Ich wartete schon eine Weile auf Baal. Nach dieser Erinnerung? Traum? Wie auch immer, ich konnte nicht mehr schlafen. Immer wieder überlegte ich, war die verschiedenen Möglichkeiten durchgegangen, was ich hätte anders machen können. Irgendwann saß ich nur noch da, mein Kopf war vollkommen leer.
„Guten Morgen, Miss Shepard!“ begrüßte mich Baal lächelnd. Ich blickte zu ihm auf. Wann hatte er das Zimmer betreten? Seine Augen bohrten sich in meine, aber ich zuckte nicht mehr zurück. Ich spürte nichts.
„Was ist los?“ fragte er ruhig und sein Lächeln verschwand. Wie von allein schüttelte ich meinen Kopf und meinte: „Alles in Ordnung!“
Baal legte die Stirn in Falten. Machte er sich Sorgen? So ein Quatsch, fuhr ich mich selber an.
„Sind Sie sich da sicher?“ Ich nickte einfach.
„Na schön, nach Ihrem Frühstück sprechen wir weiter!“ Wieder nickte ich nur. Ich war mir sicher, wenn ich die Kraft gehabt hätte und vor allem wenn er kein Dämon gewesen wäre, hätte ich ihn geschlagen und ihn angebrüllt. Vielleicht später.
„Ich hoffe nicht!“ murmelte er und verließ den Raum. Ich wollte gar nicht wissen, was er meinte.
Callie brachte mir mein Frühstück. Es bestand aus Eiern, Toast und ein Glas Saft. Ein Mann begleidete sie. Ich kannte ihn nicht. Er trug ein braunen Pullover und eine ausgewaschene Jeans, seine grauen Haare waren kurz. Seine braunen Augen strahlten eine unglaubliche Freundlichkeit aus.
„Guten Morgen!“ sagte er und lächelte gutmütig.
„Guten Morgen!“ gab ich zurück.
„Das ist mein Mann, Henry. Er wollte sich eben Ihre Wunden ansehen!“ erklärte Callie und stellte das Tablett auf den Nachttisch ab.
„In Ordnung. Ach Callie, wo ist hier das Badezimmer? Ich würde dann gern duschen!“ fragte ich sie und versuchte ein ernsthaftes Lächeln zustande zu bekommen.
„Natürlich. Wenn Sie aus dem Zimmer gehen, gleich rechts die nächste Tür. Handtücher liegen auf dem Regal!“ erklärte sie. Ich nickte dankbar und sie verließ den Raum.
„Wollen wir anfangen, Miss Shepard?“ fragte Henry höflich. Ich nickte.
„Ja, natürlich!“
Er zog die Decke beiseite und begann mein Bein abzutasten. Nur noch eine dünne, helle Linie erinnerte daran, dass vor weniger als drei Tagen mein Knochen hervortrat. Er nickte zufrieden.
„Legen Sie sich bitte hin!“ Ohne etwas zu sagen, legte ich mich hin. Ich zuckte ungewollt zusammen, als ich bemerkte, dass er mein Hemd aufknöpfte. Den obersten Knopf ließ er geschlossen, schob das Hemd beiseite und betastete meine Rippen. Nach dem er auch meine Schusswunden, die ebenfalls nur noch durch helle Narben zusehen waren, untersucht hatte, konnte ich mein Hemd schließen und mich wieder aufsetzen.
„Ich bin mit Ihrem Heilungsprozess sehr zufrieden!“ sagte er lächelnd und verließ den Raum.
Da ich keinen Hunger verspürte, trank ich nur den Saft und begab mich dann ins Badezimmer. Es war schlicht eingerichtet. Rechts befand sich die Toilette, links das Waschbecken, daneben ein Regal mit den Handtüchern und vor mir die Badewanne. Ich zog mein Hemd und das Höschen aus und stellte mich in die Wanne. Den Duschkopf hing ich in die Halterung an der Wand, schloss den Duschvorhang und drehte das heiße Wasser auf. Es war ein ruhiges und entspannendes Gefühl, das heiße Wasser auf meinen Körper zu spüren. Ich seifte mich mit dem Shampoo ein, das auf dem Rand stand. Es duftete angenehm nach Lavendel. Nachdem ich auch meine Haare gewaschen und das angenehme Gefühl des warmen Wassers auf meiner Haut noch etwas genossen hatte, drehte ich es ab und zog den Vorhang beiseite.
Baal stand auf der Türschwelle und sah mich an. Kurz musterte er meinen ganzen Körper und blieb schließlich an meinen Augen hängen.
„Ich hatte Ihnen gesagt, dass ich nach Ihrem Frühstück mit Ihnen sprechen wollte!“
„Ich brauch doch wohl nicht Ihre Erlaubnis, um duschen zu gehen!“ sagte ich. Vom Regal nahm ich mir ein Handtuch und band es mir um, während ich aus der Wanne stieg.
„Das nicht, aber ich will informiert werden!“
„Wer sind Sie? Mein Vater oder was?“ fragte ich gereizt und steckte mein Haar mit einer Spange hoch, die auf dem Waschbecken lag, ich hoffte, dass Callie nichts dagegen hatte.
„Sie machen es mir nicht leicht, Miss Shepard!“
„Ich mache es Ihnen nicht leicht? Die ganze Zeit habe ich mich gefügt, habe Ihnen Antworten gegeben, die Sie wollten und nur weil ich duschen gegangen bin, ohne es Ihnen zu sagen, mache ich es Ihnen nicht leicht?“ fuhr ich ihn an. Es war mir gleich, ob er mich nun bestrafte oder nicht. Ich hatte keine Lust mehr, mich anderen zu fügen und schon gar nicht Dämonen.
Ich wollte an ihm vorbei, aber er packte mich am Oberarm.
„So war das nicht gemein, entschuldigen Sie!“
Ich zuckte kurz zusammen, er hatte sich entschuldigt. Noch nie hatte das ein Dämon getan, Tyron hätte mich ohne wenn und aber bestraft.
„Das werde ich aber nicht!“ flüsterte er und lies mich stehen. Was meinte er nun schon wieder? Schon ein paar Mal war mir aufgefallen, dass er Antworten oder Kommentare passend zu meinen Gedanken hatte. Zufall! Zumindest wollte ich mir das einreden. Ich ging zurück ins Zimmer, auf dem Bett lag ein roter Pullover und eine rote Trainingshose. Ich schlüpfte in die Sachen und war überrascht, wie gut sie mir passten. Ich brachte das Handtuch einfach ins Bad zurück.
Gerade kam ich in den Flur und lief in Richtung des Zimmers, als ich hörte, wie jemand brüllte.
„Reiß dich zusammen und mach deine Arbeit!“ Stille folgte. „Das ist mir gleich!“ Es klang nach Baal. Er schien zu telefonieren, ich hörte niemanden, der ihm antwortete. Ein gefährliches Vibrieren schwang in seiner Stimme mit. Nur einmal hatte ich Tyrons Dämonenstimme gehört, in dem Moment hatte mich meine Angst überwältigt. Anschließend bestrafte er mich, weil ich weggelaufen war. Baal war kurz davor, diese Stimme an die Oberfläche kommen zu lassen. Was brachte ihn so zum Rasen?
Ich ging in mein Zimmer und öffnete das Fenster. Ein kühler Wind kam mir entgegen und wehte um mein Gesicht. Ich zuckte zusammen, als ich die Tür zufallen hörte. Schnell drehte ich mich um und stand Baals roten Augen gegenüber.
„Sie haben mein Gespräch belauscht!“ Ich schüttelte den Kopf.
„So laut, wie Sie gesprochen haben, konnte ich es bis hier hoch hören!“ Er legte seine Stirn in Falten, aber er schien mir zu glauben.
„Woher wissen Sie eigentlich, dass ich es gehört habe?“
„Ich habe die Tür gehört!“ Ich wusste, dass er log. Also stemmte ich meine Hände in die Hüfte.
Lügner, dachte ich. Sein Blick verdunkelte sich zu meiner Genugtuung.
„Wollen wir nicht unsere Unterhaltung fortsetzen?“ Ich wusste, dass er nur ablenken wollte, aber mir sollte es Recht sein. Er blickte mir weiterhin in die Augen.
„Setzen Sie sich bitte!“ sagte er und zeigte aufs Bett.
Nachdem ich mich gesetzt hatte und sah, dass er anfangen wollte, sagte ich: „Bevor Sie beginnen, würde ich Sie gern noch etwas fragen!“ Ich wartete auf eine Reaktion. Er nickte.
„Nur zu!“
„Wie konnte Tyron so leicht auf diese Ebene der Welt kommen?“ Er nickte.
„Gute Frage. Bis heute ist das noch nicht genau geklärt. Wir vermuten, dass Tyron seine Fähigkeiten bei Akatash und Akamanah angewandt hat!“ Er sah nachdenklich aus.
„Bei wem?“ Er lächelte.
„Die beiden sind Erzdämonen, so zu sagen unsere Generäle von unseren Soldaten, wie ihr sie nennen würdet!“ Meine Augen weiteten sich. Erzählte er mir, dass die Dämonen eine Armee aufbauten? Hätte ich in dem Moment nicht aufgepasst, wäre mir das Kopfschütteln entgangen.
„Sie existiert schon seit Jahrhunderten!“ Es klang so, als hätte er es einfach noch dazugesagt, er versteckte es geschickt. „Auch wir haben eine Politik und haben hin und wieder Krieg, aber lange halten diese nie!“ Ungläubig sah ich ihn an, Dämonen und Politik? Baal atmete schwer aus.
„Unsere Politik ist natürlich anders, als bei Ihnen. Bei uns gibt es keine Wahlen oder ähnliches. Unser König bestimmt. Er ernennt seine Generäle, seine Berater und Richter!“
„Richter?“ fragte ich verblüfft.
„Natürlich, auch Dämonen töten und stehlen untereinander oder schänden!“ Ich sah ihm an, dass er nachdachte, also wartete ich einfach. „Der König ernennt auch den Amon!“ wieder wartete er. Dämonen, dass man ihnen immer alles aus der Nase ziehen muss, dachte ich. Er verdrehte, für ihn anscheinend unauffällig, die Augen. „Was ist der Amon?“ fragte ich.
„Er ist der Fürst der Hölle, alle die dahin verbannt werden, stehen unter Beobachtung von dem Amon und seinen Untergebenen!“ erklärte er.
„In Ordnung, soweit komm ich noch mit. Auch wenn ich mir sicher bin, dass ich mir die Namen nicht behalten werde. Aber worin bestehen Ihre Aufgaben?“ fragte ich darauf. Ich glaubte, kurz Ratlosigkeit in seinen Augen aufblitzen zusehen.
„Zur Zeit, Tyron zurückzubringen!“
„Allein?“ fragte ich skeptisch. Na schön, er war ein Dämon, aber wenn selbst er meinte, dass es nicht so leicht wäre. Durch Sam und Vassago kann er das doch unmöglich allein schaffen. Er schüttelte den Kopf.
„Ein weiterer Dämon ist mit hier, die anderen sind Menschen!“
„Wie Callie und Henry!“ warf ich ein. Er nickte zustimmend. „Die Familie Smith arbeitet schon seit Jahrhunderten für den König, genauso wie...“ er stockte plötzlich.
„Wie?“ hakte ich nach.
„Wie noch drei andere Familien!“
Was sollte das? Ich glaubte nicht, dass er erst nachzählen musste. Was verheimlichte er mir? Warum erzählte er mir überhaupt so viel über die Dämonen?
„Baal? Was soll das eigentlich, warum erzählen Sie mir das alles?“ fragte ich unsicher, ob ich das wirklich wissen wollte. Seine Reaktion verdeutlichte mir das auch noch. Er blickte mich ernst an und seine Augen verdunkelten sich.
„Miss Shepard“ begann er ruhig. „Ich werde Sie vor eine Wahl stellen, die von Ihrem Leben abhängt!“
Ich rückte zum anderen Ende des Bettes zurück. Sein Blick änderte sich noch einmal. War das Mitleid? „Entweder Sie werden ab sofort für mich arbeiten und werden mir helfen, an Tyron heranzukommen oder ich werde hier und heute Ihr Leben beenden!“
„Ich bin doch nur ein Mensch. Wie könnte ich Ihnen helfen?“ warf ich ein.
„Sie werden jeden einzelnen, Sam, Vassago und Tyron zu mir bringen!“
Ich blickte aufs Bett. Beide Möglichkeiten gefielen mir nicht wirklich, ich würde so oder so verlieren. Egal, wofür ich mich entscheiden würde, wieder hatte ein Dämon mein Leben in seinen Händen.
Ich spürte, wie etwas über meine Wange fuhr, bis es an meinen Lippen ankam und ich das Salz der Tränen schmecken konnte.