich folgte ihm, verwundert sah ich ihn an, als er meinen Stuhl zurückzog und mir beim Setzen half.
„Was hat dich gestochen, dass du einen auf Gentleman machst?“ neckte ich ihn. Er lachte und setzte sich mir gegenüber.
„Ich dachte, es würde gut passen!“ lächelnd schüttelte ich den Kopf. Wir nahmen unsere Weingläser zur Hand, stießen an und tranken etwas.
„Lass es dir schmecken!“ sagte ich lächelnd. Er nickte mir kurz zu und wir begannen zu essen.
Die ersten paar Minuten herrschte ein angenehmes Schweigen im Raum. Jeder ging seinen Gedanken nach. Ich seufzte, legte die Gabel zur Seite, tupfte mit der Serviette meine Lippen ab und sah Andrew an.
„Sam hat vorhin angerufen!“
Andrew tat es mir gleich, legte die Gabel zur Seite und fuhr sich mit der Serviette über den Mund. Allerdings nahm er noch einen Schluck aus dem seinem Glas.
„Was wollte er?“ Seine Stimme klang so ruhig und ausdruckslos, dass mir ein kalter Schauer über den Rücken lief.
„Ich soll morgen früh bei Tyron sein!“ Er nahm noch einen Schluck und stellte sein Glas dann beiseite.
„Morgen hast du noch einen freien Tag!“ erinnerte er mich. Vorsichtig nickte ich.
„Ja, ich weiß. Aber er bestand darauf!“ Andrew zuckte mit den Schultern.
„Das ist mir egal. Du wirst nicht dahin gehen!“ Seine Stimme nahm einen autoritären Ausdruck an.
„Andrew, ich muss!“ Aber er schüttelte mit dem Kopf.
„Deine Gesundheit ist wichtiger!“
„Es geht mir gut!“ gab ich schroffer zurück, als ich beabsichtigte.
„Und wenn schon, dir steht noch der eine Tag zu!“ Ich wusste, dass es schwer werden würde, ihn zu überzeugen. „Andrew, die Arbeit dort ist mir wichtig. Da kommt es auf einen Tag mehr oder weniger nicht an!“ als ich diese Lüge erzählte, musste ich auf meine Gesichtszüge achten, um keinen angewiderten Ausdruck zu erzeugen.
„Verdammt noch mal!“ Andrew sprang auf, sein Stuhl landete mit einem lauten Knall am Boden. Er schlug mit beiden Händen auf den Tisch.
„Was kannst du nur an dieser Arbeit finden? Alle drei behandeln dich wie Dreck. Verstehst du es nicht oder willst du es nicht? Dein Arbeit wird dich noch kaputt machen!“ fuhr er mich an und blickte mir direkt in die Augen. Andrew hatte Unrecht. Diese Arbeit wird mich nicht kaputt machen, sie hatte es bereits geschafft. Ich spürte die Tränen in meinen Augen und ich wusste auch, dass Andrew sie sehen konnte.
„Ich muss dahin!“ flüsterte ich verzweifelt. Was dann geschah, hatte ich nie gedacht, dass es jemals passierten würde. Andrew warf seinen Teller gegen die Wand. Dieser zersprang sofort und fiel klirrend zu Boden. Die Soße hinterließ einen roten Fleck an der Wand. Geschockt sah ich auf die Stelle.
„Dann geh doch, aber verlass dich nicht darauf, dass ich noch da bin, wenn du zurückkommst!“
Mein Blick schnellte zurück zu Andrew, hatte er gesagt, dass er mich verließ? Noch einmal knallte seine Hand auf den Tisch und er stürmte dann wutentbrannt aus dem Raum. Ich hörte noch, wie eine Tür zuknallte. Leider wusste ich nicht, ob es die Schlafzimmertür oder sogar die Wohnungstür war.
Ich bemerkte nicht, wie lange ich auf meinem Stuhl saß. Wie von selbst erhob ich mich und räumte den Tisch ab, wusch das Geschirr ab und blies die Kerze aus. Letztendlich nahm ich den Mülleimer aus dem Schrank und hockte mich damit neben die Scherben. Ich warf alles weg, wischte die Reste mit einem nassen Lappen auf und versuchte auch die Wand abzutupfen. Ich wusch den Lappen aus, legte ihn bei Seite und säuberte schließlich noch meine Hände. Ich hielt inne, als ich ein leichtes Ziehen spürte. Mein Blick fiel auf meine Hand und ich sah die Splitter. Es blutete leicht.
Es war komisch, ich sah meine Hand, spürte die Splitter, aber ich erinnerte mich nicht daran, wie es sich anfühlen sollte. Noch erinnerte ich mich daran, was ich jetzt tun musste. War es so, wenn ich seelenlos wäre? Würde es sich so anfühlen? Würde ich überhaupt noch etwas fühlen?
Langsam öffnete ich meine Augen. Ich fühlte mich wie benebelt. Tränen liefen über meine Wangen. Wäre alles anders gelaufen, wenn nur allein dieser Abend anders geendet wäre? Würde ich trotzdem hier liegen oder doch in Andrews Armen?