Joran lehnte an einer der Porphyrsäulen, vor der Loggia der Ca´ Ferroni, und blickte auf die breite Wasserfläche des Canalezzo hinaus. Noch schlief die Stadt, nur der vereinzelte Schrei einer Möwe durchschnitt die Stille. Normalerweise liebte er diese frühe Stunde, die nicht mehr Nacht, aber auch noch nicht Tag war. Wenn die Häuser im graublauen Dunst über dem Wasser zu schweben schienen, während das erste Rosa des neuen Tages die Altane auf den Dächern sanft aufleuchten ließ. Doch heute war er unruhig.
Laurenz hatte ihn wissen lassen, dass er an diesem Morgen zu liefern gedachte. Joran hatte eine Weile mit sich gerungen, ob er das Gold in der Ca´Ferroni lagern sollte, doch es erschien ihm eine sinnlose Ausgabe für teures Geld einen Lageraum zu mieten, da er doch ein ganzes Haus zur Verfügung hatte.
Er starrte nach rechts hinüber, wo die hölzernen Aufbauten der Rialtobrücke zu sehen waren. Unter der Brücke erschien ein einzelner Lastkahn, von zwei Männern gerudert, die gemächlich auf ihn zuhielten. Wenig später machte das Boot an einem der frei stehenden Pfähle vor dem Wassertor fest. Die Männer hoben eine Truhe an Land.
»Wohin damit?«, fragte einer von ihnen. Joran führte sie durch den Wassersaal in einen der Lagerräume zur Rechten und bedeutete ihnen, die Truhe dort abzustellen. Die Männer nickten ihm zu und verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.
Joran schloss die Eingangstür und kehrte in den Lagerraum zurück. Er wuchtete die Truhe in den Lichtkreis einer eisernen Laterne, der sich in der Mitte des Raums konzentrierte, und öffnete den Deckel. Die Truhe enthielt fein säuberlich gestapelt Lederbeutel, die mit Goldmünzen gefüllt waren. Joran entnahm mehrere Proben, die er nach nebenan, in die ehemalige Schreibstube seines Vaters trug und dort auf den Tisch legte. In einer Truhe fand er den Holzkasten mit Münzwaage und Gewichten. Er hob die Waagschalen heraus und machte sich an die Arbeit.
Wie er erwartet hatte, gab es an den Münzen nichts auszusetzen. Der Inhalt der Truhe machte ihn zu einem vermögenden Mann.
Joran hatte erwartet, so etwas wie Triumph zu empfinden, doch das Gefühl wollte sich nicht einstellen. In ihm war eine beinahe schmerzhafte Leere, schon seit er sich von Jacopo hatte breitschlagen lassen, die Ca´Ferroni zu betreten. Es war ein schönes Haus, mit großzügigen Bogenfenstern, die viel Licht hereinließen. Über dem Andron lag ein ehemals pompös ausgestattetes Repräsentationsgeschoss, dessen Herzstück ein großer Portego bildete, eine über die gesamte Länge des Hauses reichende Halle. Über diesem Piano nobile gab es ein weiteres Stockwerk, fast ebenso hoch und weitläufig wie das erste und ähnlich prunkvoll angelegt. Dort, im zweiten Obergeschoss hatten seine Mutter und Schwester ihre Räume gehabt, ausgestattet mit allem erdenklichen Luxus. Nun jedoch waren diese Räume aller wertvollen Dinge beraubt, bis auf einige schwere Möbelstücke, für die sich vermutlich kein Interessent gefunden hatte. Pisani hatte sie vorsorglich mit Tüchern verhängen lassen, doch dieser Anblick deprimierte Joran beinahe noch mehr, als die leeren Räume. Er hatte sich ins Untergeschoß geflüchtet und kampierte dort auf einem Strohsack in der Schreibstube. Er war ein einfaches Leben gewohnt, indem er nicht Gefahr lief, sein Herz an materielle Dinge zu hängen. Es gefiel ihm, von heute auf morgen aufbrechen zu können, ohne sich Gedanken um irgendwelche Besitztümer machen zu müssen. Doch der Anblick seiner Mutter setzte ihm zu und Jacopo tat ein Übriges, um ihn zu verwirren. Er hatte geglaubt, längst kein Gewissen mehr zu besitzen, doch die leise wispernde Stimme, die seine Nächte schlaflos machte, entwickelte sich mehr und mehr zu seinem persönlichen Folterknecht. Er wusste, worauf die ganze Sache hinauslief. Er hatte diesen Moment herbeigefürchtet, in jedem einzelnen Augenblick der vergangenen beiden Tage.
Joran verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Als ob es einen Unterschied machte, ob er eine Stunde oder ein Jahr Frist hatte, eine Frage zu entscheiden, die er nicht entscheiden wollte. Er fühlte sich in die Enge gedrängt, hilflos, und dieses Gefühl ließ seine Verwirrung unversehens in Zorn umschlagen.
Er verstaute seine Gerätschaften und kehrte in den Lagerraum zurück. Dort nahm er einen Beutel mit Goldmünzen an sich und verließ das Haus. Für die täglichen Geschäfte waren die hochwertigen Münzen nicht geeignet und er wollte später einen der Geldwechsler am Rialto aufsuchen, um sie in Silbergrosso und Piccoli umzutauschen. Aber zuerst hatte er noch etwas anderes zu erledigen.
Er bestieg sein Boot und machte sich auf den Weg. In schnellem Tempo passierte er den Rialto Markt und bog wenig später in einen der schmalen Seitenkanäle ein. Graues Halbdunkel umfing ihn. Mehrstöckige Häuser standen zu beiden Seiten des Ufers beinahe Wand an Wand und verhinderten, dass das Tageslicht die Wasseroberfläche erreichte. Joran vertäute sein Boot an einem Holzpfahl, stieg an Land und pochte an die Seitentür. Ein Diener öffnete, verbeugte sich wortlos und ließ Joran eintreten.
»Ist die Matrona zu sprechen?«, fragte er.
»Sie ist oben.«
Als Joran in den kleinen Innenhof trat, hörte er von oben glockenhelles Lachen, das vom Klang einer dunkleren Stimme untermalt wurde.
»Zu dieser Stunde noch Männerbesuch?«, bemerkte er amüsiert. Das Geschäft scheint zu florieren.«
»Nicht noch, sondern schon wieder«, erklärte der Diener augenzwinkernd. »Das ist Lauras neueste Idee, um das Bordell zur besten Adresse Venedigs zu machen. Wir nennen es das Venus - Frühstück. Laura hat extra zwei neue Mädchen aufgenommen, um alle Wünsche erfüllen zu können.«
»Gut für die Mädchen«, murmelte Joran. »So haben sie ein sicheres Einkommen.«
»Ja. Soll ich Euch hinaufbringen, Herr?«
»Danke, aber ich finde mich schon zurecht.«
Über die Außentreppe stieg Joran hinauf in den ersten Stock und öffnete die Tür. Er betrat ein Vestibül und dann einen weitläufigen Saal, der nur vom matten Licht der Morgendämmerung sowie von einigen auf Tischchen brennenden Talglichtern erhellt war. Gelächter und kokettes Gekicher erklang aus einer der Kammern zu seiner linken. In der Luft hing der Duft nach Gebratenem und Jorans Magen machte sich knurrend bemerkbar. Doch er zwang sich, das Gefühl zu ignorieren, klopfte leise an eine Tür auf der gegenüberliegenden Seite und trat ein.
Laura stand in einem dünnen Seidenhemd am offenen Fenster und schien auf den Kanal hinabzusehen. Beim Geräusch der Tür wandte sie den Kopf, und als sie Joran sah, malte sich ein Lächeln auf ihren Zügen ab - ganz allmählich. »Joran. Ich habe gehofft, dass du es bist, als ich das Boot kommen sah.«
Joran schloss die Tür und machte ein paar Schritte in den Raum hinein. Am Fußende des breiten Bettes blieb er stehen und verbeugte sich wortlos.
»Ich habe dich vermisst«, sagte sie auf Griechisch.
Ihre Bemerkung entlockte ihm ein spöttisches Lächeln. »Was bist du doch für eine bezaubernde Lügnerin, meine liebe Laura. Du vermisst nicht mich, sondern das, was ich dir mitbringen sollte. Deine Augen verraten es mir.«
Sie hob langsam die Schultern.»Die Schmerzen in meinem Knie kommen und gehen. Die morgenländischen Kräuter machen sie erträglich.«
»Es ist reines Opium, Laura. Du solltest vorsichtig damit umgehen.«
Sie drehte sich zu ihm herum und betrachtete ihn eingehend. Für einen Moment blieb ihr Blick bedeutungsschwer auf seiner Narbe hängen. »Wie wäre es, wenn du deine Ratschläge einmal selbst beherzigst?«
Joran deutete ein Schulterzucken an. »Eine kleine Fehlkalkulation. Nicht weiter von Bedeutung.«
Sie sah ihn an und ihre blauen Augen waren groß und auf einmal so kindlich ob der Furcht darin, dass Joran tatsächlich versucht war, sie in den Arm zu nehmen, um sie zu trösten. Doch sie fing sich sehr schnell und der Moment verflog.
»Wie dem auch sei«, sagte sie. »Hast du mir den neuen Vorrat mitgebracht, den ich bei dir bestellt hatte?«
»Sicher.« Joran griff in seine Schultertasche, zog ein kleines Päckchen hervor und legte es auf den Tisch zu ihrer Rechten. Laura wog es in der Hand, bevor sie es zurücklegte, griff nach ihrem Gehstock und betätigte einen Klingelzug neben dem Bett.
Joran sah mit Genugtuung, dass sie nur ein klein wenig humpelte. Ihre Behinderung verdankte sie dem gleichen, bösartigen Zuhälter, der auch Jorans Familie in seiner Gewalt gehabt hatte. Joran hatte ihm in einem Anfall rasender Mordgier die Kehle durchgeschnitten. Das hatte ihm eine gewisse Befriedigung gebracht, doch weder die Erinnerungen noch die nächtlichen Albträume hatten sich damit bannen lassen.
Ein Diener erschien und brachte eine Geldkassette, die er mit einer Verbeugung vor Laura auf das Tischchen stellte.
»Wie immer?«, fragte Laura und als Joran nickte, zählte sie eine Handvoll Münzen ab und schickte den Diener mit der Kassette wieder hinaus.
Joran strich die Münzen ein und griff erneut in seinen Beutel. »Hier habe ich noch etwas für dich«, sagte er und überreichte ihr den Glastiegel mit Helenas Schönheitssalbe.
»Oh, was für ein wunderhübsches Gefäß! Was ist da drin?«
»Eine Schönheitssalbe. Sie glättet raue Haut und macht sie zart wie Seide, habe ich mir sagen lassen.«
Laura hob den Deckel ab und schnupperte am Inhalt des Glasgefäßes. »Es riecht nach Rosen«, stellte sie mit beinahe andächtiger Stimme fest.
»Das Rezept enthält Rosenöl, glaube ich.«
Laura schlang ihm die Arme um den Hals und schloss gleichzeitig die Lücke zwischen ihnen. »Oh Joran, das ist ein ganz wunderbares Geschenk. Ich danke dir sehr.« Sie hob den Kopf und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen.
Joran schloss die Augen. Es war eine unschuldige, eher schwesterliche Geste, dennoch musste er seine gesamte Willenskraft zusammennehmen, um sich der Berührung nicht zu entziehen. Laura wusste, dass er schon lange keinen Umgang mit Frauen mehr gehabt hatte, und versuchte unablässig diesem Mangel abzuhelfen.
Zum Teufel mit ihr.
Er hatte ihr nie erklärt, warum ihre Bemühungen vergeblich waren. Dass sie es auf immer bleiben würden. Unzählige Männer hatten ihn vergewaltigt. Sie hatten ihm Schmerz bereitet; doch ein Mann hatte ihm Lust gebracht.
Den Schmerz hätte er ertragen können. Die Lust hatte er nicht ertragen. Sie würde ihn immer beflecken.
Laura wusste von all dem nichts. Sie hatte es nicht verdient, in seinen Sumpf hineingezogen zu werden, und so biss er die Zähne zusammen und schwieg.
Endlich trat sie einen Schritt zurück. »Du siehst müde aus, Joran«, stellte sie fest. »Ich glaube, ein Venus - Frühstück wäre jetzt genau das richtige für dich. Was hältst du davon?«
»Das ist sehr aufmerksam von dir, Laura, aber trotzdem nein danke.«
»Bei deinem letzten Besuch warst du nicht abgeneigt, dich von mir verwöhnen zu lassen.«
»Ich war stockbesoffen.«
»Es mangelt in meinem Haus nicht an Wein, wenn es das ist, was du brauchst, um etwas ... mehr ... hm ... Enthusiasmus zu zeigen.«
»Ich bin nicht in Stimmung.«
»Das bleibt abzuwarten, hm? Also dann nur ein heißes Bad, ein paar köstliche Speisen und eine Massage. Deine Muskeln sind so hart wie Seile, die man zu straff gespannt hat. Was quält dich?«
»Nichts von Bedeutung.«
Sie stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn wortlos und mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Also gut. Ein Bad und Essen. Mehr nicht.«
»Oh, alles andere sehen wir dann schon«, verkündete sie mit einem spitzbübischen Lächeln. »Komm mit.« Sie nahm ihren Stock, ergriff seine Hand und zog ihn eilig aus der Kammer.
Der Raum, in den sie ihn führte, war großzügig und sehr hoch. Die Fenster waren mit Stoffbahnen verhängt, Möbel gab es keine. Aber ein Zelt, das den ganzen Raum beherrschte. Ein großes Zelt aus weißen und grünen Seidenbahnen. Der Eingang war aufgeschlagen und gab den Blick auf einen Innenraum frei, der hoch genug war, um darin stehen zu können. Laura machte eine einladende Geste und Joran duckte sich hinein. Der Boden war mit Teppichen ausgelegt, es gab ein üppiges Bett, bedeckt mit Kissen und eleganten Seidendecken und einen hölzernen Zuber, der mit feinen Leintüchern ausgeschlagen war. Laura klatschte in die Hände und wie aus dem Nichts erschien ein prächtig gewandeter Mohr mit Turban und Krummdolch und verneigte sich vor ihr. »Ihr wünscht, Herrin?«
»Lass heißes Wasser bringen und ein Tablett mit dem Besten, was die Küche zu bieten hat.«
»Ja, Herrin.« Der Diener verbeugte sich erneut und verschwand so leise, wie er gekommen war.
Laura schob eine der Seidenbahnen zur Seite und enthüllte einen Tisch, auf dem Trinkgefäße und ein Weinkrug bereitgestellt waren. Sie füllte zwei Glaspokale und brachte Joran einen davon. »Auf eine erfolgreiche Zukunft.«
Joran ergriff das Glas und ließ es sacht an ihres klimpern, ohne ihren Trinkspruch zu erwidern. Laura hatte aus ihrer Lage das Beste gemacht und wirkte zufrieden, mit dem, was sie hatte. Sie führte ein Bordell mit ausgezeichnetem Ruf und die Kurtisanen rissen sich geradezu darum, in ihrem Haus unterzukommen. Er dagegen ...
Die Tür knarrte, als die Hausknechte mit dem heißen Wasser eintraten. Bald war der Zuber gefüllt. Laura streute noch einige Kräuter hinein, die sogleich einen würzigen Geruch entfalteten. Dann kam sie zum ihm und legte ihm die Hände auf die Brust.
»Erlaube mir, dir beim Auskleiden zu helfen«, sagte sie.
Er trat einen Schritt zurück und drückte ihr stattdessen sein leeres Weinglas in die Hand. »Nicht nötig«, erwiderte er und begann, mit knappen, effizienten Bewegungen seine Gewänder abzulegen. Sie beobachtete ihn, während er in den Zuber stieg und sich ins heiße Wasser sinken ließ. »Es ist wirklich ein Jammer, dass du keine Frau an dich heranlassen willst. Was für eine Verschwendung exquisiter Männlichkeit ...«
»Du kannst dich doch bestimmt über mangelnde Auswahl an Männern nicht beklagen«, bemerkte er in schärferem Tonfall, als er vorgehabt hatte.
Seide raschelte. Sie zog sich in aufreizender Langsamkeit das Hemd über den Kopf und ließ es achtlos zu Boden gleiten. »Ich bin wählerisch.«
»Laura ...«
»Keine Sorge. Ich werde dir nicht zu nahe treten. Genieße einfach dein Bad.«
Jemand pochte an die Tür und Laura humpelte nackt, wie sie war, hin, um zu öffnen. Eine Magd brachte ein mit Speisen beladenes Brett, das sie vor Joran auf den Rändern des Zubers absetzte.
»Danke«, sagte Laura. »Du kannst gehen.«
Lauras Füße verursachten nur ein leises Schaben auf dem Teppich. Stoff knisterte. Sie nahm die Weingläser und trat an den Tisch, um nachzuschenken. Eine weiße Seidenbahn verbarg sie zur Hälfte; Joran sah von ihr lediglich eine glatte, elfenbeinfarbene Schulter, ein Stück ihres Rückens, eine elegant geschwungene Hüfte, eine straffe Pobacke, ein langes Bein und den undeutlichen Umriss eines gesenkten Kopfes. Glas klirrte gegen Glas. Seide raschelte. Der Duft der Kräuter und der Wein, den er auf leeren Magen getrunken hatte, stiegen Joran zu Kopf.
Die Hand, mit der er gerade ein Stück Hühnchenfleisch zum Mund hatte führen wollen, sank kraftlos herab. Weil es mit einem Mal Helenas nackter Körper war, den er zu sehen glaubte. Gleich würde sie sich zu ihm herumdrehen und ihn mit ihrem unglaublichen Lächeln blenden. Er erinnerte sich noch genau, wie sich ihre Lippen anfühlten, doch er wusste nicht, welche Form ihre Brüste hatten. Er schloss die Augen, legte den Kopf auf den Rand des Zubers und versuchte es sich vorzustellen. Hitze durchflutete seinen Körper und sammelte sich in der Region zwischen seinen Beinen. In Gedanken presste er sich gegen Helena. Seine Finger kreisten über ihre weichen Oberarme; seine Schenkel legten sich an ihre Pobacken, seine Männlichkeit schob sich der Länge nach in den Spalt. Schweißnasses Haar klebte an ihnen beiden, ihres, seines. Er ließ sie seine Härte spüren, seine Stärke. Ihre Haut verströmte den leichten Rosenduft ihrer Schönheitssalbe.
Das Wasser um ihn herum bewegte sich, schwappte über seine Brust, seine Schultern. Finger strichen über seine Rippen, krochen nach unten, Zoll für Zoll. Beschwörend. Aufreizend. Haarspitzen strichen über seine Haut, weiche Lippen bemächtigten sich seines Mundes.
Etwas daran war falsch.
Er riss die Augen auf.
Und sah sich Laura gegenüber. Laura, nicht Helena, die sich über ihn beugte und im Begriff war sich seiner Männlichkeit zu bemächtigen.
Er fuhr auf und stieß sie von sich. Wasser schwappte über den Rand des Zubers. »Weg von mir«, keuchte er. »Verschwinde! Wenn du mich noch einmal anrührst, bringe ich dich um, Laura.«
Seine Lippen schienen zu brennen von ihrem Kuss und er wischte mit dem Handrücken darüber, um das Gefühl zu vertreiben.
Sie kauerte mit angezogenen Knien vor dem Bett und starrte ihn an. Ihre Angst war deutlich zu erkennen, aber etwas anderes überwog die Angst.
Laura litt.
Joran stemmte sich aus dem Wasser und verließ den Zuber. Er fand eines der bereitliegenden Leintücher und schlang es sich um die Hüften. Lauras Verrat lastete auf seiner Brust, bis er vor Enttäuschung und Schmerz nicht mehr atmen konnte.
Laura erhob sich ebenfalls. Mit flammendem Blick trat sie vor ihn, hob die Hand und ohrfeigte ihn. Jorans Kopf ruckte ein wenig nach rechts und er dachte, dass sich ihre Fingerabdrücke auf seiner Wange abzeichnen mussten, so fest hatte sie zugeschlagen. Augenscheinlich verschaffte ihr der Schlag Erleichterung, denn sie tat es gleich noch einmal.
Joran stand mit herabhängenden Händen vor ihr und ließ sie gewähren. »Nur keine Hemmungen Laura. Ich weiß, dass ich´s verdient hab.«
»Du verdienst weit Schlimmeres als das«, sagte sie. Doch mit einem Mal schien alle Kraft aus ihr zu weichen. Sie humpelte zum Bett, sank auf den Rand und musterte ihn eine Weile mit nachdenklichem Blick. »Da dachte ich, ich hätte es endlich geschafft, dich für meine Reize zu erwärmen, dabei war es die ganze Zeit vergebliche Liebesmühe«, stellte sie in sachlichem Ton fest. »All diese männliche Pracht war gar nicht für mich. An wen hast du gedacht, Joran? Wer ist sie?«
»Wer ist wer?«
»Wer ist die Frau, die in der Lage ist, dir solche Reaktionen zu entlocken?«
Er ging zum Tisch, griff nach seinem Weinglas und stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter. »Es gibt keine Frau. Es war ... ein momentaner Ausrutscher.«
»Ach, Joran. Du Armer. Es ist längst zu spät und du weiß es noch gar nicht.«
»Himmel, Laura, sprich nicht in Rätseln. Raus mit der Sprache! Wofür ist es zu spät?«
Laura humpelte zur Mitte des Zeltes, hob ihr Hemd auf und zog es sich über den Kopf. »Ich habe es die ganze Zeit nicht verstanden. Warum du lebst wie ein Mönch. Ich dachte, es hätte mit deinen Erfahrungen im Bordell des Bischofs zu tun. Aber das ist es nicht.«
»Laura ...«
»Du bist verliebt, Joran Gianfranco Ferroni. Bis über beide Ohren.«
»Das ist Unsinn. Liebe ist Unsinn. Wie kommst du nur auf den Gedanken, ich könnte eine Frau .... Ich kann ja nicht einmal mich selbst ...« Seine Stimme drohte zu brechen, aber er räusperte sich schleunigst und verstummte.
Ein paar Herzschläge lang war es sehr still im Raum. Niemand rührte sich, nichts war zu hören, als die Rufe der Gondolieri, die gedämpft vom Kanal heraufklangen.
Schließlich stieß Laura einen Seufzer aus und legte ihm die Hand auf den Arm. »Geh nach Hause, Joran. Ich lasse einen Diener Essen und Wein einpacken und schicke es dir zum Boot.«
Er stieß einen langen Atem aus. »Es war nicht meine Absicht, die wehzutun, Laura.«
»Ich weiß.«
»In einem Punkt hast du recht. Meine ... Abstinenz hat tatsächlich etwas mit dem Bischof zu tun. Er hat mich ...«
»Lass es gut sein, Joran. Du schuldest mir keine Erklärung. Geh nach Hause.« Damit drehte sie sich um und humpelte, ohne ihren Stock zu benutzen, aufrecht aus dem Raum.